Von der Umarmung Gottes

Predigt über Lukas 15, 1- 3. 11b- 24: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
zum 3. Sonntag nach Trinitatis, 13.6.2024, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Lukas 15, 1- 3. 11b- 24

1 Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
11b Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben
15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater.
Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein!
24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Liebe Gemeinde.

Das Gleichnis, das wir eben gehört haben, kennen Sie sicher alle unter der Überschrift „Der verlorene Sohn“. Es handelt aber nicht nur von einem, sondern von zwei erwachsenen Söhnen und ihrem Vater. Der Ältere arbeitet fleißig auf dem Gut seines Vaters mit, der Jüngere dagegen will weg, und so bittet er seinen Vater, ihm sein Erbe auszuzahlen. Das tut der Vater auch, und sein Sohn zieht in die Welt hinaus. Er will seinen Spaß haben und frei sein. Aber leider geht er sehr verschwenderisch mit seinem Geld um. Es zerrinnt ihm unter den Fingern, und so kommt es nach einer kurzen Zeit des Vergnügens zum baldigen Niedergang. Der junge Mann hat nichts mehr und beginnt zu hungern. Er biedert sich einem Bürger jenes Landes an, in dem er sich gerade aufhält, und hütet seine Schweine. Das ist eigentlich ein für einen Juden unzumutbares Geschäft. Aber es geht sogar noch tiefer. Er sieht, wie die Schweine zu fressen bekommen, er selbst aber bleibt hungrig.

Und auf diesem Tiefpunkt kommt er endlich zu sich selbst. Er denkt nach und wacht auf. Er erinnert sich, wie gut es die Tagelöhner bei seinem Vater haben, und er beschließt, umzukehren. Dabei weiß er sehr wohl, dass er falsch gehandelt hat. Er bereut das aufrichtig und nimmt sich vor, seine Schuld zu bekennen. Er weiß auch, dass er sein Sohn-Sein verspielt hat, also will er bei seinem Vater als Tagelöhner arbeiten. Lieber zu Hause Tagelöhner sein, als in der Fremde unwürdig leben und hungern. Das ist seine Entscheidung. So macht er sich auf den Weg, zurück zu seinem Vater.

Sicher ist ihm dabei mulmig, denn er weiß nicht, wie dieser ihn empfangen wird. Es kann gut sein, dass er ihn von sich weist, dass er nichts mehr von ihm wissen will, weil seine Trauer und Wut größer sind, als sein Mitgefühl.

Doch das ist zum Glück nicht der Fall, es kommt zur freudigen Überraschung. Der Vater ist nicht böse oder abweisend, sondern scheint sogar schon auf seinen Sohn gewartet zu haben. Seine Gefühlsregung ist jedenfalls nur Liebe und Erbarmen. Er läuft dem Sohn entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Der Sohn sagt dann das, was er sich vorgenommen hatte, er bereut sein Verhalten und bekennt seine Schuld.

Doch der Vater scheint das gar nicht hören zu wollen. Er nimmt ihn vollkommen als seinen Sohn wieder an, gibt ihm die besten Kleider und den Siegelring und feiert ein Wiedersehensfest. Er ist fast außer sich vor Freude und begründet sein überschwängliches Verhalten mit dem Satz: „Dieser mein Sohn ist tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“

Und damit wollte Jesus etwas über Gott sagen. Er ist mit dem Vater gemeint, und wir sind die Söhne. Das Gleichnis handelt also von der vergebenden Liebe Gottes, von seiner Güte und Zuwendung gegenüber dem bußfertigen Sünder, der einfach und ohne jede eigene Leistung angenommen wird. Dadurch finden wir unser Glück und unser Heil. Lassen Sie uns also fragen, wie wir die Umarmung Gottes erleben können.

Dazu ist es gut, wenn wir uns in den jüngeren Sohn hineinversetzen. Das fällt uns möglicher Weise nicht ganz leicht, denn so sind wir natürlich nicht. Wir sind noch nie so tief gesunken, dass wir durch eigenes Verschulden fast verhungert wären. Doch hinter dem Verhalten des jüngeren Sohnes steckt auch noch mehr. Zu seinen Ausschweifungen führte nicht nur sein schwacher Charakter, sondern durchaus etwas, was uns alle betrifft: Er wollte frei sein, seinen Wünschen und Sehnsüchten nachgehen, endlich seine Bedürfnisse befriedigen und Spaß im Leben haben.

Und das ist ganz menschlich. Es steckt auch in uns. Wir wollen tun und haben, was wir uns wünschen. Geld und Vergnügen spielen dabei durchaus eine Rolle. Und wenn uns das nicht so wichtig ist, dann sind es andere Dinge, schöne Begegnungen, dass jemand uns anerkennt, aufmerksam auf uns wird. Wir wollen auch erfolgreich sein und natürlich gesund bleiben. Uns liegt auf jeden Fall viel daran, dass wir im Leben auf unsere Kosten kommen. Sicher nimmt das nicht so krasse Formen an, wie bei dem verlorenen Sohn, aber im Prinzip sind wir gar nicht so anders: Wir haben eine angeborene Gier nach Leben und tun viel dafür, dass sie gestillt wird.

Doch so einfach ist es nicht, dass sich diese Sehnsucht auch erfüllt. Ganz zufrieden und frei werden wir nämlich nie. Denn wir bleiben bei dieser Lebensweise in uns selbst gefangen. Wir kommen von uns selber nicht los. Damit das geschieht, müssten wir unser Wünschen und Wollen einmal unterbrechen. Und genau das fällt uns schwer, das wollen wir nicht, deshalb kommen wir nie wirklich zur Ruhe.

Damit es gelingt, müssen wir also umdenken und zugeben, dass wir noch mehr brauchen, als die Welt und andere Menschen uns bieten können. Das wäre der erste Schritt: Es ist die Erkenntnis, dass wir in der Tiefe unserer Seele nach etwas Großem hungern, nach noch viel mehr, als der Befriedigung unserer spontanen Wünsche. Darin besteht unsere Umkehr, uns einzugestehen, dass der Weg zum Glück und zur Freiheit in eine ganz andere Richtung geht. Er besteht darin, dass wir aufhören, hinter unserem Glück herzujagen, und erkennen, dass es längst da ist.

Das ist dann das Zweite: Wir dürfen davon ausgehen, dass Gott auf uns wartet. Er steht da, mit ausgebreiteten Armen, wir müssen einfach nur kommen, und zwar so, wie wir sind. Es spielt gar keine Rolle, ob alle unsere Wünsche erfüllt werden. Wir werden immer unbefriedigt bleiben. Aber genauso dürfen wir zu Gott gehen, mit unserer Unruhe, mit unserem Hunger nach Leben, mit unserer inneren Leere und vielleicht sogar Verzweiflung. Denn so nimmt Gott uns an, und er sieht uns schon lange, bevor wir kommen. Er geht uns sogar entgegen, empfängt uns voller Freude und umarmt uns.

Wenn wir daran glauben, und uns darauf einlassen, dann kommt es zu einer Begegnung, die uns tiefer erfüllt und beruhigt, als alles andere. Nur dadurch werden wir wirklich frei und erlöst. Denn Gott befreit uns von uns selbst. Er schließt uns so in die Arme, wie wir sind, und schenkt uns seine grenzenlose Liebe. Das ist das dritte, und das macht uns wirklich froh. Eine neue Kraft durchströmt die Seele, sie wird gesund und heil, und wir kommen endlich zur Ruhe. Alles, was wir uns gewünscht haben, geht mit einem Mal in Erfüllung, und zwar in überwältigender Weise.

Amen.

Die Kraft des Himmels

Predigt über Apostelgeschichte 1, 3- 11: Christi Himmelfahrt
9.5.2024, Himmelfahrt, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Apostelgeschichte 1,3-11

3 Jesus zeigte sich seinen Jüngern nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.
4 Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt;
5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.
6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?
7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat;
8 aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.
9 Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.
10 Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern.
11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

Liebe Gemeinde.

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen und dann würde, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.“

So dichtete Reinhard May 1974, und er brachte damit eine Sehnsucht zum Ausdruck, die wir alle kennen: die Sehnsucht vom Fliegen. Mit dem Flugzeug geht es ja auch, der Traum scheint wahr zu werden. Eigene Flügel haben wir allerdings nicht, und natürlicherweise zieht die Erdanziehungskraft uns nach unten.

Nur bei Jesus war das anders, jedenfalls als er sich von seinen Jüngern verabschiedete, da fuhr er gen Himmel. 40 Tage nachdem Jesus auferstanden war, hat Gott ihn zu sich geholt. Sein endgültiger Abschied von den Jüngern und aus dieser Welt war also nicht sein Begräbnis, sondern seine Himmelfahrt. So erzählt Lukas es in der Apostelgeschichte, und es lohnt sich, diesen Bericht einmal näher zu betrachten.

Im Mittelpunkt stehen hier die Jünger. Sie wussten nicht, wie es nach dem Tod Jesu weitergehen sollte. Sie blieben einfach erstmal in Jerusalem und warteten ängstlich ab. 40 Tage lang zeigte Jesus sich zwar immer wieder als der Lebendige, aber eine genaue Zukunftsaussage machte er dabei nicht. Das Einzige, was er ihnen auch kurz vor seine Himmelfahrt noch einmal versprach, war die „Kraft des Heiligen Geistes“, der „auf sie kommen“ und sie „zu seinen Zeugen“ machen würde. Dann wurde er vor ihren Augen entrückt, und sie schauten ihm nach. Sie erhoben ihre Häupter und blickten in den Himmel. Sie sahen dort zwar nichts mehr, aber die Fragen, die sie vorher gehabt hatten, wurden trotzdem beantwortet. Denn es kamen zwei Männer in weißen Gewändern, die sagten: „Dieser Jesus, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“

Das ist die Geschichte über Jesu Himmelfahrt. Sie wirkt zwar wie ein Märchen, aber das ist ja mit vielen Erzählungen in der Bibel so. Wir müssen die Botschaft suchen, die jeweils darin steckt, und die können wir hier durchaus finden. Wir erfahren drei Dinge, die für unseren Glauben wichtig sind.

Zunächst wird uns erzählt, dass Jesus jetzt in der Höhe wohnt, dass er bei Gott ist und dass ihm damit alle Macht gegeben wurde. Er „sitzt zur Rechten Gottes“, wie es in unserem Glaubensbekenntnis heißt. Gerhard Tersteegen hat das in seinem Himmelfahrtslied, das leider nicht mehr in unserem Gesangbuch steht, sehr schön beschrieben. Es beginnt mit den Worten: „Siegesfürste, Ehrenkönig, höchst verklärte Majestät, alle Himmel sind zu wenig, du bist drüber hoch erhöht.“ (EKG 95,1) Und das ist eine wichtige Aussage über Jesus. Er ist nicht nur ein guter Mensch und unser Bruder und Vorbild, sondern er ist genauso wie Gott von Licht und Glanz umgeben. Das ist das Erste, was in unserer Erzählung wichtig ist: Jesus ist der König über die ganze Welt.

Als Zweites hat das Folgen für unseren Glauben. Die Jünger schauten nach oben, und das ist ebenso für uns eine Blickrichtung, die sich lohnt. Man kann sich das auch ganz gut vorstellen, diesen Blick der Jünger in den Himmel. Wir tun das ja sowieso gerne, denn wir denken, da oben ist alles viel besser, da ist „die Freiheit grenzenlos“. Hier unten gibt es immer viele Konflikte und Ärger, Ängste und Sorgen, Trauer und Leid. Nicht umsonst haben wir den Ausdruck „das zieht mich runter“, denn so ist unser Erleben häufig: Die Lasten sind schwer, wir kommen nur langsam oder gar nicht voran.

Aber das muss nicht heißen, dass die Sehnsucht nach dem Himmel unerfüllt bleibt. Es gibt eine Kraft, die uns nach oben ziehen kann: Sie kommt von Jesus, er kann sie uns schenken. Wir müssen uns nur an ihn hängen, mit ihm zum Himmel fahren.

Dazu gehört es, dass wir einmal aufhören, an all das zu denken, was uns gefangen hält. Wir beschäftigen uns ja sehr viel mit unseren Nöten und suchen ständig nach Lösungen. Dem Glauben steht dieses Kreisen um unsere Probleme aber im Weg, denn ein wichtiger Schritt der Frömmigkeit besteht darin, dass wir Konflikte und Sorgen einmal nicht mehr selber lösen wollen. Wir müssen sie stattdessen – wenigstens vorübergehend – einmal aushalten und sogar versuchen anzunehmen. Das ist natürlich nicht ganz einfach. Aber es lohnt sich, denn Jesus herrscht über die dunklen Mächte, die uns gefangen halten, über das Leid und den Tod. Wenn wir auf ihn blicken, verlieren sie ihre Macht und wir empfangen seine Kraft. Das hat er seinen Jüngern zugesagt mit den Worten: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.“

Und das ist das Dritte, von dem hier die Rede ist: Wer sich Jesus anvertraut, bekommt seine Kraft geschenkt. Der Heilige Geist zieht in uns ein, wir werden herausgehoben und mit Jesus befreit. Das können wir erleben. Der Glaube hat auf jeden Fall einen Aufwärtstrend, der uns leicht und frei macht.

„Ängste und Sorgen verschwinden plötzlich, wir fühlen uns weit und lebendig. Grenzen werden aufgehoben, Großes wird klein und Wichtiges nichtig“. Denn entscheidend ist nur noch, dass Jesus für uns da ist und in uns lebt und wohnt. Dadurch entsteht eine Freude, die nicht vergeht. Sie kostet nichts und ist auch nicht anstrengend oder unerreichbar. Sie wird vielmehr jedem und jeder geschenkt, die sich danach ausstreckt. Denn seitdem Jesus in den Himmel gefahren ist, steht der Himmel für jeden Menschen offen, wir müssen uns nur selber dafür öffnen.

Das ist das Thema von Himmelfahrt, darum feiern wir dieses Fest, und das lohnt sich durchaus. Gerhard Tersteegen hat deshalb auch das Lied gedichtet, das ich schon erwähnt habe. Er war ein frommer Mensch, der im 18. Jahrhundert sehr innerlich lebte. Und er hat sein inneres Leben in vielen Liedern, Gedichten und Briefen wunderbar beschrieben. An seinen Texten merken wir, dass er das leidvolle Dasein auf der Erde angenommen hat, weil er von einem anderen Licht wusste, als dem irdischen. Er hatte den Glanz Christi vor Augen, und das hat ihn gestärkt und ermutigt. Im Vertrauen auf Christus hat er alle „Ängste und Sorgen“ verloren. Deshalb hat er sich gerne vor ihm „verbeugt und sich ihm hingegeben“.

Amen.

Das Lied lautet folgendermaßen:

  1. Siegesfürste, Ehrenkönig, höchst verklärte Majestät, alle Himmel sind zu wenig, du bist drüber hoch erhöht; sollt ich nicht zu Fuß dir fallen und mein Herz vor Freude wallen, wenn mein Glaubensaug betracht‘, deine Glorie, deine Macht?
  2. Seh ich Dich gen Himmel fahren, seh ich Dich zur Rechten da, seh ich, wie der Engel Scharen alle rufen Gloria; sollt ich nicht zu Fuß Dir fallen und mein Herz vor Freude wallen, da der Himmel jubiliert, weil mein König triumphiert?
  3. Weit und breit, Du Himmelssonne, deine Klarheit sich ergeußt und mit neuem Glanz und Wonne alle Himmelsgeister speist. Prächtig wirst Du eingenommen, freudig heißt man Dich willkommen; schau, ich armes Kindlein hier schrei auch Hosianna Dir.
  4. Sollt ich Deinen Kelch nicht trinken, da ich deine Klarheit seh? Sollt mein Mut noch wollen sinken, da ich deine Macht versteh? Meinem König will ich trauen, nicht vor Welt noch Teufel grauen, nur in Jesu Namen mich beugen hier und ewiglich.
  5. Geist und Kraft nun überfließen, drum wirk in mir kräftiglich, bis zum Schemel deiner Füßen alle Feinde legen sich. Aus Zion dein Zepter sende weit und breit bis zum Weltende; mache Dir auf Erden Bahn, alle Herzen untertan.
  6. Du kannst alles allerorten nun erfüll’n und nahe sein: meines Geistes ew’ge Pforten stell ich offen, komm herein! Komm, Du König aller Ehren, Du musst auch bei mir einkehren: ewig in mir leb und wohn als in deinem Himmelsthron!
  7. Deine Auffahrt bringt mir eben Gott und Himmel innig nah. Lehr mich nur im Geiste leben als vor deinen Augen da, fremd der Welt, der Zeit , den Sinnen, bei Dir abgeschieden drinnen, in den Himmel als versetzt, da mich Jesus nur ergötzt.

Gerhard Tersteegen, 1697- 1769




                                                                              

Fürbitte

Predigt über 2. Mose 32, 7- 14: Moses Fürbitte
5. Sonntag nach Ostern, Rogate, 5.5.2024, 8 Uhr, Gethsemanekloster Riechenberg

2. Mose 32, 7- 14

7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt.
8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.
9 Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist.
10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.
11 Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?
12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.
13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will aeure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.
14 Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Liebe Gemeinde.

Mose war auf den Berg Sinai gestiegen, um mit Gott zu reden und die zehn Gebote zu empfangen, und er blieb mehrere Tage dort. Das Volk wurde langsam ungeduldig und wollte weiter. Sie dachten: ,Wer weiß, was Mose zugestoßen ist, und Gott hat sich offensichtlich auch zurückgezogen.‘ So baten sie seinen Bruder Aaron, ihnen einen Ersatzgott zu beschaffen, und das tat Aaron. Er sammelte die goldenen Ohrringe der Frauen ein, schmolz sie und fertigte daraus ein Götzenbild in Form eines Kalbes. Sofort waren die Leute begeistert und sahen darin ihren neuen Gott, selbst Aaron war ergriffen. Er errichtete einen Altar vor dem Kalb und rief ein Fest aus. Am nächsten Morgen ging es los. Die Israeliten brachten dem Götzen Opfer dar und danach setzten sie sich, um zu essen und zu trinken und ein rauschendes, ausschweifendes Fest zu feiern. Es endete in einer wüsten Orgie. (2. Mose 32, 1- 6)

Doch Gott hatte sich keineswegs verzogen, im Gegenteil er sah das alles und sein Zorn entbrannte. Er wollte das Volk vernichten, denn es hatte ihn entehrt und beleidigt. Sie zerstörten alles, was sie bis dahin mit ihm erlebt hatten. Und auch Mose war wütend, als er vom Berg herabstieg.

Über seine Reaktion gibt es zwei Varianten. Es ist im Alten Testament oft so, dass Geschichten aus mehreren Quellen überliefert und später zu einer Erzählung zusammengelegt wurden. Hier ist es so, dass die eine Version seinen Zorn und seine grenzenlose Empörung beschreibt: Er zerschlug die Gesetzestafeln, sprach Donnerworte und zerstörte das goldene Kalb. Er befahl sogar eine willkürliche Anwendung der Todesstrafe. Danach stieg er erneut auf den Berg Sinai und versuchte, bei Gott Sühne für das Volk zu bewirken. (2. Mose 32,15-29).

In unserer Variante tat er das sofort. Hier fehlen die Strafe und die Wut, Mose hatte nur Mitleid mit dem Volk und wollte Gott besänftigen. So betete er gleich für seine Leute. Er bat um Vergebung und erinnerte Gott an den Auszug aus Ägypten, der nur durch seine starke Hand möglich geworden war. Auch die vorigen Verheißungen zählte Mose noch einmal auf, und wie peinlich es gegenüber Ägypten wäre, wenn Gott sein Werk nun nicht zu Ende führen würde. „Da tat es dem HERRN leid und er ließ das angedrohte Unheil nicht über sie kommen.“ Die Fürbitte von Mose hatte also Erfolg. Gott hat ihn erhört und seinen Entschluss geändert.

Es gibt in der Bibel viele Geschichten, in denen so etwas geschieht. Auch Jesus widmete sich oft der Fürbitte, und deshalb tun wir es ebenso. Hier im Kloster geschieht es bei jedem Mittagsgebet, und sie gehört als fester Bestandteil in jeden kirchlichen Gottesdienst. Sicher haben viele von uns auch eine persönliche Liste mit Anliegen und Personen, die sie regelmäßig vor Gott bringen. Die Fürbitte ist eine wichtige Praxis in unserem Glaubensleben.

Aber bewirkt sie eigentlich noch etwas? Das fragen nicht nur Außenstehende, sondern auch uns selber beschleichen manchmal Zweifel. Was tut Gott denn schon? Hört er uns wirklich und warum greift er nicht ein, so wie wir das von ihm erbitten? Selbstverständlich ist es nicht, dass wir an der Fürbitte festhalten.

Ich denke aber, dass sie trotzdem sinnvoll ist, und zwar aus drei Gründen. Zunächst müssen wir beachten, worum Mose hier bittet: Es ist die Vergebung, d.h. er betet sozusagen: „Dein Reich komme“. So hat auch Jesus gebetet. Er stand in einer innigen Verbindung zu Gott, war eins mit ihm und bat um das, was er den Vater tun sah. Das Gebet von Mose war dem ganz ähnlich. Er wusste, dass Gott gnädig sein kann und sein Volk in Wirklichkeit liebte, und daran hat er ihn erinnert.

Und genauso können wir beten. Das ist sehr schön in der sogenannten „Bibel zum Beten“ beschrieben. Die wurde vor einem Jahr von der „Stiftung Christlicher Medien“ (SCM) herausgegeben. Es ist eine Bibel in neuer Übersetzung, in der alle Gebete besonders hervorgehoben sind. Zu ihnen befindet sich jeweils am Rand ein kurzer Kommentar oder eine Auslegung. Viele Autoren und Autorinnen haben sich daran beteiligt. Im Anhang sind noch einige sehr schöne Ausführungen über das Gebet im Allgemeinen zusammengestellt. Und da schreibt Kristian Reschke, ein Gemeindeleiter und geistlicher Begleiter: „Die Basis der Fürbitte [ist es], Gottes Impulse in einer Sache wahrzunehmen. […] Es geht nicht darum, Gott zu drängen und zu beeinflussen, bis er einwilligt. Das wäre ja eher [Zauberei] und Manipulation. Für andere einzustehen heißt vielmehr, unsre Ideen loszulassen, Gottes Herz zu erkennen und zuzustimmen.“ (Die Bibel zum Beten, S. 1542)

Und dafür sind wir auch verantwortlich. In der Nachfolge Jesu ist uns aufgetragen, die Welt und die Menschen vor Gott zu bringen und um seinen Segen und seine Gnade zu bitten. Gerhard Tersteegen hat diese Weise der Fürbitte sehr schön in einer Liedstrophe zum Ausdruck gebracht. Sie lautet: „Sonderlich gedenke deren, die es Herr von mir begehren, dass ich für sie beten soll. Auf dein Herz will ich sie legen, gib du jedem solchen Segen, wie es Not, du kennst sie wohl.“ (EG 252,7) Das ist das Erste.

Als Zweites ist wichtig: Die Fürbitte macht auch etwas mit dem oder der Betenden. Sie besänftigt uns. Die Empörung über die Sünde oder das Unheil gewinnt nicht die Oberhand. Zorn verwandelt sich in Mitleid. Die Liebe siegt in unserem Geist und in unserem Herzen. (Die Bibel zum Beten, S. 106) Der katholische Theologe Romano Guardini hat das einmal wunderbar formuliert. In seiner „Vorschule des Betens“ schreibt er an einer Stelle: „Es ist schön im Gebet zu den Menschen hinzudenken, die einem teuer sind; in Liebe wissend ihre besonderen Schwierigkeiten, Nöte, Anliegen zu berühren und sie vor Gottes Augen zu stellen. Es ist schön, sich in seiner Sorge um den geliebten Menschen eins zu wissen mit dem sorgenden Gott und sich zu sagen, dass jener in diesem Einvernehmen geborgen ist. Es macht ruhig und zuversichtlich. Sie Sorge verliert das Beengende und Quälende; und wenn das alles nachher auch wiederkehren mag, so war die kurze Weile des Gebetes doch da und hat das Gemüt aufatmen lassen.“ (6. Auflage 1960, S. 100)

Wir gehen dadurch auch anders mit unseren Mitmenschen um und können ihnen eher das zukommen lassen, was sie wirklich brauchen.

Und drittens wissen wir nicht, wie die Welt aussehen würde, wenn es die Beter und Beterinnen nicht gäbe. Die Fürbitte ist wie ein unsichtbares Netz, das diese Welt umfängt, denn wir können davon ausgehen, dass irgendwo immer jemand ist, der betet und die Welt und die Menschen auf „Gottes Herz legt“. Vielleicht stünde es sonst noch viel schlimmer um die Welt, denn das Gebet bringt Stärke zu denen, die es brauchen, Licht zu den Leidenden, und fördert Geduld und Hingabe. Das Reich Gottes wächst.

Auch dazu gibt es ein Lied in unserem Gesangbuch. Es beginnt mit der Zeile „Der Tag, mein, Gott ist nun vergangen“. Deshalb hat man zunächst den Eindruck, dass es ein Abendlied ist. Aber es steht nicht umsonst unter der Rubrik: „Ökumene“, denn davon handelt es hauptsächlich, von der weltweiten Christenheit, in der immer irgendwo jemand wacht und betet. Es heißt darin:

„Denn unermüdlich, wie der Schimmer des Morgens um die Erde geht, ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach, das vor dir steht.
Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben den Menschen überm Meer das Licht: Und immer wird ein Mund sich üben, der Dank für deine Taten spricht.
So sei es, Herr: Die Reiche fallen, dein Thron allein wird nicht zerstört; dein Reich besteht und wächst, bis allen dein großer, neuer Tag gehört.“ (EG 266,3-5)

Amen.

Glauben, nicht wissen

Predigt über Johannes 20, 19- 29: Der Auferstandene erscheint im Kreis der Jünger
1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti
6. und 7.4.2024, 18 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Johannes 20, 19- 29

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist!
23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben.
26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Liebe Gemeinde.

Im Jahr 1274 v. Chr. verwandelte Pharao Ramses II. die schwere Niederlage in seinem Kampf gegen die Hethiter in einen triumphalen Sieg. Mit Hilfe eines monumentalen Reliefs, das die Schlacht darstellte, produzierte er bewusst eine falsche Nachricht, um die Öffentlichkeit für seine politischen Ziele zu manipulieren.

Für dieses Vorgehen gibt es ein Schlagwort: „FakeNews“. Das ist Englisch und bezeichnet Nachrichten, die im Stil echt wirken, aber gezielt Unwahrheiten in die Welt setzen. Die gibt es also schon seit Menschengedenken. Heutzutage verbreiten sie sich meistens im Internet. 2017 nahm der Rechtschreibduden den Ausdruck auf und definierte ihn als „umgangssprachlichen Begriff für Falschmeldungen, die in den Medien, besonders in sozialen Netzwerken, in manipulativer Absicht verbreitet werden“.

War die Botschaft von der Auferstehung Jesu auch so eine Falschmeldung? Ein Jünger Jesu, Thomas, sah das so, als die anderen ihm sagten: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Das war nämlich geschehen, denn „am Abend des ersten Tages der Woche […] kam Jesus und trat mitten unter sie [die Jünger], und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!“

Das war für sie ein sehr schönes Erlebnis mit guten Folgen: Sie wurden dadurch von ihrer Angst und Trauer befreit, die sie nach dem Tod Jesu ergriffen hatte. Die Furcht wich der Freude. Und noch etwas gab Jesus bei dieser Begegnung seinen Jüngern: Er schenkte ihnen „seinen Frieden“ und seinen „Geist“. Außerdem sendete er sie in die Welt, um sein Heilswirken an den Menschen fortzusetzen. Er reinigte sie von ihren Sünden und bevollmächtigte sie, in Zukunft ebenfalls Sünden zu vergeben. Er gab ihnen also eine umfassende Zusage, auch weiterhin bei ihnen zu sein und durch sie in der Welt zu handeln. Das waren die wunderbaren Wirkungen seines Erscheinens.

Doch leider war einer von ihnen nicht dabei, Thomas. Er kam zu spät, als Jesus schon wieder weg war. Deshalb wurde er gleich mit der Neuigkeit überschüttet, sie teilten ihm die gute Nachricht mit. Thomas konnte das allerdings nicht glauben. Er zweifelte daran, dass die Nachricht echt war, und forderte stärkere Beweise. Er musste Jesus auch erstmal sehen und berühren, bevor er überzeugt war.

Acht Tage später gab Jesus ihm dazu dann tatsächlich die Möglichkeit. Er tauchte noch ein zweites Mal auf, um den Wunsch von Thomas zu erfüllen. Er zeigte ihm seine Wunden und erlaubte ihm, sie zu berühren.

Doch dazu kam es dann gar nicht mehr. Thomas war bei seinem Erscheinen schon so überwältigt, dass er das Anfassen nicht mehr brauchte. Vielleicht schämte er sich sogar plötzlich für sein Begehren, denn er sagte nur noch: „Mein Herr und mein Gott!“ Er war auch durch die Begegnung schon tief ergriffen und überzeugt. Es hat sich ein Umschwung in seiner Seele vollzogen, ein völliger Wechsel vom Unglauben zum Glauben. Jesus hat den zweifelnden Jünger für sich gewonnen. Das kommt in dem vorbehaltlosen Bekenntnis zum Ausdruck, das Thomas ablegt.

Die Erzählung hat darin ihren Höhepunkt, aber es folgt noch ein abschließender Appell Jesu, ein Wort, das auch an die spätere Gemeinde gerichtet ist, das dem Evangelisten am Herzen liegt. Es ist in eine Seligpreisung gekleidet, die lautet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ D.h. in Zukunft wird nicht nur das Berühren, sondern auch das Sehen wegfallen, da wird es nur noch das mündliche Zeugnis geben, und das muss reichen. Der Glaube muss ohne das Wunder auskommen, er muss sich vertiefen und beim Hören der Botschaft entstehen.

Ursprünglich war das der Schluss des Johannesevangeliums, und das macht auch Sinn. Jesus erschien ein letztes Mal. In der Zeit danach geschieht die Begegnung mit ihm auf andere Weise. Wir sollten deshalb danach fragen, wie der Glaube ohne das Sehen und Berühren Jesu, ohne Wunder und sinnfällige Zeichen entstehen kann.

Leicht haben wir es damit auch nicht. Oft haben wir wie Thomas Zweifel: Ist die Botschaft von der Auferstehung Jesu nicht doch eine Falschmeldung? Das fragen wir uns, und das ist auch berechtigt. Wir sollten die Nachricht gründlich überprüfen.

Das dürfen wir allerdings nicht mit den üblichen Mitteln tun. Recherchen und wissenschaftliche Untersuchungen helfen uns nicht weiter. Auch das theologische Studium von Quellen oder Meinungsforschung nützen nur wenig. Wir sollten uns lieber fragen, was der Glaube an den Auferstandenen mit uns macht. Seine Wirkung unterscheidet sich nämlich erheblich von den üblichen Falschmeldungen. Sie werden wie gesagt bewusst in die Welt gesetzt, um uns zu manipulieren. Irgendjemand verfolgt ein Ziel, und meistens schürt er oder sie Angst. Wir werden verunsichert und eingeschüchtert. Es wird Misstrauen gesät, und die Gesellschaft wird gespalten. Es kann zu Hass und Gewalt kommen.

Mit dem Evangelium verhält es sich dagegen ganz anders. In unserer Geschichte werden mehrere Dinge genannt, die durch das Evangelium entstehen: Freude, Friede und die Freiheit von Sünden. D.h. wenn wir glauben, ist der Trauer ein Ende gesetzt, es gibt eine Hoffnung auf das ewige Leben. Uns wird außerdem ein Friede gegeben, der „höher ist als alle Vernunft“. (Phil.4,7) Er ist ein geistiges Gut, ein inneres Geschenk, das den aktiven Friedenswillen fördert. Und das dritte, die Sündenvergebung, geschieht bei unserer Taufe: durch sie werden wir mit Gott verbunden und neu geschaffen. Wir empfangen also wunderbare Gaben, wenn wir an den Auferstandenen glauben. Und damit haben wir bereits ein erstes Argument, das für diesen Glauben spricht.

Der Mathematiker Blaise Pascal hat das im 17. Jahrhundert bereits durchdacht und es hat ihn überzeugt. Wir nennen seine Argumentation die „pascalsche Wette“. Er hat dafür eine Analyse von vier Optionen hinsichtlich des Glaubens an Gott zusammengestellt. In Bezug auf die Botschaft von der Auferstehung Jesu können wir sie folgendermaßen übersetzen:

Sie kann wahr sein oder nicht, das sind die ersten beiden Möglichkeiten. In beiden Fällen kann man glauben oder nicht, so dass sich vier Optionen ergeben, eben zwei mal zwei.

In zwei Fällen spielt es keine Rolle, wie wir uns entscheiden, nämlich dann, wenn die Botschaft nicht wahr ist. Wir gewinnen oder verlieren weder durch den Glauben noch durch den Unglauben etwas. Für unser Leben ist es ist egal, was wir tun.

Wenn es aber wahr ist, dann unterscheiden sich die beiden Verhaltensweisen demgegenüber ganz erheblich: Durch den Glauben daran würden wir nämlich all das gewinnen, was in unserer Geschichte vorkommt: Freude, Friede und Vergebung. Wenn wir es aber nicht glauben, verpassen wir eine ganz große Chance und würden am Ende alles verlieren.

Das ist die Analyse der Möglichkeiten, und aus ihr folgert Pascal, dass es besser sei, bedingungslos an Gott zu glauben. In unserem Zusammenhang heißt das: Es kann sich nur lohnen, wenn wir uns auf die Botschaft Jesu einlassen, schaden tut es nicht. Und das ist durchaus ein gutes Argument für den Glauben, das sich aus dem logischen Denken ergibt.

Doch darin steckt auch noch mehr, als nur eine gedankliche Analyse: Es wird klar, dass wir uns für den Glauben entscheiden müssen, und das ist der zweite Punkt. So hat es auch Jesus gesehen. Er hat die Jünger in die Entscheidung gerufen, und das tut er immer noch. Bei dem Evangelium von der Auferstehung geht es nicht nur um eine Nachricht, sondern um Jesus selber. Er möchte uns begegnen, und es gilt, dafür offen zu sein. Bei Thomas ist das geschehen. Er war plötzlich ergriffen, seine Haltung ist umgeschwungen, er hat eingesehen, was wahr ist, und sich zu Jesus bekannt. Dem Zweifelnden hat sich in der Begegnung mit dem Auferstandenen erschlossen, dass ihm in Jesus Gott selber begegnet, in seiner Hoheit, Macht und Liebe. Und das können auch wir erleben, wenn wir uns für ihn entscheiden. Das ist der zweite Punkt.

Und als drittes geht es darum, dass wir dann auch in eine Beziehung zu Jesus treten, ihm vertrauen und ihm nachfolgen. Er ist der Größere, der Stärkere, der Lebendige, und es ist gut, wenn wir ihn in unser Herz lassen. Wir müssen uns an ihn binden und mit ihm leben.

Das hat der Bildhauer Ernst Barlach sehr schön in einer Plastik dargestellt, die Thomas und Jesus zeigt. Thomas hält sich da an Jesus fest, er kann ohne ihn kaum stehen, er wirkt zerzaust, schwach und hilfsbedürftig. Er braucht Jesus. 

Und so kann es uns auch gelegentlich gehen, das sollten wir zugeben: Wir sind nicht immer oben auf, sondern oft ängstlich und voller Sorgen und Nöte. Wir klammern das am liebsten aus unserem Leben aus oder verstecken es, weil wir uns dafür schämen. Denn in unserer Gesellschaft soll man möglichst immer ganz toll sein. Das ist unser Lebensgefühl und auch der Druck unter dem wir stehen. Doch das kann uns zu schaffen machen, denn die Realität ist anders. Das Scheitern und das Leid gehören ebenfalls zu unserem Leben. Und dahinein lautet die Botschaft Jesu: Das darf auch so sein. Wir dürfen schwach sein und uns an ihm festhalten. Denn er ist da. Er ergreift uns und richtet uns wieder auf. Wir müssen uns nur ihm zuwenden, uns für ihn entscheiden und uns ihm anvertrauen.

Das wäre der Glaube, der auch ohne Sehen auskommt. Jesus sagt, dass diejenigen „selig“ sind, die so glauben. Und das heißt, es geht ihnen gut, sie sind getröstet und werden geheilt. Sie sind glücklich und zufrieden. Denn ein solcher Glaube geht tiefer, als das bloße Sehen, er trägt und hält uns wirklich.

Im Unterschied zu dem Relief von Ramses II. können wir uns also getrost Bilder vom Auferstandenen anschauen und Geschichten darüber lesen. Es sind keine Fake News, die uns manipulieren und in die Irre führen, sondern Bekenntnisse, die Frieden stiften und uns froh und frei machen. Sie schenken uns alles, was wir im Leben und im Sterben brauchen.

Jesus – der „Herr der Gnaden“

Predigt über Johannes 13, 1- 15: Die Fußwaschung
Gründonnerstag, 28.3.2024, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Johannes 13, 1- 15

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.
2 Und beim Abendessen, als schon ader Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,
3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging,
4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.
5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.
6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?
7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.
8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.
9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!
10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.
11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.
12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe?
13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.
14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.
15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Liebe Gemeinde.

„Kommt her, ihr seid geladen, der Heiland rufet euch; der süße Herr der Gnaden, an Huld und Liebe reich, der Erd und Himmel lenkt, will Gastmahl mit euch halten und wunderbar gestalten, was er in Liebe schenkt.“ (EG 213,1) So dichtete Ernst Moritz Arndt 1819, und damit bringt er sehr schön zum Ausdruck, was das Abendmahl bedeutet: Es ist eine Einladung und ein Geschenk Jesu für uns.

Er hat es kurz vor seinem Tod eingesetzt. Das wird in drei Evangelien berichtet, bei Matthäus, Markus und Luklas. Im vierten Evangelium fehlt diese Geschichte, aber dass Jesus ein letztes Mal mit seinen Jüngern zu Abendbrot aß, kommt dort ebenfalls vor. Der Evangelist Johannes richtet sein Augenmerk allerdings auf ein Ereignis, das vor diesem Mahl stattfand. Das war für ihn offensichtlich wichtiger. Es ist die Fußwaschung, die Jesus an seinen Jüngern vornahm. Er wusste, dass er in der kommenden Nacht gefangen genommen würde um hingerichtet zu werden und er wollte seinen Jüngern noch einmal zeigen, dass er der „Herr der Gnaden war, an Huld und Liebe reich“. Er gab ihnen damit auch ein Beispiel für ihren Dienst aneinander. Das erklärte er ihnen zum Abschied.

Aber vorher „erhob er sich vom Mahl, zog sein Gewand aus und legte sich ein Tuch um die Lenden wie ein Sklave. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Lendentuch abzutrocknen.“ (Das Neue Testament und Frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christine Nord, Frankfurt a.M. 2003, S.343f) ) So wird es hier beschrieben. Die Fußwaschung selbst war dabei nichts Besonderes, das geschah damals immer, wenn man ein Haus betrat und sich zum Essen versammelte. Die Füße waren ja meistens staubig von der Reise, denn man ging normalerweise zu Fuß und trug nur Sandalen. Ein Sklave wusch den Gästen deshalb den Staub von den Füßen. Das war wie gesagt normal. Aber dass Jesus, der gerade im Johannesevangelium überall der Gottessohn genannt wird, das jetzt tat, das war ungeheuerlich.

Deshalb konnte Petrus das auch nicht ertragen. Zweimal wehrte er sich dagegen, und zweimal musste Jesus ihm erklären, warum er das machte. Seine zweite Antwort war sogar eher eine Warnung: „Wenn ich dir nicht die Füße wasche, dann bekommst du nichts ab von dem, was ich bin“, (s.o.) sagte er. Er machte also deutlich, dass es nicht nur irgendein Liebesdienst war, den er hier ausübte, sondern die Fußwaschung war ein Gleichnis für das, was er den Menschen sowieso schenken wollte, nämlich die Ewigkeit und die Liebe Gottes, und damit Hoffnung und Zuversicht. Mit der Fußwaschung zeigte Jesus, dass er das den Jüngern wirklich gab. Schließlich verstand Petrus das dann und ließ deshalb zu, dass Jesus ihm die Füße wusch.

Und dann folgt noch eine zweite Erklärung von Jesus. Er sagte: „Als Herr und Lehrer habe ich euch die Füße gewaschen, und nun müsst ihr euch auch gegenseitig die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr genauso handelt wie ich.“ (s.o.) Er verpflichtete seine Jünger also zu Hilfsbereitschaft und zu selbstloser Liebe.

Die Geschichte veranschaulicht sehr schön die Ermahnung Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Mt. 20, 21ff) Beide Erklärungen Jesu kommen darin vor: Die Ermahnung zum gegenseitigen Dienst und seine eigene Selbsthingabe zur Erlösung von uns allen. Es gehört zusammen und lässt sich nicht voneinander trennen. Auch wir sollten uns die beiden Erklärungen zu Herzen nehmen.

Dabei finde ich es allerdings wichtig, dass wir sie hintereinander beachten. Möglicherweise liegt uns die zweite Deutung nämlich näher: Dass wir als Christen hilfsbereit und liebevoll sein sollen, das wissen wir und das finden wir auch wichtig. Es ist ja auch relativ einfach, weil es eine klare Handlungsanweisung ist. Uns wird gesagt, was wir tun sollen. Und über so etwas sind wir meistens froh. Das ist praktisch und verständlich. Außerdem ist es schön, anderen zu helfen, denn wir werden dadurch zu guten Menschen und finden viel Anerkennung. Wir können mit dem Beispiel Jesu also etwas anfangen.

Aber ganz so einfach ist das alles leider nicht. Es gibt zwei Hürden, die uns im Weg stehen. Die erste ist die, dass wir natürlich die anderen Impulse weiter in uns haben, die der Macht und des Gegeneinanders, der Lieblosigkeit und der Ablehnung. Es gibt viele Situationen, in denen wir den anderen Menschen gar nicht so gerne dienen. In unserer nächsten Umgebung kann das z.B. so sein: Mit Familienangehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Bekannten oder anderen Gemeindemitgliedern gibt es ja oft Konflikte oder sogar Streit. Die anderen regen uns auf, wir ärgern uns über sie und es fällt uns schwer, liebevoll zu sein. Wir sind keine Heiligen. Im Gegenteil, die negativen Gefühle und Verhaltensweisen sind manchmal sehr stark und gewinnen die Oberhand.

Wenn wir uns das Weltgeschehen anschauen, merken wir das erst recht. Machthaber führen Kriege und wenden Gewalt an, Aggression und Zerstörung scheinen auf dem Vormarsch zu sein. All das ist dem Menschen möglich, es schlummert in jedem und jeder.

Es reicht deshalb nicht, wenn wir uns einfach nur etwas anderes vornehmen. So leicht kommen wir nicht gegen unsere Veranlagung an. Selbst wenn wir es versuchen, bleibt vieles kümmerlich. Unser Miteinander verläuft anders, als wir es uns vorstellen, wir scheitern an uns selbst und haben keinen Erfolg in der Liebe. Das ist die erste Hürde.

Und die zweite besteht darin, dass es schwerfällt, das zuzugeben. Der nüchterne Blick auf unser Leben ist unangenehm. Wir schauen uns unsere schlechten Seiten nicht so gerne an. Vielleicht haben wir sogar Angst davor, denn von allen Seiten wird uns eingetrichtert, dass wir gut sein müssen. Wir fürchten uns vor dem Versagen, vor der Strafe, die das eventuell nach sich zieht, vor der Ablehnung und der Verurteilung durch andere.

In der Bibel und in der christlichen Tradition ist es das Thema der Sündenerkenntnis, und das ist nicht umsonst unpopulär geworden. Wir fühlen uns dadurch klein gemacht, es ist zu negativ, zu düster und zu autoritär. Wir wollen lieber Anerkennung, etwas gelten und gut dastehen.

Das ist auch verständlich, aber sind wir auf einem guten Weg, wenn wir die Sünde einfach ignorieren? Sie ist ja da, in Form der beiden Hürden, die ich beschrieben habe, und wir sollten sie lieber ernst nehmen. Es hängt auch beides miteinander zusammen. Oft bedingt das eine sogar das andere: Wir versuchen, gut zu sein und dazu gehört es, dass wir unsere Schwächen zudecken. Wenn wir scheitern, strengen wir uns lieber noch mehr an, werden unehrlich und kommen so nie aus dem Kreislauf heraus. Wir bleiben gefangen in unseren Ansprüchen und unserem Versagen. Es entsteht keine echte Liebe, kein Friede und kein Heil. Je mehr wir es versuchen, umso weiter scheint sich das alles zu entfernen. Das ist unser Dilemma.

Doch es gibt eine Lösung, denn genau das hat Jesus erkannt. Darum ging es ihm in seiner Sendung, seiner Botschaft, seinem Handeln und schließlich in seinem Tod. Er hat mit seinem Leben und Sterben genau diesen Ablauf durchbrochen. Die Geschichte der Fußwaschung zeigt das sehr schön. Er ermahnt die Jünger darin nicht nur, sondern zunächst tut er selber etwas. Er wendet sich ihnen zu und dient ihnen, und das gilt auch für uns: Er schenkt uns sich selber, und das dürfen nicht überspringen. Seine Liebe und Barmherzigkeit müssen immer vor allem anderen stehen, nur dann werden wir erlöst. Es ist also entscheidend, dass wir seiner Einladung folgen, zu ihm kommen und uns seinen Dienst gefallen lassen.

Und das ist nicht schwer, denn vor ihm müssen wir keine Angst haben, uns nicht fürchten oder schämen, er nimmt uns so an, wie wir sind, mit all unseren Fehlern und Schwächen. Das dürfen wir glauben und darauf vertrauen.

Dann verändert sich etwas, es geschieht ganz viel mit uns. Wir können uns z.B. wirklich entspannen. Die Anstrengung fällt von uns ab, wir werden froh und ruhig und mit einer wohltuenden und heilenden Kraft erfüllt. Wir gewinnen ein ganz neues Lebensgefühl, bei dem wir uns nicht klein vorkommen, sondern frei und stark.

Und dadurch können wir plötzlich auch ganz anders miteinander umgehen. Die Nächstenliebe ist eine Wirkung der Liebe Jesu, denn wir werden selbstloser und offener, liebevoller und barmherziger. Wir geben die Gnade und die Liebe, die wir durch Jesus empfangen, ganz von selber weiter. Sie prägt unser Miteinander und ist eine Wirkung des Geschenkes, das wir von ihm bekommen haben.

Jesus wird nicht umsonst der „Heiland“ genannt. Das Wort kommt auch in dem Lied vor, das ich zu Eingang erwähnte Es ist zwar ein altmodischer Ausdruck, den wir heutzutage kaum noch verwenden, aber es ist sehr aussagekräftig. Denn darin ist das Wort „Heil“ enthalten, und das bringt Jesus uns wirklich. Er ist mehr als ein Arzt oder Therapeut, mehr als ein guter Mensch oder Prophet. Er ist vielmehr der Sohn Gottes, und was er uns gibt, hat eine göttliche Qualität. Es ist ein Geschenk des Himmels, das tiefer geht als körperliche oder seelische Gesundheit. Es beinhaltet Rettung und Erlösung aus unserer Verlorenheit.

Das Böse in der Welt wird dadurch zwar nicht gestoppt, aber überall, wo Menschen es annehmen, entstehen Inseln der Hoffnung und des Friedens. Und die sind ein Zeichen dafür, dass es das Gute und die Liebe doch gibt.

Auch das Abendmahl ist so eine Insel, denn da wird das alles sehr schön abgebildet. Ernst Arndt hat das in seinem Abendmahlslied in der zweiten Strophe formuliert. Es heißt dort: „Kommt her, verzagte Sünder, und werft die Ängste weg, kommt her, versöhnte Kinder, hier ist der Liebesweg. Empfangt die Himmelslust, die heilge Gottesspeise, die auf verborgne Weise erquicket jede Brust.“

Wenn wir das Abendmahl feiern, ereignet es sich, dass Jesus zu uns kommt. Wir empfangen ihn selber, seine Kraft und Liebe ziehen in uns ein und stiften wahre Gemeinschaft. Lasst uns das Abendmahl deshalb heute mit Dank und Freude feiern und empfangen.

Amen.

Der Blick auf das Kreuz Christi

Predigt über 4. Mose 21, 4- 9: Mose richtet die eherne Schlange auf

2. Sonntag der Passionszeit, Reminiszere, 25.2.2024, Gethsemanekloster Riechenberg, Goslar

4. Mose 21, 4- 9
4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege
5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.
7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.
8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Liebe Gemeinde.

Auf ihrer Wanderung durch die Wüste haben die Israeliten immer wieder „gemurrt“, denn sie hatten Hunger, es ekelte ihnen vor der mageren Speise und sie sahen kein Ende ihrer mühsamen Wanderung.

So eine „Murrgeschichte“ haben wir eben gehört. Sie klingt zunächst ganz harmlos, wir können uns das alles gut vorstellen und nachvollziehen, es ist menschlich. Doch dann entwickelt sich die Geschichte sehr dramatisch. Denn die Vorwürfe des Volkes richteten sich nicht nur gegen Mose, sondern hauptsächlich gegen Gott. Das Murren war nicht einfach nur Zeichen einer schlechten Stimmung, sondern zeigte an, dass die Israeliten nicht mehr an die Verheißung Gottes glaubten, sie in ein schönes Land zu führen. Und deshalb wurde Gott sehr zornig. Er schickte ihnen eine lebensgefährliche Strafe: Plötzlich waren überall „feurige Schlangen“, deren Biss tödlich war. Und es starben auch tatsächlich viele der Israeliten. Das erfüllte die Überlebenden natürlich mit Angst und Schrecken. Sie erkannten sofort, dass es die Strafe für ihre Gottlosigkeit war, und bereuten ihr leichtsinniges Murren. Sie legten ein Schuldbekenntnis vor Mose ab und baten ihn um eine Fürbitte.

Die erhörte Gott und versprach ihnen, sie von der tödlichen Bedrohung zu befreien. Aber er knüpfte das an eine Bedingung: Mose bekam den Auftrag, das Bild einer Schlange aufzustellen, auf das die Israeliten schauen sollten. „Wer gebissen ist und sie sieht, der soll leben.“ Das war Gottes Zusage, und so geschah es. Mose führte den Befehl aus, und der Aufblick zu der ehernen Schlange rettete die Menschen.

Im Neuen Testament erinnert Jesus in einem Gespräch mit dem Pharisäer Nikodemus an diese Geschichte. Er sagt dort: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ (Joh.3,14). Die eiserne Schlange ist in der christlichen Tradition also ein Bild für den gekreuzigten und erhöhten Herrn geworden. Und damit wird uns gesagt: Wer auf das Kreuz schaut, wird gerettet. Das ist die Botschaft der Geschichte für uns als Christen.

Doch wie geht diese Rettung nun vor sich? Was passiert, wenn wir auf Christus schauen? Und was gehört dazu? Die Geschichte kann uns dazu etwas sagen. Es hat nämlich eine Bedeutung, dass es gerade das Bild einer Schlange war, das die Menschen gerettet hat. Dahinter steckt eine altertümliche Vorstellung: Man glaubte, dass man die Macht gefährlicher Wesen durch die Darstellung ihres Urbildes bannen konnte. Entscheidend war dabei die Verehrung dieses Bildes, der Aufblick und das Hinsehen. Dadurch empfing man heilende Kräfte.

Und genauso ist es mit dem Kreuz. Es ist ebenfalls ein Abbild für die Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, denn wir haben damit den Tod und unsere eigene Sünde vor Augen. Doch genauso wie bei der ehernen Schlange geht gerade deshalb eine heilende Kraft von ihm aus.

Und wie wir die empfangen, erkennen wir am besten, wenn wir zunächst in unser Leben schauen. Das ist auch oft wie eine Wüstenwanderung, voller Herausforderungen und Härten. Es tauchen immer wieder Probleme auf. Das kann z.B. ein Konflikt sein, eine Krankheit, Stress am Arbeitsplatz usw. Wir verlieren in solchen Situationen leicht die Geduld. Wir „murren“, werden ärgerlich und müde.

Wir machen auch gerne andere dafür verantwortlich, wenn es uns schlecht geht, den Ehepartner, die Vorgesetzte, die Ärzte oder wer weiß wen. Und manchmal richten auch wir uns dabei gegen Gott. Wir geben ihm die Schuld für unser Elend.

Doch mit Klagen und Murren führen wir keine Lösung herbei. Und es ist auch nicht ganz so harmlos, wie wir vielleicht meinen. Die Israeliten machten sich damit ja vor Gott schuldig und wurden bestraft, weil es ihre Gottlosigkeit offenbarte. Und das trifft auch auf uns zu. Denn wir missachten dabei all das, was er längst für uns getan hat. Wir denken überhaupt nicht mehr an seine Liebe und an seine Zuwendung. Und damit versündigen auch wir uns an ihm. Wir laden Schuld auf uns, und das ist für uns genauso folgenschwer, wie für die Israeliten. Es tritt das ein, was in unserer Geschichte mit der Strafe gemeint ist: Das Leben wird noch viel schlimmer, es richtet sich erst recht gegen uns. Geist und Seele verdüstern sich, die Geduld nimmt ab und der Unmut verstärkt sich. Es ist wie ein Sog, der seine eigene Kraft entwickelt und uns irgendwann beherrscht. Giftige Schlangen umgeben uns und wollen uns töten. Das ist die Situation, in der wir uns oft befinden.

Doch genau dahinein ist das Kreuz Christi aufgerichtet, und von ihm geht die Rettung aus, die wir brauchen. Wir müssen es nur anblicken, dann kann es uns vor dem Untergang bewahren.

Denn dabei geschieht dreierlei. Erstens hören wir damit auf, uns schlechte Gedanken zu machen. Wir beenden unsere Ungeduld und unseren Ärger und harren stattdessen vor dem Kreuz aus. Die Probleme sind noch nicht gelöst, aber wir beschäftigen uns nicht mehr mit ihnen. Anstatt nach unten oder zur Seite zu schauen, in die Vergangenheit oder die Zukunft, sind wir einfach nur da und blicken nach oben. Das ist der erste Schritt.

Das zweite ist die Tatsache, dass wir dabei unserer eigenen Sünde einmal in die Augen schauen. Die Vorwürfe und Schuldzuweisungen an andere sind ja wie der Versuch, vor uns selber zu fliehen und auszuweichen. Und genau das tun wir nicht mehr, wenn wir auf das Kreuz blicken. Wir setzen uns stattdessen dem Leiden und Sterben Christi aus, und damit sehen wir unsere eigene Schuld und unser eigenes Sterben. Und genau das gehört dazu, wenn wir gerettet werden wollen. Wir müssen ehrlich sein und unsere Verlorenheit erkennen. Das ist der zweite Schritt.

Und das Dritte ist die Heilung, die wir dadurch an unserer Seele erfahren. Denn wir können unsere Sünde am Kreuz abladen. Christus trägt sie für uns, bis er darunter stirbt. Er war dazu in der Lage, denn er war der Sohn Gottes. Was dabei deshalb zählt, ist auch nicht sein Sterben, sondern letzten Endes der Sieg, den er für uns erworben hat. Er hat durch sein Sterben die Macht der Sünde gebannt und den Tod überwunden. Ich beschäftige mich beim Anblick des Kreuzes also nicht nur mit irgendeiner Hinrichtung, sondern ich setze mich einer ganz anderen Realität aus. Es geht um die Wirklichkeit der Liebe und Gnade Gottes, die ich beim Anblick des Kreuzes erfahren kann. Sie macht mich frei. Und das bedeutet Heilung an Leib und Seele. Die dunklen Mächte werden gebannt, die Bedrohung lässt nach und wir werden nicht mehr vergiftet. Es besteht kein Grund mehr zum Klagen und Jammern, weil die Gegenwart und Liebe Gottes stärker ist als die Not. Das Chaos ordnet sich, Konflikte werden entschärft, Stress fällt von uns ab, und manchmal werden wir dadurch sogar gesund. Auch andere Menschen sehen wir plötzlich anders, wir werden freundlicher und liebender, geduldiger und barmherziger. Selbst der Tod verliert seine Schrecken, denn so wie Jesus mit seinem Sterben in die Arme Gottes gefallen ist, werden auch wir aufgefangen.  

Der Pfarrer und Lyriker Johannes Jourdan hat diesen Vorgang 1978 sehr schön mit einem Passionslied zum Ausdruck gebracht. Es lautet folgendermaßen:

„1. Wenn ich vor deinem Kreuze stehe und mich in deinem Bilde sehe, erkenne ich, dass du mich liebst, denn du, Herr, bist zu mir gekommen, hast meine Schuld auf dich genommen, dass du sie mir am Kreuz vergibst.
2. Wenn ich vor deinem Kreuze stehe und mich in deinem Bilde sehe, erfüllt mich neue Zuversicht. Wenn das Vergangene nicht rastet und mich die alte Schuld belastet, ist es dein Kreuz, das lauter spricht.
3. Wenn ich vor deinem Kreuze stehe und mich in deinem Bilde sehe, macht mich dein Leidensweg ganz still. Lass mich im Elend nicht verzagen und lass mich dir mein Kreuz nachtragen und gläubig sagen: Wie Gott will!
4. Wenn ich vor deinem Kreuze stehe und mich in deinem Bilde sehe, dann lässt du mich den andern sehn. Du hast ein Beispiel uns gegeben, dass wir wie du für andere leben und uns als Liebende verstehn.
5. Wenn ich vor deinem Kreuze stehe und mich in deinem Bilde sehe, weiß ich, dass ich geborgen bin. Du lässt mich einst im Frieden sterben, lässt mich das wahre Leben erben und machst mein Ende zum Beginn.“

(Gesangbuch der Evangelischen Büdergemeine, Basel 2007, Nr. 290)

Amen.

Die Geschenke der drei Weisen an der Krippe

PREDIGT über Matthäus 2, 1- 12: Die Weisen aus dem Morgenland
nach Epiphanias, Donnerstag, 11.1. 2024, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Matthäus 2, 1- 12
1 Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:
2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.
3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,
4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.

5 Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten:
6 »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«

7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,
8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.

9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.
10 Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut

11 und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.
12 Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Liebe Gemeinde.

Die drei Könige aus dem Morgenland fehlen in keinem Krippenspiel. Auch in Weihnachtsoratorien kommen sie vor, ebenso auf Bildern und Gemälden von der Geburt Jesu. Und als Figuren gehören sie zu jeder Krippe. Zudem gibt es viele Erzählungen, die sich um sie ranken, und in der katholischen Kirche ist aus der Geschichte der Brauch der Sternsinger hervorgegangen.

Dabei wissen wir gar nicht so genau, wer sie wirklich waren. vermutlich kluge und gebildete Männer aus der Gegend des heutigen Iran, die sich mit Sternenkunde beschäftigten, Astrologen also. Sie kannten sich mit den Gestirnen des Himmels aus, und sie wussten gleichzeitig von einer alten Sage aus der Vorzeit ihres Volkes. Danach bedeutete die Konstellation der Sterne, die sie erblickten, dass der König der Welt, der Herr des Himmels und der Erde geboren würde. Das erfüllte sie mit großer Hoffnung. Sie wollten diesen König unbedingt sehen und machten sich auf den Weg. Sie brachen von zu Hause auf und wanderten mehrere Wochen lang Richtung Westen.  

Ihr Wegweiser war der Stern, der sie nach Bethlehem führte. Sie kannten den kleinen Ort nicht, deshalb verfehlten sie ihn zunächst auch und landeten in Jerusalem. Aber da war nur Herodes, der sie dann nach Bethlehem schickte. Als sie ankamen, wussten sie: Sie hatten das Ziel erreicht. Obwohl alles ganz anders aussah, als sie sich das vorgestellt hatten, erkannten sie in dem kleinen Kind, das da in einem Stall lag, den Sohn Gottes. Sie glaubten sofort daran, dass sie den richtigen gefunden hatten, fielen auf die Knie und beteten ihn an.

Und sie gaben ihm ihre Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Das waren eigentlich keine Sachen für ein kleines Kind, sondern eher merkwürdige Dinge. Was sollte das also?

Das erste verstehen wir wahrscheinlich noch. Es war Gold, und das war auch damals schon sehr wertvoll. Damit konnten auf jeden Fall Maria und Joseph etwas anfangen. Sie konnten Jesus davon etwas kaufen oder es aufbewahren, damit er später etwas davon hatte. Aber Weihrauch und Myrrhe? Beides sind luftgetrocknete Gummiharze. Das eine wird bis heute als „heiliges Räucherwerk“ verwendet, d.h. es wird in Gottesdiensten eingesetzt, um eine sakrale Stimmung zu erzeugen. In der evangelischen Kirche benutzen wir es nicht, aber einige von Ihnen kennen es sicher aus katholischen Gottesdiensten. Da wird es zu besonders feierlichen Handlungen entzündet und der Rauch wird in der Kirche verbreitet.Aus der Myrrhe gewann man z.Zt. Jesu ein Öl, mit dem vor allem die Verstorbenen einbalsamiert wurden. Beides war zwar sehr kostbar – d.h. die Weisen schenkten Jesus wertvolle Dinge – aber ihre Geschenke hatten auch noch eine symbolische Bedeutung. Das vermuten wir jedenfalls.

Die Geschichte ist ja eine Legende, d.h. eine Erzählung, die keine geschichtlichen Fakten wiedergibt, sondern erbaulich sein soll. Sie will etwas verkündigen und den Glauben stärken. Deshalb entstehen Legenden und werden überliefert. Ihre Aussagen enthalten darum immer ein Stück Wahrheit, etwas, worüber es sich lohnt, nachzudenken, selbst wenn sie historisch ungenau sind.

Und von solchen Elementen gibt es hier viele: Der Stern, die Wanderung der Weisen, und dass sie aus einem anderen Land kamen, all das hat eine Bedeutung: Der Stern ist ein Symbol für das Licht, das mit Jesus gekommen ist. Die Wanderung weist darauf hin, dass Glaube Aufbruch und Bewegung beinhaltet. Die Anbetung Jesu durch drei Menschen, die nicht Juden waren, soll sagen, dass Jesus für die ganz Welt gekommen ist. Seine Sendung ist universal. Aber auch die drei Geschenke haben eine Bedeutung: Sie sagen etwas darüber, wer Jesus war, und es lohnt sich, darüber nachzudenken. Lassen Sie uns die Geschenke deshalb noch einmal näher betrachten und versuchen, ihren Sinn zu verstehen.

Das erste, das Gold, weist darauf hin, dass er ein König war, d.h. er regierte über ein Reich. Er war ein Herrscher und hatte Macht. 

Der Weihrauch sollte zeigen, dass er außerdem ein Priester war, d.h. er stand Gott nahe und konnte zwischen Gott und den Menschen vermitteln.

Und die Myrrhe deutet bereits auf seinen Tod hin. Er starb am Kreuz, und wir glauben, dass das einen tiefen Sinn hat: Er nahm damit die Sünden der Menschen auf sich und schenkte ihnen Vergebung.

Wir erfahren also durch die Geschenke der Weisen, wer Jesus war, und das ist für unseren Glauben an ihn wichtig, denn damit werden wir zu einem ein ganz bestimmtes Verhalten aufgefordert. Wir bekommen Hinweise, wie ein christliches Leben aussehen soll.

Das Gold sagt uns, dass Jesus ein König ist, d.h. wir müssen ihm mit Ehrfurcht begegnen. Dabei ist sein Reich nicht von dieser Welt. Es ist ein zukünftiges Reich, das Reich Gottes, das eines Tages kommen wird. Mit Jesus hat es bereits angefangen, aber das merken wir nur, wenn wir ihn anbeten, wenn auch wir niederknien, uns selber zurücknehmen und still werden. Wir dürfen staunen und ihn bewundern. Keiner und keine von uns muss selber der oder die Größte sein, sondern wir dürfen uns vor einem Größeren verbeugen. Es gilt, ihm unser Leben zu schenken. Wir verlieren dabei nichts, sondern es entsteht auch in uns eine große Freude. Das ist das erste.

Das zweite, der Weihrauch, sagt, dass Jesus ein Priester ist. D.h. wir dürfen uns an ihn wenden. Er möchte, dass wir glauben und beten, dass wir Gott vertrauen und auf seine Stimme hören. Durch Jesus spricht Gott zu uns, er zeigt uns seinen Willen und seine Gebote, ebenso seine Liebe und seine Fürsorge. Wir werden dazu aufgefordert, immer wieder Gottesdienst zu feiern, seine Nähe zu suchen und an ihn zu denken. Dann gewinnen wir Hoffnung und innere Ruhe. 

Und das dritte Geschenk, die Myrrhe, erinnert an den Tod Jesu. Sein Weg war schon in der Krippe vorgegeben. Das Kreuz stand von Anfang über seinem Leben, und das wusste er auch. Gott hatte es ihm auferlegt, es war sein Auftrag, für die Menschen zu sterben. Und das heißt: Wir sind nicht allein, wenn es dunkel um uns wird, wenn wir in Sünden verstrickt sind oder traurig sind, wenn wir nicht mehr weiterwissen. Dann ist Jesus bei uns, er trägt die Lasten für uns und macht sie leichter. Wir müssen damit nur zu ihm gehen, sie bei ihm ablegen und seine Barmherzigkeit empfangen.

Wenn wir das alles beachten, werden wir aufgerichtet und bekommen neue Hoffnung. Wir werden gelassener, erfüllter und ausgeglichener. Lassen Sie uns deshalb genauso wie die Sterndeuter dem „schönen Morgenstern“ folgen und Jesus in unserem Herzen begrüßen. (vgl. EG 70).

Amen.

In Frieden zur Ruhe kommen

Predigt über Lukas 2, 22- 35: Der Lobgesang des Simeon
Vorabend vom Sonntag nach Weihnachten, 30.12.2023, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Lukas 2, 22- 35

22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn hinauf nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,
23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn: »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«,
24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«
25 Und siehe, ein Mensch war in Jerusalem mit Namen Simeon; und dieser Mensch war gerecht und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war auf ihm.
26 Und ihm war vom Heiligen Geist geweissagt worden, er sollte den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
27 Und er kam vom Geist geführt in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;
30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
31 das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern,
32 ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel fallen und viele aufstehen, und ist bestimmt zu einem Zeichen, dem widersprochen wird –
35 und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen –, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden.

Liebe Gemeinde.

Worauf hoffen und vertrauen wir? Was trägt und erfüllt uns? Was macht uns Mut und gibt uns Trost? Wer durchbricht unsere Einsamkeit? Diese Fragen beschäftigen uns immer wieder, besonders, wenn wir auf einen Zeitabschnitt zurückblicken. Und das tun wir heute in mehrfacher Hinsicht: Wir sind am Ende des Tages angekommen, am Ende der Woche und auch am Ende des Jahres. Für einige von euch ist vielleicht sogar das Ende des Lebens bereits in Sicht und beschäftigt euch in Gedanken.

So ging es Simeon, einem alten Mann, der im Lukasevangelium in den sogenannten Kindheitserzählungen über Jesus erwähnt wird. Die Episode, um die es geht, schließt sich an die Geburtsgeschichte an und spielt im Tempel von Jerusalem. Das Gesetz des Moses schrieb vor, dass eine Frau 40 Tage nach der Geburt in den Tempel gehen sollte, um dort ein Opfer zu bringen. Sie galt dann wieder als rein, denn ihre Blutungen hatten mit Sicherheit aufgehört. Maria verhielt sich entsprechend und sie hatte ihr Kind dabei. Denn für einen Erstgeborenen galt, dass er gleichzeitig dem Herrn dargestellt werden sollte, d.h. er sollte in besonderer Weise zu Gott gehören.

Und dort im Tempel traf Maria Simeon, einen „gerechten und frommen“ alten Mann. Sein Leben lang wartete er auf „den Trost Israels“, den Retter, den die Propheten verheißen hatten. Er war ein „Träger des Heiligen Geistes“, also ein Prophet, der ganz nach den Weisungen Gottes für das persönliche Leben handelte. In einer Offenbarung war ihm mitgeteilt worden, dass er die Geburt des Messias noch erleben würde. Vom Geist geleitet kommt er nun an demselben Tag wie Maria in den Tempel und sieht, wie die Eltern das Kind an diese heilige Stätte bringen. Er nimmt es zärtlich auf die Arme und erlebt in diesem Augenblick die Erfüllung seiner Sehnsucht und Hoffnung, die ihn das Gotteslob anstimmen lässt. Voll Freude preist er Jesus mit einem Hymnus und segnet seine Eltern.

Er beginnt mir der Anrede „Herr“, damit meint er Gott, und erklärt seine Bereitschaft, nun zu sterben. Er kann jetzt „in Frieden fahren“, denn er hat das Ziel erreicht, das Gott für ihn vorgesehen hat. Seine Seele ist ruhig geworden, seine Sehnsucht ist gestillt. Er kann im Bewusstsein des Heils Abschied nehmen. Sein Leben ist nicht nutzlos gewesen, denn nun „sehen seine Augen das Licht, das die Heiden erleuchtet“, d.h. die ganze Welt erhellt.

Wir nennen sein Lied den „Lobgesang des Simeon, und es wird bis heute gesungen. Er ist z.B. in das Nachtgebet der Kirche eingegangen. Und wie es bei allen biblischen Gesängen üblich ist, gehört eine Antiphon dazu, ein Kehrvers, der am Anfang und am Ende gesungen wird. Er lautet für den Gesang des Simeon: „Bewahre uns, Herr, wenn wir wachen, behüte uns, wenn wir schlafen, auf dass wir wachen mit Christus und ruhen in Frieden.“ (EG 786.10) Es ist eine Bitte um Hilfe und Schutz während der Nacht. So wie Christus uns „bewahrt, wenn wir wachen„, möge er uns auch „im Schlaf behüten“ und uns „in Frieden ruhen“ lassen. Und das passt gut zu den Versen von Simeon. Er bekennt sich dazu, dass Christus das kann, und dass seine Seele dadurch still und zufrieden geworden ist. Wir sind eingeladen, es ihm gleich zu tun und uns immer, wenn etwas zu Ende geht, Christus anzuvertrauen.

Es gibt deshalb auch ein Abendlied, das seinen Hymnus enthält: „Christe, du bist der helle Tag“. (EG 469) Nach dem Abendmahl singen wir es ebenfalls gerne mit dem Text: „Im Frieden dein, o Herre mein, lass ziehn mich meine Straße.“ (EG 222) Und Luther dichtete nach seinen Worten ein Lied, das im Gesangbuch zu der Rubrik gehört, „Sterben und ewiges Leben“. Es beginnt mit der Zeile: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin in Gotts Wille; getrost ist mir mein Herz und Sinn, sanft und stille.“ (EG 519)

Und zu all diesen Situationen passt das Lied tatsächlich sehr gut. Ich erwähnte am Anfang, dass wir heute an vier Dinge denken, die zu Ende gehen: der Tag, die Woche, das Jahr und das Leben. Lasst uns diese Begebenheiten noch einmal durchgehen und fragen, wie das Lied des Simeon darauf eingeht.

Das erste ist der Abend, das Ende des Tages. Da kommt irgendwann die Müdigkeit. Tagsüber waren wir aktiv, haben gearbeitet, Menschen getroffen, geredet, gelacht oder geweint. Nun kommen die Stunden, in denen wir uns ausruhen dürfen. Das ist schön, wir freuen uns darüber und entspannen uns.

Doch nicht immer gelingt uns das. Oft nehmen wir das Erlebte mit in den Abend und in die Nacht, und manchmal sind es Dinge, die uns umtreiben und am Einschlafen hindern. Die Dunkelheit ist nicht nur um uns herum, sie ist auch in uns und bedrängt uns vielleicht.

Dann ist es gut, wenn wir uns daran erinnern, dass es ein Licht gibt, das selbst „die Heiden erleuchtet“. Besonders am Abend kann uns das trösten, denn es relativiert unsere persönlichen Nöte, es dringt durch jede Finsternis, ist universal und scheint überall. Es wurde uns mit dem Kind Jesus geschenkt, und es tut gut, wenn auch wir dieses Kind im Geist an uns drücken, bevor wir uns schlafen legen, wenn wir es umarmen und seine Liebe empfangen. Dann werden unsere Probleme kleiner und unsere Seele ruhig.

Aber auch am Ende der Woche kann das Lied des Simeon uns etwas sagen. Jede Woche hat einen Rhythmus, sie besteht aus vielen Tagen, jeder hat seinen eigenen Charakter. Oft wiederholen sich bestimmte Geschehnisse Woche für Woche, manchmal passieren auch unvorhergesehene Dinge. Es gibt Hohes und Tiefes, einiges gefällt uns gut, anderes sind eher Pflichten. Schönes und Schweres ist dabei, es ist uns etwas gelungen, anderes nicht.

Am Wochenende dürfen wir von all dem ausruhen, so wie Gott es nach der Erschaffung der Welt tat. „Er ruhte von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.“ heißt es am Ende der Schöpfungsgeschichte. (1. Mose 2,2) Das sollen auch wir, und es hilft, wenn wir uns fragen: Habe ich in der vergangenen Woche „den Heiland gesehen“? Habe ich mir bewusst gemacht, dass Gott da ist? Wenn es noch nicht geschehen ist, ist jetzt der Augenblick dafür gekommen, damit auch wir am Ende der Woche singen können: „Meine Augen haben den Heiland gesehen.“ Das ist das zweite, wozu das Lied uns einlädt.

Und drittens ist heute das Ende des Jahres ganz nah, morgen ist der letzte Tag. Da halten wir ganz bewusst Rückschau: Wir haben die Feste gefeiert, die jedes Jahr wieder kommen, hatten Geburtstag, sind durch die verschiedenen Jahreszeiten gegangen usw. Unser Lebensweg wird uns bewusst. Und natürlich denken wir in dem Zusammenhang auch an all die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, die sich zugetragen haben. Vieles davon beunruhigt uns, es ist bedrohlich und schrecklich.

Da ist es gut, wenn wir daran glauben können, dass es das „Heil für die Völker“ gibt, besonders „für Israel“, wie Simeon bekennt. Wir sollten nicht nur auf das Schlimme schauen, sondern auch auf das Gute, und Gott trotz allem loben und ihm danken. Was auch immer in der Welt und in unserem Leben geschieht, er ist da und meint es gut mit uns. Das Leid entsteht fast ausschließlich dadurch, dass die Menschen das vergessen und es missachten. Doch zu denen müssen wir nicht gehören. Wir können uns unter den Willen Gottes beugen, seine Macht anerkennen und ihn ehren. Auch dazu lädt der Lobgesang des Simeon uns ein.

Und das Letzte, das ich anfangs erwähnt habe, ist das Ende unseres Lebens. Wir werden alle älter, es lässt sich nicht aufhalten. Wenn wir jung sind, macht es uns nichts aus, da sind wir gespannt und voller Pläne. Im Alter ändert sich das, denn da werden wir schwächer, unsere Lebenskreise werden kleiner, und wir sind irgendwann auf Hilfe angewiesen. Das ist nicht leicht, es macht uns Angst und vielleicht so ein bisschen bitter.

Deshalb ist es gut, wenn wir wie Simeon loslassen und Abschied nehmen. Er beginnt sein Lied mit dem Satz: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Er ist bereit, zu sterben, denn er weiß, er hat das Ziel nicht verfehlt. Das Licht, das er erblickt, verheißt ihm auch: Nach dem Tod kommt noch mehr, das Schönste liegt noch vor mir. In dem Kind Jesus leuchtet die Ewigkeit auf, und die wirft ihre Strahlen bereits auf seinen Weg. Sie leuchtet von vorne und macht ihm den Abschied leicht.

All das enthält das Lied des Simeon, und deshalb ist es – wie gesagt – bis heute in unserer Tradition lebendig: als sogenanntes Canticum, d.h. als Neutestamentlicher Gesang im Nachtgebet, als Lied am Abend, nach dem Abendmahl und beim Sterben. Dabei kann man diese Lieder ruhig auch bei anderen Gelegenheiten singen. So enthält das eine zwar eine Strophe, die sich auf das Abendmahl bezieht, aber das kann man auch bildlich verstehen. Sie lautet: „Mir armen Gast bereitet hast das reiche Mahl der Gnaden. Das Lebensbrot stillt Hungers Not, heilt meiner Seele Schaden. Ob solchem Gut jauchzt Sinn und Mut mit alln, die du geladen.“ (EG 222,2). Auch wenn wir nicht gerade das Abendmahl gefeiert haben, können wir dafür trotzdem danken, denn das „Lebensbrot“ gibt es immer. Der Ausdruck kann ein Gleichnis dafür sein, dass Gott unseren inneren „Hunger“ stillen und „unsere Seele heilen“ möchte. Und das tut er auf vielerlei Weisen, das Abendmahl ist nur eine davon. Gott „schenkt uns seine Gnade“ ebenso im Gottesdienst, beim Gebet, in Begegnungen und besonderen Momenten. Er wartet zu jeder Zeit auf uns und „lädt uns ein“, in seine Gegenwart zu treten. Lasst uns darüber „jauchzen“ und seine „Freundlichkeit verkünden“, im Leben und im Sterben.

Amen.

Wir sind Kinder Gottes

Predigt über Galater 4, 4- 7: Befreiung zur Gotteskindschaft

Heiligabend, 24.12.2023, 17 Uhr, Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

„Morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun. Welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unserm Hause sein. Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag.“

Das haben Sie gestern vielleicht gesungen oder zumindest gedacht, und heute ist es soweit. Das Fest ist da und die Freude ist groß, so wie auch „im vor’gen Jahr es am Weihnachtsabend war.“ „Die Stube glänzt von der großen Lichterzahl“, wir singen Lieder und hören die Glocken.  

Aber ist es wirklich alles so wunderschön, hell und fröhlich, wie das Lied es beschreibt? Wir wünschen uns das zwar, bereiten alles vor und tun, was wir können, damit das Fest gelingt. Aber so ganz einfach ist es ja nicht, dass die Weihnachtsfreude auch wirklich kommt. Kindern fällt das leichter, als uns Erwachsenen, und so ein bisschen sehnen wir zu Weihnachten auch in unsere Kindheit zurück. Wir würden gerne noch einmal Kinder sein. 

Und das ist möglich, es wird uns Weihnachten sogar verheißen. Unser Predigttext handelt davon. Er steht im Brief des Paulus an die Galater im 4. Kapitel und lautet folgendermaßen:

Galater 4,4- 7

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Paulus schreibt das den Menschen in der Gegend Galatien, das liegt in der heutigen Türkei. Er war dort als Missionar tätig gewesen, und viele Menschen hatten die Botschaft angenommen, dass Gott durch Jesus Christus gekommen war und allen seine Liebe schenkte. Paulus hatte mit ihnen, den Bekehrten, eine Gemeinde gegründet und war dann weitergereist.

Doch nicht lange nach seinem Wirken waren Leute in die Gemeinde eingedrungen, die behaupteten, dass der Glaube an Jesus allein doch nicht ausreichte. Sie ermahnten die Menschen, auch weiterhin das jüdische Gesetz einzuhalten, sonst würde Gott sie nicht lieben.  

Paulus hörte davon, und es ärgerte ihn. Er schrieb deshalb seinen Brief, in dem er auf diese Fragen einging. Das Thema kommt auch in unserem Abschnitt vor. Paulus sagt da: Jesus Christus hat die, „die unter dem Gesetz waren, erlöst.“ Die Menschen sollten keine Knechte Gottes mehr sein, sondern seine Kinder. Sie sind frei vom Gesetz geworden, weil seine Liebe in Jesus Christus erschienen ist. Wer an ihn glaubt, wird selber ein Kind Gottes, und zwar völlig umsonst. Er muss überhaupt nichts dazu tun, es wird ihm einfach geschenkt. Gott nimmt jeden und jede, die an Jesus Christus glaubt, aus Gnaden an. Keiner muss mehr etwas leisten, um ihm gerecht zu werden.

Der Geist Christi wirkt vielmehr in denen, die Kinder Gottes geworden sind, und lässt sie frei vor Gott treten. Das verspricht Paulus den Galatern mit den Worten: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater.’“ „Abba“ heißt so viel wie „Papa“. Im Judentum war es völlig unüblich, Gott so anzureden, das traute sich niemand. Aber Paulus hat das von Jesus übernommen, und der tat es ganz bewusst, um zu zeigen, dass Gott uns nahe ist. Wir dürfen ihn alle so nennen. Christen und Christinnen dürfen vor Gott treten wie Kinder vor ihren Vater. Das Verhältnis ist von Liebe und Vertrauen geprägt. Seitdem Gott seinen Sohn gesandt hat, hat sich also etwas zwischen ihm und den Menschen geändert. Alle, die an ihn glauben, sind seine Söhne und Töchter geworden. 

Das ist die Weihnachtsbotschaft, und sie enthält die Verheißung, dass wir durchaus so etwas erleben können, wie die Kinder, Freude und Unbeschwertheit, Freiheit und Sorglosigkeit.

Doch wie geht das nun? Den Kindern ist es vielleicht möglich, aber wie ist es mit uns Erwachsenen? Wir denken ja viel mehr nach, wissen auch mehr und hören täglich schlimme Nachrichten. Der Spiegel hat auf die Titelseite seiner Jahres-chronik die Schlagwörter geschrieben: „Kriege, Klima, künstliche Intelligenz“. Und darunter steht: „Die Welt im Wandel“. Damit ist fast schon alles gesagt, auf jeden Fall sind es die Themen, die uns wirklich beunruhigen. Sie machen uns Angst und verunsichern uns. Können wir überhaupt unbeschwert Weihnachten feiern, angesichts all dieser Bedrohungen? Wie verhalten wir uns am besten?

Mir sind dazu weitere Wörter eingefallen, die mit dem Buchstaben „K“ beginnen. Die einen „krakeelen, kleben und kämpfen“, andere setzen auf „Kerzen, Kekse und Kuscheln“. Es gibt jedenfalls ganz verschiedene Wege und Methoden, auf die Probleme der Zeit zu reagieren. Wir können aktiv werden, protestieren und uns einmischen. Eine andere Möglichkeit ist es, Augen und Ohren zu verschließen, die Probleme zu ignorieren und sich ins Private zurückzuziehen. Dazwischen gibt es natürlich noch weitere Methoden, wie wir mit dem Leben und der Welt am besten fertig werden. Es gibt da viele Ideen und Wege, und die sind auch legitim und gut. Wir dürfen rebellieren, es uns einfach gemütlich machen oder was auch immer. Jeder und jede ist frei, das zu tun, was ihm oder ihr am meisten liegt.

Doch wie passt die Weihnachtsbotschaft da nun rein? Sie scheint gegen all das irgendwie zu verblassen, sie kommt uns schwach und unbedeutend vor.

Aber ist sie das wirklich? Auch sie handelt von etwas, das mit „K“ beginnt, und zwar von einem „Kind“ in einer „Krippe“, das noch ganz „klein“ war. Und dieses Kind ist kein gewöhnliches, sondern der Sohn Gottes. Was uns zu Weihnachten verkündet wird, liegt demnach auf einer ganz anderen Ebene, es durchbricht unser herkömmliches Denken und Handeln. Das gilt es, zu erfassen, und das heißt, wir müssen uns auf einen bestimmten inneren Vorgang einlassen. Paulus nennt ihn das „Wirken des Geistes Jesu“. Der kann in uns beten, d.h. er öffnet uns für eine tiefere Dimension. Und am besten empfangen wir ihn, wenn wir vieles von dem, was Kinder noch haben, bewusst einüben und wieder gewinnen.

Das ist zunächst einmal ihr Vertrauen. Kinder stellen zwar auch Fragen und wollen vieles wissen, aber wenn sie eine Antwort bekommen, glauben sie auch, dass sie wahr ist. Sie sind offen und unbefangen und nehmen sie an. Und das wäre das Erste, was wir wieder lernen müssten, jedenfalls in unserer Beziehung zu Gott: Dass wir ihm vertrauen und an ihn glauben. Damit durchbrechen wir sowohl die Privatheit als auch den Aktivismus. Wir lassen uns in unserer Seele anrühren und bewegen, wir empfangen etwas und lassen es wirken. Wichtig ist also, dass wir „klein werden“ und uns in die Gegenwart Gottes stellen.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Eigenschaft, die Kinder haben: Es ist ihre Nähe zum Augenblick. Natürlich wissen sie, dass es gestern und morgen gibt, aber eine klare Vorstellung von den Zeiträumen haben sie nicht. Was jetzt geschieht, das ist interessant. Und auch das müssen wir wieder lernen. Wir sind mit unseren Gedanken oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sehnen uns zurück oder denken an das, was wir demnächst zu tun haben. Doch damit verpassen wir das, was jetzt ist, und dazu gehört auch die Liebe Gottes. Sie war nicht gestern da oder kommt morgen, sondern jetzt. Ganz gleich, was wir gerade zu tun haben, was uns umtreibt oder belastet, es gilt, jetzt darauf zu achten, dass wir von Gott geliebt sind. Gottes Liebe ist keine Geschichte von früher und auch Programm, bei dem wir mehrere Punkte abhaken. Sie ist vielmehr eine Kraft. Und die können wir auch spüren. Wir müssen nur verstehen, dass sie immer ganz nah ist.

Und das geht am besten, wenn wir zu ihm rufen wie Kinder zu ihren Eltern. Das ist ein dritter Punkt, der das Kindsein bestimmt: Kinder brauchen ihre Eltern, sie sind von ihnen abhängig und haben eine lebendige Beziehung zu ihnen. Sie rufen ihre Eltern, wenn sie Hilfe brauchen, reden mit ihnen und werden von ihnen ins Leben geführt. Und so ist es auch mit Gott: Er hört uns, wenn wir zu ihm rufen und will uns helfen. Dabei brauchen wir nicht viele Worte. Das kurze Gebet „Abba, lieber Vater“ reicht schon. Wenn wir es immer wiederholen, merken wir, dass es unseren Geist weit macht und uns mit etwas ganz Neuem erfüllt. Wir werden in die Nähe und Liebe Gottes hineingezogen und von ihm geführt.

Es gibt dazu einige schöne Verse von Angelus Silesius. Das war ein deutscher Lyriker, Theologe und Arzt. Er hieß mit bürgerlichem Namen Johannes Scheffler und lebte im 17. Jahrhundert. Einige Lieder in unserem Gesangbuch sind von ihm. Darin geht es hauptsächlich um die Liebe zwischen Gott und Mensch. Das war für ihn das wichtigste Thema. Sie kommt auch in seinen kurzen religiösen Gedichten vor, die der Mystik nahestehen. Mehrere Male hat er darin zum Ausdruck gebracht, dass wir uns dem Kindsein wieder annähern müssen, wenn wir Gott näherkommen wollen. So sagte er:

„Weil sich die Gottheit hat in Kindheit mir erzeiget, bin ich der Kindheit und der Gottheit gleich geneiget.
Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, wo Gottes Kinder sind, die Tür ist gar zu klein.
Christ, so du kannst ein Kind von ganzem Herzen werden, so ist das Himmelreich schon deine hier auf Erden.“

Lassen Sie uns das beherzigen, dann erleben wir eine ganz große Freude und Freiheit, so wie die Kinder uns das zu Weihnachten vormachen. Lassen Sie uns das Vertrauen üben, gegenwärtig und wach sein und zu Gott rufen. Er zieht dann mit seinem Geist in uns ein und macht uns zu seinen Söhnen und Töchtern. Wir werden ganz tief angerührt und machen die wunderbare Erfahrung, dass Gott wirklich da ist und uns seine Liebe schenkt.

Amen.