Die große Krankenheilung

Predigt über Apostelgeschichte 3,1-10: Die Heilung des Gelähmten

12. Sonntag nach Trinitatis, 19.8.2018, 9.30 Uhr,
Lutherkirche Kiel

Apostelgeschichte 3, 1- 10

1 Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.
2 Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.
3 Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.
4 Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!
5 Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.
6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!
7 Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest,
8 er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.
9 Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben.
10 Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Liebe Gemeinde.

Vor Kurzem war in der Zeitung ein Bericht über junge Leute, die sich bei Instagram bewusst so zeigen, wie sie sind, auch wenn sie nicht dem gängigen Schönheitsideal oder der Norm entsprechen. Sie stehen zu sich selbst, zu einem angeblichen Makel oder auch einer Behinderung, die sie möglicherweise haben.

So wurde unter anderem eine Rollstuhlfahrerin vorgestellt, die sich selbstbewusst der Öffentlichkeit präsentiert und ihre Gedanken allen mitteilt, die sich dafür interessieren. Ein Bild wurde besonders erwähnt. Es zeigt sie in einer Kirche, und darunter hat sie geschrieben: „Laufen kann ich immer noch nicht. Danke Jesus, für nichts.“ Das klingt mutig, aber auch bitter und fast böse. Auf jeden Fall provoziert es alle, die gerne in die Kirche gehen, an Jesus glauben und ihm dankbar sind.

Dazu gehören wir auch. Wir kommen hierher, feiern unsere Gottesdienste und freuen uns des Lebens. Aber tun wir das eventuell nur, solange wir gesund und munter sind und kein schweres Schicksal zu tragen haben? Vielleicht hat Jesus in Wirklichkeit gar keine Macht. Möglicherweise hören der Glaube und das Danken auf, wenn es uns schlecht geht. Machen wir uns unter Umständen alle etwas vor?

Das müssen wir uns fragen, und zwar nicht nur, wenn wir Äußerungen lesen, die uns dazu provozieren. Auch über das, was im Neuen Testament steht, müssen wir nachdenken, denn es entspricht in weiten Teilen tatsächlich nicht unserer Wirklichkeit. Was sollen z.B. all die Wundergeschichten, in denen Menschen geheilt und gerettet werden? Sollten wir die nicht lieber zu den Akten legen? Es ist nachvollziehbar, dass sich Menschen mit einer Behinderung davon verhöhnt fühlen.

Auch die Erzählung, die wir eben gehört haben, wirft diese Fragen auf. Sie ist sogar fast noch schlimmer als die Berichte über Jesu Heilungstätigkeit, weil er gar nicht selber darin handelt, sondern zwei seiner Jünger. Sie steht in der Apostelgeschichte, und zwar ganz am Anfang. Es ist das erste Wunder, das nach seiner Himmelfahrt in seinem Namen geschah, und schließt an die Pfingstgeschichte an. Die Apostel hatten gerade den Heiligen Geist empfangen, und Petrus hatte seine erste Predigt gehalten. Er hatte verkündet, dass „Jesus, der ans Kreuz geschlagen und umgebracht worden war, von Gott auferweckt wurde. Er konnte nicht vom Tode festgehalten werden.“ (Apg.2,23f) Vielen, die ihm zuhörten, war das „durchs Herz gegangen“ (Apg.2,37). Sie ließen sich taufen, und es entstand die erste Gemeinde. Die Predigt von Petrus war also vollmächtig und sehr wirksam gewesen.

Mit der anschließenden Wunderheilung wird dem nun ein Zeichen hinzugefügt: Ein Mann, der von Geburt an gelähmt war, wird geheilt, und daran wird deutlich, dass das Wirken Jesu weitergeht.

Die Geschichte beginnt mit einer genauen Orts- und Zeitangabe: Im Tempelbezirk zur Zeit des Abendgebetes sahen Petrus und Johannes den gelähmten Mann, der dort täglich saß und um Almosen bettelte. Er sprach auch die beiden Apostel an. Doch von ihnen bekam er nun etwas ganz anderes, als er es gewohnt war, kein „Silber und Gold“, sondern etwas viel wunderbareres: Durch den Befehl des Petrus „im Namen Jesu“ konnte er plötzlich aufstehen. „Seine Füße und Knöchel wurden fest. Er ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“ Das war das Wunder und es geschah ausdrücklich durch das Wirken Jesu. Das betonte Petrus in der anschließenden Auseinandersetzung mit den Umstehenden. Jesus lebt und er hat immer noch die Macht, Kranke zu heilen. Das ist hier die Botschaft.

Und auf die sollten wir uns ruhig einmal einlassen, auch wenn es nicht unseren Erfahrungen entspricht, dass Gelähmte durch den Glauben wieder laufen können. Drei Gedankengänge können uns dabei helfen.

Zunächst einmal gibt es in der Geschichte einige Details, über die es sich lohnt, nachzudenken. Das erste davon ist, dass ausführlich erzählt wird, wie Petrus und Johannes Kontakt zu dem Gelähmten aufnahmen: „Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!“ Petrus bestand also auf Blickkontakt und damit auf einer persönlichen Begegnung. Er sah den Mann, und der sollte auch ihn anschauen. Die nächste interessante Einzelheit ist das Reichen der Hand: „Er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.“ Auch eine Berührung gehörte also dazu. Bei ihr übertrug sich die Kraft Jesu, von der Petrus erfüllt war. Und als letztes fällt auf, dass der Geheilte nicht nur aufstand und dann verschwand, sondern mit Petrus und Johannes in den Tempel ging und dort seiner neuen Lebensfreude Ausdruck gab. Er „sprang umher und lobte und dankte Gott.“

Und das sind Einzelheiten, die wir beherzigen sollten. Auch wenn wir niemanden, der im Rollstuhl sitzt, durch die Kraft Jesu heilen können, so ist es wichtig, dass wir diese – und überhaupt andere – Menschen anschauen, Kontakt aufnehmen, keine Berührungsängste haben und unsre Lebensfreude mit ihnen teilen.

Zum Glück sind wir in unserer Gesellschaft diesbezüglich auch auf einem guten Weg. Der soziologische Begriff dafür ist „Inklusion“. Er wird im Internet folgenderweise definiert: „Inklusion ist das Konzept einer Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt und selbstbestimmt an dieser teilhaben kann – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft, von Religionszugehörigkeit oder Bildung, von eventuellen Behinderungen oder sonstigen individuellen Merkmalen. In der inklusiven Gesellschaft gibt es keine definierte Normalität, die jedes Mitglied dieser Gesellschaft anzustreben oder zu erfüllen hat. Normal ist allein die Tatsache, dass Unterschiede vorhanden sind. Diese Unterschiede werden als Bereicherung aufgefasst und haben keine Auswirkungen auf das selbstverständliche Recht der Individuen auf Teilhabe. Aufgabe der Gesellschaft ist es, in allen Lebensbereichen Strukturen zu schaffen, die es den Mitgliedern dieser Gesellschaft ermöglichen, sich barrierefrei darin zu bewegen.“ (http://www.inklusion-schule.info/inklusion/definition-inklusion.html)

In biblischen Zeiten gab es das noch nicht. Da wurden z.B. kranke oder behinderte Menschen ausgegrenzt, ihnen blieb nichts anderes übrig, als zu betteln. Insofern verhielten sich Petrus und Johannes sehr modern. Das können wir durchaus der Geschichte entnehmen. Auch wenn wir heutzutage keine Wunder vollbringen, sagt sie uns, dass wir alle Menschen in gleicher Weise beachten sollten, ohne Vorurteile oder Abneigungen. Dann kann viel Heil und Freude entstehen, auch durch uns.

Das ist der erste Gedanke, der die Geschichte doch lesenswert macht. Es gibt darüber hinaus aber noch weitere Aspekte. Sie kommen auch in der Definition des Begriffs „Inklusion“ vor. Darin ist ja davon die Rede, dass es in Wirklichkeit gar keine Normalität gibt, und darüber lohnt es sich nachzudenken. Das wäre das Zweite. Wir sehen das nämlich meistens anders. Unbewusst haben wir alle ein Bild im Kopf, wie unser Leben sein sollte: Wir wünschen uns Gesundheit und Wohlstand, Freundschaft und Liebe, Abwechslung und Fröhlichkeit usw. Aber gibt es das so überhaupt? Haben wir nicht alle irgendwelche Defizite? Auch ohne eine körperliche Behinderung kann es sein, dass uns ganz viel fehlt und uns Grenzen gesetzt werden, unter denen wir leiden. Allein schon das Älterwerden gehört dazu. Es kann aber auch der Verlust eines Menschen sein, Kinderlosigkeit, Depressionen, Selbstzweifel, Ängste. Jeder und jede fühlt sich doch durch irgendetwas „behindert“, und wenn wir wollen, könnten wir alle aufhören, Gott dankbar zu sein. Das ist der zweite Gedanke.

Und daraus ergibt sich als drittes, dass wir uns selber entscheiden müssen, mit welcher Einstellung wir dem Leben begegnen wollen. Worauf sind wir fixiert? Natürlich kann ein älterer Mensch auf seine vergangene Jugend blicken, die Kinderlose auf die Mutter, die Rollstuhlfahrerin auf alle, die laufen können usw. Aber ist das ratsam? Dadurch entstehen doch nur Neid und Bitterkeit. Gibt es nicht auch noch andere Möglichkeiten des Bewusstseins? Viel besser wäre es doch, wenn wir aufhörten, uns mit anderen zu vergleichen, und auch uns selber gegenüber unvoreingenommen sind. Wir sind eingeladen, uns so anzunehmen, wie wir sind, und unsere Möglichkeiten zu nutzen. Dann entdecken wir ganz vieles, für das es sich lohnt, zu danken.

Und dabei kann uns der Glaube an Jesus helfen. So ganz einfach ist das ja nicht. Denn es gehört dazu, dass wir uns von den Bildern verabschieden, die wir vom Leben haben, Wünsche aufgeben, die nicht erfüllbar sind, und uns in Gelassenheit üben. Und da kann Jesus uns hinführen. Denn er sieht uns so, wie wir sind, und er steht uns zur Seite. Er kennt das Leid und das Sterben, doch er kennt auch die Überwindung und die Auferstehung. Und daran kann er uns Anteil geben. Er lebt und hat Macht, daran dürfen wir glauben. Das war die Botschaft des Petrus, und er verkündet das immer noch. Wir sind eingeladen, uns Jesus anzuvertrauen, mit allem, was uns fehlt und behindert. Er sieht uns, und auch wir dürfen unseren inneren Blick auf ihn richten. Wir sollten auf ihn fixiert sein und seine Gegenwart zu unserem Focus machen. Dann stärkt er uns von innen her, auch heute noch. Er schenkt uns eine Freude, die unabhängig ist von den äußeren Gegebenheiten, Hoffnung und Mut. Er macht uns zuversichtlich einfach dadurch, dass er da ist. Er selber ist die Gabe, für die wir dankbar sein können.

Auch die Rollstuhlfahrerin, die ich eingangs erwähnte, kann das erleben, sie müsste sich nur dafür entscheiden. Dass das gelingen kann, zeigen uns zum Glück andere Menschen mit demselben Schicksal. Ein prominentes Beispiel ist Wolfgang Schäuble. Er spricht darüber in der Öffentlichkeit zwar kaum, aber er wäre heute nicht Präsident des Bundestages, wenn er einen Groll entwickelt und gepflegt hätte. Und ich bin mir sicher, dass auch sein Glaube ihm geholfen hat, sein Leben zu meistern.

Lassen Sie uns also Gott loben, ganz gleich, wie es uns geht und was wir zu tragen haben. Irgendeinen Grund haben wir alle, und es lohnt sich, darauf zu achten: „Nun lasst uns Gott, dem Herren, Dank sagen und ihn ehren, für alle seine Gaben, die wir empfangen haben.“ (EG 320,1)

Amen.

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