Jesus – der Anfänger und Vollender des Glaubens

Predigt über Hebräer 11, 1- 2. 39b. 40; 12, 1-3: Der Weg des Glaubens

Palmsonntag, 28.3.2021, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Wer außergewöhnliche Leistungen vollbringt, wird gern als Held oder Heldin bezeichnet. Das sind Personen, die mit besonderer körperlicher Kraft ausgestattet sind, wie z.B. Schnelligkeit, Stärke oder Ausdauer. Oft haben sie auch herausragende geistige Gaben, wie Mut, Aufopferungsbereitschaft und Tugendhaftigkeit. Sie kämpfen für Ideale und setzen sich für andere ein. Dadurch erlangen sie Ruhm und erheben sich über den Durchschnittsmenschen. Es können Politikerinnen oder Wissenschaftler sein, Umweltschützerinnen, Ärzte usw. Sie werden oft zu Stars, d.h. sie kommen groß heraus, ziehen die Menschenmassen an und werden vom allgemeinen Volk verehrt. Dasselbe gilt für hervorragende Sportlerinnen und Schriftsteller, Künstler und gelegentlich auch Theologen oder religiöse Menschen.

Von ihnen erzählt uns z.B. die Bibel. Viele Personen, die darin vorkommen, sind in aller Welt bekannt. Über die Jahrhunderte hinweg wurden ihre Geschichten verbreitet, so dass ihre Namen zum kollektiven Gedächtnis der Menschheit gehören. Dazu zählen z.B. Noah, Abraham und Mose, ebenso Jakob, Josef und David.

Im elften Kapitel des Hebräerbriefes wird an viele dieser alttestamentlichen Berühmtheiten erinnert. Dabei ist das Kriterium für die Zusammenstellung allerdings nicht eine hervorragende Leistung oder Fähigkeit, d.h. es sind keine Helden oder Heldinnen. Im Gegenteil, es waren ganz normale Menschen mit Schwächen und Fehlern, Ängsten und Zweifeln. Der Schreiber zählt sie auch nicht auf, damit wir sie bewundern. Es geht ihm vielmehr um den starken Glauben, den sie alle hatten, um ihre besondere Frömmigkeit und ein großes Gottvertrauen. Denn dazu will er einladen, weil er das für das wichtigste im Leben hält.

Sein Kapitel beginnt deshalb mit einer Erklärung, was überhaupt Glaube ist. Er geht dann über zu den verschiedenen Beispielen und beendet seine Ausführungen mit der Einladung an uns, ebenfalls so zu glauben. Ich lese den Anfang von Kapitel elf und das Fazit, das am Anfang von Kapitel zwölf steht. Diese Verse sind heute unser Predigttext und sie lauten folgendermaßen:

Hebräer 11, 1- 2. 39b. 40; 12, 1-3

11 1Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.
2 Durch diesen Glauben haben die Vorfahren Gottes Zeugnis empfangen,
39b und doch nicht erlangt, was verheißen war,
40 weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat; denn sie sollten nicht ohne uns vollendet werden.
12 1 Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist,
2 und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes.
3 Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Das ist der Predigttext, und wir wollen zunächst versuchen, ihn zu verstehen: Am Anfang steht ein grundsätzlicher Satz über das Wesen des Glaubens: Er bedeutet, dass man auf etwas hofft und ganz fest darauf vertraut, obwohl man es nicht beweisen kann. Man wurde von Tatbeständen überführt, die nicht sichtbar sind. Denn ein Stück des Erhofften ist als geheime Kraft schon wirklich. Der Glaube selbst wird der Beweis für das, was man nicht sehen kann.

Dieser Gedanke wird durch den Hinweis auf die Vorväter eingeschärft: Die Schrift stellt vielen Menschen aus früherer Zeit für ihren Glauben ein gutes Zeugnis aus. Sie hatten diese Art des Glaubens und dienen deshalb als Vorbilder. Dabei hielten sie nicht einfach nur etwas für wahr, was in Wirklichkeit unsicher war, sondern sie hatten durch den Glauben eine feste Grundlage. Da war nicht etwas möglich und scheinbar, was insgesamt fraglich blieb, sondern das Erhoffte war für sie wirklich und tragfähig.

Trotzdem fehlte ihnen noch etwas. Die endgültige Verheißung hatten sie noch nicht empfangen, denn Gott hatte noch einen besseren Plan. Er wollte, dass alle Menschen das Ziel erreichen, das er für sie vorgesehen hat, also auch wir. Nur mit uns zusammen sollen die Menschen aus der Vergangenheit zur Vollendung kommen.

Darum sind auch wir gefragt, ob wir den „Kampf des Glaubens“ auf uns nehmen wollen. D.h. wir sollen unser Leben mit Gott leben und alles, was uns dabei behindert und belastet, ablegen, besonders die Sünde. So fährt der Schreiber des Hebräerbriefes fort, nachdem er wie gesagt, die Glaubens-Stars und Helden aufgezählt hatte. Wie könnten wir in Gleichgültigkeit verharren, wenn wir von ihnen hören? Das ist sein Gedanke. Sie umgeben uns wie eine „Wolke“, d.h. wie eine dicht gedrängte Schar, durch die wir nicht allein sind, sondern zu einer verschworenen Gemeinschaft gehören und angespornt werden.

Die entscheidende Kraftquelle aber ist der Aufblick auf den gekreuzigten Jesus. Er führt den langen Zug aller Glaubenden durch die Geschichte an bis in den Himmel hinein, d.h. mit ihm fängt glaubensmäßig alles an und mit ihm wird alles irgendwann aufhören. Und das kommt daher, dass er eine außergewöhnlich starke Gottesbindung hatte. Er hielt den Glauben durch, auch noch am Ende, als ihm Gott fragwürdig geworden war. Er hatte als Sohn eine besondere Berufung, und darin hat er sich bewährt. Selbst in der Verzweiflung übernahm er noch Verantwortung. Als Auserwählter hätte er sich auch für Freude und Freiheit vom Leid entscheiden können, doch das tat er nicht, sondern ertrug geduldig das Kreuz. Er war sich dafür nicht zu schade. Und dadurch wurde er erhöht. Trotz seines schändlichen Endes hat er sich rechts neben Gottes Thron gesetzt und eine unbegrenzte Vollmacht bekommen.

So kann er auch unser Verhalten bestimmen und uns befreien. Dieser Wahrheit sollen wir uns stellen. Wir sollen bedenken, was Jesus an gemeinen Anwürfen der Gottlosen ertragen musste, welchen Demütigungen er ausgesetzt war. Dann werden auch wir nicht so schnell nachlassen und müde werden. Es wird uns aufbauen und uns helfen, auszuhalten. Denn Jesus ist der Maßstab und das Vorbild, das uns beflügeln kann. Von ihm kommt die erforderliche Kraft, die wir brauchen, um in dem verordneten Kampf durchzuhalten.

Das ist das, was unser Predigttext uns sagen möchte.

Im Tagzeitengebet der Kirche ist aus diesem Abschnitt im Hebräerbrief deshalb ein Eingangsspruch für das Morgenlob geworden. Er lautet: „Die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen. Lasst uns wachen und nüchtern sein und abtun, was uns träge macht, lasst uns laufen in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Herr, unser Gott, wir danken Dir für die Ruhe der Nacht und das Licht dieses neuen Tages. Lass uns bereit sein, Dir zu dienen, lass uns wach sein für Dein Gebot.“ (Evangelisches Tagzeitenbuch, Hrg. Evangelische Michaelsbruderschaft, Göttingen, 6. überarbeitete Auflage 2020, S. 265)

Dieses Gebet können wir am Morgen sprechen, und das ist eine gute Idee. Wir beginnen den Tag dann anders, als wenn wir uns einfach in unseren Alltag oder unsere Aufgaben stürzen. Wir halten inne und bedenken, dass sowohl die Nacht als auch der Tag von Gott kommen, dass er uns die Zeit schenkt, die jetzt vor uns liegt. Und damit werden wir automatisch auf das hingewiesen, was wirklich trägt und hält, was zählt und wichtig ist. Es stärkt unseren Glauben und zeigt uns, wo es lang geht.

Wichtig ist dabei die Ermunterung zur Nüchternheit und Wachsamkeit, die Bitte darum, „abzutun, was uns träge macht“. Wir können das noch erweitern und auch an alles denken, was uns ärgerlich oder traurig macht, verspannt oder ängstlich, gestresst und krank. Wir bringen alles vor Gott, was uns behindert und belastet, lassen es los und „legen es ab“. Wir gründen uns stattdessen auf das, „was man nicht sieht, was wir erhoffen und glauben“.

Und das tut gerade in Krisenzeiten gut, wenn wir bedrängt sind und uns das Leben nicht gefällt. Zurzeit ist das ja der Fall: Viele von uns leiden und sind unzufrieden, fühlen sich einsam und müde. Neu ist dieser Zustand nicht, wir kennen ihn auch durch andere Vorkommnisse. Es gibt unzählige Faktoren, die uns das Leben schwer machen, und oft kreisen unsere Gedanken dann darum.

Doch das muss nicht sein, es gibt eine Möglichkeit, das alles zu relativieren: Wir müssen nur auf Jesus blicken und mit ihm beten. Er hat das auch getan, als es ihm schlecht ging. Sein Gebet in Gethsemane ist dafür ein wunderbares Beispiel. Es war in der Nacht vor seiner Gefangennahme. Da wusste er, was ihm bevorstand, und hatte natürlich Angst davor. Aber er hat sich trotz aller Verzweiflung an Gott gehalten. Er „ließ den Mut nicht sinken“ und betete: „Mein Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Mt.26,39b) Und das war ein großer Moment in der Menschheitsgeschichte. Es gibt dazu ein böhmisches Lied aus dem 19. Jahrhundert, in dem die kosmische Tragweite dieser Nacht besungen wird. (s.u.) Die ganze Natur nahm Anteil. Denn in Gethsemane wurde Jesus zu dem, der er heute ist, dem Überwinder des Todes und Begründer einer Weltreligion. Er hat sich durch dieses Gebet „zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt“. Wenn wir ihm in den Garten Gethsemane folgen und dasselbe Gebet sprechen, kann er uns deshalb aus allem herausziehen, was uns belastet und bedrückt, denn es verliert seine Bedeutung. Groß wird dagegen das, was wir „glauben und erhoffen“, seine Gegenwart und Kraft.

Das ist keine hervorragende Leistung, sondern eine Vertrauensübung. Wir dürfen unsere Schwäche mitbringen und sollen keine Helden der Heldinnen sein. Aber auch wenn wir nicht zu Stars werden, berühmt und bewundert, haben wir trotzdem Anteil an dem Größten, das es gibt, denn wir überwinden die Todesfurcht und gewinnen eine unerschütterliche Grundlage, die im Leben und im Sterben hält.

Amen.

Da Jesus in den Garten ging, und sich sein bittres Leiden anfing, da trauert alles, was da was, da trauert Laub und grünes Gras.
Die Feigenbäume bogen sich, die harten Fels zerkloben sich, die Sonn verlor den klaren Schein, die Vöglein lassen ihr Singen sein.
Hört zu nun alle, hört euch an: wer dieses Liedlein singen kann, der sing es Gott zu Ehr all Tag, auf dass sein Seel bleib ohne Klag.

Text und Melodie gehen auf eine 1840 in der Grafschaft Glatz gemachte Aufzeichnung zurück. Quelle für diese Aufzeichnung sind die „Ansinglieder“ Straubing 1590

Bei der Erklärung des Textes habe ich aus folgenden Übersetzungen zitiert:

  • Martin Dreyer, Die Volxbibel, München 2014, S. 2109ff, 2113
  • Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Frankfurt am Main, 2003, S.198 und 201
  • August Strobel, Der Brief an die Hebräer, NTD Band 9, Göttingen 1981, S. 209, 229ff

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