Der Mensch denkt, Gott lenkt

Predigt über 1. Mose 50, 15- 21: Josefs Edelmut

4. Sonntag nach Trinitatis, 9.7.2017, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.
Es waren einmal zwölf Brüder, die waren alle fleißig und wohl geraten. Trotzdem bevorzugte der Vater einen von ihnen, den zweit Jüngsten. Er war sein Lieblingssohn und musste nicht wie die anderen das Vieh hüten. Er durfte zu Hause bleiben, und als Einzigem schenkte sein Vater ihm ein schönes und kostbares Kleidungsstück, einen bunten Rock. Sein Name war Josef.
Sicher kennen Sie seine Geschichte alle. Die steht im ersten Buch Mose und ist die letzte der sogenannten Vätergeschichten. (1. Mose 37.39-50)
Die Brüder Josefs wurden natürlich neidisch, und konnten ihm „kein freundliches Wort sagen“ , wie es heißt. (1. Mose 37,4) D.h. sie wollten nichts mit ihm zu tun haben. Ganz schlimm kam es, als er auch noch anfing, ihnen von seinen Träumen zu erzählen. Darin hatte er erlebt, dass sie sich alle vor ihm verneigten. Nun entstand eine regelrechte Feindschaft, und sie wollten ihn loswerden. Am liebsten hätten sie ihn umgebracht.
Doch der Älteste, Ruben, war dagegen. Er wollte kein Blut vergießen und es gelang ihm, seine Brüder davon abzuhalten. Sie warfen ihn stattdessen in eine Grube. Daraus wollte Ruben ihn später wieder befreien.
Aber dann kam eine Händlerkarawane vorbei, und die kauften ihnen Joseph gerne als Sklaven ab. Sie nahmen ihn mit nach Ägypten. Dort diente er zunächst am Hof des Pharao, aber dann hatte er Pech: Die Frau des Pharao verleumdete ihn und er wurde ins Gefängnis geworfen. Das war der Tiefpunkt in seiner Lebensgeschichte.
Doch dann kam die Wende, und zwar entdeckte der Pharao Josefs Gabe des Traumdeutens. Josef hatte dadurch vorausgesagt, dass eine Hungersnot über das Land kommen würde. Gleichzeitig empfahl er dem Pharao, rechtzeitig genug Korn zu speichern, so dass während der Dürre keiner leiden musste. Von diesem klugen Vorschlag war der Pharao so angetan, dass er ihn daraufhin zum wichtigsten Mann im Land machte. Er setzte ihn über ganz Ägypten und stattete ihn mit allen Reichtümern und Ehren aus, die es gab.
Als solcher begegnete er dann nach vielen Jahren seinen Brüdern wieder. Sie hatten gehört, dass es in Ägypten Korn gab, und so zogen sie hin, um dort welches zu kaufen. Sie mussten Joseph darum bitten. Dabei erkannten sie ihn nicht, er wusste allerdings sehr wohl, wen er da vor sich hatte.
Natürlich hätte er nun Rache üben können, sie abweisen und nach Hause schicken, damit sie verhungern und es ihnen genauso ginge, wie ihm. Aber das tat er nicht. Er redete zwar hart mit ihnen und gab sich auch nicht sofort zu erkennen, aber in seinem Herzen hatte er ihnen längst vergeben.
Bei ihrer dritten Reise offenbarte er ihnen dann endlich seine Identität, und es kam zur Versöhnung. Damit endet die Josefgeschichte, und dieser Schluss ist heute unser Predigttext. Er lautet folgendermaßen:

1. Mose 50, 15- 20

15 Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16 Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach:
17 So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sag-ten.
18 Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte.
19 Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt?
20 Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
21 So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Das ist der Abschnitt, um den es heute geht. Er beginnt mit der Angst und dem schlechten Gewissen der Brüder Josefs. Sie flehten ihn um Vergebung an. Doch davon wollte Josef gar nichts wissen. Es stand ihm nicht zu, Sünden zu vergeben, das war allein Gottes Sache, so war seine Einstellung. In allem, was geschehen war, erkannte er vielmehr den Heilsplan Gottes. Josef war davon überzeugt, dass Gottes Wille alle Lebensbereiche durchdringt. Er umgreift sogar das Böse der Menschen und ordnet die Planungen des Menschenherzens den göttlichen Zielen unter.
Es lag ihm deshalb fern, Macht oder Gewalt anzuwenden. Josef zeichnete sich durch Weitherzigkeit und Klugheit aus. Er war durch sein Leiden geläutert. Zucht und Selbstbeherrschung hatten ihn geformt und er war ein weiser Mann geworden. Er war auch tief gläubig und konnte vergeben. Eine wohltätige Güte ging von ihm aus, die aufbauend und für alle befreiend und rettend war.
Und das soll jeden, der es hört, dazu bewegen, genauso zu denken und zu handeln. Darin liegt die Botschaft dieser Geschichte. Es ist auch das „Gesetz Christi“: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6, 2) Das ist unser Wochenspruch.
Beim ersten Hören erscheint uns das sehr geläufig. Wir wissen, dass Christen gut zu anderen sein sollen, Lasten mittragen, dem Nächsten helfen, die Schwachen schützen, den Schuldigen vergeben, die Kranken heilen usw. Es geschieht ja zum Glück auch an vielen Orten und in vielen Situationen. Als vor ungefähr zwei Jahren eine Million Flüchtlinge zu uns nach Deutschland kamen, ging eine große Welle der Hilfsbereitschaft durch das Land. Erfreulicherweise ist sie auch noch nicht abgeebbt. Viele Menschen engagieren sich weiter und begleiten die neuen Mitbürger und Mitbürgerinnen auf ihrem mühsamen Weg in unsere Gesellschaft.
Allerdings gibt es auch Gegenstimmen, und das Wort „Gutmensch“ kam auf. Es hat einen ironischen und sarkastischen Klang, ist gehässig oder verachtend gemeint. Toleranz und Hilfsbereitschaft werden mit diesem Wort pauschal als dumm und weltfremd diffamiert, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus. Ich musste einmal einen entsprechenden Aufkleber von unserem Schaukasten entfernen. Da hatte es offensichtlich jemand für nötig gehalten, uns als christliche Gemeinde zu verunglimpfen und uns den Kampf anzusagen.
Das fand ich im ersten Moment zwar ungerecht und empörend, aber so abwegig ist der Vorwurf nicht. Wir sollten ruhig immer mal wieder überprüfen, was uns eigentlich motiviert, wenn wir helfen und „gut“ sind. Heischen wir dabei möglicher Weise nach äußerer Anerkennung? Und wie dogmatisch sind wir? Wollen wir unsere Mitmenschen nicht am liebsten missionieren, weil wir unsere Vorstellungen und unsere Handlungsweise für absolut richtig halten? Können wir andere Ansichten noch ertragen?
Das sind Fragen, die wir beantworten müssen, und dabei hilft uns unser Predigttext. Darin geht es nämlich nicht um ein äußeres Helfen, sondern um eine innere Beschaffenheit. Die Geschichte von Josef gehört zur sogenannten Weisheitsliteratur des Alten Testamentes, d.h. sie entwirft bewusst das Bild eines Jünglings von tiefer Gläubigkeit und Willensstärke. Er war wahrhaftig und treu, verantwortungsbewusst und geduldig. Er hatte die Schule der Lebenskunst erfolgreich durchlaufen und war das Ideal eines Menschen, das es zu erstreben galt. In dem letzten Abschnitt wird das deutlich, er ist der Schlüssel zu der ganzen Geschichte.
Es geht hier also nicht in erster Linie um ein äußeres Helfen und um Nächstenliebe, sondern um die Motive, aus denen heraus wir handeln. Es geht um uns selber. Wir werden eingeladen, in uns zu gehen und uns in Glauben und Selbstbeherrschung zu üben. Und das können wir am besten, indem wir nicht als erstes auf unsere Taten oder unser Werke schauen, sondern zunächst einmal unsere Beziehungen unter die Lupe nehmen, in denen wir sowieso leben. Der erste Schritt führt uns nicht zu den Schwachen und Bedürftigen, mit denen wir vorher noch nie etwas zu tun hatten, sondern zu den Menschen, mit denen wir in Familie und Beruf zusammenleben, zu unserem Partner und unseren Kindern, zu Kollegen, Vorgesetzten oder Mitarbeitern.
Da gibt es ja leider immer wieder eine Menge Konflikte und entsprechend viel Streit. Auch in der Gemeinde und in ande-ren Gruppen herrscht oft Unfriede. Dabei ist es meistens nicht so gravierendes Unrecht, wie es Josef zugestoßen ist. Im Vergleich dazu sind es eher Kleinigkeiten.
Trotzdem reagieren wir oft viel weniger beherrscht und geduldig als Josef. Ärger entsteht, Wut oder Zorn. Es kommt zu Schuldzuweisungen, Vorwürfen und nicht selten zur Trennung. Keiner will nachgeben, keiner sich ändern oder die Dinge einmal anders beurteilen. Wir bleiben bei unserer Sichtweise, denn wir empfinden es als Unrecht, was der andere uns zufügt.
Und hier zeigt uns Josef, wie wir das überwinden können, denn er lädt uns ein, unsere innere Blickrichtung zu ändern: Anstatt auf die bösen anderen und das vermeintliche Unrecht zu schauen, können wir auf Gott sehen. Gott waltet in allem und hat ein Ziel mit uns. Es gilt, dass wir darauf unser Bewusstsein lenken, uns nach Gott ausrichten. Seine Macht kennt keine Grenzen. Er kann auch aus Unrecht Gutes wirken und unsere kurvenreiche Lebensbahn am Ende zu einem geraden Weg werden lassen. Damit versetzen wir uns in eine andere Dimension. Wir lassen den Willen Gottes an uns wirken, und der beinhaltet vor allen Dingen Gnade und Güte. Das hat Josef gelernt, er war darin am Ende sogar ein Virtuose.
Vielleicht denken wir deshalb: „So können wir uns nie verhalten, das schaffen wir nicht!“. Es ist in der Tat auch nicht einfach, sondern eine hohe Lebenskunst. Denn es heißt, dass wir loslassen, unsere Gedanken, unser Wollen, all das, was immer im Vordergrund steht, rückt in unserem Bewusstsein nach hinten. Es wird kleiner und verliert an Macht. Es ist ein inneres Sterben und Abschied nehmen von Ideen und Plänen, von Gefühlen und Wünschen. Und das geschieht nicht von heute auf morgen. Es dauert manchmal lange und fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. Auch Josef ist erst im Laufe der Jahre zu dem Mann geworden, der er am Ende war.
Aber wir haben es besser als er, denn wir müssen das alles nicht allein hinbekommen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass uns jemand dabei hilft, denn als Christen glauben wir an Jesus Christus, und der ist diesen Weg gegangen, in aller Konsequenz. Er hat sich selber immer wieder losgelassen und sich Gott anvertraut. Bis in den Tod hat er das durchgehalten.
Am Ende wurde ihm genau dadurch neues Leben geschenkt. Er ist von den Toten auferstanden und lebt heute noch. Deshalb ist er auch nicht nur ein Vorbild für uns, sondern gleichzeitig derjenige, der uns an die Hand nimmt. Der Glaube an Jesus Christus ermöglicht jedem diesen Weg. Denn Christus ist nicht nur unser Lehrer, sondern gleichzeitig die Quelle, aus der wir immer wieder die Energie der Liebe empfangen. Sie macht uns zur Demut und zur Geduld fähig, wir werden gestärkt und befreit, und unser Leben gelingt. Seine Liebe und Gnade können uns heilen. Denn er vergibt uns immer wieder und nimmt uns an. Das gilt es zuzulassen und sich davon bestimmen zu lassen. Luther sagt an einer Stelle in seinen Schriften: Wir müssen „Christus in uns hineinbilden“. (in: Von der Freiheit eines Christenmenschen, zum siebenten, WA 6)  Sein „Gesetz“ ist keine Handlungsanweisung, sondern eine wohltuende und befreiende Kraft. Sie ist wie Balsam für unsere Seele und wirkt aufbauend und zusammenführend. Innerlich und äußerlich setzen wir der Zerstörung etwas entgegen. Unsere Seele und unser Miteinander werden heil.
Denn natürlich geschieht dadurch dann auch das Gute. Wer so beschaffen ist, sieht von alleine den Mitmenschen, der Hilfe braucht. Er streckt seine Hand aus und kümmert sich um ihn, nicht aus moralischer Überlegenheit heraus, sondern aus einem echten inneren Antrieb, aus Mitgefühl und wahrer Liebe. Denn wird im Innersten ein „guter Mensch“.
Amen.

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