Predigt über 1. Mose 28, 10- 15: Jakob schaut die Himmelsleiter
15. Sonntag nach Trinitatis, 9.9.2018, Lutherkirche Kiel
1. Mose 28, 10- 15
10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Liebe Gemeinde.
Während wir schlafen, träumen wir alle, und zwar in jeder Phase. Wie stark wir uns daran erinnern, ist allerdings sehr unterschiedlich. Und wenn das geschieht, sind uns meistens nur die Bilder vor Augen, die kurz vor dem Aufwachen unseren Traum begleitet haben. Sie sind dann noch sehr lebhaft und oft mit intensiven Gefühlen verbunden. In der Wachrealität sind die Geschehnisse größtenteils eher unwahrscheinlich oder sogar unmöglich. Nur manchmal entsprechen sie auch realen Dingen.
Allerdings haben sie immer etwas mit dem zu tun, was wir wirklich erlebt haben. Das Unbewusste ist beim Träumen aktiv, und wir verarbeiten vieles. Deshalb lohnt es sich auch, Träume zu deuten. In der Psychotherapie geht man davon aus, dass jeder Traum eine Botschaft an uns erhält. Wenn wir sie entschlüsseln, können unsere Träume uns also helfen, uns selber besser zu verstehen und Probleme zu lösen.
Insofern sind Träume immer eine Mischung aus Realem und Irrealem. Anders herum ist es ja auch so, dass wir beim Träumen manchmal wirklich sprechen, weinen oder schreien, oder sogar aufstehen und herum wandeln.
In der Bibel gibt es viele Geschichten über Träume, und dort haben sie immer ganz viel mit der Realität zu tun und sind von großer Bedeutung. Meistens spricht Gott im Traum zu den Betroffenen und gibt ihnen einen Auftrag, eine Warnung, eine Verheißung oder ähnliches. So ist es auch in der Geschichte über den Traum Jakobs von der Himmelsleiter.
Ich vermute, dass ihr die alle kennt, denn es ist eine schöne Geschichte, die in jeder Kinderbibel steht und die wir gerne weitererzählen. Sie ist hell und positiv. Schon das Bild von einer Leiter, die in den Himmel führt und auf der die Engel Gottes auf- und absteigen, vermittelt Hoffnung und Freude. Und dazu bekommt Jakob am Ende noch eine grandiose Verheißung von Gott, die wir gerne auch auf uns beziehen können.
Es ist eine sehr aussichtsreiche Geschichte, und dieser Charakter wird noch stärker, wenn man zusätzlich die Begleitumstände berücksichtigt, in denen das hier geschieht: Jakob hatte nämlich seine Heimat verlassen, er war also auf der Wanderschaft, und das war nicht freiwillig geschehen: Er war auf der Flucht und wurde sozusagen als Verbrecher gesucht. Denn er hatte sich gerade das gesamte Erbe seines Vaters erschlichen und dabei seinen Bruder Esau betrogen. Und Esau war so wütend darüber, dass er seinen Bruder sogar umbringen wollte. Deshalb musste Jakob fliehen. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, um sein Leben zu retten. Gerechterweise hätte Gott ihn für den Betrug auch bestrafen müssen. Ein Todesurteil stand darauf zwar nicht, aber in Ordnung war das Verhalten von Jakob auf keinen Fall gewesen.
Doch erstaunlicher Weise kommt die Strafe nicht. Gott ist nicht zornig und zieht Jakob nicht zur Rechenschaft. Im Gegenteil, er schenkt ihm gleich am Anfang seiner Reise diesen schönen Traum von der Himmelsleiter. Er verbündet sich also mit Jakob und verspricht ihm, dass alles gut wird. Gott wird mit ihm bleiben und ihn behüten, er wird ihn niemals verlassen, und er wird ihm sogar Segen und Reichtum schenken bis weit in die nachfolgenden Generationen. Eine bessere Verheißung kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Gott verspricht ihm alles, was er sich nur wünschen kann, ohne dass er das auch nur im Geringsten verdient hätte.
Dies geschah im Traum, aber es war beim Aufwachen für Jakob Realität. Er hatte Gott wirklich erlebt und gehört, und die Erinnerung daran war mit einem Gefühl von Ehrfurcht und Ergebenheit verbunden. Er war erfüllt von Gewissheit und Vertrauen. Er wusste sich von der Stunde an wirklich bei Gott geborgen und gewann dadurch Trost und Mut.
Das ist die Geschichte, die wir wie gesagt wahrscheinlich alle kennen und mögen. Trotzdem müssen wir uns fragen, wie real diese Verheißung denn nun eigentlich ist. Wenn uns heute jemand erzählen würde: „Ich habe letzte Nacht im Traum eine Leiter gesehen, die bis in den Himmel reicht, und Gott hat mir eine ganz tolle Verheißung geschenkt.“, dann würden wir glaube ich eher auf Abstand gehen und diesen Menschen für etwas überspannt halten. Wir nehmen unsere Träume zwar ernst, aber nicht so. Sie geben uns wie gesagt Aufschluss über uns selbst und über das Unbewusste, aber eine reale Gottesbegegnung leiten wir daraus eher nicht ab. Die Frage ist also, was ist in dieser Geschichte Realität, und was ist nur ein Traum?
Und darauf können wir auch eine Antwort bekommen, und zwar indem wir so etwas wie einen Realitätscheck machen. Wir können ja mal testen, ob an den Bildern des Traumes und an der Verheißung etwas dran ist, und ob sie auch uns tragen kann, und zwar indem wir einfach darauf vertrauen und sie einmal für wahr halten.
Normaler Weise sind wir ja auf die sinnlich wahrnehmbare Welt fixiert: Was wir sehen und hören, anfassen, riechen und schmecken, das existiert für uns und füllt über weite Strecken unseren Alltag. Es prägt unsere Gedanken und Gefühle, und bildet für uns die Wirklichkeit. Auch der Verstand spielt eine Rolle, wenn es um Realität geht. Wahr und wirklich ist, was wir verstehen.
Und darauf gründen wir deshalb auch unser Leben. Irdische Dinge sind der Inhalt unserer Hoffnungen und Pläne. Wissen und Bildung verschaffen uns Sicherheit und Selbstvertrauen, andere Menschen machen uns Mut und geben uns Halt.
Die Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen, ist allerdings, ob das alles ausreicht. So sicher und entspannend sind die „irdischen Güter“ doch gar nicht. In der Bergpredigt spricht Jesus davon, dass die „Motten und der Rost unsere Schätze zerfressen“ (Mt.6,19) , d.h. sie sind vergänglich. Außerdem geht es mit viel Sorge einher, die weltlichen Dinge auch zu erhalten. Wir machen uns viel vergebliche Unruhe damit. Und wenn sie uns genommen werden, fallen wir in ein Loch. Unerwartete Armut oder Krankheit, das Zerplatzen von Wünschen, der Verlust eines Menschen und ähnliche schwerwiegende Ereignisse verdunkeln das Leben. Sie führen uns in Einsamkeit und Angst, Hilflosigkeit und Trauer.
Es ist deshalb gut, wenn wir die Tragfähigkeit und auch den Realitätsgehalt all dieser Dinge von vorne herein kritisch sehen. Es ist ratsam, nach noch mehr zu fragen. Vielleicht besteht die Wirklichkeit ja gar nicht nur aus der Welt und unserem Verstand, und wir können noch viel mehr erleben als das, was wir sehen, fühlen oder denken. Unsere Geschichte lädt uns ein, das einmal auszuprobieren. Darin besteht der Realitätstest.
Er beginnt damit, dass wir uns Zeit nehmen und uns auf die Symbole, die hier vorkommen, einmal einlassen, sie ernst nehmen und betrachten. Religiöse Symbole entspringen alten Mythen, d.h. es sind Bilder, die wir alle im Unterbewusstsein mit uns herumtragen. Sie bringen unsere tiefsten Sehnsüchte zum Ausdruck, und als solche sind sie dann auch real. Es lohnt sich also, in diese Geschichte sozusagen einzusteigen und uns einmal an die Stelle Jakobs zu legen. Dann ergeben sich einige Dinge, die sehr viel Realitätsgehalt haben und dem Test standhalten. Er fällt dann positiv aus.
Zunächst ist da das Bild von der Himmelsleiter, auf der die Boten Gottes hinauf und hinabsteigen. Es macht deutlich, dass es eine Verbindung zwischen dem Himmel und der Erde gibt. Die Leiter ist der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren. Die Engel sind dabei die Wesen, durch die Gott in diese Welt hineinkommt. Sie überwachen die Erde, gehen zu einzelnen Menschen und sagen ihnen, was Gott will.
Dieses Bild können wir ruhig genießen, dann wird es hell in unserem Bewusstsein. Das Dunkel lichtet sich, Sorgen werden kleiner, wir fühlen uns nicht mehr allein. Dabei dürfen wir auch die Worte, die Gott hier spricht, auf uns beziehen. Es ist eine ganz persönliche Botschaft. Er sagt: „Ich werde mit dir sein, dich allenthalben behüten, wohin du reist, und dich endlich in dieses Land zurückführen. Denn ich werde dich nicht verlassen, bis ich getan was ich dir zugesagt habe.“ Das verspricht Gott auch uns. Wenn wir darauf hören und es ernst nehmen, merken wir, dass das nicht nur ein Traum ist, sondern Wirklichkeit. Es wirkt sich aus, wir bekommen Gewissheit und Kraft, wir werden ruhig und getröstet. Das ist ein Ergebnis unseres Testes.
Doch das ist noch nicht alles. Es ist außerdem von Bedeutung, dass Gott Jakob beim Schlafen trifft. Jakob war passiv, er hat selber nichts dazu getan, dass es zu dieser Begegnung kam. Er wurde einfach von Gott aufgesucht und beschenkt. Er durfte sein, wer er war, mit allen Schwächen und Fehlern. Gott hat ihn trotzdem erwählt. Und das heißt für uns, dass auch wir so, wie wir sind, von Gott alles erwarten dürfen. Wir müssen nichts leisten, nicht vorher schon gut sein. Uns wird vergeben, was wir eventuell falsch gemacht haben, weil Gott von sich aus ein Interesse an uns hat. Wenn wir uns das vorstellen, fühlen wir uns frei und erlöst. Wir können uns entspannen, es entstehen Heiterkeit und Freude. Und auch das sind reale Vorgänge, an denen wir merken, dass Gott wirklich da ist.
Die Kindertaufe ist dafür ein sehr schönes Zeichen. Da öffnet sich der Himmel über einem Menschen, ohne dass der etwas dazu tut, und Gott begleitet ihn fortan.
Und daraus ergibt sich als letztes, dass von unserer Seite allein der Glaube dazu gehört, damit das alles geschieht. Wenn die Verheißung Gottes wirken soll, müssen wir nur darauf vertrauen, d.h. seine Liebe in Anspruch nehmen. Dann kann sie sich in unserem Leben entfalten. Es ist also wichtig, dass wir immer wieder bewusst die Wirklichkeit Gottes zulassen, das Sorgen sein lassen und die irdischen Güter relativieren. Dann erweist Gott sich als derjenige, der uns wirklich beschützt und segnet.
Es ist kein Traum, sondern Wirklichkeit. Sie übersteigt zwar unseren Verstand, aber das ist auch gut so. Wir werden hineingenommen in einen Wirkbereich, der größer und heller und schöner ist als die Welt.
Wir dürfen auch gerne das Zeugnis unzähliger anderer Menschen in Anspruch nehmen, die das ebenfalls erfahren haben. Nicht nur Jakob hat die Stimme Gottes gehört und wurde gesegnet, alle Gläubigen vor uns und in unserer Zeit können das erleben. Ihr Bekenntnis kann uns anstecken und uns inspirieren, es ihnen im Glauben gleichzutun.
Lasst uns deshalb vier Strophen aus dem schönen Lied von Georg Neumark, einem Kieler Kaufmann aus dem 17. Jahrhundert singen: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ (EG 369)
Amen.