Seid barmherzig!

Predigt über Johannes 8, 3-11: Jesus und die Ehebrecherin

4. Sonntag nach Trinitatis, 10.7.2022 9.30 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Steine liegen überall herum, in ganz verschiedenen Größen, Farben und Beschaffenheiten, und wir brauchen sie für viele Dinge: Zum Bauen und Dekorieren, als Werkzeug, aber auch als Waffe. Das ist heutzutage zwar nicht mehr regelmäßig der Fall, aber wenn man will, kann man jemand anders mit einem Stein sehr verletzen und sogar töten. In der Bibel gibt es darüber mehrere Geschichten, besonders über Steinigungen. Damit wurden Menschen gezielt hingerichtet, und das passierte nicht selten. Bei bestimmten Gesetzesverstößen wurden sie so lange mit Steinen beworfen, bis sie starben.

Es gibt allerdings eine Steinigungsgeschichte im Neuen Testament, die hat sozusagen ein Happy End. Es ist die von Jesus und der Ehebrecherin. Sie steht im Johannesevangelium Kapitel acht, Vers drei bis elf und ist heute unser Predigttext. Sie lautet folgendermaßen:

Johannes 8, 3-11
3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte
4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Der Herr segne an uns dieses sein Wort.

Die Geschichte, trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Jesus und der Ehebrecherin“. Aber eigentlich müsste man sie überschreiben: „Jesus und die Schriftgelehrten und die Ehebrecherin“, denn um diese Personen geht es hier. Es sind in Wirklichkeit drei Parteien, und der erste Teil der Erzählung beschäftigt sich auch hauptsächlich mit den Schriftgelehrten und Pharisäern. Jesus hat sich ja oft mit ihnen auseinander gesetzt. Sie mochten ihn nicht, denn er legte das Gesetz anders aus, als sie das taten. Sie hielten sich an das, was geschrieben stand, er dagegen sah vieles in ihren Augen zu großzügig. Im Gesetzbuch des Moses steht z.B.: „Wenn jemand die Ehe bricht mit der Frau seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecher und Ehebre­cherin, weil er mit der Frau seines Nächsten die Ehe gebro­chen hat.“ (3. Mose 20,10) Auf Ehebruch stand also die Todesstrafe, die gewöhnlich durch Steinigung erfolgte. Und diesen klaren Fall legen die Gesetzeshüter Jesus hier vor. Sie wussten, dass er mit anerkannten Sündern Freundschaften pflegte, und sie ärgerten sich darüber. Jetzt sahen sie eine wunderbare Gelegenheit, ihm einmal eine Falle zu stellen:

Entweder gab er zu, dass das Gesetz galt, und diese Frau bestraft werden musste, dann hätten sie ihm endlich vorhalten können, dass seine Freundschaft mit Sündern ein schwerer Fehler war. Oder er verschonte die Frau und missachtete das Gesetz, dann hätte er aber nicht mehr im Namen Gottes auftreten dürfen. Dann wäre endlich klar, dass er sich gegen Gottes Gebote auflehnte. Freundschaft mit Sündern und Anerkennung des Gesetzes ließ sich ihrer Meinung nach jedenfalls nicht miteinander vereinbaren, und sie wollten mit dieser Frau ein Beispiel für die Gottlosigkeit Jesu anführen. So fragten sie ihn: „Was sagst du zu diesem Fall?“ und das war eine gefährliche Bosheit.

Aber Jesus geht auf ihre Fragen gar nicht ein. Er schweigt, weil er sich ihnen überlegen fühlt. Das Schreiben in den Sand soll das deutlich machen. Er zögert die Auseinandersetzung hinaus, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und hält das Ganze auch nicht für dringlich. Erst nach beharrlichem Weiterfragen gibt er eine Antwort, die allerdings keiner erwartet hat: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Das ist zwar eine Reaktion, aber eine Antwort auf ihre Frage ist es nicht. Denn was Jesus entgegnete, liegt auf einer völlig anderen Ebene, als die Anklagen und die Heimtücke der Pharisäer. Sie verändert deshalb die Situation. Zunächst einmal zerreißt Jesus damit den Fallstrick, den sie ihm gelegt hatten, und dreht den Spieß um. Er entlarvt die selbstgerechte Überheblichkeit seiner Gegner. Aus den Anklägern werden Angeklagte. Sie müssen sich beschämt davon stehlen. Einer nach dem anderen legt den Stein ab, und sie gehen weg.

Erst danach tritt die Frau in den Mittelpunkt. Jesus ist jetzt mit ihr allein, und nun geht es um sie. Er spricht sie an und fragt sie, wo ihre Ankläger geblieben sind. Wahrscheinlich ist sie selber ganz überrascht, dass sie gerettet wurde, und niemand sie verurteilt hat, auch Jesus nicht. Aber er sagt ihr: „Sündige hinfort nicht mehr.“ Und damit gibt er ihr die Möglichkeit, ihr Leben neu zu beginnen.

Das ist die Geschichte, und es geht darin um die Frage, wie schnell wir aufeinander losgehen, wie wir unsere Konflikte lösen und zu einem friedlichen Miteinander kommen.

Dazu könnt ihr euch einmal vorstellen, dass ihr einen Stein in der Hand habt, der ungefähr so groß ist wie ein Tennisball. Wie weit könntet ihr damit werfen? Und könntet ihr ein Ziel treffen? Würdet ihr ihn auf jemanden schmeißen, der euch verletzt oder zornig gemacht hat? Oder das doch lieber nicht?

Wahrscheinlich merkt ihr schon, dass es besser ist, den Stein aus der Hand zu legen, wir richten sonst nur Unheil an. Aber Situationen, in denen wir dazu tendieren, kennen wir sicher alle. Es kann z.B. sein, dass uns die Meinung eines anderen Menschen unglaublich wütend macht. Und dann fliegen manchmal wirklich Steine. Bei einigen Demonstrationen ist das z.B. so, da werden gelegentlich Pflastersteine aus dem Boden gerissen und geworfen. Um das zu verhindern, gibt es deshalb oft ein riesiges Aufgebot an Polizei. So waren bei den Demonstrationen gegen den G7-Gipfel genauso viele Ordnungshüterinnen wie Demonstranten. Dieses Mal ist zum Glück alles gut gegangen, aber wir wissen, dass das in den Vorjahren lange nicht immer so war.

Noch viel schlimmer sind die Kriege, von denen wir hören. Da fliegen nicht nur Steine, sondern Raketen und Bomben, wie wir gerade trauriger Weise aus der Ukraine hören. Wir lehnen das alle zutiefst ab, finden es entsetzlich und abscheulich. Gegen so viel Gewalt haben wir eine natürliche Sperre.

Trotzdem können wir von der Geschichte mit der Ehebrecherin etwas lernen. Es gibt ja auch verbale Steine, die wir uns gegenseitig an den Kopf werfen, wie Beschimpfungen, Beleidigungen, Verleumdungen und Lügen. Und das geschieht dauernd, denn wir sind nicht frei von Aggressionen und gehen durchaus aufeinander los. Wir können unsere Feinde oder die, die uns aufregen, sehr gut treffen und verletzen mit dem, was wir sagen. Auch Vorwürfe gehören dazu, das Vorhalten von Fehlern und das Aufzählen von Sünden. Wir tun den anderen damit bewusst weh, machen ihnen Angst und setzen sie unter Druck. Oft sind wir genauso hart und kalt gegen einander wie die Pharisäer gegenüber dieser Frau. Wir kommen also durchaus in der Geschichte vor.

Und auch wir werden von Jesus daran erinnert, dass keiner und keine von uns ohne Fehler ist. Wir selber machen genauso viel falsch. Dieses aggressive Verhalten z.B., das zeichnet uns nicht gerade als Engel aus. Und es wäre besser, wenn wir darüber zunächst nachdenken. Bevor wir aufeinander losgehen, sollten wir immer versuchen, zuerst uns selber zu erkennen und unsere Wut zu bremsen. Dann können wir unsere Steine nämlich ablegen. Das ist nicht ganz leicht. Dazu gehört Mut und Überwindung, denn es tut weh, die eigenen Sünden zuzugeben.

Aber auch in unseren Konflikten gibt es nicht nur zwei Parteien, sondern noch eine dritte Person, und das ist Jesus. An ihn können wir uns wenden, vor ihm müssen wir uns nicht fürchten, ganz gleich, wie es um uns steht. Denn Jesus vergibt uns, er nimmt uns an. Ich empfange bei ihm Liebe und Freundlichkeit, und die kann mich beruhigen und heilen. Er nimmt mir liebevoll meine Steine aus der Hand. Meine Wut klingt ab, und ich werde frei. Ich gewinne auch einen neuen Blick für die Wirklichkeit. Ich sehe mich und die anderen Menschen plötzlich in einem neuen Licht. Ich kann die anderen besser verstehen, auf sie zugehen und ihnen die Hand zur Versöhnung reichen.

Die Erfahrung der Liebe Christi verändert uns, das soll die Geschichte deutlich machen. Auch unser Miteinander gewinnt eine ganz andere, neue Qualität, wenn wir Jesus in unsere Mitte lassen. Denn durch seine Liebe und Vergebung können wir auch einander vergeben und Konflikte friedlich lösen.

Amen.

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