Predigt über 2. Mose 3, 1- 10: Moses Berufung
Letzter Sonntag nach Epiphanias, 5.2.2017, 9.30 und 11 Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel
2. Mose 3, 1- 10
1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.
2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.
3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.
4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.
5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!
6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr aGeschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.
8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.
9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen,
10 so geh nun hin, aich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.
Liebe Gemeinde.
Wer in Japan in einem traditionellen Hotel übernachtet, einem sogenannten Ryokan, der muss seine Schuhe am Eingang ausziehen und in die bereit stehenden Hausschuhe schlüpfen, sonst würden sich die Gastgeber brüskiert fühlen.
Doch nicht nur dort ist das Ausziehen der Schuhe vor dem Betreten eines Raumes oder Gebäudes üblich. Auch wer in eine Moschee geht, legt die Schuhe am Eingang ab, und zu Hause tun das ebenso viele Menschen.
Es gibt für dieses Ritual verschiedene Begründungen. Hauptsächlich hat es natürlich etwas mit dem Schmutz zu tun, der oft an den Schuhen haftet. Der soll nicht in die Wohnung oder den Raum getragen werden.
In der Religion wird das Ausziehen der Schuhe dagegen noch weitergehend begründet, und zwar ist es immer dann gefordert, wenn der Ort, den ein Mensch betritt, als heilig gilt, d.h. wenn Gott dort gegenwärtig ist. Der Mensch darf sich ihm dann nur in „heiliger Scheu“ nähern. Die Schuhe auszuziehen ist ein Zeichen von Ehrfurcht: Man erscheint so vor Gott, wie man geboren wurde, nämlich barfuß. Auch im Tempel von Jerusalem gingen die Priester deshalb barfuß, und der Tempelberg durfte nicht mit Schuhen betreten werden.
In der Bibel kommt dieses Ritual mehrfach vor, so auch in der Geschichte von Moses Berufung. Wir haben sie vorhin gehört. Sie markiert den Anfang von Moses besonderem Weg, seine Ernennung zum Mann Gottes und Anführer seines Volkes. Vorher war er ein einfacher Hirte und als solcher „hütete er die Schafe seines Schwiegervaters.“ Bei seinen Wanderungen „über die Steppe“ kam er nun eines Tages „an den Berg Gottes, den Horeb“, und dort sah er etwas Sonderbares: Er erblickte einen brennenden Dornbusch, der auf geheimnisvolle Weise von den Flammen nicht verzehrt wurde. Das machte Mose neugierig und er dachte bei sich selbst: „Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.“ Und er näherte sich.
Doch Mose sah nicht nur etwas, gleichzeitig wurde er gesehen, und zwar von Gott. Und der sprach nun zu Mose. Er „rief ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose!“ Er kannte ihn also und hatte offensichtlich etwas mit ihm vor. Zunächst warnte er ihn allerdings, sich der Erscheinung zu nähern. „Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!“ Das hörte Mose als erstes und er gehorchte. Daraufhin offenbarte ihm Gott, dass er es war, der zu ihm sprach, der Gott seiner Väter. Mose verhüllte deshalb sein Angesicht, wie er es gelernt hatte, und dann empfing er den Auftrag Gottes: „Geh hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.“ Gott hatte „das Elend seines Volks in Ägypten gesehen, ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört“ und „ihre Leiden erkannt.“ Mose sollte sie befreien und in ein „gutes und weites Land“ führen, „ein Land, darin Milch und Honig fließt.“
Das ist die Erzählung, und die kennen sicher die meisten von Ihnen. Sie markiert in der Bibel und in der Geschichte Israels ein wichtiges Ereignis, einen Einschnitt, denn hiermit beginnt bereits die Errettung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten. Sie wurde mit dem Auszug wahr, führte zum Bundesschluss am Sinai und kam mit der Einnahme des verheißenen Landes zur Vollendung. Die Berufung Moses, die für das alles den Anfang bildete, hatte also eine ausschlaggebende Bedeutung und viele Folgen.
Dabei enthält der Bericht einige typische Elemente einer Gottesbegegnung. So ist es im Alten Testament immer, wenn Gott sich offenbart und einzelne Personen beauftragt: Es geschieht irgendetwas etwas Außergewöhnliches, etwas nicht Alltägliches: Licht spielt eine Rolle, meistens in Form von Feuer oder Flammen, oft kommt auch ein Sturm auf, oder Wind und Wolken, die in übernatürlicher Weise das Erscheinen Gottes begleiten. Und von den Menschen wird immer Ehrfurcht erwartet. Das Ausziehen der Schuhe ist dafür nur ein Zeichen. Dass Mose sein Angesicht verhüllte, war ebenso üblich, auch gingen die Menschen dabei meistens auf die Knie oder fielen zu Boden. Sie hörten eine Stimme und gehorchten. Denn Gott nahm sie in Anspruch.
Das erlebten allerdings nur Personen, die besonders ausgewählt waren, Propheten, Priester oder Könige. Dem allgemeinen Volk blieb die Gegenwart Gottes normaler Weise verborgen. Er begegnete ihnen dann durch diese Menschen, die er dafür beauftragt hatte.
Als Erzählungen sind die sogenannten Theophanien, d.h. Berichte über die Erscheinung Gottes interessant und spannend. In der Theologie des Alten Testamentes sind sie auch ein wesentliches Element. Doch bedeuten sie noch etwas für uns? Haben sie inzwischen nicht eher den Charakter von Legenden oder Märchen? Was sollen wir damit anfangen? Das müssen wir uns fragen.
Dabei hilft es uns, dass diese Geschichte heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias, die alttestamentliche Lesung ist. Das ist natürlich kein Zufall. Das Thema ist an diesem Sonntag die „Verklärung Christi“. Auch die Geschichte haben wir vorhin gehört. (Matthäus 17,1-9) Sie erzählt eine Begebenheit im Leben Jesu, bei der auch er dreien seiner Jünger einmal in einem besonderen Licht erschien. Sie wurden in dieses göttliche Licht hineingenommen, fielen zu Boden und hörten aus einer Wolke die Stimme Gottes. Sie offenbarte ihnen, dass Jesus der Sohn Gottes war. Wenn er von den Toten auferstanden ist, sollten sie das der Welt verkünden.
Es gibt zwischen den beiden Erzählungen von heute also einige Parallelen, und das ist wichtig. Bei der Verklärung Jesu hat Gott sich ein letztes Mal in der Weise offenbart, wie es uns im Alten Testament oft berichtet wird. Seit Jesu Tod und Auferstehung ist das nicht mehr geschehen, denn nun ist es nicht mehr nötig. Jetzt ist er immer da, und jeder und jede kann ihn sehen und zu ihm kommen. Das ist das Evangelium, die gute Botschaft, an die wir als Christen glauben.
Die Frage ist allerdings, wie das vor sich geht und was das für unser Leben bedeutet. Und dabei kann uns die Geschichte von Mose und dem brennenden Dornbusch helfen. Wir können sie auf unseren Glauben übertragen und die einzelnen Ereignisse symbolisch verstehen. Dann gibt sie uns viele schöne Hinweise.
Zunächst einmal ist das Feuer, das den Busch nicht verzehrt, ein gutes Gleichnis für die Gegenwart Christi: Sie ist hell und warm und kraftvoll, aber sie zerstört nichts. Die Flammen sind anders als die eines natürlichen Feuers, denn es sind „Liebesflammen“ (Evangelisches Gesangbuch 251,1), die gut tun und uns erfüllen können. Und im Unterschied zum brennenden Dornbusch lodern sie immer und überall. Wir müssen nur hinzutreten und uns Christus nähern.
Es ist allerdings gut, wenn wir uns dafür auch Zeit nehmen und bildlich gesprochen „unsere Schuhe ausziehen“. Das ist ein schönes Symbol dafür, dass wir Ehrfurcht vor Christus haben und etwas Besonderes von ihm erwarten. Wo er gegenwärtig ist, wandelt sich der Ort, an dem wir sind, in „heiliges Land“.
Und dann dürfen wir damit rechnen, dass auch wir gesehen und gerufen werden. Christus kennt uns bei unserem Namen und er will uns in Anspruch nehmen. Es ist also wichtig, dass wir hören und gehorchen und ihm unser Leben zur Verfügung stellen, unsere Zeit und unsere Kraft, unser Fähigkeiten und unsere Liebe.
Die Frage ist allerdings, ob wir das überhaupt wollen. Möchten wir Christus gehören und so wie Mose einen besonderen Auftrag empfangen? Das klingt einerseits ja ganz schön und einladend, aber andererseits auch herausfordernd. Unser Leben läuft doch auch ohne Glauben und Religion, ohne Christus oder die Bibel ganz gut.
Diesen Einwand hören wir öfter und haben ihn manchmal wohl auch selber. Wir zweifeln gelegentlich daran, ob der Glaube sich lohnt. Lassen Sie uns darüber also noch einmal nachdenken. Dafür können wir den Spieß umdrehen und fragen: Stimmt das überhaupt, dass es uns ohne Christus gut geht? Ein Leben ohne Glauben kann doch genauso zweifelhaft sein. Wie sieht es denn aus? Dafür können wir die Geschichte von Mose ruhig als Beispiel nehmen. Er war vor der Begegnung mit Gott ein einfacher Hirte, hatte eine Frau und einen Schwiegervater und war mit dessen Schafen unterwegs. Er war also nichts besonderes, und das können wir auf uns übertragen: Unser Leben ist normal und alltäglich. Wir bewegen uns in den üblichen Mustern, haben Aufgaben und Kontakte und versuchen irgendwie klar zu kommen. Manchmal gelingt das, manchmal allerdings auch nicht. Es gibt viele Hindernisse für ein ruhiges und zufriedenes Leben.
Ein großes Problemfeld ist z.B. unser Miteinander. Die sozialen Strukturen sind nicht für alle förderlich und heilsam. Im Gegenteil: Wir können auf der Strecke bleiben, denn zum Überleben gehört immer ein Kampf, und oft führt jeder oder jede den für sich allein. Es gibt viel Konkurrenz und Neid, sowohl in Familien, als auch in Betrieben oder Gruppen. Wir arbeiten nicht immer mit den anderen Hand in Hand, sondern sind häufig auf uns gestellt. Denn die Hauptantriebskraft für unser Verhalten ist normaler Weise der Egoismus: Irgendwie will jeder auf seine Kosten kommen. Und daraus entstehen leicht Ungerechtigkeiten. Wir vernachlässigen einander, sind rücksichtslos und unachtsam, enttäuschen oder verletzen uns gegenseitig. Das alltägliche, „normale“ Leben ist gar nicht nur schön und einfach, das sollten wir zugeben. Und Lösungen für die vielen Probleme, die wir so miteinander haben, gibt es auch nicht immer.
Auf diesem Hintergrund ist es durchaus spannend, neugierig auf etwas zu sein, das unseren Alltag sprengt, eine übernatürliche Kraft- und Liebesquelle zu suchen. Und genau die wurde uns durch das Erscheinen Christi geschenkt. Wir müssen also gar nicht weit gehen oder lange forschen. So wie Mose zu dem brennenden Dornbusch geführt wurde und ganz nah da heran kam, können wir einfach auf Christus vertrauen und zu ihm rufen. Er will uns mit seinen Flammen entzünden und uns erfüllen. Er kennt und liebt uns und enttäuscht uns nie. Von ihm werden wir ganz angenommen. Deshalb schmilzt unser Egoismus in seiner Gegenwart, wir werden befreit und erlöst. Wir müssen nur hinzutreten, „unsere Schuhe ausziehen“, hören, gehrochen und uns von ihm in Anspruch nehmen lassen. Dann finden wir Ruhe und unser Leben verändert sich. Ein Feuer wird in unserem Geist entfacht, das uns stärkt und lebendig macht. Es ist das Feuer der Liebe Christi. Mit ihm wird unser Leben viel schöner und heller, als es vorher war. „Liebesflammen“ werden entzündet.
Dieser Ausdruck stammt von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1725) aus dem Lied „Herz und Herz vereint zusammen“ (EG 251). Er hat darin wunderbar beschrieben, wie eine christliche „Liebeskette“ entstehen kann. Sie ist die letzte Folge eines Hinzutretens zum Licht Christi, und auch sie hat eine Parallele in der Geschichte von Moses Berufung: So wie Mose sein Volk aus der Knechtschaft führen durfte, so können auch wir andere anstecken, mitnehmen und befreien. Denn wir sehen sie durch die Nähe Christi mit neuen Augen. Der Mitmensch ist nicht mehr ein Konkurrent oder Gegner, sondern ebenfalls ein Geschöpf, das von Gott geliebt wird. Das erkennen wir, und so entsteht ein ganz neues Miteinander.
Wir können das in jeder Gemeinschaft erleben und praktizieren, in der Familie, im Kollegenkreis und natürlich in der Gemeinde. Sie ist sogar der bevorzugte Ort, um diese neue Verbundenheit einzuüben. Wir können unsre „Herzen vereinen“ und gemeinsam die „Liebesflammen“ brennen lassen. Dann werden alle, die an Christus glauben, zum neuen „Volk Gottes“: Sie sind befreit und gesegnet und werden reich beschenkt.
Amen.