Eine Jungfrau wird schwanger

Predigt über Matthäus 1, 18- 25: Jesu Geburt

Heiligabend, 24.12.2014, 23 Uhr, Lutherkirche Kiel

 

Matthäus 1, 18- 25

18 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist.
19 Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen.
20 Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist.
21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
22 Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):
23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.
25 Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Liebe Gemeinde.Maria und Joseph

Sie sehen hinter dem Altar zwei Skulpturen. Das sind unsre Weihnachtsfiguren, Joseph und Maria. Joseph ist in traditioneller Weise gestaltet. Er wird in seiner Fürsorglichkeit für Maria und das Neugeborene gezeigt. In seiner linken Hand hält er ein brennendes Öllämpchen, ein Gegenstand, der Licht und Wärme spendet. Joseph ist der Mutter und dem Kind liebevoll zugewandt und füllt die Vaterrolle aus, ganz so, wie wir uns das vorstellen. Er hat eine vertraute, menschliche Gestalt.
Bei Maria ist das anders. Sie hat, genaugenommen nur ein Haupt. Was auf den ersten Blick ihr Körper zu sein scheint, ist es bei näherem Hinsehen nicht mehr. Die Figur besteht in der oberen Hälfte vielmehr aus einem Dreieck oder Stern, in der unteren Hälfte aus geschwungenen Konturen. Sie deuten ein Gewand an, sind es aber nicht. Sie versinnbildlichen eher eine Kraft, von der Maria auf geheimnisvolle Weise getragen wird. Ihr Gesicht wendet sie dem Kind zu, das in einer Höhlung in dem Stern liegt. Es strampelt wie jedes Kind, erhebt aber gleichzeitig seine rechte Hand wie zum Segen.
Mit dieser Figurengruppe hat der polnische Künstler Ryszard Zajac, den die Luthergemeinde 1994 mit der Schaffung zweier weihnachtlicher Figuren beauftragt hat, das Weihnachtsgeschehen sehr schön dargestellt. Sie erinnern besonders an die Erzählung der Geburt Jesu aus dem Matthäusevangelium, die wir vorhin gehört haben, denn dort kommen Maria und Joseph in genau diesen Rollen vor:
Joseph erfährt als das Familienoberhaupt die Botschaft, dass seine Verlobte ein besonderes Kind bekommen wird. Das sagt ihm ein Engel im Traum. Es wird nicht von ihm sein, er soll es aber beschützen und dafür sorgen, dass Maria nichts geschieht. Eigentlich hätte er sie am liebsten verlassen, denn ein uneheliches Kind bedeutete Schande für die ganze Familie. Aber genau das sollte er nicht tun, und er gehorcht. Er nimmt die menschliche Rolle des Vaters an und gibt dem Kind den Namen, den er ebenfalls im Traum gehört hat: „Jesus“, das heißt, der Retter.
Der Künstler hat das mit unserer Josephsfigur sehr schön umgesetzt.
Maria ist in der Bibel nun diejenige, an der ein Wunder geschieht: Sie bekommt ein Kind, das vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Eine Jungfrau wird schwanger, ein göttliches Kind kommt zur Welt. Der Künstler hat auch das in seiner Figur wunderbar zum Ausdruck gebracht: Das Dreieck deutet die göttliche Dreieinigkeit an, von der das Kind ein Teil ist. Maria ist ganz und gar Hingabe, sie schaut auf das Kind, und ihre Seele ist angerührt. Sie nimmt ihren Sohn an, will ihm dienen und wird dabei in sein Geheimnis hineingezogen. Sie steht nicht mehr auf ihren eigenen Beinen, sondern wird von einer unisichtbaren Kraft getragen.
Und mit all dem erfüllt sich, was in der Schrift schon angekündigt war: Der verheißene Retter wurde geboren, die Sehnsucht der Menschen nach der Nähe Gottes wird gestillt. Es ist Weihnachten.
In unserem Glaubensbekenntnis kommt dieses Geschehen bis heute vor, und zwar in dem Satz: „Geboren von der Jungfrau Maria“. Aber können wir den eigentlich noch problemlos mitsprechen? Damit tun wir uns heutzutage schwer, denn das glaubt niemand mehr so richtig. Wir müssen uns also darüber Gedanken machen, wie wir dieses Ereignis verstehen wollen.
Und dafür gibt es zwei Herangehensweisen. Zunächst einmal lässt sich theologisch etwas dazu sagen: Wir können die Jungfrauengeburt als einen Mythos verstehen. Er kommt in vielen Religionen vor. Göttliche Kinder werden auch von Göttern gezeugt, durch ein mystisch-ekstatisches Widerfahrnis. Maria erlebte die größtmögliche Berührung eines Menschen mit dem Geheimnis Gottes. Durch die Kraft des Heiligen Geistes schuf Gott neues Leben und wählte sich dafür den Leib eines palästinensischen Mädchens. Die Theologie rechnet mit Wundern dieser Art, damit, dass das Göttliche in die Normalität der Welt einbricht.
Das ist ein Weg, das Ereignis der Jungfrauengeburt zu erklären und den Satz aus dem Glaubensbekenntnis dann doch mitzusprechen.
Aber dabei allein muss es nicht bleiben. An die Theologie knüpft sich vielmehr der Glaube an, d.h. die Bereitschaft unseres Geistes und unserer Seele, sich auf etwas einzulassen, das die Vernunft übersteigt.
Und diese Bereitschaft und auch Fähigkeit ist in jedem und jeder von uns angelegt. Es ist sogar so, dass wir uns zutiefst danach sehnen, dass es noch mehr geben möge, als die reine Innerweltlichkeit und den puren Verstand. Wir müssen uns nur einmal ehrlich bewusstmachen, wie wir leben und denken
Kaum jemand hört während seines Lebens auf, sich etwas zu wünschen. Selbst wenn wir viel erreicht haben, es bleibt immer noch etwas offen. Das Leben ist nie vollkommen. Wenn wir jung sind, malen wir uns die Zukunft aus, und machen Pläne. Wenn wir einen Beruf haben, denken wir daran, wie wir weiter kommen. Wenn wir Kinder haben, sorgen wir dafür, dass sie ihren Weg ins Leben finden. Im Alter sehnen wir uns dann vielleicht zurück oder danach, dass die Beschwerden nicht allzu heftig werden. Wer arm ist, sehnt sich nach Reichtum, und wer reich ist, wünscht sich einen tieferen Sinn. Der Gefangene möchte frei sein, der Kranke gesund. Künstler entwickeln ihre Kreativität, Forscher wollen noch mehr entdecken, usw. Diese Liste könnten wir unendlich fortsetzen, jeder und jede findet sich mit irgendwelchen offenen Wünschen und Sehnsüchten darin wieder.
Vieles davon verwirklichen wir auch, aber eben niemals alles. Und das gehört zu unsrer menschlichen Natur, so ist unser Leben angelegt: Es bleibt immer eine Restsehnsucht übrig. Und die müssen wir einmal beachten und wahrnehmen. Denn zutiefst äußert sich darin die Sehnsucht nach Gott, nach etwas Größerem, das uns trägt und befreit, das uns ganz erfüllt und Freude und Heil schenkt.
Wenn wir uns dem Wunder der Weihnacht nähern wollen, ist es deshalb gut, das als erstes wahrzunehmen, ehrlich zu sein und zu erkennen, wie wir angelegt sind. Dazu gehört es, dass wir vorübergehend all unsre anderen Aktivitäten und Gedan-ken unterbrechen, eine Pause einlegen und nicht mehr dem hinterher jagen, was wir meinen erreichen zu müssen. Es gilt, einmal still zu werden und die unerfüllte Sehnsucht einfach nur auszuhalten. Wir müssen sie als etwas annehmen, das zu uns dazu gehört. So sind wir, und das ist gut. Es tut auch bereits gut, sich das so bewusst zu machen. Es ist der erste Schritt des Glaubens.
In einem zweiten Schritt können wir dann unseren Geist öffnen und darauf vertrauen, dass es etwas gibt, das uns doch ganz erfüllen kann. Es ist nicht von dieser Welt, sondern kommt von Gott. Er hat die Sehnsucht nach sich selber in unsere Herzen gelegt. Wir sind auf Gott hin geschaffen, und nur wenn wir seine Nähe suchen, werden wir ganz erfüllt. Und dabei kommt er uns entgegen, ja noch mehr: Er sorgt persönlich dafür, dass wir mit ihm in Berührung kommen. Das ist das Wunder von Weihnachten: Wir müssen uns nicht mehr anstrengen, um mit Gott in Kontakt zu treten, denn er ist zu uns gekommen. Er ist nicht mehr fern, sondern ganz nah. Er ist in unser Menschsein eingegangen. In dem Kind der Jungfrau Maria können wir Gottes Gegenwart erleben. Wir müssen es nur genauso betrachten, wie sie das tut, es in unser Herz aufnehmen, in unser Innerstes hineinlassen.
Dann werden auch wir in das göttliche Geheimnis hineinge-nommen, etwas verändert sich. Wir spüren eine Kraft, die uns trägt, es entsteht auch in uns neues Leben. Wir werden erfüllt mit einer Freude, die wir uns gar nicht richtig erklären können, mit einem Heil, das uns entspannt und beseelt.
Dazu sind wir heute eingeladen.
Der Mystiker Gerhard Tersteegen hat das 1731 in seinem Weihnachtslied sehr schön zum Ausdruck gebracht  (Evangelisches Gesangbuch 41). Es beginnt mit der Weihnachtsfreude und der Aufforderung: „Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören.“ . Dann beschreibt er mit innigen Worten das Geheimnis der Geburt Christi und sagt am Ende:
„König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde, dem ich auch wieder mein Herze in Liebe verbinde: du sollst es sein, den ich erwähle allein; ewig entsag ich der Sünde.
Treuer Immanuel, werd auch in mir nun geboren, komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren! Wohne in mir, mache ganz eins mich mit dir, der du mich liebend erkoren.“
Lassen Sie uns dieses Lied jetzt singen.
Amen.

3 Gedanken zu “Eine Jungfrau wird schwanger

  1. Ein Leser meiner Predigten schrieb mir per Email folgende Anmerkungen:
    Martin Buber schreibt in seiner deutschen Übersetzung des AT (Jesaja 7,14): „Da, die Junge wird schwanger und gebiert einen Sohn. Seinen Namen soll sie rufen: Immanuel, bei uns ist Gott!“
    Aus „die Junge“ ist also eine „Jungfrau“ geworden.
    Und dann hat er noch das hier gelesen:
    http://www.predigtpreis.de/predigtdatenbank/predigt/article/predigt-ueber-matthaeus-1-18-25a-und-lukas–26-38.html
    Ganz so einfach ist das Thema also nicht, und wer mehr darüber wissen möchte, dem sei diese Predigt herzlich zur Lektüre empfohlen.
    In dem Gottesdienst am Heligabend um 23 Uhr wäre das alles natürlich zu viel gewesen, aber herzlichen Dank für die Rückmeldung!

  2. Liebe Gesa,

    Deine Gedanken + die empfohlene Predigt erweitern meine Wahrnehmung zu diesem Thema! Die Öffnung des Herzens für Gottes Gegenwart im beschriebenen Sinn ist das Eine, das Andere, daraus folgend das Rechte zu tun. Das Weiblich- Mütterliche kann m.E.in unserer Kirche mehr Raum bekommen! Maria lässt sich ein und vertraut. Auch daraus könnten wir in unserer gemeindlichen Praxis Konsequenzen ziehen: respektvoll, wertschätzend und einem gemeinsamen Ziel folgend, dem so manche, vermeintlich große, Hindernisse, Animositäten oder Machtinteressen gern untergeordnet werden.

    Herzlich
    Brigitte

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