Die singende Gemeinde

Predigt über Matthäus 21, 14- 17: Der Lobgesang der Kinder im Tempel
4. Sonntag nach Ostern, Kantate, 14.5.2017

9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Matthäus 21, 14- 17

14 Und es gingen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel und er heilte sie.
15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich
16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus antwortete ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen (Psalm 8,3): »Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet«?
17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

Liebe Gemeinde.

„Oma ist der kostbarste Teil der Familie. Die hat schon Altertumswert.“ Oder: „In die Kirche gehe ich nicht so gern, es dauert immer ewig, bis der liebe Gott kommt.“ Oder: „Den Nikolaus gibt’s gar nicht in echt. In Wahrheit kommt der vom Roten Kreuz.“
Das sind Kindersprüche, zusammengestellt in einem Buch aus der Reihe „Kindermund“ im Baumhausverlag. „Kindermund tut Wahrheit kund“, das bestätigt sich immer wieder, und es lohnt sich, solche Aussagen zu sammeln. Ohne es zu wollen sprechen Kinder etwas aus, was wir als Erwachsene so nicht sagen würden, es trifft aber genau zu.
So war es auch im Tempel von Jerusalem, nachdem Jesus gerade dahin gekommen war. Da sangen die Kinder, die sich dort aufhielten, ganz spontan „Hosianna dem Sohn Davids“. Sie hatten den Gesang von den Erwachsenen gehört, die Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem begleitet hatten. Vielleicht hatten die Kinder ihn noch im Ohr, vielleicht wollten sie die Erwachsenen auch nur mal nachmachen. Ob es Spaß oder Übermut war, das wissen wir alles nicht. Denn was in den kindlichen Gemütern vor sich ging, wird hier nicht gesagt. Wichtig ist einfach nur, dass sie sangen. Das war im Tempel außerhalb der Gottesdienste nicht üblich. Jesus hatte es vielmehr durch seinen Aufenthalt dort ausgelöst. Und der Inhalt des Liedes war für ihn von großer Bedeutung.
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten regten sich darüber auf und entrüsteten sich. „Hörst du auch, was diese sagen?“ fragten sie Jesus. Und darin steckte ein Vorwurf und eine Anklage: „Sie preisen dich als den Messias! Das kannst du doch nicht zulassen! Sorg mal besser dafür, dass sie ihren Mund halten.“ Das meinten sie hier mit ihrer Frage.
Aber davon war Jesus weit entfernt. Er ließ die Kinder gewähren, weil sie seiner Meinung nach genau das Richtige sagten. Er richtete sich sowieso nicht nach dem, was die Würdenträger wollten. So wandte er sich z.B. auch den Kranken, Blinden und Lahmen zu, die an den Tempeltoren saßen und bettelten, und heilte sie.
Denn er war der Messias. Die Kinder sangen und bejubelten ihn, wie es ihm gebührte, und sie sagten mit ihrem Gesang die Wahrheit. Er war der Sohn Davids, auf den alle warteten. Jesus bestätigte das mit einem Wort aus Psalm 8: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“. Das heißt, Gott nahm dieses Lob der Kinder an.
Damit ließ Jesus die Hohenpriester stehen. „Er ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.“ Das ist der letzte Satz des heutigen Abschnittes aus dem Evangelium.
Und diese Episode über den Gesang der Kinder im Tempel passt sehr schön zu dem Sonntag „Kantate“, an dem es um das Singen und Loben der „Wunder Gottes“ geht. Die Begebenheit, von der hier die Rede ist, gibt uns Anlass, einmal darüber nachzudenken, was es mit dem Jubel und den „neuen Liedern“ auf sich hat, warum sie gut sind und was mit uns geschieht, wenn wir darin einstimmen.
Es haben ja lange nicht alle Lebewesen die Fähigkeit zu singen. Das ist etwas besonders schönes. Als Menschen können wir noch mehr als sprechen, schreien oder Geräusche von uns geben. Wir sind in der Lage, mit unserer Stimme Musik zu machen. Und das haben die Menschen schon immer und überall getan, denn mit Liedern lässt sich viel mehr ausdrücken, als mit bloßen Worten. Gefühle schwingen dabei mit, tiefe Regungen der Seele kommen nach oben und finden Gehör. In Lieder legen wir unsere Freude und unseren Schmerz, Klage und Lob, Humor und Ernsthaftigkeit. Sie führen zum Lachen oder zum Weinen, rühren uns an oder stoßen uns ab.
In der Ausgabe des Evangelischen Gesangbuches für die bayrische und thüringische Landeskirche steht dazu am Anfang ein sehr schöner Text. Er bezieht sich auf die Liedzeile: „Ich singe dir mit Herz und Mund“ (Evangelisches Gesangbuch 324,1) und betrachtet sie folgendermaßen:
„Ich öffne meinen Mund und hole Luft. Mein Atem wandelt sich zum Klang. Meine Stimme wird ein Lied.
Ich lasse hören, was meine Seele bewegt. Ich stimme in die Worte und Melodien anderer ein und finde mich selbst darin wieder.
Dir, Gott, singe ich mein Lob und meine Klage, meine Trauer und meine Freude. Du hörst die leisen Töne unter den lauten.
Ich singe mit Herz und Mund. Überlieferte Worte nehme ich auf, Melodien anderer Völker lasse ich erklingen.
Ich singe alleine oder mit anderen – und im Klang der Stimmen spüre ich den Atem der Schöpfung.
Wer singt, stimmt ein, lässt sich ein, bleibt nicht allein.“
Damit ist sehr schön formuliert, was unser Gesangbuch möchte. Es enthält Lieder, mit denen wir das alles verwirklichen können, in denen Gott und der Glaube vorkommen, die Seele angerührt wird und wir Gemeinschaft erfahren.
So war es auch im Tempel von Jerusalem. Dabei sangen die Kinder in unserer Szene das Loblied „Hosianna dem Sohn Davids“. Der Ruf „Hosianna“ war im Tempel bekannt, denn er gehörte zu der Liturgie beim sogenannten Laubhüttenfest, einer Art von Erntedankfest in Israel. Die Kinder verbanden ihn mit der Anrede „Sohn Davids“, denn das hatten die Menschen beim Einzug Jesu in Jerusalem ebenfalls getan. „Sohn Davids“ war die Bezeichnung für den König und endzeitlichen Heilsbringer. Für den hielten die Menschen Jesus also. Sie begrüßten und feierten ihn als den messianischen Davidsohn, der seine Stadt besucht und ihr Rettung schenkt.
In unserer Abendmahlsliturgie singen wir das immer noch und leiten es mit den Worten ein: „Darum loben die Engel deine Herrlichkeit, beten dich an die Mächte und fürchten dich alle Gewalten. Dich preisen die Kräfte des Himmels mit einhelligem Jubel; mit ihnen vereinen auch wir unsere Stimmen.“ Indem wir „Hosianna dem Sohn Davids“ singen, schließen wir uns also dem Lobgesang all derer an, die vor uns waren und kommen werden, himmlischen und irdischen Wesen, und loben Gott mit uralten Gesängen.
Und das ist etwas sehr Gutes und Schönes. Es gehört sich Gott gegenüber auch, denn wir bringen mit dem Lob zum Ausdruck, dass er groß und mächtig ist. Gott ist anders, er ist erhaben und kann viel mehr als wir. Es ist deshalb auch naheliegend, dass der Bittruf „Hilf doch“ zu einem Loblied geworden ist, denn damit trauen wir Gott etwas zu. Wir glauben an seine Möglichkeiten, erwarten etwas von ihm und geben zu, dass wir ihn brauchen. Ohne ihn kommen wir nicht weiter. Es ist angemessen, ihn mit dieser Erkenntnis zu loben.
Gleichzeitig setzen wir uns durch das Lob mit ihm in Beziehung. Wir nähern uns ihm und begeben uns in seine Gegenwart. Das Gotteslob ist wie das Betreten eines Raumes, in dem es gut und schön ist.
Und dabei geschieht etwas mit uns. Wir lenken beim Loben unseren inneren Blick ja von uns selber weg, lenken uns sozusagen auf wohltuende Weise ab. Es dreht sich nicht mehr um uns, sondern jemand anders wird zur Mitte unserer Gedanken und unserer Aufmerksamkeit. Wir lassen uns selber los, und dabei rücken Probleme, Sorgen und Ängste in den Hintergrund. Der Leib kann sich entspannen, das Herz wird emporgehoben und der Geist weitet sich. Wir werden einfacher und freier, lockerer und unbeschwerter.
Das sind wir ja leider oft nicht. Im Gegenteil wir haben meistens irgendwelche Probleme und Sorgen. Etwas belastet uns, macht uns Angst, treibt uns um. Wenn wir daran denken, haben wir normalerweise etwas im Blick das außerhalb von uns liegt, bestimmte Umstände, Ereignisse oder Personen. Denn natürlich gibt es immer Auslöser für unsere Schwierigkeiten, und um die kreisen dann unsere Gedanken.
Aber sie sind nicht die einzige Ursache. Oft hängen unsere Probleme auch damit zusammen, dass wir uns selber viel zu wichtig nehmen. Unser Wollen und Trachten ist die andere Seite, die zweite Ursache dafür, dass es uns schlecht geht. Wir hängen an unseren Wünschen und Vorstellungen. Wenn wir die also einmal loswürden, wäre schon viel gewonnen.
Und genau da kann das Gotteslob uns hinführen. Denn Gott ist da und sein Sohn Jesus Christus kann uns retten. Wir müssen ihn nur mit unserem Loblied begrüßen. Dann kommen wir mit ihm in Kontakt, mit seiner Macht und Größe, und unsere Gedanken beruhigen sich. Sorgen und Ängste werden kleiner und alle Mühen und Nöte verlieren ihr Gewicht, denn sie verschwinden hinter dem Gotteslob. Wir werden selbstvergessen und gelassen. Und das ist nicht nur ein psychologischer Vorgang. Mit unseren christlichen Liedern besingen wir vielmehr genauso wie die Kinder damals im Tempel in Jerusalem Jesus als den Sohn Gottes. Wir bringen unseren Glauben daran zum Ausdruck, dass er für uns da ist und uns das Heil bringt. Durch das Lob wird es wirksam und lebendig. Jesus zieht dabei in uns ein und befreit uns von allem Schweren.
In der Reformation wurde das besonders wichtig. Luther hat nicht nur das Evangelium neu entdeckt, und betont, dass allein Jesus uns retten kann. Er hat aus diesem Glauben auch eine ganz neue Form des Gemeindegesanges geschaffen. Noch zu seinen Lebzeiten entstand ein erstes evangelisches Gesangbuch. Es wurde 1545 von Valentin Babst in Leipzig veröffentlicht und heißt deshalb das „Babstsche Gesangbuch“. Luther hat dafür eine Vorrede geschrieben, in der steht:
„,Singet dem Herrn ein neues Lied, singet dem Herrn alle Welt!‘ Denn Gott hat unser Herz und Mund fröhlich gemacht durch seinen lieben Sohn, welchen er für uns gegeben hat zur Erlösung von Sünden, Tod und Teufel. Wer solchs mit Ernst gläubet, der kanns nicht lassen, er muss fröhlich und mit Lust davon singen und sagen, dass andere auch hören und herzukommen.“
Das finden wir in unserer Ausgabe des Gesangbuches auf der ersten Seite. Luthers Worte richten sich damit immer noch alle, die als evangelische Christen singen möchten. Sie sollen Jesus Christus mit Gesang und Freude loben, ihn als den erkennen, der er ist, und sich ihm ganz öffnen.
Lassen Sie uns das deshalb jetzt tun, indem wir selber das Lied der Kinder aus dem Jerusalemer Tempel singen: „Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem.“ (Evangelisches Gesangbuch 13)
Amen.

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