Das Reich Gottes ist mitten unter euch

Predigt über Lukas 17, 20- 24: Vom Kommen des Gottesreiches

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 8.11.2015, Lutherkirche Kiel

Lukas 17,20-24

20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.
23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Liebe Gemeinde.
Die Sehnsucht nach einer besseren Welt ist so alt wie die Menschheit. Wer kennt sie nicht? Alle wünschen sich Frieden und Stabilität, Freiheit und Wohlstand, Gesundheit und Glück. Zigtausende von Menschen machen sich zurzeit auf den Weg, weil sie meinen, sie finden das alles hier bei uns in Deutschland. Sie fliehen vor Krieg und Unterdrückung, Zerstörung und Terrorismus. Und selbst wenn sie zunächst in Notunterkünften wohnen, lange warten und sich gedulden müssen, so kann man das gut verstehen. Es geht ihnen hier bestimmt trotzdem besser als in der Hölle, aus der die meisten kommen.
Das Paradies gibt es allerdings auch in Deutschland nicht. Mit der Flut der Flüchtlinge, die zu uns kommen, wächst auch die Welle der Radikalität, des Hasses und der Aggression. Und natürlich gibt es unzählige weitere, schwerwiegende Probleme in unserer Gesellschaft. So stand am Montag z.B. in der Zeitung, dass sich die Krankschreibungen wegen psychischer Probleme häufen. Angststörungen, Depressionen und andere seelische Leiden nehmen zu, und damit steigt auch der Alkohol- und Drogenkonsum und die Selbstmordrate.
So einfach ist es also nicht, selbst in einem Land wie unserem, wirklich glücklich zu werden. Das gute Leben stellt sich nicht von alleine ein. Für viele liegt es immer irgendwie noch vor ihnen, in der Zukunft, in der Ferne. Und oft bleibt es ein Wunschtraum. Das Lebensgefühl vieler Menschen ist deshalb von der Sehnsucht nach einer besseren Welt geprägt.
Zur Zeit Jesu war das besonders stark. Es lag eine Endzeit-stimmung in der Luft. Die Menschen litten unter der Gegenwart und erwarteten das Kommen der Gottesherrschaft. Darunter stellten sie sich die Auferstehung der Toten und den Anbruch des ewigen Heils vor.
In dem Abschnitt aus dem Evangelium von heute unterhält Jesus sich darüber mit einigen Pharisäern. Sie wussten, dass das für ihn ein wichtiges Thema war, denn er hatte schon mehrere Male davon gesprochen. Nun fragten sie ihn nach dem Termin: „Wann kommt das Reich Gottes?“ Das wollten sie von ihm wissen. Sie gingen also davon aus, dass es ein sichtbares, feststellbares Ereignis sein würde, das man berechnen und beobachten kann, und sie wollten von Jesus den Zeitpunkt seines Eintretens erfahren.
Darauf antwortet Jesus hier, allerdings nicht so, wie die Pharisäer sich das vorstellten. Er fand, dass ihre Frage falsch gestellt war. „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es!“ So lautet der erste Teil seiner Antwort. Gottes Herrschaft beginnt nicht wie ein geschichtliches Ereignis, das man dann aufzeichnet. Sie ist dem Zugriff und der Feststellung des Menschen entzogen. Man kann sie nicht berechnen.
Aber, und das ist nun die Belehrung und die Korrektur, die Jesus vornimmt: Man kann auf die Herrschaft Gottes hingewiesen werden. Und wer geistig sehen kann, der nimmt sie jetzt schon wahr. „Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ sagt er. Und dahinter steht die Überzeugung, dass das Gottesreich durch die Verkündigung und die Wunder Jesu jedem nahegebracht und angeboten wird. Es ist längst da, man muss nur hinschauen und es ergreifen. Doch das geschieht nicht mit den natürlichen Augen oder den leiblichen Händen, sondern mit dem Geist und in der Seele. Es ist ein innerer Vorgang. Auch die Pharisäer können es erkennen, sie müssen sich nur dafür öffnen und sich auf Jesus einlassen. Dazu hatte Jesus sie auch schon in vorhergehenden Gesprächen eingeladen.
Wie sie darauf reagierten, wird hier nicht erwähnt. Die Pharisäer verschwinden vielmehr von der Bildfläche. Sie konnten sich überlegen, ob sie die Antwort Jesu annehmen wollten oder nicht, ob sie ihm nachfolgen oder lieber bei ihrer Meinung bleiben wollten.
Die nächsten Worte ergehen an die Jünger, denen Jesus zusätzlich einiges sagen will. Und zwar spricht er vom „Tag des Menschensohnes“. Und damit meint er nun doch eine große Weltenwende. Was jetzt bereits in seiner Gegenwart erlebbar ist, sind die Vorboten. In ihm ragt die Wirklichkeit Gottes in die Zeit hinein, doch eines Tages wird sie ganz da sein. Dann wird Gott alles verändern. Jesus verheißt seinen Jüngern eine universale Rettung und Heil für alle Zeiten.
Doch schlimme Erfahrungen gehen diesem Ereignis noch vorweg, so dass ihr Blick wahrscheinlich für die echte Erlösung getrübt sein wird. Helfer und Ratgeber werden sich einfinden, die Abhilfe schaffen wollen, aber sie führen die Menschen nur in die Irre. Ihnen sollen sie deshalb nicht folgen. „Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.“ Das sind die abschließenden Worte Jesu, und damit macht er deutlich, dass der Tag des Menschensohnes unverwechselbar sein wird: Der gesamte Himmel wird erleuchtet und es gibt keinen Ort innerhalb der Schöpfung, wo der Menschensohn und mit ihm das ewige Reich Gottes nicht sein wird.
Jesus spricht hier also über die Dimension der Ewigkeit, die mit ihm in die Welt gekommen ist und eines Tages alles ver-ändern wird. Und diese Botschaft ist auch für uns noch aktuell. Es ist jedenfalls ratsam, wenn wir darauf hören. Wir lassen das Reich Gottes viel zu oft außer Acht.
Denn wir sind diesseitig geworden. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, wie man so sagt. Die gibt es in Europa seit Napoleon. Da wurden kirchliche Besitztümer in großem Stil verstaatlicht, Politik bekam Vorrang vor der Religion, zeitliche Werte zählten mehr als ewige.
Bei uns ist das bis heute so geblieben, und das ist gar nicht so schlecht. Es hat viele Vorteile. Denn in so einer Gesellschaft kann jeder nach seiner „eigenen Façon selig werden“, wie Friedrich II, König von Preußen schon 1740 schrieb.
Niemand schreibt uns vor, was wir denken sollen. Jeder kann selbst entscheiden, was für ihn im Leben wichtig ist, was an oberster Stelle steht, wonach er strebt oder was er sein lässt. So lange unsere „Freiheit, die Einigkeit und das Recht“ nicht zerstört werden, ist alles erlaubt.
Und so beschäftigen wir uns am liebsten mit dem Diesseits. Abwechslung und Vergnügen, menschliche Begegnungen und berufliche Erfolge stehen bei vielen ganz oben. Geld, Bildung und Kultur, Freizeit und Geselligkeit, das sind Werte, die den meisten von uns wichtig sind. Denn von daher winken das Glück und die Befriedigung all unserer Bedürfnisse.
Aber reicht das tatsächlich, damit das Leben wirklich gelingt? Eine umfassende Antwort auf alle Lebensfragen ist damit doch noch lange nicht gegeben. Denn wo kommt unsere Zuversicht her? Was gibt uns Hoffnung? Worin besteht der Sinn des Lebens? Was geschieht nach dem Tod? Diese und ähnliche Fragen bleiben in einer säkularen Gesellschaft offen. Wir haben zwar das Recht, sie nach unserem eigenen Geschmack zu beantworten, aber das müssen wir auch, sonst kommen wir nicht klar.
Denn ganz viele Wünsche bleiben im Diesseits unerfüllt. Wir müssen uns immer wieder von Erwartungen und Vorstellungen über unser Leben verabschieden. Der Erfolg bleibt z.B. aus, die Zufriedenheit stellt sich nicht ein, und dadurch sind wir viel öfter schwermütig oder mutlos, als wir wollen. Depressionen, Angststörungen und andere psychische Probleme sind nicht nur ein Zeichen von Stress, sie sind auch Folgen unseres säkularen Lebensstils und des Verlustes der Ewigkeit.
Wenn wir diese Dimension nicht mehr beachten, fehlt etwas. Und das spüren gerade jetzt wahrscheinlich viele Menschen. Sie suchen plötzlich nach einer Hoffnung und wünschen sich, dass eine neue Welt heran brechen möge. Die Schrecken der Kriege und des Terrors sollen ein Ende nehmen und die Menschheit soll gerettet werden. Die Sehnsucht nach einer universalen Wende regt sich jetzt sicher in vielen Gemütern.
Denn wir leben in unruhigen Zeiten. Ich glaube, seit dem zweiten Weltkrieg hat es in Deutschland noch nie ein Thema gegeben, das die Menschen in Europa so sehr beschäftigt hat, wie der Zustrom der Flüchtlinge und seine Ursachen. Für mich ist es jedenfalls neu, so etwas mit zu erleben, und ich höre von vielen anderen, dass es ihnen genauso geht. Die Hilfsbereitschaft ist zum Glück groß, aber das Chaos ist auch nicht weit entfernt. Angst und Unsicherheit machen sich ebenso breit.
Und in diese Situation hinein hat die Botschaft Jesu eine große Bedeutung. Er sagt uns: Es hat sich schon lange eine Zeitenwende vollzogen, das Reich Gottes ist da. Bloß eben nicht so, dass man es sehen oder beobachten kann, sondern ganz anders: In seinem Sohn Jesus Christus ist Gott mitten in dieser Welt. Wir müssen nur hinschauen und uns auf ihn einlassen.
Und das heißt, das Reich Gottes ist eine unsichtbare aber gegenwärtige Wirklichkeit. Wir erkennen sie mit der Seele und im Geist. Frieden und Freiheit, Glück und Heil fangen im Inneren des Menschen an. Luther übersetzte die Stelle aus dem Lukasevangelium nicht ganz verkehrt, wenn er formulierte: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Es ist deshalb wichtig, dass wir in uns gehen, wenn wir diese Wirklichkeit entdecken wollen.
Und dabei kommt es zwangsläufig zu einer Überprüfung der Werte, nach denen wir leben. Wir müssen zugeben, dass vieles davon nicht richtig taugt, um glücklich und zuversichtlich zu werden. Deshalb gilt es, dass wir es loslassen und neue Prioritäten setzen.
Dieser Vorgang beginnt damit, dass wir uns unsere Ohnmacht und unsere eigene Unzulänglichkeit eingestehen und sie aushalten. Anstatt uns nur nach Erfolgen auszustrecken, müssen wir auch Niederlagen zulassen. Es ist deshalb es gut, wenn wir dann und wann einfach still werden, Pausen einlegen und nicht nach ständiger Abwechslung haschen. Und die Einsamkeit lässt sich auch nie ganz vertreiben. Sie gehört zu uns, und es ist ratsam, wenn wir sie in unser Lebensgefühl integrieren. Sie lässt sich auf die Dauer nicht verdrängen, auch nicht durch noch so viel Geselligkeit und Kontakte.
Das ist alles nicht ganz einfach, denn wir folgen damit nicht unseren natürlichen Trieben. Wir gebieten dem unumschränkten Lustprinzip Einhalt und nehmen einen inneren Kampf auf. Es ist eine Herausforderung, so zu leben, und die ist unbequem. Aber es ist gut, wenn wir uns ihr stellen, die Grenzen einer rein diesseitigen Lebensweise erkennen und damit umgehen.
Denn wir fallen damit nicht ins Leere. Das Reich Gottes ist da, mitten in dieser Welt, und wir können uns gleichzeitig mit dem Loslassen nach ihm ausstrecken. Jesus Christus reicht uns seine Hand und lädt uns zum Vertrauen auf ihn ein. Und das lohnt sich mehr als alles andere. Denn wenn wir ihm folgen, gewinnen wir die Ewigkeit und damit eine ganz neue Zuversicht und Hoffnung. Der Frieden und die Freude, nach der wir uns zutiefst sehnen, werden in seiner Gegenwart lebendig. Und damit bricht das Reich Gottes in uns und auch um uns herum an. Das Licht der Ewigkeit dringt durch uns hindurch in das Chaos der Welt.
„In die Wirrnis dieser Zeit fahre Strahl der Ewigkeit, zeig den Kämpfern Platz und Pfad und das Ziel der Gottesstadt.“ (EKG, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, 1984, Nr. 449,4) So dichtete Otto Riethmüller 1932. Er war Pfarrer und geistlicher Dichter und gehörte zur „Bekennenden Kirche“, die sich gegen das Nazi-Regime wehrte. Auch er lebte also in unruhigen Zeiten und hat für das Evangelium gekämpft. Einige seiner Lieder stehen heute noch in unserem Gesangbuch.
Die Strophe, die ich zitiert habe, gehört zu dem Lied: „Herr, wir stehen Hand in Hand.“ Otto Riethmüller bringt darin zum Ausdruck, dass er sich auf die Ewigkeit eingestellt hat. Sein Geist war offen, und er rechnete mit der Gegenwart Gottes mitten in unserer Welt. Er glaubte und bezeugte, dass Jesus Christus lebt, dass die „Wirrnis“ hier auf Erden nicht alles ist. Und dadurch bekam er ein „festes Herz“ und einen klaren Blick. Seine Tage waren trotz der „Wetter“, die um ihn „leuchteten“, voller „Trost und Dank“. Denn er verstand sich als „Wanderer zum Vaterland“.
Und das können und sollten auch wir tun. Denn wenn wir versuchen, so zu leben, ist das nicht nur gut für uns und unsere Seele, wir sind es den anderen Menschen und dieser Welt auch schuldig. Wir haben die Möglichkeit, in unserem Land zu glauben, was wir wollen, aber das sollten wir auch. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, und alle anderen Menschen brauchen nicht nur ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Sie müssen Menschen treffen, die ihnen die Ewigkeit verheißen und Liebe schenken, die mit ihrem Leben einen Frieden bezeugen, „der höher ist als alle Vernunft“.
„Der bewahre unser Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.“ (Phil.4,7)
Amen.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s