Predigt über Johannes 12, 20- 26: Die Ankündigung der Verherrlichung
4. Sonntag der Passionszeit, Lätare, 14.3.2021, 9.30 Uhr Lutherkirche Kiel
Johannes 12, 20- 24
20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.
21 Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.
22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.
23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.
24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Liebe Gemeinde.
«Ein junger Mann betrat einen Laden. Hinter der Theke sah er einen Engel. Hastig fragte er ihn: „Was verkaufen Sie hier, mein Herr?“ Der Engel gab ihm freundlich zur Antwort: „Alles, was Sie wollen“. Der junge Mann dachte: ,Es ist ein Engel, also kann er mir sicher das Reich Gottes verkaufen.’
Deshalb sagte er: „Dann möchte ich gerne:das Ende der Kriege in aller Welt,
Beseitigung von Hunger und Armut,
Gerechtigkeit und Solidarität unter den Menschen,
mehr Zeit der Eltern für ihre Kindern,
immer mehr Bereitschaft, miteinander zu reden
und,…“
Doch da fiel ihm der Engel ins Wort und sagte: „Entschuldigen Sie, junger Mann, Sie haben mich verkehrt verstanden. Wir verkaufen hier keine Früchte, wir verkaufen nur den Samen.“
Enttäuscht verließ er daraufhin den Laden, denn so hatte er sich das nicht vorgestellt. Seine Begeisterung verflog genauso schnell, wie sie gekommen war.»
Den Jüngern Jesu ging es sicher oft ganz ähnlich, denn er sagte ihnen immer wieder Dinge, die sie in dieser Weise nicht hören wollten. Das Evangelium von heute ist dafür ein Beispiel, denn da kündigtt er ihnen an, dass er bald sterben wird. Er spricht zwar von seiner „Verherrlichung“, aber er meinte damit seinen Kreuzestod. So wird er im ganzen Johannesevangelium verstanden: Seine Kreuzigung war zugleich seine Erhöhung, und nun war diese Stunde nahe. Das wusste Jesus und redete darüber mit seinen Jüngern.
Vor allen Dingen wollte er es ihnen erklären, und das tat er mit demselben Bild wie in der kleinen Geschichte, die ich eben erzählt habe, denn er spricht hier vom Samenkorn, aus dem etwas wächst, wenn man es in die Erde legt. Er sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“ Das ist sein Gleichnis, das er auch schon an anderen Stellen verwendet hat, und damit beschreibt er seinen Tod und dessen Wirkung. Er wird nicht sinnlos sein, sondern Frucht tragen und neues Leben bewirken. Sein Sterben wird den Menschen das Heil bringen.
Er sagt seinen Jüngern das, um sie darauf vorzubereiten, denn für sie gelten dieselben Gesetzmäßigkeiten. Sie sollen seinen als auch ihren eigenen Tod annehmen und sich ganz auf ihn verlassen. Das ist die Aufforderung Jesu, und sie ist eine starke Zumutung an die Hörer und Hörerinnen. Er fordert sie bewusst heraus, wie er es ja oft getan hat. Wer zu Jesus gehören will, muss sich für ihn entscheiden und ihm auf dem Weg zum Kreuz folgen, d.h. er muss bereit zum Leiden und Sterben sein. Nur dann wird er dort hinkommen, wo Jesus sein wird: in die Herrlichkeit des Vaters, zu Gott.
Das Gleichnis vom Samenkorn veranschaulicht diese Regel sehr schön. Es muss ja sterben, um Frucht zu bringen, es muss in die dunkle Erde, um dann wieder ans Licht zu gelangen, zu wachsen und zu reifen: „Allein das Weizenkorn, bevor es fruchtbar sprosst zum Licht empor, wird sterbend in der Erde Schoß, vorher vom eignen Wesen los“. So hat es der reformierte Theologe und Kirchenliederdichter Samuel Preiswerk 1829 in einem Lied formuliert. Er dachte dabei an dieses Wort Jesu und dichtete weiter: „Du gingest, Jesu, unser Haupt, durch Leiden himmelan und führest jeden, der da glaubt, mit dir die gleiche Bahn.“ (EG, Ausgabe für Baden, Elsass und Lothringen, 606) Wer sich also nach Heil und Erlösung sehnt, muss leidensfähig und geduldig sein, anspruchslos und ruhig.
Das ist hier die Botschaft und die Ermahnung, und die geht uns möglicherweise gegen den Strich, denn natürlich hätten wir es gerne anders. Wir würden genauso wie der junge Mann, von dem ich am Anfang erzählt habe, am liebsten das Ende der Kriege in aller Welt kaufen, Hunger und Armut in einem Nu beseitigen, Gerechtigkeit und Solidarität unter den Menschen herbeiführen, Eltern dazu zwingen, mehr mit ihren Kindern zu spielen, die Menschen dazu bewegen, mehr miteinander zu reden usw.
Auch persönliches Glück, Zufriedenheit und Wohlstand würden wir am liebsten selber herstellen. Wir versuchen das alles auch dauernd, die einen mehr, die anderen weniger. Irgendwo ist jeder und jede von uns engagiert: In der Gemeinde, in der Familie, am Arbeitsplatz. Durch genügend Eifer, Leistung, Geld, und die richtigen Programme wird es schon gelingen, diese Welt und unser Leben zu verbessern. Das ist eine weit verbreitete Meinung.
Aber so einfach ist es eben nicht. Der Weg zum Heil und zum Frieden geht ganz wo anders lang, das will Jesus uns hier sagen. Und obwohl seine Worte provozieren, sind sie sehr klug und wahr. Denn mit unserem Wollen und Machen geraten wir alle irgendwann an eine Grenze. Vieles erreichen wir gar nicht, und anderes vergeht wieder. Jesus hat das erkannt und er möchte deshalb, dass wir das Leben und unsere Ideen nicht unnötig festhalten, sie nicht überbewerten und immer wieder ihre Unvollkommenheit entlarven. Er lädt uns zur Nüchternheit und zur Distanz gegenüber allem Machen und Wollen ein. Wir sollen uns nicht an irgendwelche Programme binden, sondern uns immer wieder im Loslassen üben. Wer sich an seinen eigenen Gedanken und Wünschen festhält, ist nicht gut beraten, denn er hält sich an Flüchtiges und manchmal auch an Böses. Er zieht das Unvollkommene dem Vollkommenen vor, das Zeitliche dem Ewigen, und das ist kein guter Weg. Er führt nicht zum Heil.
Um das zu erlangen, sind andere Vorgänge wichtig, und von denen spricht Jesus hier. Er erinnert uns mit dem Gleichnis an das natürliche Wachstum. Das gilt es wahrzunehmen und zuzulassen. Wenn wir eine bessere Welt oder ein schöneres Leben wollen, dann können wir dafür nur die Saat legen. Wir tragen sie auch bereits in uns, wenn wir geboren werden, denn Gott hat seinen Samen in uns hineingelegt. Es ist die Fähigkeit, friedlich und geduldig zu sein, zu glauben und zu hoffen, die wir alle haben. Wir müssen sie nur entwickeln und uns darin einüben, damit sie stärker und umfassender wird.
Die Haltung, um die es im Leben geht, wenn es gelingen soll, muss vom Hören und Erkennen geprägt sein, von Ruhe und vom Zulassen. Dann geschieht viel mehr, als wir ahnen. Der Same kann wachsen, Kraft entfaltet sich, das Leben wird schön.
Wir müssen also nicht traurig sein, wenn der Weg, den wir gehen, einmal eng wird. Das ist in dieser Krise ja der Fall. Wir leiden darunter in verschiedener Hinsicht. Auch in anderen Notlagen ist das so. Sie fühlen sich oft wie ein Sterben an. Aber das muss uns nicht niederdrücken, denn wir kennen Jesus, der uns treu durch alles Schwere hindurchführt. Er hat uns gerufen, und es gilt, unseren Blick fest auf ihn zu richten. Es ist sogar gut, wenn unser natürliches Lebensgefühl einmal in Frage gestellt wird, unser menschliches Denken und unsere weltliche Gesinnung. Gerade dann kann es sein, dass wir auf einem ganz geraden Weg sind. Wenn wir immer nur unsere eigenen Ideen und unsere Lust „pflegen“, können wir das nicht erleben. Nur wer bereit ist, sich selber auch einmal zu „verlassen“, und alles, was ihn innerlich bindet, zu lösen, findet den richtigen Weg. Wir müssen wie Pilger leben, „frei, bloß und wahrlich leer; viel sammeln, halten, handeln macht unsern Gang nur schwer.“ So hat der Mystiker Gerhard Tersteegen in seinem Pilgerlied formuliert. „Wer will, der trag sich tot; wir reisen abgeschieden, mit wenigem zufrieden; wir brauchen’s nur zur Not.“ (EG 393, 4) Das waren seine tiefe Einsicht und Entscheidung.
Aber wollen wir das auch? Wollen wir so leben und uns diese Haltung angewöhnen? Ist das nicht weltfremd und verantwortungslos, ignorant und selbstgenügsam? Was passiert denn, wenn wir alle nur noch abwarten, keiner mehr etwas tut und wir die Welt sich selber überlassen? Dann bricht doch das Chaos über uns herein, wir entziehen uns und fliehen vor der Realität. Das ist unser Einwand.
Doch das ist mitnichten so. Wir sollen uns ja nicht in uns selber zurückziehen, sondern der Kraft Gottes vertrauen. Und das ist etwas ganz anderes. Gott ist da, sein Reich hat längst begonnen. Wenn wir ihm etwas zutrauen, dann fliehen wir also nicht vor den Aufgaben, wir erfüllen vielmehr unsere christliche Pflicht. Denn wir werden von Christus dazu aufgerufen, die Dinge klar zu sehen, ihn zu erkennen und seine Kraft zuzulassen. Das möchte Gott, denn nur dann kann diese Welt so werden, wie er sie sich vorgestellt hat, nur dann kann sein Reich wachsen.
Und dass es das tut, merken wir an der Entspannung und der Freude, die er uns schenkt, wenn wir im Vertrauen auf ihn unsere Begrenztheit annehmen. Unser Leben wird dann ganz von alleine fruchtbar und kann gedeihen. Wir haben Teil am dem faszinierenden Ereignis der „Verherrlichung“ Jesu, an seiner Auferstehung und seiner Überwindung. In sie werden wir durch den Glauben hineingenommen.
Wir werden selber zum Samen in dieser Welt. Denn Gott macht etwas mit uns, er kann uns endlich einsetzen. Wir verhindern nichts mehr und stoßen auch an keine Grenzen. Wir erleben vielmehr, wie die Liebe wächst und der Frieden gedeiht.
Wir müssen also nicht enttäuscht sein, wenn uns „nur“ Samen angeboten werden. Sie sind das größte, was es gibt, denn sie bergen ein Geheimnis und ein Wunder: Es ist das Geheimnis des Wachsens, das ohne unser Zutun geschieht, und das Wunder der Frucht, die dabei herauskommt. Wir sollten sie deshalb willig annehmen und zu Jesus beten: „Du starbest selbst als Weizenkorn und sankest in das Grab. Belebe denn, o Lebensborn, die Welt, die Gott dir gab.“ (s.o.)
Amen.