Predigt über Epheser 2, 17- 22: Die Einheit der Kirche
2. Sonntag nach Trinitatis, 5.6.2016, 9.30 und 11 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel
Epheser 2, 17- 22
17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.
18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,
20 erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist,
21 auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.
22 Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.
Liebe Gemeinde.
„Heute geschlossene Gesellschaft“, das steht immer mal wieder an der Eingangstür eines Restaurants oder einer Gaststätte. Dann hat die Öffentlichkeit keinen Zutritt. Alle Tische sind für eine bestimmte Feier belegt, eine Hochzeit, eine Konfirmation, ein Geburtstag oder ähnliches. Für Gäste, die spontan dort einkehren wollen, ist kein Platz, und das ist immer etwas ärgerlich.
Für die Geladenen ist es dagegen sehr schön. Man freut sich sowieso, eingeladen zu werden. Es ist ein Privileg, dass man ausgewählt und für würdig befunden wurde. Man steht in der Gunst des Gastgebers oder der Gastgeberin, und das ist nett. Meistens passen die Gäste dann auch zusammen. Sie teilen ähnliche Werte und fühlen sich miteinander wohl.
Auf diesem Hintergrund ist es nun interessant, wie die Auswahl der Gäste im Evangelium erfolgt. Da geht es nämlich ebenfalls um eine Einladung, Jesus selber spricht sie aus, Doch anders als bei unseren Feiern, findet bei ihm keine Vorentscheidung statt. Jesus fragt nicht danach, wie wertvoll ein Mensch ist, ob er zu ihm passt und seine Vorstellungen teilt, er lädt vielmehr „alle“ ein, „die mühselig und beladen sind, er will sie erquicken.“ (Mt.11,28).
So lautet sein „Heilandsruf“, wie diese Stelle im Matthäusevangelium genannt wird, und der ist bemerkenswert. Es gibt bei Jesus keine Bevorzugung, keine Sonderrechte und keine Privilegien. Alle, die möchten, dürfen kommen. Man muss nicht besonders fromm oder klug sein, kein Apostel oder Prophet, keine heilige oder göttliche Person. Der Glaube an Jesus Christus macht alle zu „Mitbürgern und Hausgenossen Gottes“, wie Paulus es in unserer Epistel formuliert.
Sie steht im Epheserbrief, Kapitel zwei und ist heute unser Predigttext. Wir wollen den Abschnitt deshalb jetzt genauer betrachten:
Paulus schreibt hier etwas über die Kirche oder die Gemeinde Jesu, und dafür benutzt er das schöne Bild eines Gebäudes, bzw. einer Wohnung. Es hat ein Fundament, das sind die „Apostel und Propheten“. Auf ihm ruhen die Steine, das sind alle, die das Evangelium gehört und angenommen haben. Durch sie wird „der ganze Bau ineinander gefügt“. In der Spitze des Portals befindet sich ein „Eckstein“ oder auch Schlussstein. Er schließt beide Bögen zusammen und sorgt für den entscheidenden Halt. Das ist Jesus Christus.
So ist die Funktion des Ecksteins an dieser Stelle wahrscheinlich zu verstehen. Das griechische Wort, das hier steht, kann auch einen Quaderstein im Fundament bezeichnen, aber es ist zu vermuten, dass Paulus die Spitze meint. Denn man muss diesen Vergleich parallel zu dem Bild der Gemeinde als „Leib Christi“ betrachten. Das finden wir ebenfalls bei Paulus, und darin ist Christus das Haupt. (Röm. 12,3ff; 1.Kor.12,12ff) Auf jeden Fall sagen beide Bilder aus, dass das ganze Leben der Kirche „in Christus“ geschieht, er ist ihr Ursprung und ihr Ziel zugleich.
Und alle Menschen haben einen Zugang zu diesem Gebäude, Juden und Heiden, „die fern und die nahe waren“. Keiner ist mehr „Gast oder Fremdling“, sondern alle werden zu „Mitbürgern der Heiligen und Gottes Hausgenossen“.
„Sie wachsen zu einem heiligen Tempel in dem Herrn“, wie es am Ende heißt. Wahrscheinlich verschmilzt das Bild hier mit der Vorstellung vom „Leib Christi“. Die Gemeinde „wächst“ von seiner Spitze her und zugleich zu dieser hin. Alle Christen werden zusammen „erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“
Das ist hier die Botschaft, und die ist wohltuend. Sie bedeutet, dass die Einladung Christi an alle ergeht. Wer ihm vertraut, gehört dazu, jederzeit und überall. Er muss nichts vorweisen, nichts leisten und keine besonderen Kriterien erfüllen. Alle können kommen und bilden zusammen die christliche Gemeinde.
Doch was sollen wir nun damit anfangen? Hat eine Einladung überhaupt einen Wert, wenn sie ausnahmslos an alle ergeht? Ist es attraktiv, wenn kein Geladener sich durch eine besondere Qualität oder Stellung ausweist? Wir gehören doch gerne zu den Auserwählten und Privilegierten. Wenn eine spezielle Auszeichnung fehlt, ist eine Einladung langweilig.
Außerdem stößt es uns möglicher Weise sogar ab, zu den Gästen Jesu zu gehören, denn er lädt die „Mühseligen und Beladenen“ ein, und die bilden normaler Weise keine besonders angenehme Gesellschaft. Wir zählen uns nur ungern dazu.
Wir wollen viel lieber stark und gesund sein. Auch in die Kirche bringen wir uns am liebsten mit unseren Fähigkeiten und Ideen ein. Wir wollen etwas tun und leisten, damit sie lebt. Sie soll sich schließlich von anderen Organisationen unterscheiden und am besten auffallen. Sie soll glänzen und strahlen, und das kann nur geschehen, wenn wir selber dafür sorgen. Sonst bleibt sie armselig und unbedeutend. So denken wir meistens.
Es ist ein natürliches Denken, das nahe liegt, und insofern ist es zunächst legitim. Wir müssen uns allerdings fragen, was dabei herauskommt. Erzielen wir die gewünschten Ergebnisse? Gelingt es uns, eine lebendige Kirche zu bauen? Und ist die Kirche durch unsere Anstrengungen etwas Besonderes?
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass das kaum der Fall ist. Eigentlich unterscheidet sie sich gerade dadurch kaum noch von weltlichen Organisationen. Denn wo wir uns abstrampeln, setzen dieselben Mechanismen ein, wie überall: Wir stehen unter Leistungsdruck und spielen ganz viel Theater. Wir nehmen die Rolle eines Christen oder einer Christin ein. Dafür gibt es bestimmte Vorgaben, die wir einstudieren: Wir sind freundlich und hilfsbereit, offen und zugewandt. Wir packen an, kümmern und engagieren uns, sind kreativ und fröhlich bei der Sache. Aber ist das alles echt? Das müssen wir uns fragen. Es kann auch künstlich und gewollt wirken.
Und halten wir es durch? Wahrscheinlich nicht, denn irgendwann geht uns die Kraft aus. Wir sind erschöpft und ausgelaugt, werden aggressiv oder missmutig.
Und wir vertragen uns auch nicht immer. Es gibt ja verschiedene Konzepte für eine lebendige Kirche. Welche Schwerpunkte und Prioritäten wir setzen, kann voneinander abweichen. Die einen betonen das Handeln am Nächsten, die anderen das Gebet und die Frömmigkeit. Es gibt auch unterschiedliche Ansichten darüber, ob z.B. lieber die Jugendarbeit oder die Musik gefördert werden soll, wieviel Geld für die Gebäude ausgegeben wird, ob man besser mit der Gemeinde verreist usw. Und da sind wir uns nie alle einig, jeder und jede findet eine andere Idee, ein anderes Projekt am wichtigsten oder interessantesten.
Und verlassen kann man sich auch nicht auf jeden. Das Maß des Engagements ist ebenfalls unterschiedlich. Und das alles führt zu vielen Konflikten und manchmal zum Streit.
So bleibt die Kirche auf Dauer unvollkommen und brüchig. Sie ist kein „heiliger Tempel in dem Herrn“, der schön „zusammengefügt wächst“. Das können wir deutlich an der Realität erkennen. Trotz aller Mühen ist sie armselig, uneins und relativ unbedeutend.
Wir müssen also einen ganz anderen Weg beschreiten, wenn wir eine attraktive Kirche sein wollen, und genau der wird in unsrer Epistel beschrieben.
Entscheidend ist nämlich nicht, was wir einbringen und leisten, entscheidend ist vielmehr die Gegenwart Christi. Er ist der Eckstein, der Grund und das Ziel der Kirche. Durch ihn erhält sie ihren Glanz und ihre Schönheit. Er ist das Merkmal, durch das sie sich von allen anderen Organisationen unterscheidet. Seine Nähe und Liebe sind ihr Inhalt, von ihm bekommt sie ihre Kraft und ihr Leben.
Wir müssen uns also zu allererst und immer wieder in seine Gegenwart begeben. Dazu werden wir aufgefordert. Jesus Christus möchte, dass wir zu ihm zu kommen und an seiner Feier teilnehmen. Es ist ein Fest der Liebe und der Gnade. Und dazu lädt er alle ein, die gerne dabei sein wollen. Er macht keine Unterschiede und er trifft keine Vorauswahl. Jeder, der seinen Ruf hört, darf kommen.
Das wäre demnach das ausschlaggebende: Dass wir seine Einladung annehmen, uns für ihn entscheiden und ihm vertrauen. Und dazu gehört es nicht, dass wir irgendetwas Großartiges leisten, wir sollen vielmehr wir selber sein. Wir müssen nicht vorher glänzen und uns irgendwie ausweisen, wir dürfen mit all unserer Mühsal kommen, mit allem, was auf uns lastet. Die Steine, aus denen die Kirche besteht, sind nicht irgendwelche Projekte und menschliche Taten. Wir müssen keine Steine herstellen. Wir selber sind die Steine. Es geht nicht um das, was wir tun, sondern um das, was wir sind. Wir sollen uns nicht nur mit unseren Ideen einbringen, sondern mit unserem ganzen Leben.
Es gilt, an Jesus Christus zu glauben, sich auf ihn zu gründen, ihn die Grundlage für alles weitere sein zu lassen. Dadurch werden wir zu „Gottes Hausgenossen“, wunderbar „zusammengefügt zu einem heiligen Tempel in dem Herrn“. Das ist das besondere an der Kirche, dadurch strahlt und glänzt sie in wunderbarer Schönheit.
Und das ist keineswegs langweilig oder bedeutungslos. Denn wo gibt es das sonst, dass nicht die Herkunft, Sympathie oder die Fähigkeiten zählen? Wenn eine Einladung an alle ergeht, dann wird sie dadurch nicht wertloser. Im Gegenteil, es ist ganz einmalig, dass niemand ausgeschlossen wird. Es ist eine unerhörte Botschaft, dass allein das Vertrauen entscheidet, ob wir dazu gehören. Anstatt daran zu zweifeln, ob das reicht, sollten wir uns darüber freuen und uns darin üben.
Und das ist immer und überall möglich. Wo wir sind, können wir uns auf Christus gründen, in jeder Lebenslage, morgens, mittags und abends, bei der Arbeit und auf Reisen, zu Hause und in der Natur. Wann immer es uns einfällt, können wir unsren Leistungsdruck ablegen, aus unsrem Rollenverhalten aussteigen und ganz wir selber sein. Denn Christus ist überall und immer da. Es gibt bei ihm keine Grenzen, die Türen zu seiner Gegenwart stehen immer offen. Wir müssen nur hineingehen.
Dann werden wir zu neuen Menschen. Freiheit und Gelassenheit prägen unser Lebensgefühl. Eine ungeahnte Freude erwacht, Zuversicht und Liebe.
Und wenn das so ist, entsteht wunderbarer Weise auch eine ganz neue Einheit. Die Unterschiede werden zweitrangig, es macht nichts, wenn wir verschiedene Prioritäten setzen, denn natürlich gehört alles dazu, was die Menschen einbringen. Anstatt gegeneinander zu konkurrieren oder miteinander zu streiten, achten wir die Ideen der anderen. Wir lassen sie gewähren und freuen uns möglicher Weise sogar daran. Denn was uns eint, sind nicht die Denkansätze und Schwerpunkte im Glauben, sondern die Gegenwart Christi, in die wir alle hineingenommen werden. Sie macht uns gelassen und liebevoll. Und das sind die wichtigsten Merkmale der Kirche, aus solchen Menschen setzt sie sich zusammen.
Denn „wo auch nur zwei zusammenstehn, warten auf sein Vorübergehn, kommt Jesus in ihre Mitte“. Er „kehrt in die ärmste Hütte ein“ und „heiligt“ jedes Haus und jeden Ort „zum Tempel“. So dichtete Otto Riethmüller 1935. (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe füe die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Nr. 576, 3. 4) Und an dem Eingang dieses Tempels hängt kein Schild mit der Aufschrift „geschlossene Gesellschaft“, sondern: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“
Amen.