Fürbitte

Predigt über 2. Mose 32, 7- 14: Moses Fürbitte
5. Sonntag nach Ostern, Rogate, 5.5.2024, 8 Uhr, Gethsemanekloster Riechenberg

2. Mose 32, 7- 14

7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt.
8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.
9 Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist.
10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.
11 Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?
12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.
13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will aeure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.
14 Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Liebe Gemeinde.

Mose war auf den Berg Sinai gestiegen, um mit Gott zu reden und die zehn Gebote zu empfangen, und er blieb mehrere Tage dort. Das Volk wurde langsam ungeduldig und wollte weiter. Sie dachten: ,Wer weiß, was Mose zugestoßen ist, und Gott hat sich offensichtlich auch zurückgezogen.‘ So baten sie seinen Bruder Aaron, ihnen einen Ersatzgott zu beschaffen, und das tat Aaron. Er sammelte die goldenen Ohrringe der Frauen ein, schmolz sie und fertigte daraus ein Götzenbild in Form eines Kalbes. Sofort waren die Leute begeistert und sahen darin ihren neuen Gott, selbst Aaron war ergriffen. Er errichtete einen Altar vor dem Kalb und rief ein Fest aus. Am nächsten Morgen ging es los. Die Israeliten brachten dem Götzen Opfer dar und danach setzten sie sich, um zu essen und zu trinken und ein rauschendes, ausschweifendes Fest zu feiern. Es endete in einer wüsten Orgie. (2. Mose 32, 1- 6)

Doch Gott hatte sich keineswegs verzogen, im Gegenteil er sah das alles und sein Zorn entbrannte. Er wollte das Volk vernichten, denn es hatte ihn entehrt und beleidigt. Sie zerstörten alles, was sie bis dahin mit ihm erlebt hatten. Und auch Mose war wütend, als er vom Berg herabstieg.

Über seine Reaktion gibt es zwei Varianten. Es ist im Alten Testament oft so, dass Geschichten aus mehreren Quellen überliefert und später zu einer Erzählung zusammengelegt wurden. Hier ist es so, dass die eine Version seinen Zorn und seine grenzenlose Empörung beschreibt: Er zerschlug die Gesetzestafeln, sprach Donnerworte und zerstörte das goldene Kalb. Er befahl sogar eine willkürliche Anwendung der Todesstrafe. Danach stieg er erneut auf den Berg Sinai und versuchte, bei Gott Sühne für das Volk zu bewirken. (2. Mose 32,15-29).

In unserer Variante tat er das sofort. Hier fehlen die Strafe und die Wut, Mose hatte nur Mitleid mit dem Volk und wollte Gott besänftigen. So betete er gleich für seine Leute. Er bat um Vergebung und erinnerte Gott an den Auszug aus Ägypten, der nur durch seine starke Hand möglich geworden war. Auch die vorigen Verheißungen zählte Mose noch einmal auf, und wie peinlich es gegenüber Ägypten wäre, wenn Gott sein Werk nun nicht zu Ende führen würde. „Da tat es dem HERRN leid und er ließ das angedrohte Unheil nicht über sie kommen.“ Die Fürbitte von Mose hatte also Erfolg. Gott hat ihn erhört und seinen Entschluss geändert.

Es gibt in der Bibel viele Geschichten, in denen so etwas geschieht. Auch Jesus widmete sich oft der Fürbitte, und deshalb tun wir es ebenso. Hier im Kloster geschieht es bei jedem Mittagsgebet, und sie gehört als fester Bestandteil in jeden kirchlichen Gottesdienst. Sicher haben viele von uns auch eine persönliche Liste mit Anliegen und Personen, die sie regelmäßig vor Gott bringen. Die Fürbitte ist eine wichtige Praxis in unserem Glaubensleben.

Aber bewirkt sie eigentlich noch etwas? Das fragen nicht nur Außenstehende, sondern auch uns selber beschleichen manchmal Zweifel. Was tut Gott denn schon? Hört er uns wirklich und warum greift er nicht ein, so wie wir das von ihm erbitten? Selbstverständlich ist es nicht, dass wir an der Fürbitte festhalten.

Ich denke aber, dass sie trotzdem sinnvoll ist, und zwar aus drei Gründen. Zunächst müssen wir beachten, worum Mose hier bittet: Es ist die Vergebung, d.h. er betet sozusagen: „Dein Reich komme“. So hat auch Jesus gebetet. Er stand in einer innigen Verbindung zu Gott, war eins mit ihm und bat um das, was er den Vater tun sah. Das Gebet von Mose war dem ganz ähnlich. Er wusste, dass Gott gnädig sein kann und sein Volk in Wirklichkeit liebte, und daran hat er ihn erinnert.

Und genauso können wir beten. Das ist sehr schön in der sogenannten „Bibel zum Beten“ beschrieben. Die wurde vor einem Jahr von der „Stiftung Christlicher Medien“ (SCM) herausgegeben. Es ist eine Bibel in neuer Übersetzung, in der alle Gebete besonders hervorgehoben sind. Zu ihnen befindet sich jeweils am Rand ein kurzer Kommentar oder eine Auslegung. Viele Autoren und Autorinnen haben sich daran beteiligt. Im Anhang sind noch einige sehr schöne Ausführungen über das Gebet im Allgemeinen zusammengestellt. Und da schreibt Kristian Reschke, ein Gemeindeleiter und geistlicher Begleiter: „Die Basis der Fürbitte [ist es], Gottes Impulse in einer Sache wahrzunehmen. […] Es geht nicht darum, Gott zu drängen und zu beeinflussen, bis er einwilligt. Das wäre ja eher [Zauberei] und Manipulation. Für andere einzustehen heißt vielmehr, unsre Ideen loszulassen, Gottes Herz zu erkennen und zuzustimmen.“ (Die Bibel zum Beten, S. 1542)

Und dafür sind wir auch verantwortlich. In der Nachfolge Jesu ist uns aufgetragen, die Welt und die Menschen vor Gott zu bringen und um seinen Segen und seine Gnade zu bitten. Gerhard Tersteegen hat diese Weise der Fürbitte sehr schön in einer Liedstrophe zum Ausdruck gebracht. Sie lautet: „Sonderlich gedenke deren, die es Herr von mir begehren, dass ich für sie beten soll. Auf dein Herz will ich sie legen, gib du jedem solchen Segen, wie es Not, du kennst sie wohl.“ (EG 252,7) Das ist das Erste.

Als Zweites ist wichtig: Die Fürbitte macht auch etwas mit dem oder der Betenden. Sie besänftigt uns. Die Empörung über die Sünde oder das Unheil gewinnt nicht die Oberhand. Zorn verwandelt sich in Mitleid. Die Liebe siegt in unserem Geist und in unserem Herzen. (Die Bibel zum Beten, S. 106) Der katholische Theologe Romano Guardini hat das einmal wunderbar formuliert. In seiner „Vorschule des Betens“ schreibt er an einer Stelle: „Es ist schön im Gebet zu den Menschen hinzudenken, die einem teuer sind; in Liebe wissend ihre besonderen Schwierigkeiten, Nöte, Anliegen zu berühren und sie vor Gottes Augen zu stellen. Es ist schön, sich in seiner Sorge um den geliebten Menschen eins zu wissen mit dem sorgenden Gott und sich zu sagen, dass jener in diesem Einvernehmen geborgen ist. Es macht ruhig und zuversichtlich. Sie Sorge verliert das Beengende und Quälende; und wenn das alles nachher auch wiederkehren mag, so war die kurze Weile des Gebetes doch da und hat das Gemüt aufatmen lassen.“ (6. Auflage 1960, S. 100)

Wir gehen dadurch auch anders mit unseren Mitmenschen um und können ihnen eher das zukommen lassen, was sie wirklich brauchen.

Und drittens wissen wir nicht, wie die Welt aussehen würde, wenn es die Beter und Beterinnen nicht gäbe. Die Fürbitte ist wie ein unsichtbares Netz, das diese Welt umfängt, denn wir können davon ausgehen, dass irgendwo immer jemand ist, der betet und die Welt und die Menschen auf „Gottes Herz legt“. Vielleicht stünde es sonst noch viel schlimmer um die Welt, denn das Gebet bringt Stärke zu denen, die es brauchen, Licht zu den Leidenden, und fördert Geduld und Hingabe. Das Reich Gottes wächst.

Auch dazu gibt es ein Lied in unserem Gesangbuch. Es beginnt mit der Zeile „Der Tag, mein, Gott ist nun vergangen“. Deshalb hat man zunächst den Eindruck, dass es ein Abendlied ist. Aber es steht nicht umsonst unter der Rubrik: „Ökumene“, denn davon handelt es hauptsächlich, von der weltweiten Christenheit, in der immer irgendwo jemand wacht und betet. Es heißt darin:

„Denn unermüdlich, wie der Schimmer des Morgens um die Erde geht, ist immer ein Gebet und immer ein Loblied wach, das vor dir steht.
Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben den Menschen überm Meer das Licht: Und immer wird ein Mund sich üben, der Dank für deine Taten spricht.
So sei es, Herr: Die Reiche fallen, dein Thron allein wird nicht zerstört; dein Reich besteht und wächst, bis allen dein großer, neuer Tag gehört.“ (EG 266,3-5)

Amen.

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