Predigt über Jesaja 58, 1- 9: Falsches und rechtes Fasten
Sonntag vor der Passionszeit, Estomihi, 14.2.2021, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel
Liebe Gemeinde.
Im Jahr 269 erlitt der Priester Valentin von Rom den Märtyrertod. Er wurde hingerichtet, weil er Soldaten getraut hatte, denen das Heiraten verboten war. Außerdem hatte er während der Christenverfolgungen im Römischen Reich Gottesdienste für Christen gefeiert.
200 Jahre später führte Papst Gelasius den 14. Februar als seinen Gedenktag ein.
Im 14. Jahrhundert wurde das Fest des heiligen Valentinus dann erstmals mit der romantischen Liebe verbunden, und im England des 18. Jahrhunderts entwickelte es sich zu einer Gelegenheit, bei der Paare ihre Liebe zum Ausdruck brachten. Sie schenkten einander Blumen und Süßigkeiten und schickten sich Grußkarten. Diese Sitte hat sich seitdem in ganz Europa und vielen Industrieländern verbreitet, und dadurch ist sie auch bei uns üblich geworden.
Der heutige Tag scheint also gut zu dem Thema zu passen, das unser Predigttext enthält. Er handelt nämlich von Liebe und Fürsorge, gegenseitiger Rücksicht und Hilfe. Es ist ein Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja und lautet folgendermaßen:
Jesaja 58, 1- 9a
1 Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
2 Sie suchen mich täglich und begehren meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe.
3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst’s nicht wissen?«
Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!“
7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Der Prophet Jesaja ermahnte sein Volk also zu Nächstenliebe und gegenseitiger Fürsorge. Denn er erlebte, dass das in der Gesellschaft fehlte. Die Menschen in seiner Zeit – das war nach der Rückkehr aus dem Exil – hatten zwar mit dem Bau eines neuen Tempels begonnen und hielten bestimmte Fastentage ein, aber sie waren ihm dabei nicht fromm und ehrlich genug. Denn sie hofften eigentlich nur, dass Gott sie hörte und sah und sie dafür belohnen würde. Sie erwarteten seine Hilfe. Aber die kam nicht, und das ärgerte sie. „Warum fasten wir und du siehst es nicht an?“ Das war ihr Vorwurf: Sie aßen nichts, kleideten sich in Sack und Asche, unterdrückten alle leiblichen Freuden, doch nichts änderte sich! Der Aufbau ging nur schleppend voran, das Leben blieb ärmlich und bedürftig.
Darauf antwortet der Prophet hier und er sagt: Eure Fastentage gefallen Gott nicht, denn sie sind nur äußerlich. In Wirklichkeit beschäftigt euch doch etwas ganz anderes, als das Gebet und der Wille Gottes. Die Fastenden nutzten die Tage nämlich dazu, leichter Geschäfte betreiben zu können. Sie mahnten ihre Schuldner, ließen die Arbeiter schuften, und es kam obendrein auch noch zu Zank und Streit, sogar zu Gewalttaten. Es gab also erhebliche Missstände, und die klagt der Prophet hier an. So ein Fasten war völlig nutzlos.
Was Gott in Wirklichkeit will, ist zwar auch eine gewisse Selbstbeschränkung und ein Verzicht, aber nicht als kultisches Ritual, sondern als die tätige Liebe am Mitmenschen. Damit will Gott geehrt sein, darin besteht der wahre Gottesdienst. Und zwar geht es um Liebe an den Entrechteten und Misshandelten, den Sklaven und Gefangenen, den in ihrer wirtschaftlichen Existenz Bedrohten und in Schuldhaft Sitzenden. Und es geht ebenso um die Liebe an den Hungernden, Heimatlosen und Frierenden. Es geht stets um die Sorge für den Bruder und die Schwester, für den in Not befindlichen „Nächsten“.
Das ist hier die Mahnung, und es folgt darauf auch noch eine Verheißung. Für ein derartiges Leben in Liebe wird das ersehnte Heil kommen. Es wird sich also etwas ändern, langsam aber sicher.
Das klingt in unseren Ohren alles sehr vertraut, denn die Nächstenliebe ist längt ein wichtiges Thema in der Kirche geworden. Was hier erwähnt wird, sind Aufgaben, die von verschiedenen kirchlichen Initiativen und Einrichtungen schon seit langem übernommen werden. Brot für die Welt sorgt z.B. dafür, dass Menschen in ärmeren Gegenden der Erde genug zu essen bekommen. Bei uns gibt es so etwas wie die „Kieler Tafel“, Unterkünfte für Obdachlose werden bereit gestellt, wir sammeln immer wieder Altkleider, damit andere etwas anzuziehen haben. Und Pfarrstellen gibt es auch überall: in Gefängnissen, Krankenhäusern und Altenheimen. Das Feld der Diakonie ist sehr weit, es gibt unzählige Helfer und Helferinnen, haupt- und ehrenamtliche. Wer Zeit und Kraft hat, engagiert sich irgendwo und praktiziert die Nächstenliebe.
Trotzdem sollten auch wir einmal unser Gewissen überprüfen und uns fragen, mit welcher Einstellung wir das machen. Wir tun zwar Gutes, aber unser Handeln bleibt doch oft genauso äußerlich wie das Fasten der Israeliten. Es hat nicht viel mit Gott zu tun, sondern eher mit unseren moralischen Werten, Mitmenschlichkeit und Armenfürsorge. Es ist unser soziales Engagement, zu dem uns Anstand und Mitgefühl motivieren.
Es geht dem Propheten aber nicht nur darum. Er will vielmehr, dass Gott im Leben und in der Gesellschaft lebendig ist. Der Glaube erschöpft sich nicht in Ritualen und im organisierten Handeln, sondern in einem lebendigen inneren Vollzug, an dem der ganze Mensch beteiligt ist. Gott ist keine Idee, und der Glaube kein Programm. Gott ist vielmehr ein lebendiges Gegenüber und eine Realität. Wir können mit ihm rechnen und sollen ihn lieben. Es geht um persönliche Hingabe und Offenheit, um echte und gelebte Liebe, die von Herzen kommt.
Deshalb scheint das Thema wie gesagt gut zum Valentinstag zu passen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn genauso wenig wie die Nächstenliebe einfach nur ein moralisches Verhalten ist, genauso wenig dürfen wir sie mit der romantischen Liebe verwechseln. Im Griechischen gibt es deshalb auch zwei Begriffe für Liebe: den Eros und die Agape, und die haben eine sehr unterschiedliche Bedeutung.
Der Eros macht zwei Liebende zu einem Paar, und die Verbindung kommt durch den Wunsch nach Befriedigung zu Stande, durch die Sehnsucht nach Zuwendung und Aufmerksamkeit. Der Liebespartner bzw. die Liebespartnerin möchte etwas bekommen. Die Liebenden haben Bedürfnisse und Erwartungen, ihre Lust regt sich, und sie vereinigen sich seelisch und körperlich.
Die Agape dagegen möchte etwas geben und sich verausgaben. Wer sie lebt, vergisst sich selber, wird selbstlos, bringt Opfer für die anderen und ist leidensfähig. Sie wendet sich auch denjenigen zu, die nicht liebenswert sind, und fragt nach keiner Gegenleistung. Sie ist uneigennützig und von Gott inspiriert, d.h. eine Kraft des Geistes und des Glaubens.
Jesus Christus hat uns in wunderbarer Weise vorgelebt, wie diese Liebe aussieht. Er war davon erfüllt, hat sie anderen Menschen gegeben und ist am Ende dafür gestorben. Und natürlich meint der Prophet Jesaja genau das. Was er beschreibt, hat sich im Neuen Testament erfüllt. Vorher sind die Menschen trotz aller Ermahnungen auch immer wieder daran gescheitert. Erst durch Jesus Christus ist die Liebe, wie Gott sie sich vorstellt, möglich geworden. Und sie ist viel größer und tiefer als das, was wir am Valentinstag feiern.
Gegeneinander ausspielen sollten wir die beiden verschiedenen Weisen zu lieben allerdings nicht, denn wenn die erotische Liebe halten soll, muss sie sich irgendwann in selbstlose Liebe verwandeln. Wer liebt muss leiden können, denn in jeder Liebesbeziehung gibt es Enttäuschungen und Verletzungen. Niemand kann die Erwartungen des oder der anderen vollständig erfüllen, es bleibt immer etwas zu wünschen übrig. Es ist deshalb gut, wenn wir uns von der Liebe erfüllen lassen, die Jesus Christus uns schenkt, und bereit sind, selbstlos füreinander da zu sein und auch zu leiden.
Dazu werden wir eingeladen, und es ist gut, dass wir das von Jesus Christus lernen können. Ohne ihn würden wir es nämlich genauso wenig schaffen wie die Israeliten. Wir brauchen den göttlichen Beistand, um die Agape zu verwirklichen. Nicht umsonst gehen so viele Paare wieder auseinander. Aber das muss nicht sein, denn die Hilfe ist da, der Grund ist gelegt, wir müssen uns nur ganz Jesus Christus anvertrauen.
Der christliche Mystiker Johann Scheffler, dessen Lyrik wir auch unter dem Namen Angelus Silesius kennen, hat das 1657 wunderbar in einem Lied zum Ausdruck gebracht, das in unserem Gesangbuch steht. Es handelt von der „Liebe“, die ihn zum „Bilde ihrer Gottheit gemacht hat“, und damit meint er Jesus Christus. Denn er sagt von ihr, dass sie „Mensch geboren wurde“, und für ihn „gelitten“ hat und „gestorben“ ist. Scheffler bekennt sich mit dem Lied also zu Jesus Christus und seinem Heilswerk und er verspricht, sich ihm „ewiglich zu ergeben“. (EG 401)
Amen.