Gute Gründe, in der Kirche zu sein

Predigt über Johannes 15, 1- 8: Der wahre Weinstock

3. Sonntag nach Ostern, Jubilate, 26.4.2015, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

Johannes 15, 1- 8

1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen; und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr Frucht bringe.
3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen brennen.
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Liebe Gemeinde.
„Ich bete regelmäßig, tue dies aber nicht in der Kirche. Ich gehe dafür lieber in die Natur. Bei einem Spaziergang im Wald oder durch die Wiesen fühle ich mich Gott ganz nah. Ich brauch den Gottesdienst nicht, deshalb bin ich aus der Kirche ausgetreten.“
Solche Erklärungen haben Sie sicher schon gehört. Viele Menschen erzählen uns das. Sie sind religiös und glauben an Gott, mit der Kirche wollen sie aber nichts zu tun haben. Sie sehen darin keinen Nutzen, und so ist die Zahl der Kirchenaustritte tatsächlich beunruhigend.
Dafür gibt es ja viele Gründe. Den einen ist die Kirche zu links, den anderen zu rechts, einige finden sie zu einseitig, andere zu tolerant, sie tut zu viel, sie tut zu wenig, usw. Außerdem ist es teuer, in der Kirche zu sein, und niemand weiß genau, was mit dem Geld geschieht. Das ist meistens der Hauptgrund für einen Kirchenaustritt.
Auch wir, die wir dazu gehören, haben sicher einiges an der Kirche auszusetzen: Der wahre Glaube fehlt, es gibt zu viel Streit in den Gemeinden, die Verwaltung ist zu umfangreich usw. Das Leiden an der Kirche ist manchmal groß.
Möglicher Weise haben wir deshalb auch nicht sofort die passenden Argumente parat, wenn es einmal zu einem Gespräch über die Kirche kommt. Das Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Nordkirche hat deshalb vor einiger Zeit einen Prospekt herausgegeben, in dem „zwölf gute Gründe“ aufgezählt werden, in der Kirche zu sein. Den können wir Menschen mit der oben zitierten Meinung geben. Dort steht, dass die Kirche eine Wahrheit bewahrt, die Menschen sich nicht selber sagen können. Sie stillt die Sehnsucht nach Segen, begleitet Menschen bis zum Tod, bietet Ruhe und Besinnung an, verkündet Hoffnung auf die Ewigkeit, hält Fürbitte, prägt das gesellschaftliche Leben mit Feiertagen und kulturellen Veranstaltungen, nimmt Menschen ernst, sorgt in sozialen Einrichtungen für ein menschenfreundliches Klima, übt Solidarität mit den Schwachen und bildet eine weltweite Gemeinschaft.
Das ist eine beachtliche Aufzählung, die überzeugend und einladend wirkt. Der Ursprung und der Kern des Ganzen liegen allerdings noch auf einer anderen Ebene. Er steht im Evangelium und wurde von Jesus Christus selber formuliert. In der heutigen Lesung benennt Jesus deutlich, warum es die Kirche gibt, und zwar mit dem Satz „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Das ist ein Bild, mit dem Jesus kurz und klar beschreibt, was die Kirche ist, und warum wir dazugehören: Sie lebt, weil er da ist, weil er die Grundlage ist, und wir alle von ihm unsere Kraft bekommen. Wir hängen an ihm wie die Reben am Weinstock, und ohne ihn sind wir nichts. Das sollten wir als erstes bedenken, wenn wir nach Gründen für eine Zugehörigkeit zur Kirche fragen.
Jesus sagt es zu seinen Jüngern innerhalb der sogenannten „Abschiedsreden“. Die stehen zwischen dem Ende seiner öffentlichen Wirksamkeit und dem Beginn seines Leidens. Und er will damit seine Jünger auf die Zeit vorbereiten, in der er nicht mehr da sein wird. Er erklärt ihnen, wie sie dann leben werden, was er ihnen hinterlässt. Er sagt ihnen, in welcher Gestalt er weiter bei ihnen ist, und wie sie mit ihm verbunden bleiben können.
Und dafür ist das Bild von dem Weinstock und den Reben sehr anschaulich. Jesus sagt: So wie das mit dem Weinstock ist, so ist es mit mir und mit euch, die ihr an mich glaubt: Ich bin der Weinstock, d.h. von mir und aus mir kommt die Kraft und das Leben. Und ihr seid die Reben. Nur wenn ihr an mir bleibt, werdet ihr leben und Kraft haben und „Frucht bringen“.
Und das sagt Jesus als Warnung und als Aufforderung: Seine Jünger sollen auch an ihm bleiben, sie sollen treu durchhalten, ihren Glauben an ihn nicht aufgeben. Wer sich einmal für ihn entschieden hat, soll darauf achten, dass die Verbindung zu Christus auch lebendig bleibt. Denn nur dann wird sein Leben „Frucht bringen“. Das klingt schön und vielversprechend, aber damit ist auch eine Drohung verbunden. Wer nämlich nicht an ihm bleibt, geht unter. Er wird wie eine verdorrte Rebe weggeworfen und verbrannt.
Das ist das Bild, mit dem Jesus unser Leben als Christen beschreibt, und darin steckt der zentrale Grund, in der Kirche zu bleiben: Christus ist ihre Mitte, und wer an ihn glaubt, gehört zu einem lebendigen Ganzen. Christsein erschöpft sich nicht in einem individuellen Glauben, nicht in schönen Gefühlen und privaten Gebeten. Wir gehören als Christen vielmehr zu etwas Größerem, als wir selbst. Durch die Auferstehung Jesu Christi gibt es eine neue Wirklichkeit. Seine Gegenwart hat eine weltweite Dimension. Es gibt mitten in dieser alten Welt des Sterbens und Vergehens eine neue Schöpfung. Als Christen gehören wir dazu, und das heißt, wir gehören zu einer großen Gemeinschaft. Alle Gläubigen bilden zusammen eine wesenhafte Einheit, ein lebendiges Gefüge.
So wird es uns mit dem Bild vom Weinstock hier vorgestellt, und das heißt, ohne den Kontakt zu anderen Christen sind wir verlorene Einzelwesen ohne große Bedeutung. Auf jeden Fall haben wir nicht Teil an der Wirklichkeit, die Christus geschaffen hat, und „bringen keine Frucht.“ Ein Mensch, der nur auf einsamen Spaziergängen seine Religiosität praktiziert, ist kein ganzer Christ im Sinne des Neuen Testamentes. Denn dazu gehört noch mehr.
Es gehört das Erleben dazu, dass wir ganz und gar von Christus abhängen und ohne ihn nichts sind. Wir müssen von Christus überzeugt sein, uns für ihn entscheiden und uns ganz ihm hingeben. Denn er ist die Mitte und der Ursprung. Und um das zu erfahren, brauchen wir die anderen. Ohne sie kann es zu diesem Bewusstsein nicht kommen. Denn ein wesentlicher Schritt im Glauben besteht darin, dass jeder und jede Einzelne ihr Ich zurücknimmt, sich unter Christus stellt und sich einfügt. Und das geht nur im Miteinander. Nur durch andere Menschen kann unser normales Lebensgefühl sich ändern.
Und das ist notwendig, denn natürlicher Weise erleben wir uns selber als Mittelpunkt: Die Welt und die Menschen drehen sich um uns und unsere Belange, alles kreist um unser Wollen und Trachten. Wir sind von Natur aus egozentrisch, d.h. unser Ich steht im Zentrum. Bei einer bloß individuellen Religiosität wird dieses Lebensgefühl nie durchbrochen, im Gegenteil, wir pflegen unsere Egozentrik damit sogar. Wir gehen Konflikten aus dem Weg, ziehen uns zurück und suchen unsre private Ruhe. Natürlich brauchen wir die auch immer mal wieder, aber das allein reicht nicht. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass wir irgendwann im eigenen Saft schmoren und nicht wirklich frei werden. Unser Glaube stagniert, unsere Seele verkümmert. Wir werden zu „verdorrten Reben“. Es kann auch zu Selbstüberschätzung kommen, zu einer völlig verzerrten Selbstwahrnehmung. Es entsteht religiöser Wildwuchs, Aberglaube und Esoterik sind nicht fern. Demnach gibt es genauso viele gute Gründe, eine nur private Frömmigkeit aufzugeben.
Natürlich ist die bequemer, wir werden dabei nicht gestört und müssen uns mit niemandem auseinandersetzen. In jeder Gemeinschaft gibt es ja Konflikte und Unstimmigkeiten. Andere Menschen bereiten uns Schwierigkeiten und behindern unser Handeln. Das vermeiden wir am liebsten, weil wir meinen, dadurch am ehesten frei zu bleiben.
Doch genau da liegt der Irrtum. Auch wenn es ungemütlich ist, sich mit anderen Menschen abgeben zu müssen, gerade darin liegt die große Chance. Denn für ein ausgewogenes Seelenleben und einen gesunden Glauben brauchen wir immer die Korrektur von Seiten anderer Menschen, Inspiration, Stärkung und Hilfe. Wir brauchen die Worte der anderen, das Gespräch und die Herausforderung. Christus soll groß werden in unserem Leben, er soll die Mitte sein, und dafür muss unser Ich kleiner werden. Das jedoch geschieht nicht ohne die Reibungen mit anderen. Wir brauchen sie, um lebendig zu bleiben und zu reifen. Auch die wahre Freiheit tritt erst dann ein, wenn wir fei von uns selber werden.
Und das können wir nur im Miteinander üben, denn da lernen wir, uns auch einmal zurückzunehmen, Vorstellungen loszulassen und uns zu öffnen. In der Auseinandersetzung mit anderen können wir demütig werden und uns einfügen. Das ist die Grundübung im Glauben an Jesus Christus, und die wird gerade durch das Leiden an der Kirche gefördert. Wenn wir die lebendige Kraft und Gegenwart Christi spüren wollen, müssen wir selber kleiner werden und uns ganz an ihn hängen, so wie die Rebe am Weinstock hängt. Und dazu brauchen wir die Gemeinschaft.
Das ist der Hauptgrund für die Mitgliedschaft in der Kirche, und darin liegt auch der Sinn der Taufe. Das Kind, Fiete Baumbach wird durch sie heute in die Kirche aufgenommen. Er wird zu einer Rebe am Weinstock, der Christus ist. Wir bringen ihn mit ihm zusammen und mit allen anderen Christen. Er wird eingegliedert, um an der neuen Schöpfung teilzuhaben.
Und das hat Folgen, er und wir „bringen dadurch Frucht“, wie es im Evangelium heißt. Mit den „zwölf guten Gründen, in der Kirche zu sein“, die in unserem Prospekt stehen, werden die Früchte auch ganz schön benannt. Denn wenn wir uns auf Christus gründen und die Gemeinschaft mit anderen suchen, empfangen wir Segen. Unsere Sehnsucht nach gelingendem Leben wird beantwortet. Wir werden auf unserem Lebensweg begleitet und auf geheimnisvolle Weise immer wieder gestärkt. Wir haben teil an der Hoffnung, die über den Tod hinausweist. Wir finden Ruhe und Besinnung. Andere beten für uns und wir beten für sie. Wir werden ernst genommen, und es kehrt mehr Menschlichkeit in unser Leben ein. Die Schwachen werden nicht ausgestoßen, sondern solidarisch behandelt. Und das gibt es überall, auf der ganzen Welt. Wo wir auch hinkommen, finden wir Christen, die so leben. Wenn wir in der Kirche sind, können wir uns dadurch geborgen fühlen. Sie bietet uns Heimat, wo immer wir sind.
Es ist deshalb gut, dass wir zu ihr gehören. Wir „bleiben dadurch in Christus und er in uns. Wir bringen Frucht und werden Jünger Jesu, damit der Vater verherrlicht, wird.“
Amen.

Ein Gedanke zu “Gute Gründe, in der Kirche zu sein

  1. Liebe Gesa,
    Meinen Dank und Anerkennung für die Beschreibung in so klaren Worten! Ja, Gemeinschaft und Zeugnis im Glauben sind wichtig. Unsere Handlungen erweisen, ob man sieht, welchem Glauben(sgrundsatz) wir folgen. Es ist gut, sich daran zu erinnern.
    Herzlichst
    Brigitte

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