Predigt über Johannes 4, 1- 14: Jesus und die Frau am Jakobsbrunnen
Sommerpredigt: Wasser, 14.7.2019,
9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel
Im Sommer sind wir viel draußen und erleben die elementaren Kräfte der Natur. Wir spüren den Ursprung des Lebens. Nach der Lehre der alten Griechen besteht es durch vier Grundelemente: „Erde“, „Wasser“, „Luft“ und „Feuer“. Das brachte auch Franz von Assisi in seinem Sonnengesang zum Ausdruck. Dabei waren für ihn die Energien in der Natur Hinweise auf die Kraft Gottes, und er pries den Schöpfer durch sie. Das Lied, das er darüber schrieb, nennen wir den „Sonnengesang“.
Wir haben für den Sommer eine Reihe von vier Predigten zuammengestellt, in denen wir den Worten des heiligen Franziskus folgen und mit ihm die Luft, das Wasser, das Feuer und die Erde betrachten. Heute stand das Wasser im Mittelpunkt. Franziskus nennt es seine „Schwester“ und sagt, dass es „gar nützlich ist und demütig und kostbar und keusch.“ In der Bibel und auch in der geistlichen Tradition dient es oft als Symbol für die göttliche Kraft, für das, was er uns gibt.
Wir haben deshalb bedacht, wie kostbar das Wasser ist, und sind im Geiste gleichzeitig zu dem „Brunnen des Heils“, gegangen, durch dessen Wasser nicht nur unser leiblicher sondern auch unser seelischer Durst gelöscht wird.
Johannes 4, 1- 14
5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. 9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – 10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11 Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? 12 Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. 13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; 14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.
Liebe Gemeinde.
Am liebsten würde sie mit dem Wasser spielen, in der Hitze plantschen, so wie es fünfjährige Mädchen rund um den Globus gerne tun. In Somalia aber wissen schon kleine Kinder wie Nura, dass man jeden Tropfen sauberes Wasser sorgsam auffangen und es auch erst einmal aus der Tiefe holen muss. Dafür hat die Hilfsorganisation Unicef gemeinsam mit den Familien Solarpumpen installiert und damit viele sichere Wasserquellen erschlossen. Für Nura und ihre Familie ist die Freude darüber groß. Das Leben ist einfacher geworden. Kinder müssen nicht mehr stundenlang unterwegs sein, um zur einzigen Wasserquelle der Umgebung zu gelangen. Auch vor Hunger, Krankheit und Tod hat der dauerhafte Zugang zu sicherem Trinkwasser etliche Menschen in dem Land bewahrt, das immer wieder extremer Dürre ausgesetzt ist.
In unseren Breitengraden wissen wir den hohen Wert des Wassers oft kaum zu schätzen, denn wir haben genug davon und es kommt einfach aus dem Wasserhahn. Dabei ist es nach wie vor eine der wertvollsten Ressourcen, die unsere Erde hat. Ohne Wasser gäbe es keine Leben. Nicht umsonst nennt Franziskus es „kostbar“.
In biblischen Zeiten lag dieses Wissen den Menschen wahrscheinlich noch viel näher, denn es ging ihnen ähnlich wie Nura: Sie mussten das Wasser erst einmal gewinnen, bevor sie es trinken konnten, und holten es aus Brunnen oder sammelten es in Zisternen.
So tat es auch die Frau, von der das Johannesevangelium im vierten Kapitel erzählt. Jesus traf sie an einem Brunnen in der Gegend Samaria in der Mitte Palästinas. Es handelte sich um den sogenannten Jakobsbrunnen, der eine Tiefe von 32 Metern hat. Es gibt ihn auch heute noch. Unten sprudelt frisches Quellwasser.
Jesus kam in der Mittagshitze erschöpft bei diesem Brunnen an und setzte sich zum Ausruhen auf den Rand. Dann kam die Frau, um dort wie gewohnt Wasser zu schöpfen, und Jesus sprach sie an. Das war ungewöhnlich, und brachte die Frau in Verlegenheit. Denn die beiden waren allein dort, und diese Situation war aus zwei Gründen für beide schwierig: Erstens sprach – nach damaliger Sitte – ein jüdischer Mann nicht eine Frau an, und zweitens herrschte zwischen Juden und Samaritern Feindseligkeit. Jeglicher Kontakt war verboten.
Darauf wies die Frau Jesus zunächst hin, doch er ignorierte das. Er wollte mit ihr sprechen und eröffnete den Dialog mit der Bitte um Wasser. Dabei ging es ihm von Anfang an um das, was er ihr – und damit allen Menschen – geben kann. Er nannte es geheimnisvoll „lebendiges Wasser“. Die Bitte war also nur ein Vorwand, um dieses Symbol einzuführen.
Das merkte die Frau allerdings nicht, sie wunderte sich nur über diesen Fremden und missverstand ihn. Natürlich dachte sie daran, dass er das frische Quellwasser meinte. Warum war er dann aber ohne Schöpfgerät gekommen? Sie redeten aneinander vorbei, denn Jesus verstand unter „lebendigem Wasser“ etwas anderes, das einen tieferen Sinn hat. Er sagte: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“
Um diese Botschaft ging es ihm, und sie bedeutet: „Ich kann dir etwas schenken, das ewig bleibt. Du wirst keinen Durst mehr haben, wenn du das empfängst.“ Jesus sprach von einem Wasser, das im Inneren des Menschen zu einer Quelle wird, die zum ewigen Leben sprudelt.
Und das dürfen wir auch auf uns beziehen: Wenn wir an ihn glauben, wird unser Lebensdurst und unsere Sehnsucht nach der Ewigkeit gestillt. Wir müssen nicht auf noch mehr oder etwas Besseres warten. Es gilt vielmehr, in vollen Zügen das aufzunehmen, was Jesus uns gibt. Er kann uns ganz erfüllen, und dadurch können wir selber zu einer Quelle lebendigen Wassers werden.
Doch was bedeutet das nun? Welche Folgen hat das für unsere Lebensführung und für unser Handeln? Was sollen wir als Christen tun?
Wenn wir darüber im Zusammenhang mit dem Thema „Wasser“ nachdenken, liegt der Gedanke nahe, dass wir dieses kostbare Gut schützen und möglichst jedem zugänglich machen müssen. Genauso wie die samaritanische Frau in unserer Geschichte denken wir bei Wasser an das Gut, das wir alle zum Leben brauchen, das unseren leiblichen Durst löscht. Wir unterstützen deshalb gerne Initiativen, die dafür sorgen, dass auch Menschen in trockeneren Gegenden genug zu trinken haben. Wir leisten Entwicklungshilfe und appellieren an unser Gewissen, das Wasser rein zu halten, es nicht zu verschwenden und gerecht zu verteilen. Und das ist auch gut und christlich.
Doch es ist noch lange nicht alles, was bei diesem Thema wichtig ist. Es geht Jesus um noch viel mehr. Und was das ist, können wir uns gut vergegenwärtigen, wenn wir nach den Ursachen der Probleme fragen. Die Gründe für die Wasserknappheit in vielen Ländern sind nämlich lange nicht nur Trockenheit und Dürre, sondern liegen meistens bei Menschen und sind psychologisch zu erklären: Die Gier der Reichen und Regierenden steckt dahinter. Sie nutzen die Ressourcen für sich, und der Rest der Bevölkerung ist ihnen egal. Sie wollen Reichtum und Macht. Und das ist ein allgemeines Phänomen und hat etwas mit einer unstillbaren Sehnsucht zu tun, die in uns allen wohnt.
Das hat Ernesto Cardenal einmal sehr schön beschrieben. Er war ein Priester in Nicaragua, der in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts die Ungerechtigkeiten in seinem Land anprangerte und sich auf die Seite der Armen stellte. Er vertrat ein Christentum der bedingungslosen Liebe zu Jesus und zu den Menschen. Und er hatte eine große dichterische Gabe. Mit seinem „Buch über die Liebe“ wurde er weltberühmt. Und darin sagt er an einer Stelle:
„In den Augen aller Menschen wohnt eine unstillbare Sehnsucht. In den Pupillen der Menschen aller Rassen, in den Blicken der Kinder und Greise, der Mütter und liebenden Frauen, in den Augen des Polizisten und des Angestellten, des Abenteurers und des Mörders, des Revolutionärs und des Diktators und in denen des Heiligen: in allen wohnt der gleiche Funke unstillbaren Verlangens, das gleiche heimliche Feuer, der gleiche tiefe Abgrund, der gleiche unendliche Durst nach Glück und Freude und Besitz ohne Ende. Dieser Durst, den alle Wesen spüren und von dem auch im Gleichnis von der Samariterin am Brunnen gesprochen wird, ist die Liebe zu Gott.
Um dieser Liebe willen werden alle Verbrechen begangen und alle Kriege gekämpft, ihretwegen lieben und hassen sich die Menschen. Um dieser Liebe willen werden Berge bestiegen und die Tiefen der Meere erforscht, für sie wird geherrscht und intrigiert, gebaut und geschrieben, gesungen, geweint und geliebt. Alles menschliche Tun, sogar die Sünde, ist eine Suche nach Gott, nur sucht man Ihn meistens dort, wo er am wenigsten zu finden ist. […]
Überall suchen wir Gott, auf Festen und Orgien und Reisen, in Kinos und Bars, und doch finden wir Ihn einzig und allein in uns selbst.
In jedem Innern leuchtet die gleiche Flamme, brennt der gleiche Durst. […]
Der Liebende, der Forscher, der Geschäftsmann, der Agitator, der Künstler und der kontemplative Mönch, alle suchen sie dasselbe, nämlich Gott und nichts als Gott. […]
Gott ist die Heimat aller Menschen. Er ist unsere einzige Sehnsucht. Gott ist im Innersten aller Kreatur verborgen und ruft uns. Wir hören seinen Ruf in der Tiefe unseres Wesens wie die Lerche, die frühe von ihrer Gefährtin geweckt wird, oder wie Julia, die Romeo unter ihrem Balkon pfeifen hört.“ (Ernesto Cardenal, das Buch von der Liebe, Lateinamerikanische Psalmen, Wuppertal, 1978, S. 20f)
Das ist der Punkt, den Jesus mit seinem Vergleich meint. Er macht darauf aufmerksam, dass alles Materielle und die Dinge dieser Welt nie ausreichen, um unseren tiefsten Durst zu löschen. Im Gegenteil: Sie machen unzufrieden, rücksichtslos und egoistisch. Und darin haben die meisten Probleme auf der Welt ihren Grund: Wir versuchen unseren Durst mit etwas zu löschen, das ihn in Wirklichkeit nur noch schlimmer macht.
Und da setzt die christliche Lebensführung an. Sie beschäftigt sich nicht nur mit den Symptomen, sondern auch mit den Ursachen der menschlichen Probleme. Wir haben etwas, das tiefer geht. Es ist das „lebendige Wasser“, das Jesus uns gibt. Es zu trinken bedeutet, einfach an ihn zu glauben und ihm nachzufolgen. Das ist in sich selber sinnvoll und die wichtigste Aufgabe, die wir als Christen haben. Darin sollte unser vornehmliches Tun liegen.
Konkret heißt das, dass wir in unserer Lebensführung aufhören müssen, uns selber glücklich machen zu wollen. Anstatt jedes Mal nach vergänglichen Gütern zu greifen, wenn wir einen inneren Durst verspüren, sollten wir ihn immer mal wieder aushalten. Es gilt, unsere Sehnsucht zu ertragen und uns für das zu öffnen, was Jesus uns schenkt. Er lädt uns ein, zu ihm gehen, zu ihm zu rufen und um seine Hilfe zu bitten. Sie ist sofort da, wenn wir das tun. Genauso wie die Samariterin ihn einfach getroffen hat, müssen wir nicht auf ihn warten. Er will mit uns reden und uns beschenken, und das geschieht beim Gebet. Es ist wie das Trinken des Wassers, das er uns gibt. In vollen Zügen fließt seine Kraft und Liebe dabei in uns hinein. In demselben Moment, in dem wir ihn im Geiste treffen, wird „unser Durst ganz gelöscht“.
Und wenn das geschieht, brauchen wir tatsächlich nicht mehr. Die tiefen Schichten in unserer Seele werden angerührt, wir bekommen Leben und Kraft. Wir können plötzlich lieben, wo wir vorher vielleicht wütend waren. Wir werden gelassen und mit Geduld und Freude erfüllt. Wir sind ganz von selber zufrieden und glücklich, auch im Leid, auch dann, wenn wir das eine oder andere, was die Welt so bietet, vielleicht nicht haben, und sich nicht alle unsere irdischen Wünsche erfüllen. Denn Jesus stillt den Durst der Seele ganz.
Und diese Erfahrung sind wir den Armen und Bedürftigen in der Welt genauso schuldig, wie frisches Trinkwasser. Wir haben als Christen eine Gabe, die sie zum ewigen Leben führt, und nach der sie genauso dürsten, wie alle Menschen. Christliches Handeln beinhaltet mit Sicherheit Nächstenliebe und auch Entwicklungshilfe. Natürlich ist es unsere Aufgabe, die materiellen Bedürfnisse der Armen zu befriedigen, sie vor Hunger, Unterdrückung und Tod zu bewahren oder zu retten. Auch gegen Umweltverschmutzung und Ungerechtigkeit gilt es, die Stimme zu erheben. Aber wir haben den Menschen zusätzlich noch etwas Größeres zu bieten, etwas das über diese Welt hinaus weist, das sie ganz erfüllt und ihre Seele ruhig macht.
Das kleine Mädchen Nura aus Somalia, von dem ich zu Anfang erzählte, wird vielleicht eines Tages danach fragen. Sie wird noch mehr haben wollen, als Wasser zum Trinken, etwas, das bleibt und sie bestimmt glücklich macht. Und das wird auch sie nur finden, wenn sie vom „lebendigen Wasser“ trinkt und sich in Ewigkeit geliebt weiß. Dann wird ihre Freude wirklich groß und ihr Leben schön und unbeschwert.
Amen.
Liebe Gesa,
Vielen Dank für diese wunderbare Predigt!
An die von dir beschriebenen Dinge denke ich, wenn ich in der Förde schwimme. Und oft, wenn ich ein Glas Wasser trinke.
Der Alltag bietet uns viele Formen dankbar zu sein.
Danke, dass du uns heute daran erinnerst.
Herzliche Grüße
Brigitte