Achtsamkeit

Predigt über Lukas 21, 25- 33:
Das Kommen des Menschensohnes und Ermahnung zur Wachsamkeit

2. Sonntag im Advent, 7.12. 2014, 11 Uhr, Jakobikirche Kiel

Das Evangelium für heute, das zugleich der Predigttext ist, steht bei Lukas im 21. Kapitel und lautet folgendermaßen:

Lukas 21, 25- 33:

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.
27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.
31 So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.

Liebe Gemeinde.
Ich hatte gerade Besuch von einer guten Freundin. Als wir gemütlich beieinander saßen, Tee tranken und klönten, ertönte plötzlich aus ihrem Rucksack ein schöner, warmer Gongschlag. Das war die „Glocke der Achtsamkeit“, die hatte sie sich auf ihr I-Pad heruntergeladen. In unregelmäßigen Abständen erfolgte dadurch eine sanfte Erinnerung. Sie dient dazu, „die Aufmerksamkeit zum gegenwärtigen Augenblick zurückbringen“. Die Anleitung lautet: „Wenn du die Glocke hörst, nimm einige bewusste Atemzüge. Achte auf deine Konzentration und mach weiter. Genieße es.“ Das haben wir dann auch getan.
Die Anwendung gehört zu den Gesundheitsapps und wird von vielen Nutzern und Nutzerinnen positiv bewertet. Eine schreibt: „Wer etwas gedanklich abtauchen und sich richtig entspannen möchte, ist bei dieser App gut aufgehoben. Ich kann mich vollkommen fallen lassen. Jeden Tag lass ich mich erinnern, wieder etwas achtsam meine Umgebung oder einfache Dinge wahrzunehmen.“
Daran musste ich denken, als ich unseren Predigttext las, denn dort werden wir auch zur Achtsamkeit aufgefordert, zum Sehen und Erkennen von Dingen, die nicht vor Augen liegen. Jesus ermahnt seine Jünger dazu.
Der Kontext ist allerdings anders. Jesus geht es nicht um Entspannung und Gesundheit, sondern um etwas viel Dramatischeres. Die Ermahnung ist ein Teil der sogenannten Endzeitrede. Darin trägt Jesus verschiedene Gedanken und Vorstellungen über das Kommen des Weltendes vor, und das wird furchtbar: Er erwähnt z.B. die baldige Zerstörung des Tempels, die Verfolgung der Gemeinde und das Ende Jerusalems. Außerdem wird es Veränderungen an Sonne und Mond geben. Weltweite Naturkatastrophen werden eintreten, denen keiner entkommen kann. Sie werden die Menschen in Angst und Schrecken versetzen, denn die Ordnung der Schöpfung wird dabei umgewälzt.
Aber inmitten dieser Weltendramatik, wenn die ganze Erde erbebt und erzittert, wird der Menschensohn am Himmel sichtbar. Und er wird mit großer Macht und Herrlichkeit kommen. Das ist der Trost, den Jesus seinen Jüngern gleichzeitig gibt. Damit greift er eine fromme jüdische Vorstellung auf: Man dachte bei dem „Menschensohn“ an eine himmlische Gestalt, ein Lichtwesen, dem nach diesem letzten Gericht von Gott die Weltherrschaft übertragen wird. Und das hat Jesus für sich in Anspruch genommen. Wenn er vom Menschensohn sprach, meinte er immer sich selbst, und zwar als den Auferstandenen, der einst wiederkommt, wenn alle kosmischen Ordnungen zerbrechen.
Und weil das geschehen wird, sollen die Christen achtsam und aufmerksam sein. Wie so oft verdeutlicht Jesus das noch mit einem Gleichnis: Man kann am Sprossen der Blätter des Feigenbaumes und der Bäume erkennen, dass der Sommer kommt. Und genauso deuten jene Ereignisse an, dass die Gottesherrschaft nah ist. Die Christen sollen diese Zeichen beobachten und richtig verstehen. Es gibt Vorboten, die es zu beachten gilt.
Dabei war Jesus davon überzeugt, dass die himmlische Welt schon jetzt in die Irdische hineinwirkt und alles verändert. Es gibt eine Realität, die viel größer ist als das, was wir mit unserem Verstand erfassen oder mit den Augen sehen können. Die gilt es, zu beachten und sich davon anrühren zu lassen. Das ist hier die Aussage und Ermahnung. Sie ist schön zusammengefasst in dem Satz: „Seht auf und erhebt eure Häupter weil sich eure Erlösung naht.“
Die Haltung, die hier beschrieben wird, ist also ganz ähnlich wie die, die auch die „Glocke der Achtsamkeit“ fördern will. Der Unterschied ist allerdings der, dass es bei Jesus sehr viel dramatischer klingt. Er sieht eine tödliche Gefahr, den drohenden Untergang. Für ihn war es ein ernstes Thema, und er will die Jünger wachrütteln.
Auch wir sind gemeint, wenn wir seine Worte lesen. Aber können wir dem genauso viel Bedeutung geben wie er? Klingt das für uns nicht unrealistisch und weltfremd? Das glauben wir doch gar nicht richtig, dass das Ende der Welt irgendwann einmal so kommt, wie es hier beschrieben wird. Es hat sich viel zu lange verzögert, und wir brauchen diese Vorstellung heutzutage auch nicht mehr. Das ist unsere Meinung.
Doch genau die wird hier in Frage gestellt, und das sollten wir ruhig einmal zulassen. Jesus lädt uns zu einem Leben ein, das den Himmel einbezieht und sich in der Ewigkeit festmacht. Wir dürfen glauben und hoffen, dass es noch etwas Größeres gibt, als alles, was uns hier begegnet. Und das ist doch spannend. Vielleicht tut es uns ja gut, auf Jesus zu hören, Dinge zu entdecken, die nicht vor Augen liegen, für die wir sonst blind sind. Möglicherweise verpassen wir etwas, wenn wir es nicht tun.
Lassen Sie uns also fragen, was die Ermahnung Jesu für uns bedeuten kann. Und dafür ist es gut, wenn wir uns einmal bewusst machen, wie wir normalerweise denken und leben. Was ist das Gegenteil von der Haltung, die Jesus hier beschreibt? Wovon hebt sie sich ab, wozu bildet sie die Alternative? Das können wir uns fragen.
Und dazu fällt mir hauptsächlich unsere Diesseitigkeit ein. Das ist gerade jetzt in der Adventszeit leider eine Gefahr. Überall gibt es ganz viel Ablenkung und Zerstreuung, sodass wir das Reich Gottes leicht vergessen. Wir sind auch meistens etwas im Stress in dieser Zeit, denn wir nehmen uns ganz viel vor: Wir müssen Geschenke kaufen oder basteln, Grüße schreiben, auf Adventsfeiern gehen und Besuche machen.
Das macht ja auch alles Spaß und hilft uns, diese dunkle Jahreszeit besser durchzustehen. Aber wir können uns darin auch verlieren. Wir sind so in Anspruch genommen, dass der Kopf nicht mehr frei wird. Alles zieht und zerrt an uns, jeder will etwas, so dass wir irgendwann gar nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht.
Und das kommt nicht erst durch die vielen Dinge, die uns in dieser Zeit beschäftigen und angeboten werden. Wir leben auch sonst am liebsten so, weil es am meisten Befriedigung und Erfüllung verspricht. Wir folgen unserem Willen und den äußeren Gegebenheiten. Dabei sind wir mit unseren Gedanken oft schon einen Schritt weiter, planen den nächsten Tag, bereiten ein Projekt vor, freuen uns auf Besuch, lernen für eine Prüfung usw. Unser Ehrgeiz steckt dahinter, unsere Leistungsfähigkeit und unsere Ichhaftigkeit. Wir denken, so wird das Leben schön und gut, so wird es gelingen.
Doch das ist ein Irrtum, denn dieses Konzept hat auch seine Schattenseiten. Wir merken z.B. nicht, dass wir uns dadurch an die Welt und an uns selber binden. Unsre Ideen und Aufgaben halten uns fest. Und es gehen auch immer Sorgen und Ängste damit einher. Wir sind nie richtig frei, engen uns ein und geraten mit Sicherheit irgendwann an eine Grenze. Denn wir können nie alles erreichen, was wir uns wünschen und erstreben. Es entstehen Konflikte, und dann gerät auch unser Selbstbewusstsein ins Wanken. Traurigkeit und Niedergeschlagenheit sind die Folgen. Wir schauen nicht mehr nach vorne, sondern eher nach unten und sind bedrückt.
Deshalb ist es durchaus ratsam, einmal zu fragen, ob es wirklich gut ist, so zu leben. Und dazu müssen wir dieses unentwegte Treiben unterbrechen, anhalten, das „Haupt erheben und aufsehen“. Wir sollten viel öfter auf den Augenblick achten, so wie es die Aufmerksamkeitsglocke vorschlägt. Was geschieht eigentlich jetzt gerade? Was spüre ich, wie geht es mir wirklich? Das sind die Fragen, die wir uns stellen können, dann entspannen wir uns bereits. Wir lassen uns selber los, atmen tief durch, und das tut gut.
Doch es geht bei Jesus wie gesagt um noch mehr. Er lädt uns nicht nur zu einer Entspannungsübung ein. So sanft und friedlich klingt seine Rede ja auch nicht. Er weiß, dass das Leben hart und schrecklich sein kann, das lässt sich nicht vermeiden. Aber er ist immer da, darauf will er uns hinweisen. Als Christen haben wir noch mehr, als nur einen Gongschlag und die Fähigkeit, uns zu konzentrieren. Wir dürfen an den glauben, der auch im Leid und sogar im Tod noch lebendig ist und uns zur Seite steht. „Seine Worte vergehen nicht“, darauf dürfen wir vertrauen. Auch wenn alles schief läuft und unser Leben zusammenbricht, wir sind geliebt und gehalten, denn Jesus kommt uns entgegen, um unser Leben in seine Hand zu nehmen. Und wenn wir uns bei ihm bergen, dann sind wir wirklich befreit und erlöst.
Zu dieser Haltung werden wir hier ermahnt, und die Adventszeit ist eigentlich dazu da, das einzuüben. Adventlich leben heißt: Aufmerksam und achtsam sein für die Gegenwart Gottes, leicht werden und uns zu dem ausstrecken, der uns entgegengeht und uns ruft. Er zieht unsere Aufmerksamkeit zwar vom Diesseits ins Jenseits, aber dadurch gewinnen wir Halt und Orientierung. Unser Blick wird weggelenkt von den Dingen dieser Welt nach oben, und dadurch werden wir frei und ruhig.
Zu so einem Leben sind wir heute eingeladen. Wir sollen uns auf das Wesentliche konzentrieren, aufmerksam und realistisch werden. Wir sollen aufhören, allem Möglichen hinterherzujagen, und die Gegenwart Christi erkennen. Dann geschieht wirklich, was wir uns wünschen: Wir werden erfüllt und zufrieden, gesund und fröhlich.
Amen.

2 Gedanken zu “Achtsamkeit

  1. Liebe Gesa, ich glaube, diese App besorge ich mir auch – ich habe diese Erinnerung zur Achtsamkeit und an die Gegenwart Gottes in meinem Alltag sehr nötig!
    Danke für die Predigt!
    Christa

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