Predigt über 1. Thessalonicher 5, 1- 11:
Leben im Licht des kommenden Tages
Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 9.11.2014, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel
1.Thessalonicher 5,1-11
1 Von den Zeiten und Stunden aber, liebe Brüder, ist es nicht nötig, euch zu schreiben;
2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird wie ein Dieb in der Nacht.
3 Wenn sie sagen werden: Es ist Friede, es hat keine Gefahr –, dann wird sie das Verderben schnell überfallen wie die Wehen eine schwangere Frau und sie werden nicht entfliehen.
4 Ihr aber, liebe Brüder, seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme.
5 Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.
6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein.
7 Denn die schlafen, die schlafen des Nachts, und die betrunken sind, die sind des Nachts betrunken.
8 Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.
9 Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, das Heil zu erlangen durch unsern Herrn Jesus Christus,
10 der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben.
11 Darum ermahnt euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.
Liebe Gemeinde.
Bald fangen die Weihnachtsvorbereitungen an. Oder sind Sie schon dabei? Das ist sicher davon abhängig, wie wichtig Ihnen das Fest ist, wie groß Sie es feiern und wie viel es zu tun gibt. Bei allen Anlässen bestimmen der Aufwand und die Größe den Zeitpunkt, an dem wir beginnen, uns darüber Gedanken zu machen. So werden etwa Hochzeiten oft schon ein Jahr vorher geplant.
Und das ist auch bei anderen Ereignissen notwendig, bei Prüfungen z.B., Wettkämpfen oder Konzerten. Im Theologiestudium halten wir uns normalerweise die letzten beiden Semester komplett frei, um nur noch zu lernen. Und wer einen Wettkampf gewinnen will, trainiert täglich und macht sich fit. In der Musik muss ebenfalls viel geübt werden, damit etwas dabei heraus kommt.
So ist unser Leben in vielen Bereichen von vorne her bestimmt, von unseren Plänen, Wünschen und Zielen. Wir beabsichtigen etwas und darauf leben wir hin. Wir bereiten uns vor.
Das Neue Testament ist von diesem Lebensgefühl ebenfalls durchzogen. Die Menschen hatten ein Ziel vor Augen, sie lebten von der Zukunft her. Dort geht es allerdings nicht um etwas Innerweltliches, wie ein Fest oder eine Prüfung, sie erwarteten vielmehr den „Tag des Herrn“. Dieses Stichwort fällt in dem Abschnitt aus dem ersten Thessalonicherbrief, den wir vorhin gehört haben. Er trägt in der Lutherbibel die Überschrift: „Leben im Licht des Kommenden Tages“. Paulus meint damit den Tag, an dem Christus wiederkommt, um die Welt zu richten und zu vollenden. Er glaubte, dass er ihn noch erleben würde und damit den Anbruch des Reiches Gottes. Die alte Welt, wie wir sie kennen, vergeht, und eine neue Welt fängt an. Das hatte er gepredigt und daran erinnert er die Thessalonicher hier. Sie sollten ihre Erwartung nicht vergessen, sie sollten nicht müde werden, sondern entsprechend dieser großartigen Zukunft leben. Paulus entfaltet deshalb, was das bedeutet. Er will sie stärken, ihnen helfen, ihnen Weisung und Rat geben.
Denn das Problem ist natürlich, dass er den genauen Anbruch des Tages des Herrn nicht berechnen kann. Er kommt „wie ein Dieb in der Nacht“. „Zeiten und Stunden“ lassen sich nicht exakt voraussagen. Das Wann ist unsicher, deshalb ist eine stete Bereitschaft notwendig. Paulus wendet sich damit gegen eine gewisse Unbekümmertheit, die sich offensichtlich in der Gemeinde in Thessalonich verbreitet hatte. Die Menschen hatten an der nahen Erwartung des Endes wohl ihre Zweifel bekommen.
Um sie wach zu rütteln, bringt Paulus das Bild von der Finsternis und dem Licht ein. Mit der Finsternis meint er die jetzige Welt. Wer nur in ihr aufgeht, ist wie ein Schlafender oder sogar Trunkener. Beides geschieht vorzugsweise in der Nacht, wenn es dunkel ist. Am Tag dagegen, wenn es hell ist und Licht scheint, wachen wir und sind nüchtern. Und diese Verhaltensweise soll für die Christen maßgeblich sein. Das Licht symbolisiert ein Leben mit Christus, das von seiner Wiederkunft her bestimmt ist. Dazu gehören die volle Einsatzbereitschaft und ein klarer Kopf.
Und dann wird Paulus noch konkreter. Er nennt als unverzichtbare Tugenden für diese Lebensführung den Glauben, die Liebe und die Hoffnung. Er sagt: „Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.“
Paulus‘ Botschaft ist also die, dass die Lebensgemeinschaft mit Christus schon jetzt in dieser Welt beginnt und bei seinem Erscheinen ihre Vollendung findet. Darauf sollen die Christen hinleben. Sie sollen sich von der himmlischen Zukunft her bestimmen lassen, von der Ewigkeit und dem Fest, das Gott mit ihnen feiern will. Deshalb sollen sie jetzt schon üben und trainieren, sich gegenseitig helfen und fördern. Sie sollen sich vorbereiten und hier schon erlernen, was sie dereinst sein werden. „Darum ermahnt euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut.“ Das sagt Paulus zum Schluss.
Und das gilt auch für uns. Der heilige Augustinus hat das einmal sinnbildlich sehr schön formuliert. Er sagte: „Oh Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“ Und das wäre doch schade. Es ist durchaus gut und heilsam, sich hier schon auf die Ewigkeit vorzubereiten. Die Ermahnungen des Apostels sind immer noch aktuell und stellen unser normales Lebensgefühl in Frage. Auch wir sollen darüber nachdenken, wie wir leben, was uns bestimmt und motiviert. Die Ewigkeit ist es normalerweise ja nicht. Die beziehen wir nur selten in unsere Lebensführung ein. Sie ist uns zu weit weg und auch zu unrealistisch. Wissen wir denn überhaupt, ob es sie gibt? Wir sind lieber auf diese Welt ausgerichtet, die wir vor Augen haben und kennen, verstehen und gestalten können. Wir wollen hier etwas erreichen, Erfolge sehen, Feste feiern und uns selber verwirklichen. Das ist unser Lebenskonzept.
Aber reicht das eigentlich, um ein volles, gesundes und glückliches Leben zu haben? Gelingt uns alles, was wir uns vornehmen? Erreichen wir unsere Ziele und werden wir dabei zufrieden? Das müssen wir uns fragen, und dabei kommen uns möglicher Weise schon die ersten Zweifel. Wir merken, ein rein innerweltliches Leben ist genauso fragwürdig, wie eine Ausrichtung auf das kommende Reich Gottes. Wir verpassen etwas, wenn wir das ausklammern. Lassen Sie uns einmal genau hinschauen, was bei unserer Lebensführung herauskommt. Glaube, Hoffnung und Liebe geraten nämlich in den Hintergrund, und andere Lebenskräfte treiben uns an. Beim Nachdenken darüber ist mir eingefallen, was in etwa das Gegenteil darstellt. Das sind die Leistung, unser Willen und unser Selbstvertrauen. Es ist zwar nicht schlecht und in Maßen sogar notwendig, wenn uns diese Impulse motivieren, aber sie haben auch ganz erhebliche Schattenseiten.
Das erste Beispiel ist unsere Leistung. Durch sie sind wir ständig unter Druck. Wir müssen uns anstrengen und mithalten, und dabei kann sich Erschöpfung einstellen, Müdigkeit und somit auch Erfolglosigkeit. Angst und Sorge sind unsere ständigen Begleiter, und das Scheitern ist nie weit entfernt. Wir können in einen Abgrund fallen und uns schwer verletzen.
Das Zweite, was ich genannt habe, der Wille, ist als Lebensmotor ebenso fragwürdig, denn er macht uns verspannt und verschlossen. Wir verlieren unsere innere Beweglichkeit, wenn immer geschehen soll, was wir wollen. Gefühle werden unterdrückt, und wir werden einseitig. Wir verfolgen eine bestimmte Linie, klammern andere Möglichkeiten aus und merken gar nicht, wie leicht wir dadurch in eine Sackgasse geraten können. Plötzlich stehen wir vor einer Mauer und nichts geht mehr. Unsere Perspektiven verdunkeln sich, und wir sind der Verzweiflung nahe.
Und die dritte Triebfeder, das Selbstvertrauen, ist zwar wichtig und nötig, aber es kann genauso vom Leben wegführen, wie Leistung und Wille. Denn damit geht oft eine gewisse Selbstherrlichkeit einher, Egoismus und eine gefährliche Sicherheit. Es kann uns rücksichtslos gegenüber unseren Mitmenschen machen. Wir verlieren das Interesse an ihrem Wohlergehen und werden stattdessen gewaltsam. Unterdrückung und Krieg sind die Folgen, wenn es ganz schlimm kommt, Mord und Totschlag.
Der neunte November liefert uns dafür ein Beispiel. Er ist in unserem Land ja sehr geschichtsträchtig, und zwar in guter wie in verheerender Weise. Besonders gravierend war der Beginn der Novemberpogrome 1938. Heute vor 76 Jahren brannten in Deutschland alle Synagogen. Das selbstherrliche Regime der Nazis führte zu einer beispiellosen Verfolgung und Vernichtung der Juden. Krieg und Zerstörung ließen nicht lange auf sich warten.
Es ist demnach gut und wichtig, dass wir nach anderen Handlungsanleitungen fragen, und genau davon redet Paulus in unserem Briefabschnitt. Er lädt dazu ein, unseren Geist dafür zu öffnen, dass es nicht nur diese Welt gibt, sondern noch eine ganz andere Realität. Christus hat sie heraufgeführt, sein Reich ist bereits angebrochen, und es lohnt sich, mit ihm Gemeinschaft zu haben. Dann bestimmen nicht mehr die Leistung, der Wille und das Selbstvertrauen unser Lebensgefühl, sondern Glaube, Hoffnung und Liebe. Und das hat eine ganz große Verheißung.
Lassen Sie uns also fragen, wo diese Tugenden uns hinführen. Paulus verbindet sie bewusst mit zwei Teilen aus der Rüstung eines Soldaten, dem Helm und dem Schild. Sie können uns also beschirmen, wir sind vor Abgründen und Verzweiflung, vor Krieg und Gewalt geschützt. Das wird deutlich, wenn wir uns klar machen, was es heißt, zu glauben, zu hoffen und zu lieben.
Nehmen wir als erstes den Glauben. Er führt uns dahin, dass wir nicht nur auf unsere Leistungskraft angewiesen sind, sondern auf Gott vertrauen. Nötig ist dafür lediglich die Nüchternheit, die Paulus ja auch nennt. Wir müssen ehrlich sein und uns eingestehen, dass wir nicht alles können und erreichen. Wir sind unvollkommen und unzulänglich. Aber das dürfen wir auch sein, denn Gott nimmt uns so an, wie wir sind. Wir müssen nicht immer gut und erfolgreich sein, sondern dürfen auch scheitern. Im Glauben wissen wir uns von Gott gehalten und geführt, ganz gleich, was geschieht. Er macht uns frei, der Druck verschwindet, wir können aufatmen und müssen keine Angst mehr haben. Die ständige Sorge, ob wir auch bestehen, löst sich in Luft auf, weil wir bei Gott geborgen sind. Das ist das erste.
Und so ähnlich ist es mit der Hoffnung. Auch sie schenkt uns ein ganz neues Lebensgefühl. Mit ihr sind wir zwar genauso auf ein Ziel ausgerichtet, wie durch unseren Willen, aber sie verengt nicht unseren Geist, sondern öffnet ihn. Wenn wir hoffen, ein Ziel zu erreichen, liegt es nicht in unserer Hand, sondern bei jemand anderem. Wir gehen davon aus, dass etwas bereits da und möglich ist, und wir nur darauf warten müssen. Dazu gehören zwar Beharrlichkeit und Geduld, aber keine Anspannung und kein Zwang. Dafür gibt es als Beispiel ein weiteres, positives Ereignis aus unserer Geschichte, das auch auf den 9. November fällt: der Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren. Ohne die Hoffnung der Menschen wäre das so nicht geschehen. Durch sie blieb es friedlich und das Gute hat gesiegt.
Und das dritte, die Liebe, ist vielleicht die stärkste Kraft, die sich aus der Gemeinschaft mit Christus ergibt. Sie wird uns von ihm geschenkt, denn Christus hat die vollkommene Liebe gelebt. Er hat sich nicht selbst verwirklicht, sondern sich hingegeben. Er war erfüllt von dem Wunsch und dem Auftrag, die Menschen zu retten, und das hat er auch getan. Er hat uns einen Weg gebahnt, der uns von uns selber frei machen und uns für die anderen öffnen kann. Wir müssen nur seine Liebe annehmen. Dann fällt der Wunsch, uns selber zu behaupten, von uns ab. Wer sich von Christus geliebt weiß, sucht keine Macht und wendet keine Gewalt an, denn die Kraft der Liebe ist stärker. Sie macht uns milde und rücksichtsvoll, aufmerksam und friedlich. Der andere Mensch rückt in unser Blickfeld, und es erwacht die Freude, ihm etwas Gutes zu tun.
All das ist mit dem „Tanz“ gemeint, den der heilige Augustinus uns ans Herz legt, den wir lernen und einüben sollen, damit „die Engel im Himmel etwas mit uns anfangen können.“ So sieht ein Leben aus, das von der Erwartung des kommenden Endes bestimmt ist. Die Ewigkeit leuchtet hinein und vertreibt die Finsternis.
Es lohnt sich also, wenn wir uns in Glaube, Hoffnung und Liebe üben und diese Tugenden trainieren. Dann sind wir gut vorbereitet auf das große und überwältigende Ereignis der Zukunft, den „Tag des Herrn“. Und der wird kommen. Denn selbst wenn das Ende der ganzen Welt vielleicht noch fern ist, unsere persönliche Zeit hier auf der Erde ist auf jeden Fall begrenzt. Wir gehen alle auf die Vollendung unseres Lebens zu. Deshalb ist es gut und ratsam, wenn wir rechtzeitig „lernen zu tanzen, damit die Engel im Himmel etwas mit uns anfangen können“.
Amen.
Vielen herzlichen Dank, habe die Predigt gleich gelesen und weitergeleitet, sehr schön!
Christine