Predigt über 1. Korinther 9, 24- 27: Das Beispiel des Apostels
3. Sonntag vor der Passionszeit, Septuagesimae, 13.2.2022 11 Uhr Jakobikirche Kiel
1. Korinther 9, 24- 27
24 Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.
25 Jeder aber, der kämpft, enthält sich aller Dinge; jene nun, damit sie einen vergänglichen Kranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen.
26 Ich aber laufe nicht wie aufs Ungewisse; ich kämpfe mit der Faust, nicht wie einer, der in die Luft schlägt,
27 sondern ich bezwinge meinen Leib und zähme ihn, damit ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde.
Liebe Gemeinde.
In China kämpfen die Wintersportler und -sportlerinnen gerade um Medaillen. Sie nehmen viel auf sich, um zu gewinnen, denn Leistungssport bedeutet immer Enthaltsamkeit, Disziplin, Ausdauer und Anstrengung.
Dazu kommen dieses Mal noch die Corona-Regeln, die einen zusätzlichen Verzicht mit sich führen, denn es wurde eine sogenannte „Olympia-Blase“ eingerichtet. Wer nach China eingereist ist, ist darin eingeschlossen. Er oder sie darf diese Blase bis zur Abreise nicht verlassen. Die Athleten und Athletinnen bewegen sich also lediglich zwischen dem Hotel, dem Olympischen Dorf, den Trainings- und Wettkampfstätten. Diese erreichen sie in gesonderten Bussen oder Zügen. Dazu kommen tägliche PCR-Testungen. Jemand, der positiv getestet ist, muss umgehend in ein Quarantäne-Hotel, bzw. in ein Krankenhaus. Die Sorge, dass einen das treffen kann, schwingt also immer mit und führt sicher zu noch mehr Druck. Gemütlich ist das Ganze nicht. Aber die Sportler und Sportlerinnen nehmen es auf sich, denn der Wettkampf ist ihnen sehr wichtig.
Das gab es ja bereits in der Antike. Die älteste Sportart, die bereits für das Jahr 776 v.Chr. dokumentiert ist, ist der Stadionlauf, das waren damals ca. 200 m. Etwa 100 Jahre später kamen auch Kampfdisziplinen zu den sportlichen Wettbewerben dazu, die erste war der Faustkampf. Der Sieg wurde bei allen Sportarten als eine Gunst empfunden, die Zeus einem Menschen zu teil werden ließ.
Paulus kannte offensichtlich solche Turniere und ihre Rituale, denn er benutzt sie in seinen Briefen gern als Bild für das, was im Glaubensleben wichtig ist. So auch in unserer Epistel von heute.
Paulus will mit diesem Bild beschreiben, dass auch der Glaube wie ein Wettkampf ist, bei dem es um einen Sieg geht. Dabei ist der Vergleichspunkt hauptsächlich die Entsagung, die dafür nötig ist: Ohne Verzicht erreichen die Christen nicht das himmlische Ziel, das ihnen verheißen wird. Doch es unterscheidet sich natürlich von dem Ziel des heidnischen Sportlers: Sein Siegespreis ist vergänglich, der der Christen ist dagegen ewig. Und Paulus deutet an, dass der Christ bei diesem Kampf auf jeden Fall gewinnen wird.
Das Thema ist hier also die Enthaltsamkeit, die im Glauben wichtig ist. Paulus hat sie auch selber geübt. Er lebte ohne Luxus und war leidensfähig. Er verzichtete auf Bequemlichkeiten , denn er wusste, dass seine Verkündigung nur dann überzeugend ist, wenn er sich auch selber an seine Ermahnungen hielt. Er wollte nicht nur reden und Briefe schreiben, sondern auch ein Vorbild sein. Dann konnte er guten Gewissens sagen: Verhaltet euch so, wie ihr es an mir seht.
Und diese Aufforderung gilt immer noch allen Christen und Christinnen: Wer es mit dem Glauben ernst meint, soll zum Kämpfen und zur Geduld bereit sein, zur Ausdauer und zur Entschlossenheit, Verzicht und Enthaltsamkeit.
Doch wie sollen wir das nun verstehen? Und wollen wir das überhaupt? Eine ganze Reihe von Fragen tut sich auf, wenn wir das hier hören.
Der erste spontane Gedanke ist sicher: Wie ungemütlich und anstrengend ist das denn!?
Zweitens fragen wir uns, ob die Erfahrung der Gegenwart Gottes denn im Widerspruch zu unseren menschlichen, irdischen Freuden steht, sodass wir alle lustvollen Gefühle verdrängen sollen, alles Schöne aus dem Leben verbannen müssen, um Gott zu gewinnen?
Und als drittes wundern wir uns darüber, dass in diesem Entwurf irgendwie die Gnade fehlt. Müssen wir uns das Heil plötzlich doch selber erkämpfen, es sozusagen verdienen?
Lasst uns diese Fragen einmal durchgehen und uns als erstes damit beschäftigen, dass es ja sehr unbequem ist, enthaltsam zu sein. Da regt sich erst mal Widerstand in uns, wenn wir das hören. Doch so ungewöhnlich ist es gar nicht, eine gewisse Anstrengung auf sich zu nehmen. Das tun die meisten Menschen aus ganz verschiedenen Gründen auch sonst im Leben. In vielen Berufen ist es nötig, besonders z.B. im Pflegebereich. Wer nicht bereit ist, einen großen Teil seiner Zeit und Kraft für andere zu opfern, sollte nicht Ärztin oder Krankenpfleger werden. Wochenenddienste, Rufbereitschaft, Überstunden, lange Arbeitstage – all das gehört dazu. Auch Eltern sind oft sehr gefordert, besonders, wenn die Kinder noch klein sind. Ihr Leben ist dann geprägt von schlaflosen Nächten, wenig Freizeitvergnügen, kein Ausgehen mehr, keine Partys usw. Genauso gibt es viele Hobbys, die Enthaltsamkeit fordern, wie das Bergsteigen, ein Musikinstrument oder eine Sprache lernen, Schach spielen usw. Aber all diese Menschen nehmen das gern auf sich, denn sie erreichen etwas, das ihnen wichtig ist. Anstrengung ist nicht von vorne herein körperfeindlich oder lebensverneinend. Im Gegenteil, Askese und Disziplin führen oft zu einem höheren Lebensgewinn. Denn wer auf etwas verzichtet, das ihn daran hindert, sein Ziel zu erreichen, kommt auf jeden Fall weiter. Wir lösen Probleme, machen neue Erfahrungen, sind fit und gesund, erweitern unser Wissen usw.
Das wird auch deutlich, wenn wir uns das Gegenteil einmal ausmalen, einen Menschen, der nur nach dem Lustprinzip lebt und am liebsten jede Anstrengung vermeidet. So attraktiv ist eine Lebensweise ohne Herausforderungen gar nicht. Im Gegenteil, das ist ohne Sinn, kraft- und hoffnungslos. Weder der Seele noch dem Körper tut das gut. Es ist inzwischen allgemein bekannt, wie wichtig Bewegung und eine ausgewogene Ernährung für die Gesundheit sind. Wer sie vermeidet und ignoriert, wird krank und ist nicht vorbereitet, wenn das Alter kommt.
Es ist also gar nicht so schlecht, sich anzustrengen, enthaltsam zu sein, Herausforderungen anzunehmen und sich im Lebenskampf zu trainieren. Dafür müssen wir nicht erst die Bibel lesen. Menschen haben das seit jeher erkannt und umgesetzt. Wahrscheinlich wählt Paulus deshalb auch das Bild vom Sportler: Es ist sehr ansprechend. Jeder versteht, warum ein Sportler oder eine Sportlerin sich in Enthaltsamkeit übt. Und es ist geschickt, dieses Bild für das Glaubensleben anzuwenden, denn der Verzicht aus Glaubensgründen ist ebenfalls sinnvoll. Lasst uns also fragen, worin die Entsagung besteht, die Paulus meint, und was wir dabei gewinnen.
Damit sind wir bei der zweiten Frage: Es gibt durchaus einen göttlichen und einen menschlichen Bereich. Die Wirklichkeit ist nicht nur irdisch, sondern der Himmel und die Gegenwart Gottes gehören genauso dazu. Doch das heißt nicht, dass sich das Beides gegenseitig ausschließt. Es bedeutet nur, dass das vergängliche Dasein nicht alles ist. Und das ist eine ganz beruhigende Vorstellung, denn so toll ist das Leben in seinen irdischen Grenzen oft gar nicht. Im Gegenteil, es gibt viel Elend und Not. Sowohl persönliche als auch weltweite Probleme halten uns in Atem. Oft leiden wir, und unser Dasein wäre ganz schön armselig, wenn das, was uns auf der Erde widerfährt, alles wäre.
Es muss deshalb eine Möglichkeit der Überwindung geben, einen Himmel, die Ewigkeit, die Gegenwart Gottes. Und es ist auch gut, wenn die sich von dem irdischen Leben unterscheidet. Und dazu sagt Paulus nun: Wir können sie gewinnen, wenn wir uns darum bemühen. Das meint er mit „Kampf“: Es ist der Lebenseinsatz für das, was uns Hoffnung gibt, was uns Mut macht und uns durch alles Leid hindurch trägt. Und dafür ist ein Kampf auch nötig, denn es gibt Kräfte der Finsternis, die uns davon abhalten wollen. Traurigkeit und Sinnlosigkeit können in unserem Leben die Oberhand gewinnen, und dann sind wir verloren. Wir müssen die dunklen Triebe in unsrer Seele und unserem Geist bezwingen. Diesen Kampf meint Paulus hier.
Und dabei ist er sich nun interessanter Weise des Sieges sicher. Das ist die Antwort auf die dritte Frage, wo denn die Gnade bei diesem Kampf bleibt. Sie lautet: Genau sie gewinnen wir, denn Gott ist immer schon da, wenn wir nach ihm fragen. Er wartet nur darauf, dass wir zu ihm kommen, er sieht uns ununterbrochen in Liebe an. Der Sieg, den wir davon tragen, besteht darin, dass wir Gott als den erkennen, der uns liebt und um uns Sorge trägt. Das Ergebnis unseres Kampfes ist also in ein reines Geschenk: Wir empfangen das, was Gott für uns durch Jesus Christus bewirkt hat, Barmherzigkeit, Vergebung und Gnade.
Und dadurch entsteht ein ganz tiefes Gefühl von Freiheit und Überwindung, Ruhe und Freude. Wir gewinnen Liebe und Hoffnung, Sicherheit und Mut. Wir erkennen: Es ist alles da, wonach wir uns sehnen. Es reicht ein Augenblick des Vertrauens, und der Himmel öffnet sich. Für diesen Augenblick gilt es zu kämpfen.
Darin liegt ein gewisser Widerspruch, das hat auch die Psychologie erkannt. Es gibt dafür das englische Wort „flow“, auf Deutsch „fließen“, und das „Flow-Erleben“. D.h. es fließt – durch die Anstrengung – plötzlich eine wohltuende Energie: Wir werden eins mit uns selber, empfinden tiefe Erfüllung und Zufriedenheit. Das erleben die Menschen, die ich vorhin nannte, und es ist der Grund dafür, warum sie so viel auf sich nehmen.
Im Glaubenskampf ereignet sich genau dasselbe, allerdings in noch viel tieferen Schichten unserer Seele. Und der Widerspruch zu der Anstrengung, die wir vorher investiert haben, ist auch frappierender, aber genau darin liegt das Geheimnis dieses Kampfes: Wir müssen alles geben, Leib und Leben einsetzen, und trotzdem besteht der Sieg darin, dass wir in einem Augenblick alles geschenkt bekommen, wonach wir verlangen. Wir haben es nicht verdient, sondern es wird uns aus lauter Gnade zu teil. Paulus hat absichtlich das Bild vom Wettlauf gewählt und die widersprüchliche Bemerkung über die Gewissheit des Sieges hinzugefügt. Sie ist von Anfang an dabei, sie motiviert ihn und sie wird Realität.
Lasst uns also „laufen und nicht aufgeben, kämpfen und nicht müde werden“, damit wir den „Siegespreis“ erlangen. Die Sportler in der Antike empfanden ihn als eine Gunst von Zeus. Die olympischen Spieler und Spielerinnen in China wissen, dass auch viel Glück dazu gehört, wenn sie dabei bleiben und am Ende eine Medaille gewinnen. Und wir dürfen gewiss sein, dass jeder, der kämpft, mit der Gegenwart und Liebe Christi beschenkt wird.
Amen.