Nimm dein Kreuz auf dich und folge Jesus

Predigt über Matthäus 10, 34- 39: Entzweiungen um Jesu willen

21. Sonntag nach Trinitatis, 24.10.2021, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Matthäus 10, 34- 39

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.
38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.
39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Liebe Gemeinde.

„Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.“ So lautet das vierte Gebot. (2. Mose 20, 12) „Was ist das? Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsere Eltern und Herren nicht verachten noch erzürnen, sondern sie in Ehren halten, ihnen dienen, gehorchen, sie lieb und wert haben.“ So lautet die Erklärung Martin Luthers dazu im Kleinen Katechismus. Es gilt – wie alle Gebote – seit Jahrtausenden und bildet mit ihnen zusammen die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben.

Im alten Israel bezog es sich auf den Verband der Großfamilie. Das vierte Gebot sollte die Existenz im Alter gewährleisten. Es ist an die erwachsenen Kinder gerichtet, die zur Versorgung der Eltern verpflichtet waren, wenn diese alt wurden. Der Verlust der Leistungskraft sollte nicht mit dem Verlust der Freiheit einhergehen. Das Gesetz schließt auch ein, den Eltern ein würdiges Begräbnis zu geben. „Die Eltern zu ehren“ hieß deshalb, sie zu achten, ihnen zu helfen und für sie da zu sein. Diejenigen, die dies taten, konnten davon ausgehen, dass ihnen selber der gleiche Umgang von Seiten ihrer Kinder widerfahren würde.

Wie kann es also sein, dass Jesus sagt: „Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“?

Der Abschnitt im Matthäusevangelium, in dem Jesus das sagt, ist heute unser Predigttext. Und das ist auch gut so, denn darüber müssen wir uns in der Tat Gedanken machen. Das klingt ja äußerst provokativ und ärgerlich. Dabei sind die Entzweiungen in der Familie noch nicht einmal die schlimmste Ankündigung. Noch brutaler ist die Aussage: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“

Wovon spricht Jesus hier? Ruft er zum Streit, zur Trennung und sogar Krieg auf? Das wäre dann ja das komplette Gegenteil zu vielen anderen Sätzen, die wir von ihm kennen. So heißt es z.B. in den Seligpreisungen: „Selig sind die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Mt. 5, 9)Wie passt das alles zusammen? Das fragen wir uns.

Doch so schwierig ist es gar nicht, Jesus zu verstehen. Fangen wir mal mit dieser letzten Aussage an: Darin fordert Jesus die Jünger nämlich nicht auf, selber das Schwert zu führen. Er warnt sie vielmehr davor, dass es gegen sie erhoben wird. Wenn sie ihm nachfolgen, müssen sie damit rechnen, dass sie verfolgt werden. Es ist gefährlich, Jünger Jesu zu sein, und es führt leider nicht zu einem allumfassenden Frieden. Das bezieht sich auch auf den Zusammenhalt in der Familie: Sie kann zerfallen.

Diese düstere Vision gab es bereits im Alten Testament, in Schilderungen des Weltuntergangs. Die Familie galt damals als Zelle und Fundament des gesellschaftlichen Lebens und Bestehens. Sie bot Obdach und Schutz für den Einzelnen. Das vierte Gebot hatte das Ziel, das abzusichern. Denn löste die Familie sich auf, verloren die Einzelnen ihre Geborgenheit und die Gesellschaft war ruiniert. Der Verfall der Familie bedeutete also höchste endzeitliche Not. Das greift Jesus hier auf, und auch seine Worte haben einen endzeitlichen Charakter. Allerdings schildert er nicht in erster Linie den Zerfall alles Bestehenden, sondern eine erschütternde Erfahrung: Die Stellungnahme zu Jesus kann auch in die Familie einen Riss bringen.

Er fordert deshalb ausdrücklich dazu auf, im Konfliktfall die Entscheidung für ihn über die Entscheidung für das eigene Leben und die Hausgenossen zu stellen. Es kann sein, dass die Jünger von allen Seiten bedroht werden. Dann gilt der Gehorsam gegenüber Jesus mehr als der Gehorsam gegenüber Menschen, selbst wenn es die eigenen Eltern oder Kinder sind. Es geht Jesus also um eine eindeutige Nachfolge.

Das wird im weiteren Verlauf noch deutlicher. Alle seine Zuhörer und Zuhörerinnen hatten schon Menschen gesehen, die zum Tode verurteilt waren und ihr Kreuz zum Richtplatz trugen. Dieses Bild benutzt er nun, um die Jünger auf eventuelles Leid vorzubereiten. Sie müssen Feindseligkeiten aushalten und dürfen sogar das Martyrium nicht ausschließen.

Am Ende kommt dann der wichtigste Satz, an dem deutlich wird, dass all das nicht ergebnislos bleibt, sondern dem Gewinn des Lebens dient. Jesus bürstet die alltägliche Erfahrung gegen den Strich, indem er sagt: „Wer sein Leben findet, der wird‘s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.“ Natürlich denkt er damit über die Grenzen des irdischen Lebens hinaus, an die Auferstehung und das Himmelreich. Aber er beschreibt auch ein Prinzip, das sich bereits im jetzigen Leben ereignet: Aus der Preisgabe geht neuer Lebensgewinn hervor, im Loslassen findet der Jünger oder die Jüngerin, was sie eigentlich sucht. Sie rettet ihre Seele und entdeckt ganz neue Wege des Seins. Ein Christ bzw. eine Christin ist also ein Mensch, der das Kreuz als sein eigenes Schicksal annimmt und mit Jesus geht. Denn in ihm hat Gott eine ganz neue Antwort auf das Leid und den Tod gegeben, eine Antwort, die durch die Krise zum Leben führt.

Und das ist auch für uns eine gute Botschaft, selbst wenn wir hier in Deutschland nicht wegen unseres Glaubens verfolgt werden, und es auch in unseren Familien kaum Zerwürfnisse wegen Jesus gibt. Wir lassen uns gegenseitig glauben und leben, was jeder und jede möchte. Trotzdem ist es auch für uns wichtig, was Jesus hier sagt, denn natürlich kennen wir Konflikte und zwischenmenschliche Probleme. Unser Miteinander ist nicht immer friedlich, weder auf der gesellschaftlichen noch auf der persönlichen Ebene. Wir müssen zugeben, dass es das Böse und den Hass in der Welt gibt.

Die Christenverfolgungen sind dafür ein trauriger Beweis. Es gibt sie leider auch heute noch. Menschen entscheiden sich für die Vernichtung, lassen grausame Kräfte walten, die in den Tod führen. Das wissen wir aus den Nachrichten und erleben es auch dadurch, dass Menschen, die davon betroffen sind, hierher fliehen. Denn hier sind sie zum Glück einigermaßen sicher.

Trotzdem ist auch unser Leben nicht frei von negativen Kräften. Es gibt Vorstufen des ganz Bösen, die wir alle in unserem persönlichen Umfeld erfahren. Ich kenne kaum jemanden, der nicht in irgendeiner Form unter einer anderen Person leidet. Denn es gibt überall Menschen, die sich von Egoismus, Gier oder Macht hinreißen lassen. Es kommt zu Ungerechtigkeiten, Diffamierungen, Intrigen, Streit und Spannungen. Es kann von der Vorgesetzten ausgehen, von der Schwiegermutter, dem Kollegen, einem Patienten, einer Schülerin usw. Viele Menschen machen anderen das Leben schwer, bewusst oder unbewusst.  

Und zu all dem gibt Jesus uns hier eine Antwort. Denn er beschreibt einen Weg, der zur Lösung und zur Überwindung führt. Und der unterscheidet sich von fast allem anderen, das wir normalerweise tun, wenn wir bedrängt werden. Da gibt es ja viele Methoden. Die schlechteste ist mit Sicherheit das Zurückschlagen oder die Rache. Da sind wir uns wahrscheinlich einig. Wenn wir dieselben Mittel wählen wie unsere Gegner, kommen wir nicht weit. Der Konflikt verschärft sich nur, es wird noch mehr zerstört.

Sinnvoller ist es dann schon, die Flucht zu ergreifen. Viele Menschen tun das ja auch zu Recht. Sie retten ihr Leben, indem sie fliehen. Trotzdem ist das ebenfalls keine befriedigende Antwort, denn es ist gefährlich und der Ausgang ist ungewiss. Außerdem möchte eigentlich niemand seine Heimat verlassen und in einer fremden Kultur ganz von vorne anfangen.

Eine Lösung ergibt sich erst dann, wenn die Konfliktparteien aufeinander zugehen, miteinander reden und sich vertragen. Das wünschen wir uns deshalb auch alle. Doch leider geht das oft nicht, weil nur eine der beiden Seiten das möchte. Die anderen bleiben verhärtet und ziehen den Streit vor.

Aber es gibt noch einen vierten Weg, und zu dem fordert Jesus uns hier auf. Und zwar lädt er uns dazu ein, ihn an erste Stelle in unserem Denken, Fühlen und Handeln zu setzen, uns in jeder Situation für ihn zu entscheiden und uns ihm anzuvertrauen. Er fragt uns: „Wen oder was liebst du über alles?“ Und darüber sollten wir ruhig einmal nachdenken.

Wenn wir uns diese Frage ehrlich stellen, kommen wir nämlich schnell darauf, dass er das nicht unbedingt ist. Es ist vielmehr ein anderer Mensch, eine Gewohnheit, ein gewisses Maß an Wohlstand und Bequemlichkeit, unsere Gesundheit, Gedanken, Vorlieben, ein Zeitvertreib o.ä. Meistens hat es etwas mit uns selber zu tun, mit unserem Ich, unserem Wollen und unserem Wohlbefinden, unserer Selbstverwirklichung und unseren Idealvorstellungen vom Leben. Wir sind keineswegs frei von Egoismus, Gier oder Machtansprüchen. Wenn wir uns bedroht fühlen, haben wir Angst, uns selber zu verlieren, und es kommt deshalb leicht zu verhärteten Fronten, zu Funkstille, zum Bruch oder sogar zur Trennung.

Und genau das stellt Jesus hier in Frage. Denn er lädt uns dazu ein, auch einmal etwas aufzugeben, zu verzichten, loszulassen und neu zu beginnen. Er möchte, dass wir „die alten Wege verlassen“, leidensfähig werden und im Konfliktfall uns selber „vergessen“. Jesus erwartet, dass wir unser Ich nach hinten stellen und auf ihn schauen. Er möchte in unserem Blickfeld der Erste sein. Wir sollen seinen Weg gehen und „die Liebe bedenken“, die er gebracht hat. Dann kann sein Geist uns prägen und seine Kraft uns erfüllen.

Und das führt zur Überwindung, denn es eröffnen sich durch die Nachfolge Jesu ganz neue Möglichkeiten. So können wir z.B. auch das vierte Gebot viel besser einhalten, weil wir innerlich unabhängig sind. Die Familie hält zusammen, denn es spielt keine Rolle, ob unsere Eltern oder Kinder uns verstehen und wie sie uns begegnen. Wir können in jedem Fall Respekt üben und hilfsbreit sein, uns „verschenken“ und „verbünden“. Wenn wir radikal auf Jesus vertrauen und ihm nachfolgen, ist plötzlich ist alles da, wonach wir uns sehnen: Der „Hass wird überwunden“, das Böse wird gebannt, Ruhe und Frieden kehren ein, Heil und Erlösung. Die Liebe erwacht und es „berühren sich Himmel und Erde“. (Himmel, Erde, Luft und Meer, Beiheft zum EG in der Nordkirche, 1. Auflage 2014, Nr. 83)

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