Das Reich Gottes wächst von allein

Predigt über Markus 4, 26- 29: Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat

Sommerpredigt „Mutter Erde“, 28.7.2019
9.30 Uhr und 11 Uhr Luther- und Jakobikirche Kiel

Luft, Wasser und Feuer, diese drei Energiequellen standen im Mittelpunkt unserer letzten Gottesdienste. Heute war eine vierte Kraft unser Thema, die Erde. Wir folgten damit der antiken Vorstellung von den vier Elementen, aus denen sich das Leben zusammensetzt. Franz von Assisi hat das in seinem Gesang über die Schöpfung ebenfalls aufgegriffen. „Mutter Erde“ gehört zu seinen „Geschwistern“ wie die Sonne, der Mond, die liebenden Menschen und alle anderen Kräfte, die diese Welt erhalten.
Die Erde  erhält und ernährt uns. Sie bringt von allein Kräuter und Pflanzen hervor. Für Jesus war das ein Gleichnis für das Reich Gottes. Auch das wächst von allein. Die Predigt behandelt die Frage, was das für unseren Glauben und die Kirche bedeutet.

Markus 4, 26- 29

26 Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie.
28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.
29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Liebe Gemeinde.

„Ein Haus wird abgerissen, das Grundstück liegt brach – und entwickelt sich zum Hotspot der Artenvielfalt.“ So begann vor Kurzem ein Artikel in den Kieler Nachrichten über eine Fläche in Probsteierhagen, auf der ein Bankgebäude gestanden hatte. Sie sollte eigentlich regelmäßig gemäht werden, doch zwei Menschen vom Umweltbeirat baten darum, sie sich selbst zu überlassen. Sie untersuchten sie dann regelmäßig und stellten in diesem Jahr fest: Es hat sich etwas ganz besonderes entwickelt. „Sensationelle 161 Pflanzenarten konnten identifiziert werden, darunter etliche Rote-Liste-Arten wie die Wilde Malve, der Gewöhnliche Hornklee, die Kuckuckslichtnelke“ und vieles mehr. Der Grund dafür liegt buchstäblich im Boden. „Der ist nicht nur kalkreich, locker und besonnt, sondern geradezu jungfräulich.“ Er bietet vielen selten gewordenen Pflanzen ideale Bedingungen. Die Fläche soll nun für zwei bis drei Jahre brach liegen gelassen werden. Die beiden Betreuer wollen lediglich darauf achten, dass sie nicht „verbuscht“. Denn alle reden davon, wie wichtig es ist, dass wir nicht „jede Ecke sauber halten“ und versiegeln, sondern blühenden Pflanzen Raum geben. (KN, 13.7.2019, S. 11)

Sie dienen nicht nur der Freude, sondern auch dem Erhalt der Umwelt. Wir brauchen die Artenvielfalt. Das wusste schon Franz von Assisi und er besang die Erde mit den Worten: „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde, die uns erhält und lenkt und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.“

Schon immer war der Boden für die Menschen von existentieller Bedeutung, denn er erhält und ernährt uns. Weil die meisten Menschen von der Landwirtschaft lebten, gibt es dazu auch in der Bibel etliche Geschichten, sowohl im Alten wie im Neuen Testament. Viele Leute, mit denen Jesus redete, führten ein agrarisches Leben. Deshalb griff er ihre Erfahrungen gerne in seinen Gleichnissen auf. Eins davon haben wir vorhin gehört. Es handelt von der „selbstwachsenden Saat.“

Jesus beschreibt darin den Weg und die Entwicklung, die das Samenkorn macht, bis es Frucht bringt: Zuerst wird es auf den Acker geworfen. Dann dauert es eine Weile, bis es in der Erde gekeimt hat und einen Halm hervorbringt. Der stößt alsbald durch die Oberfläche, und an diesem Halm wächst langsam die Ähre. Sie bringt die Körner hervor, die Frucht, die geerntet werden kann.

Und das alles geschieht „von allein“. Der Bauer, der gesät hat, muss nichts dazu tun, damit dieses Wachstum stattfindet. Er muss nur die Tage und Nächte verstreichen lassen, es passiert „automatisch“, d.h., „selbsttätig, aus eigenem Antrieb und ohne fremdes Zutun“.

Und genau das ist hier der Vergleichspunkt: die unerklärliche Selbstwirksamkeit der ausgestreuten Saat. Genauso wächst das Reich Gottes von alleine. Wie die Kräfte im Boden verborgen sind, so entsteht auch das Reich Gottes durch eine unsichtbare Kraft. Wie wir in der Natur auf das selbsttätige Wachsen und Gedeihen vertrauen können, so können wir für das Reich Gottes daran glauben, dass Gott im Verborgenen am Werk ist und Früchte hervorbringt.

Das ist die Botschaft Jesu, und die ist wichtig und wohltuend. Es wurde in den Medien ja gerade mal wieder darüber berichtet, dass die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren und schrumpfen. Das beunruhigt viele, besonders natürlich uns, die noch dazu gehören. Neu ist uns das nicht, im Gegenteil, wir kennen das bereits und fragen uns ständig, was wir tun müssen, um diesen Trend zu stoppen. „Mehr Selbstkritik üben“, hieß es in einem Kommentar, und das ist natürlich nicht verkehrt. Jeder Aufbruch fängt damit an, dass man sich fragt, was anders werden muss. Aber das hat offensichtlich jemand geschrieben, der die Kirche nicht von innen kennt. Ich habe nämlich den Eindruck, dass wir fast gar nichts anderes mehr tun. Überall und immer geht es in Gemeinden, auf Konventen, an der theologischen Fakultät usw. um dieselbe Frage: Was machen wir falsch? Was müssen wir besser machen? Und tun wir genug?

Ich finde das langsam ermüdend und behaupte sogar, dass genau diese Frage das echte Wachstum verhindern oder zumindest beeinträchtigen kann. Sie ist zwar wichtig, aber oft wird sie nicht richtig gestellt. Sie ist meistens viel zu weltlich gemeint, zu menschlich, zu pragmatisch. Ich erinnere mich noch gut an den Diakon in meiner Vikariatsgemeinde. Der sagte gern, wenn die Kirchenglocken läuteten: „Die Firma ruft.“ Das war natürlich witzig gemeint, und ich musste auch lachen, aber es offenbart eine traurige Tatsache: Wir sehen die Kirche oft so, als sei sie eine Firma, eine Bildungseinrichtung, eine Partei oder etwas ähnlich Irdisches. Und das ist sie eben nicht. Sie ist vielmehr ein Abbild des Reiches Gottes, und dem liegen ganz andere Kriterien zu Grunde, als unseren weltlichen Betrieben. Mit einfachen Strategieüberlegungen kommen wir nicht weiter. Lasst uns deshalb fragen, worin unser wahrer Beitrag zum Wachstum des Reiches Gottes liegen kann.

Dabei ist es zunächst wichtig, dass wir uns klar machen, was wir haben. Das Gleichnis Jesu sagt dazu: Ihr habt den Samen und den Boden: Dabei ist der Same zweierlei: Zum einen ist er das Wort Gottes. Das ist aufgeschrieben und wird bis heute verkündet. Es ist lebendig und kräftig und wirkt jederzeit und an allen Orten auf der Erde. Durch das Hören wird es in die Menschen hineingelegt, und wer es annimmt, lässt sich taufen. Die Taufe können wir als den anderen Samen verstehen. Viele Menschen haben sie erhalten, und das ist wie ein Keim, der in ihnen schlummert und an die Oberfläche kommen möchte. So können wir das Bild von den Samen anwenden.

Was nun den Boden betrifft, auf dem diese Samen wachsen, so ist er demnach das Innere jedes und jeder Einzelnen, der oder die das Wort Gottes und die Taufe empfangen hat, unser Geist und unsere Seele. In uns will das Wort Gottes keimen, und die Taufe ihre Kraft entfalten. Das ist das andere, was wir haben, und beides ist grundlegend für das Reich Gottes. Es wurde uns gegeben und ist da.

Doch natürlich brauchen wir auch etwas. Es muss Bewegung da sein, Wachstum und Gedeihen, und damit das geschehen kann, ist durchaus zusätzlich etwas nötig. Und was das ist, lässt sich sehr schön mit der Geschichte aus Probsteierhagen vergleichen. Die beiden Experten, die die Wiese entdeckten und retteten, haben nämlich nichts anderes getan, als dass sie aufmerksam waren, geduldig und liebevoll. Und diese drei Schritte sind auch für das Wachsen des Reiches Gottes das wichtigste. Lasst uns darüber also noch einmal nachdenken. Und da ist schon etwas Selbstkritik angesagt, denn genau das tun wir oft nicht.

Zunächst geht es um die Aufmerksamkeit, um das Hinsehen und Wahrnehmen. Wir haben damit so unsere Probleme, denn unser Blick ist oft verstellt. Wir sind blind für das, was da ist, übersehen es, weil wir mit etwas anderem beschäftigt sind. Wir machen uns viel zu schnell unsere eigenen Gedanken, entwickeln Pläne und haben Ideen. Durch genügend Eifer, Leistung, Geld, und die richtigen Programme wird es schon gelingen, das Reich Gottes zu bauen. Das ist unsere weit verbreitete Meinung, doch genau die verhindert es, dass wir sehen, was längst da ist, und das liegt in uns. Anstatt uns nach außen zu wenden, sollten wir zunächst einmal in uns gehen und wahrnehmen, was Gott in uns hineingelegt hat. Wir sind der Boden, in dem sein Same gedeihen will, und alles beginnt damit, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Seele und unseren Geist lenken. Das ist der erste Schritt.

Als zweites brauchen wir dann natürlich Geduld. Es hat keinen Zweck, das Wachstum des Reiches Gottes nach unseren eigenen Vorstellungen herbeizwingen zu wollen, zu manipulieren und selber Hand anzulegen. Damit erreichen wir nichts. Denn nur wer geduldig ist, kann erkennen, wie das Reich Gottes entsteht. Der Ruf zur Geduld beinhaltet also gleichzeitig den Ruf zum Vertrauen auf Gottes Kraft, es ist ein Ruf zum Glauben, dass Gott in wunderbarer Weise aus den kleinsten Anfängen große Ereignisse wirken kann.

Das Samenkorn muss ja sterben, um Frucht zu bringen, es muss in die dunkle Erde, um dann wieder ans Licht zu gelangen, zu wachsen und zu reifen. Genauso ist es mit dem Reich Gottes. Wer sich danach sehnt, muss leidensfähig und geduldig sein, anspruchslos und ruhig. Alles andere ist wie das Zerren an einer Pflanze, die gerade aus der Erde hervorbricht. Wir fördern damit nicht ihr Wachstum, wir zerstören sie nur. Denn wir reißen ihre Wurzeln aus, und dadurch stirbt sie. Der zweite Schritt besteht also in der Geduld, in der Leidensbereitschaft und inneren Ruhe.

Und als drittes ist die Liebe nötig, Gewaltfreiheit und Friede. Auch die fehlen uns oft, denn wir sind nicht selten aggressiv und selbstherrlich. Vieles entspricht nicht unseren Vorstellungen und macht uns ärgerlich und wütend. Immer wieder stehen uns andere Menschen mit ihren Ideen im Weg, das ist unser Erleben, und wir geben ihnen gern die Schuld dafür, dass Dinge nicht gelingen. Wir verurteilen uns gegenseitig, oder verachten uns sogar. Und das gilt es zu beenden, zu allererst in unserem eigenen Umfeld. Pflanzen und Wiesen müssen liebevoll gehegt und gepflegt werden. Sie wachsen zwar von allein, aber sie brauchen unseren Schutz und unsere Zuwendung. Und diese Fähigkeit haben wir alle, wir müssen sie nur einsetzen und entwickeln. Es gilt, uns im Frieden und in der Liebe zu üben und uns selber immer wieder zurückzunehmen, loszulassen und zuzulassen. Genau das ist das wesentliche Merkmal des Reiches Gottes, und es kann nur wachsen, wenn wir das beherzigen.

Doch wenn wir so handeln, geschieht viel mehr, als wir ahnen. Der Same kann keimen, Kraft entfaltet sich, das Leben wird schön und das Reich Gottes gedeiht. Und zwar geschieht es selbsttätig, ohne fremdes Zutun. Denn die Liebe breitet sich automatisch aus. Sie steckt an und springt von einem auf den anderen über. So wie viele Blumen sich selber aussäen, fällt auch der Same, der sich in uns entwickelt, in andere hinein, in einen neuen Mutterboden, wo er dann ebenso wachsen und gedeihen kann.

So entsteht das Reich Gottes: Der Same und der Boden sind uns gegeben. Was wir brauchen, damit die Früchte gedeihen können, sind Aufmerksamkeit, Geduld und Liebe. Dann wird es sowohl in unserem eigenen Leben als auch in der Welt schöner, bunter und lebendiger.

Die Wiese in Probsteierhagen ist dafür ein schönes Bild, und sie ist ja zum Glück auch nicht der einzige Fleck in unserem Land, der sich so natürlich entwickeln darf. Es gibt seit dem letzten Jahr das Programm „Schleswig-Holstein blüht auf“. Das ist eine Initiative der Landesregierung: Landwirtschaften, Kommunen und Unternehmen wird dafür kostenlos blütenreiches Saatgut bereitgestellt. Und das Ergebnis ist gut. Über 200 Landwirtinnen und Landwirte beteiligten sich bislang an der Initiative und erhielten die Saatmischung „Bienenweide“ für die Anlage von Blühstreifen auf Ackerschlägen. „Auf insgesamt 350 Hektar Fläche bereicherten Sonnenblumen, Malven, Ringelblume und Co die Landschaft. Auch Kommunen und Unternehmen zeigten großes Engagement für Blüten und Insekten.“ Und das ist großartig. Denn nur wenn wir die Natur geduldig pflegen und mit Liebe behandeln, kann es auch uns gut gehen.

Lasst uns diese Einsicht deshalb ebenso auf die Kirche und das Reich Gottes übertragen, denn da gelten die gleichen Gesetzmäßigkeiten: Uns ist mit dem Wort Gottes viel anvertraut, lasst uns deshalb dafür sorgen, dass es wachsen und gedeihen kann.

Amen.

 

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