Jesus hat sich für uns geopfert

Predigt über Hebräer 9, 15. 26b- 28: Das einmalige Opfer Christi

Karfreitag, 30.3.2018, 9.30 Uhr, Lutherkirche Kiel

Hebräer 9, 15. 26b- 28

15 Und darum ist er auch der Mittler des neuen Bundes, damit durch seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.
26b Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für alle Mal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben.
27 Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht:
28 so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil.

Liebe Gemeinde.

Für ihre neugeborenen Kinder bringen Eltern viele Opfer: Sie verzichten auf Schlaf und Freizeit, gemeinsames Ausgehen, Ruhe und Stunden der Muße. Doch die meisten tun das zum Glück ganz selbstverständlich. Das Verantwortungsbewusstsein und die Freude an dem Kind ermöglichen es ihnen, so dass sie es vielleicht noch nicht einmal als ein Opfer empfinden. Es gehört eben dazu, und das ist gut so. Wie es überhaupt ein Glück ist, dass die Aufopferung als eine Möglichkeit in unserem sozialen Verhalten angelegt ist. Wir dienen und helfen dadurch den Schwächeren und Bedürftigen, ohne dafür etwas zu verlangen, und das ist oft lebensnotwendig.

In der Antike gibt es dafür das Bild des Pelikans. Das geht auf eine Legende zurück, die von einer Hungersnot für Menschen und Tiere handelt. Als die Pelikanküken zu verhungern drohten, riss sich das Elterntier die Brust auf, um seine Nachkommen mit dem eigenen Blut zu nähren. Die Kinder überlebten und das Elterntier starb. Tatsächlich färbt sich beim Krauskopfpelikan während der Brutzeit das Gefieder im Kehlbereich rot, was sicherlich die Erklärung für diesen Mythos liefert.

Im Christentum ist der Pelikan, der sein Blut spendet, ein Symbol für Jesus Christus geworden. Er hat sich geopfert, damit wir leben können. Es gibt viele Bilder, die den Pelikan und seine Jungen zeigen und damit Jesus Christus meinen. (Beispiel: Grabmal von E. Vogel)

Und das entspricht durchaus dem Neuen Testament. Da finden wir an mehreren Stellen die Deutung des Todes Jesu als ein Opfer. Besonders stark vertritt der Hebräerbrief diese Theorie. Kapitel neun und zehn handeln davon. Wir haben vorhin einen Abschnitt daraus gehört, den wir heute bedenken wollen.

Wer den Hebräerbrief geschrieben hat, wissen wir nicht genau, der Verfasser wird nicht namentlich genannt. Aber es ist klar, dass es sich um einen gebildeten Menschen handelte, der im jüdischen Denken zu Hause war, denn er deutet das Christusgeschehen streng vom Alten Testament her. So will er mit Hilfe der Bibel belegen und beweisen, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der die Menschen erlöst und die Welt rettet. Auch die Empfänger des Briefes waren mit dem jüdischen Denken vertraut. Sie kannten die Bibel und den Kultus.

Dazu gehörte eine umfangreiche Opferpraxis, die im Tempel von Jerusalem vollzogen wurde. Dort brachten die Priester nach bestimmten Vorschriften regelmäßig Tiere und Speisen dar, um Gott zu versöhnen, ihm zu danken und zu loben oder um ein Gelübde abzulegen. Das kannten die Adressaten des Hebräerbriefes und so verstanden sie, was der Schreiber meinte, wenn er sagt: „So ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen.“ Der Verfasser reiht den Tod Christi in die Opfer ein, die die Juden darbrachten.

Er betont allerdings gleichzeitig, dass es mit diesem Opfer eine besondere Bewandtnis hat. Der Tod Christi ist eine große Wendemarke. Die Welt steht seitdem in einem neuen Licht, denn sein Opfer geschah „ein für alle Mal am Ende der Welt. Die Sünden sind damit beseitigt.“ So formuliert der Briefschreiber es hier. Die Lebenshingabe Jesu ist für ihn so etwas wie ein großer Versöhnungstag in der Menschheitsgeschichte.

Der Hebräerbrief stellt also die bisherige religiöse Opferpraxis der Juden in Frage, denn mit dem Tod Christi hat Gott selbst sich in Jesus Christus als letztes und endgültiges Opfer dargebracht. Nicht mehr der Mensch muss sich oder etwas opfern, sondern Gott tut es aus Liebe zu den Menschen. Er gibt sich unumkehrbar hin. So wird Jesus Christus „zu einem Mittler“ zwischen Gott und den Menschen. Er errichtet einen „neuen Bund, damit […] die Berufenen das verheißene ewige Erbe empfangen.“

Das sind die Aussagen in unserem Predigttext, und natürlich kennen wir die alle so oder so ähnlich. In der Abendmahlsliturgie sind sie lebendig geblieben, in den Passionsliedern und auch im Denken vieler Christen. Trotzdem tun wir uns schwer damit. Die Deutung des Todes Jesu als eines Opfers bzw. Sühnetodes hat es heutzutage nicht leicht. Viele Theologen lehnen das inzwischen ab. Sie wollen nicht an einen Gott glauben, geschweige denn ihn lehren, der Blut sehen muss, damit er gnädig gestimmt wird. Sie halten diese Vorstellung für antiquiert und überholt. Sie finden sie abstoßend und unzeitgemäß. Viele Gläubige folgen dieser Meinung und sind froh, dass sie endlich öffentlich ausgesprochen wird.

Für andere dagegen ist gerade das der Kern unseres Glaubens. Wenn wir uns von der Lehre verabschieden, dass Jesus sich für uns geopfert hat, geben wir das Entscheidende auf. Wir verharmlosen seinen Tod, verleugnen die Wahrheit und versündigen uns am Evangelium. Vor ein paar Jahren hat dieser Streit sogar für Schlagzeilen gesorgt. Er wird oft verbittert geführt.

Aber ist das nötig? Ich denke, es gibt auch eine Brücke zwischen diesen beiden Positionen, und ich möchte einmal versuchen, sie zu bauen. Wir müssen die Gedanken des Hebräerbriefes nicht aufgeben, wenn wir einen milden und liebenden Gott suchen. Wenn wir tiefer in diese Vorstellungen eindringen, merken wir nämlich, dass sie gar nicht so blutrünstig sind, wie sie uns vorkommen. Lasst uns das deshalb tun und uns drei Dinge klar machen.

Zunächst einmal dürfen wir die Aussagen, die den Tod Jesu als einen Sühnetod beschreiben, gerne relativieren. Sie sind eine Interpretation des Kreuzes, es gibt schon im Neuen Testament noch viele andere. Ihren Grund haben sie alle darin, dass die ersten Christen das unfassbare Ereignis, dass Jesus am Kreuz gestorben ist, irgendwie verstehen wollten. So sagen die Evangelisten, dass es notwendig und von Gott gewollt war. Sie führen das nicht näher aus, es wird einfach nur festgestellt und reicht ihnen als Erklärung. (vgl. Lukas 24,26f) An anderen Stellen ist davon die Rede, dass wir erst durch den Sterben Jesu wirklich Gemeinschaft mit ihm haben. (vgl. Römer 6,1-10) Er ist durch diese tiefste Stufe des irdischen Lebens hindurch gegangen und lässt uns im Tod nicht allein. Mit ihm können wir deshalb selber unser Kreuz auf uns nehmen. (vgl. Matthäus 10,38f) Im Vertrauen auf seine Hingabe und seine Gegenwart können wir dem Tod ruhig entgegensehen. (vgl. 2.Timotheus 2, 11)

Die Vorstellung, dass er ein Opfer für Sünden ist, ist also nur eine Deutungsmöglichkeit. Sie hat sich – wie gesagt – aus der jüdischen Opferpraxis ergeben und lag für die Menschen damals nahe. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie sich im kirchlichen Denken und Handeln zwar in den Vordergrund gedrängt, aber wir dürfen sie getrost mit anderen Aussagen im Neuen Testament ausgleichen. Das schränkt sie ein und nimmt ihnen ihre Schärfe. Sie wird dadurch erträglicher. Das ist der erste Punkt.

Als zweites dürfen wir die sühnende Wirkung des Todes Jesu nicht als einen blutrünstigen Akt Gottes denken. Wir geben Gott damit in unserer Phantasie viel zu menschliche Züge. Die Beziehung zwischen ihm und Jesus ist nicht genauso, wie zwischen einem menschlichen Vater und seinem Sohn. Wir beschreiben mit diesem Bild vielmehr etwas, das wir in Wirklichkeit gar nicht begreifen können. Es gibt nicht umsonst schon im Neuen Testament viele Aussagen darüber, dass die Herkunft Jesu außerhalb der Zeit liegt, und dass er und Gott in Wirklichkeit eins sind. Die Kirche hat das mit theologischen Formeln ausgedrückt, wie z.B. im nizänischen Glaubensbekenntnis: Der zweite Artikel über Jesus Christus beginnt dort folgendermaßen: „Wir glauben an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen.“ An diesen Worten ist erkennbar, dass sich hinter dem Leben Jesu und in seiner Person ein großes Geheimnis verbirgt. Wenn er stirbt, stirbt Gott selber, das ist in unserem Zusammenhang das entscheidende Bekenntnis. Gott hat sich selber zum Opfer gemacht. Er wurde schwach und hat sich dem Tod unterworfen. Wir sehen in dem Kreuz Jesu also in erster Linie die unendliche Liebe Gottes zu den Menschen. Er gibt sich selber hin, damit wir leben. Und damit beendet er die ganze bis dahin gültige Opferpraxis. Sie wird ein für alle Mal abgeschafft und ist nicht mehr nötig. Wir haben durch seine Selbsthingabe einen freien Zugang zu ihm. Das ist der zweite Punkt.

Und als drittes ist der Tod Jesu nie ohne seine Auferstehung zu denken. In ihm bahnt sich schon das neue Leben an. So wie in der Natur jedes Opfer dem Leben dient, so ist es auch mit dem Tod Jesu. Wenn wir beobachten, wie z.B. Vögel ihre Jungen aufziehen, bekommen wir davon eine Ahnung. Unermüdlich sind sie auf Nahrungssuche. Ihre ganze Zeit und Kraft, ja ihr gesamtes Dasein opfern sie dafür, dass der Nachwuchs leben kann. Millionenfach spielt sich dieser Vorgang in der Schöpfung ab. Ohne ihn wäre alles dem Untergang geweiht. Unsere Welt lebt davon, dass Opfer gebracht werden. Auch dieser Gedanke mildert den Schreck, den wir empfinden, wenn wir den Tod Jesu da einreihen. Er schafft neues Leben, wir „empfangen das verheißene ewige Erbe.“

Mit diesen drei Argumenten können wir vielleicht doch mit den Aussagen unseres Predigttextes etwas anfangen. Es wäre auch schade, wenn wir sie bei Seite tun, denn dann verlieren wir eins der großen Geheimnisse unseres Glaubens. Es lohnt sich vielmehr, wenn wir versuchen, ihre Wahrheit zu entdecken.

Und dazu ist es gut, wenn wir zunächst einmal ehrlich sind und zugeben, dass es das Böse in der Welt gibt. Wir dürfen es nicht unterschätzen. Das war es ja, was Jesus am Kreuz durchlebt hat: Seine Widersacher waren im Unrecht und luden schwere Schuld auf sich. Und so etwas geschieht immer noch überall. Niemand von uns ist davon frei. Die Sünde greift nach uns, sie spielt sich oft auf, will uns beherrschen und unser Leben zerstören. Jeder Konflikt ist dafür ein Zeichen, jede Schwäche, jede Unvollkommenheit. Wir machen alle Fehler und tragen dazu bei, dass das Leben manchmal dunkel und rau ist. Auch vor Gott können wir nicht bestehen, denn er hat sich das alles eigentlich ganz anders gedacht. Das sollten wir zugeben und „beweinen“, wie es in einem Passionslied von 1530 heißt. Sebald Heyden dichtete es. (Evangelisches Gesangbuch Nr. 76) Er bezeichnet unsere Sünden als eine „schwere Bürde“, die wir aus eigener Kraft nicht loswerden können. Wenn wir die Wirkung des Kreuzes Jesu entdecken und erfahren wollen, müssen wir uns das als erstes eingestehen.

Dann sind wir nämlich froh, dass Jesus Christus sich geopfert hat, um uns schwachen und bedürftigen Menschen zu dienen. Er hat unsere Not gewendet, denn hinter seinem Tod verbirgt sich seine unendliche Liebe, und wir sind eingeladen, uns darauf einzulassen. Auch wenn das Kreuz Jesu ein großes Ärgernis ist, sollten wir dem nicht ausweichen. Denn es stellt eine Zeitenwende dar, ein universales Geschehen, das für die ganze Welt von Bedeutung ist. Es beinhaltet, was mit der Liedzeile zum Ausdruck kommt: „Den Toten er das Leben gab und tat dabei all Krankheit ab.“

Wenn wir darauf vertrauen und unsere Bedenken begraben, merken wir, dass eine geheimnisvolle Kraft vom Kreuz ausgeht. Wie das Blut des Pelikans die Jungen nährte, so fließt uns vom Kreuz die Liebe Gottes zu. Unsere Sünden werden weggespült, unsere Schwachheit wird überwunden und das Böse in uns wird vertilgt. Uns wird durch das Kreuz Vergebung und Heil geschenkt. Das Dunkel lichtet sich, Ängste verschwinden und neues Leben entsteht. Wir „empfangen das verheißene ewige Erbe“ wie es in unserem Textabschnitt heißt, d.h. wir gewinnen selber Anteil an der neuen Zeit, die Christus heraufgeführt hat. Wir erben den Himmel und werden mit unendlicher Liebe erfüllt.

Und das heißt, dass nicht nur für uns persönlich in unserem Inneren neue Möglichkeiten erwachen, wir können die Liebe, die wir empfangen, auch anderen Menschen weitergeben. Wir werden selber zum Opfer fähig und können jedem und jeder, die es nötig hat, zeigen, was uns geschenkt wurde. Wir brauchen dafür keinen Lohn, weil wir im Vertrauen auf Jesus immer wieder mit der Kraft versorgt werden, die wir dazu brauchen.

„So lasst uns nun ihm dankbar sein, dass er für uns litt solche Pein, nach seinem Willen leben.“

Amen.

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