Die Kraft der Liebe

Predigt über Hoheslied 8, 6- 7: Liebe ist stark wie der Tod

20. Sonntag nach Trinitatis, 30.10.2022, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Zu den wesentlichen menschlichen Grundbedürfnissen gehört es, eine Familie zu haben. Sie erfüllt wichtige wirtschaftliche, rechtliche und auch emotionale Funktionen. Sie stiftet Identität, trägt zum Selbstbild bei und bildet die Basis für dauerhafte Beziehungen. Den engsten Kern bilden Eltern und Kinder, aber auch die weitere Verwandtschaft gehört zur Familie. Durch sie entstehen bereits in der Kindheit persönliche Bindungen von hoher Bedeutung. Die engen Beziehungen werden später größtenteils auf Lebens- und Ehepartnerinnen der Verwandten erweitert und bis ins hohe Alter aufrechterhalten. Sie werden durch Familienbesuche und Familienfeste zelebriert. Auch die Erben sind fast immer Familienangehörige. Die meisten jungen Menschen wollen deshalb eine Familie gründen. Sie haben dann einen Kreis, in dem sie sich geborgen und sicher fühlen.

Doch leider ist genau das nicht so einfach. Gerade heutzutage halten Beziehungen oft nicht ein Leben lang. Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, Neid oder Missgunst können Familien zerstören. Es kommt zu Trennungen und zum Zerfall. Manchmal ist sogar gerade die Familie der Ort, wo großes Leid angerichtet wird, durch Gewalt oder Missbrauch.

Es ist also keineswegs selbstverständlich, dass die Familie ein sicherer Hafen ist und das bietet, wonach wir uns sehnen. Das geschieht nur, wenn wir uns darum ganz bewusst bemühen und eine Kraft zulassen, die uns zusammenhalten kann: Es ist die Kraft der Liebe.

Normalerweise steht die auch am Anfang jeder Familiengründung, denn sie beginnt damit, dass zwei Menschen heiraten, und das tun sie heutzutage in unserer Gesellschaft meistens aus Liebe. Sie wollen sich gegenseitig stützen, füreinander da sein, auch in schweren Zeiten. Zuverlässigkeit und Vertrauen bilden die Grundlage, dass man zusammen passt und sich ergänzt. Die beiden Menschen versprechen sich deshalb lebenslange Treue.

Am Anfang der Ehe ist die Liebe auch stark und fest, genauso wie es in einem Bibelwort zum Ausdruck kommt, das heute unser Predigttext ist. Es steht im sogenannten Hohen Lied der Liebe, einem Buch im Alten Testament, das alte israelische Hochzeitslieder enthält. In Kapitel acht wird die Macht der Liebe besungen, und dort sagt die Braut zu ihrem Bräutigam:

„Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.“

Das ist ein starkes Wort in einer wunderbaren Sprache, mit der in schönen und anschaulichen Bildern beschrieben wird, wie stark die Liebe ist.

Das erste Bild ist das vom Siegelring. Darunter muss man sich ein Kleinod vorstellen, das als Zeichen der Verbundenheit an einer Schnur um den Hals getragen wurde. Es war unverkäuflich und ruhte nah am Herzen. Bildlich steht es für das, was man nicht mehr loslässt, was einen schmückt und für immer zu einem gehört. Passender kann man die Verbundenheit von Mann und Frau kaum beschreiben, denn genauso ist es gemeint, wenn Sie sich ihr Ja-Wort geben: Sie werden sich gegenseitig zum wertvollsten, was Sie haben, und immer nah am Herzen des anderen sein.  

Hieran schließt sich das zweite Bild an, das die Unbezwingbarkeit der Liebe beschreibt: Sie ist stark wie der Tod bzw. das Totenreich. Das klingt etwas unheimlich, denn vor dem Tod haben wir alle Angst. Wenn er kommt, ist er unausweichlich, es gibt nichts, was wir dagegen tun können. Er ist endgültig und unbesiegbar. Doch gerade dadurch wird die Liebe hier als die stärkste Macht überhaupt beschrieben: Auch ihr können wir uns nicht entziehen, wenn sie einmal da ist und uns ergriffen hat.

Dann ist sie sogar noch stärker als der Tod. Davon handeln die folgenden Bilder: Die Liebe wird mit einer Flamme verglichen, einer heißen Glut, die sich durch nichts auslöschen lässt. Selbst noch so große Wasser sind dazu nicht in der Lage. Ströme, die darüber hinweg fließen, können sie nicht wegspülen.

Die Liebe ist also eine Macht, die die gesamte Natur beherrscht und im Dienst des Lebens alle Mächte des Todes besiegt. Sie ist deshalb auch die Kraft, die unsere Familien zusammenhalten kann, selbst wenn es Konflikte und Probleme gibt. Mit der Liebe können wir sie lösen und bewältigen.

Diese Liebe wünschen wir uns deshalb, und sie steht ja auch – wie gesagt – meistens am Anfang einer Ehe. Dass sie uns allerdings erhalten bleibt, ist leider nicht selbstverständlich. Sie kann uns verloren gehen, aus dem Blickfeld geraten und ins Abseits gedrängt werden. Was können wir dagegen tun? Dazu finden wir in unsrem Evangelium von heute einen wichtigen Hinweis, den wir beachten müssen.

Jesus redet in dem Abschnitt über Ehe und Ehescheidung, und er formuliert einen Satz, der in jeder kirchlichen Trauung vorkommt. Es ist die Formel: „Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Mk. 10,9) Wenn wir das bei einer Heirat anwenden und uns darauf gründen, sind die Ehepartner durch noch mehr verbunden, als nur durch ein persönliches Gefühl oder ihr eigenes Erleben. Die Liebe Gottes kommt dazu, und sie ist groß und stark. Die wahre Liebe hat immer etwas Göttliches. Sie ist nicht nur eine menschliche Regung. Wir stellen sie nicht selber her, sondern sie wird uns geschenkt und verbindet uns mit Gott. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns zu ihm bekennen, wenn die Liebe lebendig bleiben soll, dass wir an ihn glauben und auf ihn vertrauen. Denn Gott ist so, wie es hier beschrieben wird: Niemand kann ihn hindern oder vernichten, er ist stärker als alle Kräfte der Natur und stärker als der Tod. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns auf seine Gegenwart gründen. Dann haben wir mehr, als nur uns selbst und unser eigenes Vermögen. Wir gewinnen ein tiefes Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, genau das, wonach wir uns sehnen. Wir müssen uns nur an ihn halten.

In Zeiten, die nicht so einfach sind, ist das besonders wichtig. Wenn es Probleme gibt, fühlen wir uns ja allein, denn wir können die Liebe nicht von unseren Mitmenschen erwarten. Jedes Familienmitglied ist mit sich selbst beschäftigt. Und dann ist es entscheidend, dass eine Person „einfach einmal anfängt“, ganz gleich, ob die anderen auch mitmachen. Die Liebe muss erst einmal von einem oder einer ausgehen und ist dadurch möglicherweise vorübergehend einseitig. Es gehört dazu, dass wir nichts erwarten oder fordern. Das ist anstrengend und geht uns gegen den Strich, es bedeutet Selbstlosigkeit. Doch genau die ist nötig und auch möglich, denn es gibt eine Liebesquelle, die unabhängig von uns selbst und den anderen ist: Es ist die Liebe Gottes.

In Zeiten der Not und Unsicherheit können wir darauf vertrauen. Denn Gottes Liebe ist eine Macht, die heiß wie eine Flamme ist und fest steht wie ein Fels. Durch sie gelingt es, dass jeder und jede Einzelne in einer Familie stark ist, die Ansprüche an die anderen auch einmal zurückstellt, einfach nur hilft und selbstlos für die Angehörigen da ist.

Diese Liebe ist mit dem Bibelwort gemeint. Hier ist von einer starken Tugend die Rede, die uns im Glauben an Gott möglich wird. Sie ist das Größte, das es gibt, durch sie überwinden wir alle Tiefen und Hindernisse und finden immer wieder zueinander. Wir brauchen diese Liebe, denn nur durch sie können eine Ehe und eine Familie ein Leben lang halten.

Und es ist gut, wenn wir sie nicht nur dort leben. Gerade in der heutigen Zeit, wo die herkömmlichen Lebensformen unsicher geworden sind, sollten wir die Liebe mit allen unseren Mitmenschen teilen. Auch in anderen Beziehungen sind Treue und Verlässlichkeit, Vertrauen und gegenseitige Hilfe wichtig, in Freundschaften und unter Nachbarn, in der Gemeinde und im Kollegenkreis.

Das wollte Jesus, so hat er es praktiziert. Er vertrat die Überzeugung, dass unser Miteinander von der Liebe Gottes erfüllt sein muss, und das hat er auch gelebt. Denn dann sind unsere Beziehungen an einem tiefen Halt befestigt und in etwas begründet, das größer ist, als die menschliche Liebe. Und das ist entscheidend für unser Zusammenleben. Wenn das so ist, werden wir gehalten, was immer geschieht, nichts wirft uns aus der Bahn. Denn der Segen Gottes liegt auf unserem Miteinander.

Amen.

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