Er war einer von uns

Predigt über Lukas 22, 39- 46: Jesus in Gethsemane
Gründonnerstag, 6.4.2023, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Lukas 22, 29- 46

39 Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger.
40 Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!
41 Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete
42 und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
43 Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.
44 Und er rang mit dem Tode und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
45 Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit
46 und sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!

Liebe Gemeinde

In vielen Geschichten, Liedern und Gebeten kommen Engel vor. Wir sehen sie ebenfalls auf Bildern oder kennen sie als Figuren in Kirchen und Klöstern, im Freien oder in Wohnungen. Als solche verschenken wir sie auch gerne. Sie sind aus Holz geschnitzt, aus Draht geformt, aus Gips oder Ton, in groß oder klein gestaltet, zum Aufhängen oder Hinstellen oder in der Hand halten. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt, denn es gibt sie auch nur dort, in unserer Phantasie. Einen echten lebendigen Engel hat noch niemand von uns gesehen oder angefasst. Sie haben etwas Märchenhaftes an sich.

Trotzdem sollten wir sie nicht unterschätzen, denn sie stehen für etwas, das es wirklich gibt: Für die Liebe und Gegenwart Gottes. Von ihr wie von den Engeln stellen wir uns gerne vor, dass sie uns immer umgibt. Gott und seine Engel behüten uns und sind für uns da. Unsichtbar sind sie um uns herum, das ist eine weit verbreitete Empfindung. Wir sehen die Engel zwar nicht mit den Augen, aber sie gehören zu den Urbildern der menschlichen Seele und unterstützen den Glauben.

So erwähnt auch der Evangelist Lukas in seinem Bericht über das Gebet Jesu in Gethsemane, dass „ihm ein Engel vom Himmel erschien und ihn stärkte.“ Wir haben die Geschichte eben gehört: Jesus war nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern aus dem Haus gegangen, aus der Stadt, ins Tal hinunter, um auf den Ölberg zu steigen. Den Weg war er bereits öfters gegangen und kannte diesen Ort. Er hatte dort wohl schon übernachtet. Und seine Jünger folgten ihm.

Der Garten Gethsemane wird im Lukasevangelium nicht genannt, und es waren auch nicht nur drei Jünger, sondern die ganze Schar, die mit ihm ging. Aber diese Unterschiede zum Matthäus- und Markusevangelium sind nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, was Jesus am Ziel tat. Dort angekommen, forderte er die Jünger nämlich auf, zu beten, damit sie nicht „in Versuchung“ geraten.

Dann entfernte er sich, blieb aber in Reichweite und betete. Dabei sprach er Gott mit „Vater“ an, d.h. er fühlte sich ihm sehr nahe, und er thematisierte das Leiden, das auf ihn zukam. Er war zwar bereit, sich dahinein zu begeben, trotzdem bat er darum, verschont zu bleiben. Natürlich wollte er lieber leben, aber er war gehorsam. Dabei nahm er ein Bildwort aus dem Alten Testament auf: Er erwähnte den „Kelch“. Damit meinte er den Zornesbecher, der beim Gericht Gottes ausgeschüttet wird und zum Tode führt. So wird er im Alten Testament an mehreren Stellen erwähnt. Gott sollte ihn „von ihm nehmen“. Doch er fügte sich in den Willen Gottes.

Leicht fiel ihm das nicht. Deshalb „erschien ihm ein Engel“, der ihm Stärkung für den schweren Leidenskampf brachte. Jesus wollte und sollte die Todesangst überwinden. Natürlich hing er am Leben, d.h. er musste gegen sich selber kämpfen. Er stritt gegen das Festhalten am Leben. Jesus war also kein Held, sondern ein Mensch, der von sich aus den Tod nicht annehmen konnte, und der alle Kräfte mobilisieren musste, um ihn zu akzeptieren. Er war nicht wie ein Philosoph, der das alles einfach über sich ergehen ließ, ohne dabei unruhig oder ängstlich zu werden. Er war nicht abgeklärt und schwebte nicht über den Dingen. Das kommt auch mit dem Bild zum Ausdruck, dass ihm der Schweiß in großen, schweren Tropfen von der Stirn floss. Lukas vergleicht sie sogar mit Blutstropfen, d.h. der Kampf ging bis zum Äußersten.

Doch am Ende hat Jesus ihn gewonnen, er ist den Weg des Leidens gegangen. Nach diesem Gebet stand er als ein anderer da. Er erhob sich und ging zu den Jüngern. Sie waren eingeschlafen, d.h. sie waren der Aufforderung Jesu, selber auch zu beten, nicht nachgekommen. Deshalb wiederholte er diese Ermahnung. Mit seinem Verhalten hat er gezeigt, wie man beten kann, damit die Versuchung nicht übermenschlich wird. Auch die Jünger sollten lernen, ihr Schicksal aus Gottes Hand anzunehmen und denselben Weg wie Jesus zu gehen. Das ist die Botschaft, die in dieser Geschichte enthalten ist.

Und die ist auch für uns gut, denn wir befinden uns ebenfalls oft in schweren Situationen. Krankheiten und Konflikte, Ängste und Sorgen begleiten uns, und die Vergänglichkeit des Lebens spüren wir genauso. Keine und keiner von uns kann dem Tod entkommen. Er rückt von Tag zu Tag näher. Natürlich können wir den Gedanken daran verdrängen. Das ist auch ganz legitim, denn es hilft ja nicht, uns das ständig vor Augen zu halten. Aber er kommt von alleine immer wieder und flößt uns Furcht ein. Wir begegnen dem Tod in vielfältiger Weise, z.B. immer dann, wenn ein naher Angehöriger oder eine Angehörige stirbt, wenn wir vom Krieg und von Katastrophen hören, von Unfällen und Todesurteilen. Wir können dem Tod nicht entrinnen, das wissen wir. Deshalb ist es gut, wenn wir ein Verhalten einüben, bei dem wir ihn einbeziehen, und genau dazu lädt die Geschichte uns ein.

Sie ermahnt uns dazu, wach und nüchtern zu bleiben. Wir sollen uns an Gott halten und unser Schicksal annehmen. Es geht darum, die vielen negativen und beunruhigenden Gedanken abzulegen, uns nicht der Angst oder der Trauer auszuliefern, ohne die Realität zu verdrängen. Stattdessen sollen wir Jesus auf den Ölberg folgen und mit ihm wachen und beten. Denn dann gewinnen wir Kraft und Zuversicht auch im Leid und angesichts des Todes. Das Gebet führt uns zur Überwindung, denn wir öffnen uns damit für die Gegenwart Gottes. Dabei können wir dabei dasselbe Gebet sprechen, das auch Jesus gesprochen hat: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Es ist das Gebet der Hingabe und des Loslassens, und das kann uns weiterführen.

Vielleicht klingt das so ein bisschen nach Schicksalsergebenheit und Passivität. Aber das ist damit überhaupt nicht gemeint. Im Gegenteil, es geht um eine geistige Anstrengung: Wir liefern uns nicht der Hilflosigkeit aus, lassen unsere Angst los, pflegen keine Gedanken der Trauer und der Trübsal. Wir verscheuchen sie und ersetzen sie durch Gebet. All das steckt in dem ersten Teil des Gebetes Jesu: „Nicht mein Wille geschehe“. Und dann folgt der zweite Teil: „sondern dein Wille geschehe.“ Es ist ein Gebet, das Geduld bewirkt. Wir gewinnen Kraft, die uns hoffnungsvoll und zuversichtlich macht. Wir lassen die Liebe Gottes zu, die uns zur Überwindung führt.

Eine bewährte Praxis ist es, die Worte Jesu mit jedem Atemzug zu wiederholen: Beim Ausatmen beten wir „Mein Vater, nicht wie ich will“ und beim Einatmen „sondern wie du willst“. Auch mit anderen kurzen Gebetssätzen können wir uns in dieser Weise an Gott wenden, wie z.B. den Bitten „Herr, erbarme dich“, „O Herr, hilf“, „Stärke uns den Glauben“ oder „Dein Reich komme“. .

Und im Unterschied zu den Jüngern sprechen wir solche Gebete mit Jesus, in dem Glauben an seine Auferstehung. Die Jünger haben es nicht geschafft, wach zu bleiben, wir dagegen können es, denn wir dürfen davon ausgehen, dass Jesus für uns den Sieg errungen hat. Daran können wir Anteil haben. Wenn wir es regelmäßig praktizieren, verselbständigt sich das Gebet mit der Zeit, es wird „selbsttätig“ und prägt sich der Seele ein. Wir werden ruhiger, weil wir von innen her gehalten und erfüllt sind. Wir gewinnen neues, ewiges Leben. Das ist die Verheißung, die hinter der Ermahnung zum Wachen steht.

Wenn wir beten, ist Jesus also der „Engel, der vom Himmel erscheint und uns stärkt.“ Oft wünschen wir uns ja ein Ende des Leidens, der Tod soll verschwinden, Krankheiten und Nöte sollen aufhören. Wir stellen uns deshalb gerne vor, dass Engel sie von uns fernhalten, das Unheil verscheuchen und uns davor bewahren. Doch das geschieht so nicht, und es ist auch nicht die Aufgabe der Engel. Sie begleiten uns vielmehr und geben uns Kraft. Und genau das tut Jesus ebenfalls. Er ist der Engel, der wirklich lebt und bei uns ist. Wir müssen ihn nicht malen oder schnitzen, sondern nur an ihn glauben und uns ihm anvertrauen. Dann erleben wir seine Nähe und empfangen Zuversicht auch angesichts von Leid und Tod. Wir gewinnen Geduld und Hoffnung und werden gestärkt.

Es gibt ein schönes Buch mit Bildern des zeitgenössischen niederländischen Malers Rien Poortvliet, das den Titel trägt: „Er war einer von uns.“ Die Situationen, in denen Jesus war, sind darin sehr einfühlsam dargestellt und werden erlebbar gemacht, auch wie er angespuckt und zur Schau gestellt wurde, in Purpur gekleidet und mit Dornen gekrönt, verspottet und gegeißelt. Der Religionspädagoge Friedrich Meisinger hat dazu formuliert: „Alles Leid, das Menschen je gelitten, jeder Schmerz, der uns bekannt, schreckliche Angst, die uns begegnet, tiefe Verlassenheit, die wir verspürt. Es gibt nichts, was Jesus nicht erträgt, nichts, was Jesus nicht erleidet. Deshalb wird er uns verstehen wenn wir flehen, schreien, beten.“ (Rien Poortvliet, Friedrich Meisinger, Er war einer von uns, deutsche Ausgabe Kawohl Verlag, Wesel 2020, S. 99)

Lassen Sie uns das deshalb tun und regelmäßig der Aufforderung Jesu nachkommen: „Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.“

Amen.

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