Predigt über Matthäus 10, 26- 33: Menschenfurcht und Gottesfurcht
Reformationsfest, 31.10.2020, 18 Uhr, Lutherkirche
Liebe Gemeinde.
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ – Das sind die berühmtesten Lutherworte, gesprochen 1521 auf dem Reichstag zu Worms. Kein Luther-Film kommt ohne sie aus, und meistens sagt Luther sie darin selbstbewusst oder sogar triumphierend. Bis heute sind diese Worte populär.
Sie sind die Antwort Luthers auf die Frage, ob er seine Schriften widerrufen wolle. Und Luther wusste genau, dass es dabei um seinen Kopf ging: würde er es nicht tun, drohte ihm als verurteiltem Ketzer der Feuertod. Trotzdem lehnte er den Widerruf ab, denn seine Predigten seien bibelgemäß und seine Kritik am Papsttum sei ebenfalls durch die Heilige Schrift gedeckt. So lautete seine Begründung.
Ein triumphales „Hier stehe ich …“, und ein selbstbewusstes „Ich kann nicht anders“ sind allerdings Legende. In Wirklichkeit hat Luther seine Rede mit einem schlichten „Gott helfe mir. Amen.“ beendet. Wer für die rhetorische Zuspitzung verantwortlich ist, wissen wir nicht, aber es ist ihm auf jeden Fall ein großer Wurf gelungen, denn die nie gesagten Worte wurden für unsere protestantische Tradition prägend. So stellen wir uns Luther gerne vor: aufrecht stehend, mit stolzgeschwellter Brust vor einem krumm hockenden Kaiser. Das hat Vorbildcharakter, so mutig wären wir ebenfalls gerne.
Und das sollten wir uns auch nicht ausreden lassen, im Gegenteil, es entspricht den Ermahnungen im Evangelium. In der Aussendungsrede sagt Jesus zu seinen Jüngern:
Matthäus 10, 26b- 33
26 Fürchtet euch nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.
27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.
28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.
29 Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater.
30 Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt.
31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge.
32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.
33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
Das ist der Predigttext für heute, und er hat als Grundthema die Ermunterung der Jünger: „Fürchtet euch nicht.“ Sie begegnet uns in den wenigen Sätzen dreimal. Offensichtlich wusste Jesus, dass die Jünger Mut für das brauchten, was er von ihnen erwartete: Er sandte sie als Missionare aus. Der Abschnitt steht am Ende seiner Rede, mit der er sie damit beauftragte, in seinem Namen zu predigen. Sie sollten verkündigen, dass das „Himmelreich nahe herbeigekommen ist.“ (Mt. 10, 7) Und Jesus verschwieg ihnen nicht, dass sie dabei viele Anfeindungen und Verfolgungen erleben würden, Hass und Entzweiung, Verurteilung und Leid. Deshalb stellt er am Ende klar die Gottesfurcht über die Menschenfurcht und versichert ihnen, dass Gott immer bei ihnen sein wird. Er veranschaulicht das mit dem Gleichnis von den Sperlingen. Das waren damals im Orient die billigsten essbaren Vögel, sie waren wirtschaftlich also sehr unbedeutend. Trotzdem sind sie Gottes Geschöpfe, und seine bewundernswerte Aufmerksamkeit gilt ihnen genauso wie allen anderen. Und da man vom Kleineren auf das Größere schließen kann, darf man davon ausgehen, dass Gott diejenigen, die sich zu ihm bekennen, erst recht beachtet.
Den Höhepunkt der Rede Jesu bildet dann der letzte Satz, das Wort vom Bekennen und Verleugnen. Es enthält die Bitte um einem klares „Ja“ zu Christus. Er fordert ein eindeutiges Bekenntnis und krönt seine Bitte mit dem Versprechen, dass das nicht einseitig bleiben wird. Er wird sich selber an diejenigen binden, die sich ganz zu ihm halten. Die Festlegung ist wechselseitig und hat universale Gültigkeit: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater.“ Das ist der Schlusssatz.
Und den hatte Luther offensichtlich verinnerlicht. Er war ja in einer ganz ähnlichen Situation, wie Jesus sie den Jüngern hier prophezeit: Er stand vor einem Gericht und musste sich verantworten. Und er war bereit, das Martyrium auf sich zu nehmen, d.h. für seine Überzeugung zu sterben.
Denn sie bestand nicht einfach in irgendeiner Ideologie oder menschlicher Lehre, er hatte vielmehr am eigenen Leibe die Erlösungstat Christi erlebt. Seine Seele war frei geworden, weil er die tiefe Erkenntnis gewonnen hatte, dass der Glaube ihn vor Gott gerecht macht. Wofür er „stand“, war größer, als alle menschliche Gerichtsbarkeit, es wies weit über Tod und Leben hinaus. Denn es war das ewige Heil, dessen er sich gewiss war, und er spürte: Christus wird sich zu ihm bekennen, wenn er sich zu ihm bekennt, d.h. wenn er sich ganz auf ihn verlässt und ihm vertraut.
Luthers Zeugnis ist die Grundlage für unsere Kirche, und es ist gut, dass wir das heute feiern. Wir verehren damit keinen Heiligen, aber wir denken an einen Menschen, der mit seiner Standhaftigkeit, seinen brennenden Fragen nach Gott und seinem mutigen Einstehen für seinen Glauben die Kirche tief geprägt hat. Der Reformationstag ruft uns ebenfalls zum freien und furchtlosen Bekenntnis auf und erinnert an die Traditionen, auf die sich die evangelischen Christen gründen.
Und das ist heute genauso wichtig wie damals. Denn nicht alles ist gut geblieben in der Kirche. Wir müssen uns immer wieder reformieren, wie Luther selber gesagt hat.
Und was das bedeutet, können wir uns gut bewusst machen, wenn wir einmal fragen, was denn die Kirche in der jetzigen Krise einbringen kann. Wir haben es ja nicht ganz leicht. Denn auf der einen Seite ist es geboten, dass wir die Schwachen schützen und auf diejenigen Rücksicht nehmen, die am stärksten gefährdet sind. Als Christen sind wir der Nächstenliebe verpflichtet. Insofern ist es gut, wenn die Kirche all die Maßnahmen der Politik, die dazu dienen, dass wir aufeinander Rücksicht nehmen, gutheißt und beachtet.
Doch das darf nicht dazu führen, dass wir verschweigen, was unseren Glauben genauso ausmacht, und das ist die Gewissheit, dass uns weder Tod noch Leben von Gott trennen kann. Unser Glaube weist weit über dieses Leben hinaus und gibt uns eine Hoffnung und einen Mut, der sich durch nichts erschüttern lässt. Das müssen wir ebenfalls verkünden und leben.
Denn viele Menschen verlieren gerade ihre Zuversicht und ihre Seelenruhe. Sie werden krank, weil sie keine Perspektive mehr sehen, weil sie vereinsamen und an Leib und Seele verarmen. Deshalb ist das Bekenntnis zu einem Gott, der all unsere Not kennt und sie längst für uns überwunden hat, in der jetzigen Zeit genauso wichtig wie die Nächstenliebe. Es sollte klar und auffällig sein. Wir dürfen uns als Christen mit dieser Botschaft nicht verstecken, denn sie ist überlebensnotwendig.
Das schreiben auch unsre Bischöfe. So steht in einem Brief von Gothart Magaard an alle Kirchengemeinden ausdrücklich: „Gottesdienste und Kasualien werden in den kommenden Wochen besonders wichtig sein und können weiterhin gefeiert werden. Wir brauchen Orte und Zeiten, wo Sorgen und Ängste formuliert werden können und Menschen Kraft und Hoffnung schöpfen. Auch im Blick auf Seelsorge sollten wir Menschen im Rahmen der Möglichkeiten so gut es geht begleiten.“ (29.10.2020) Und Bischöfin Fehrs sagte in einer Sendung im NDR: „Hoffnung, Zuversicht, Optimismus, Lebenswillen – das sind die Kräfte, die wir jetzt in dieser Pandemie-Zeit mit all ihren Unwägbarkeiten brauchen. Wenn die Corina-Nachrichten niederdrücken, Existenzangst auslösen oder vielleicht einfach nur nerven, ist hartnäckige Zukunftskraft gefragt.“ Und sogar die Hälfte der gesamten Ärzteschaft hat erkannt, wie wichtig es ist, dass die Menschen die Hoffnung nicht verlieren. „Wir müssen die Menschen mitnehmen, ihnen Mut machen, Angst, Panik und Verbote helfen niemandem. Es ist wichtig, Alternativen aufzuzeigen, denn Hoffnung ist ein besserer Partner als Verzagtheit.“ So steht es in einem Papier, das am Mittwoch vorgestellt wurde.
Und das alles kann uns durch die deutliche Stimme des Evangeliums zukommen. Wir sollten uns als Christen deshalb mutig zu unserem Glauben bekennen. Wir müssen die bewährten Hygiene- und Schutzkonzepte dabei ja nicht missachten. Natürlich ist es wichtig, dass wir weiterhin vorsichtig mit unseren Kontakten umgehen. Aber die Angst sollte uns trotzdem nicht beherrschen.
Im Gegenteil, wir sind aufgefordert, gerade jetzt öffentlich von dem zu reden, was wir glauben, und nicht einfach nur zu schweigen. Das ist in vieler Hinsicht sehr wirkungsvoll und wohltuend. Zunächst einmal bedeutet es ja, dass wir uns nicht von dem beeindrucken lassen, was um uns herum geschieht, sondern von dem, worauf wir vertrauen. Wir konzentrieren uns nicht auf die Nachrichten, nicht auf die Maßnahmen und schon gar nicht auf unsere Sorgen. Wir schieben das alles vielmehr beiseite und machen in unserem Bewusstsein Platz für das Bekenntnis des Glaubens.
Dann füllen andere Gedanken unseren Geist und unsre Seele, als sie uns gerade überall in unsrer Umgebung begegnen. Angst und Verzagtheit weichen der Zuversicht. Hoffnung und Liebe werden lebendig, und unsere Seele weitet sich. Wir fühlen uns frei und atmen auf.
Denn was uns erfüllt und wovon wir überzeugt sind, ist nicht einfach nur eine Idee. Wir haben vielmehr jemanden auf unserer Seite, der stärker ist als alle anderen, den lebendigen Gott, der uns durch Jesus Christus erlöst hat. Wenn wir uns zu ihm bekennen, bekennt er sich zu uns. Er ist dann bei uns, seine Gegenwart wird lebendig und spürbar. Oft denken wir ja, glauben heißt, etwas für Gott zu tun. Doch das ist ein Irrtum. In erster Linie geht es darum, dass Gott etwas für uns tut. Wir müssen einfach nur darauf vertrauen, dass er da ist und dass sein Reich kommt. Dann merken wir, dass er sich an unsere Seite stellt, uns rettet und erlöst.
Und diese Botschaft sind wir der Welt schuldig. Es ist deshalb gut, wenn wir genauso furchtlos wie Luther aufstehen und uns zu „Gott, dem Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ bekennen, und zu „Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn“. Er ist Mensch geworden wie wir, hat gelitten und ist gestorben und wurde begraben. Er stieg bis in das Totenreich hinab. Aber dort ist er nicht geblieben, sondern „am dritten Tage ist er auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel und sitzt nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“
Möge der Heilige Geist uns zu diesem Bekenntnis befähigen und uns damit zur „heiligen christlichen Kirche“ machen. Dann haben wir „Gemeinschaft mit allen Heiligen, empfangen die Vergebung unserer Sünden und werden selber auferstehen von den Toten und das ewige Leben ererben.“ (Apostolisches Glaubensbekenntnis)
Amen.