Die wahre Gottesfurcht

Predigt über Prediger 7, 15- 18: Von der wahren Weisheit

zum 3. Sonntag vor der Passionszeit, Septuagesimae, 15.2.2019, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel

Liebe Gemeinde.

Kaum ein Abendlied ist so bekannt und beliebt wie „Der Mond ist aufgegangen.“ (EG 482) Der Hamburger Theologe und Redakteur Matthias Claudius hat es 1779 gedichtet. Die meisten Menschen mögen es wahrscheinlich, weil es mit der romantischen Beschreibung einer Abendstimmung beginnt: Der Mond scheint und wirft sein besonderes Licht über die Natur. Alles legt sich zur Ruhe, der Nebel steigt aus den Wiesen und es wird still. Auf diese Idylle lassen wir uns gerne ein, sie ist wohltuend und beruhigend.

Doch so bleibt das Lied nicht. In Strophe drei folgen schon ernstere Töne, und ab Strophe vier wird es für viele sogar verstörend. Matthias Claudius dichtet dort: „Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel. Wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel.“ Das klingt weltverneinend und lebensverachtend. In Strophe sechs wünscht der Dichter sich dann sogar, zu sterben. Das ist uns zu depressiv und deshalb lassen wir diese Strophen gerne aus. Wirt singen sie nicht.

Aber ist es wirklich so negativ, was hier zum Ausdruck kommt? In der Bibel finden wir viele Aussagen dieser Art, so z.B. beim Prediger Salomo. Von ihm ist heute unser Predigttext. Er steht im siebten Kapitel und lautet folgendermaßen.

Prediger 7, 15- 18

15 Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.
16 Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.
17 Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit.
18 Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen.

Das ist ein kurzer Bericht über eine allgemeine Wahrnehmung im menschlichen Leben und eine anschließende Mahnung. Der Prediger hat erfahren, dass eine weit verbreitete Gewissheit so nicht stimmt. Sie lautet: „Der Gerechte besteht, und der Gottlose vergeht.“ Gerade in der Bibel finden wir unzählige Aussagen, die das behaupten, und bis heute verlassen sich viele Menschen auch sehr gerne darauf. Doch so einfach ist es eben nicht. Der Prediger stellt diesen Satz in Frage, weil er ganz andere Vorgänge beobachtet hat, und er zieht daraus seine Schlüsse.

Aber wer ist das eigentlich, der das hier sagt, und warum sagt er es? In was für einer Gedankenwelt lebte dieser Prediger, was erfüllte und bewegte ihn? Das sollten wir uns fragen, wenn wir uns mit diesem Text beschäftigen, denn das ganze Buch des Predigers Salomo, aus dem der Abschnitt stammt, ist im Alten Testament einzigartig. Ob es wirklich der König Salomo war, wissen wir nicht, aber das spielt auch keine Rolle. An seinem Hof hat es auf jeden Fall Weisheitsschulen gegeben, in denen junge Menschen lernten, wie sie mit dem Leben umgehen sollten.

Diese Weisheitsliteratur ist der Mutterboden für das Buch des Predigers Salomo. Der Verfasser war wahrscheinlich ein Weisheitslehrer mit großem Ansehen, vielleicht hat er sogar eine eigene Schule gebildet. Denn es fällt auf, dass er die Welt- und Lebensweisheit einer gewissen Durchschnittshaltung ablehnt. Die war ihm zu optimistisch und zu oberflächlich. Er stellt viele Fragen, die sehr in die Tiefe gehen, und kann sie häufig selber nicht beantworten. Für ihn gibt es keine Sicherheit in der allgemeinen Erkenntnis, denn er entdeckt die bedrohliche Wirklichkeit, dass alles vergänglich und „eitel“ ist. Der Prediger stellt deshalb den Wert von Freude, Arbeit, Besitz und Macht in Frage. Nur eins zweifelt er nicht an, und das ist Gott als die gültige Wirklichkeit und als den Herrn, der alles in Händen hält. Gott bleibt der Herr aller Zeit und allen Zufalls, er hat sogar alles gut gemacht.

Das ist die Weisheit des Predigers, und die kommt nun auch sehr schön in unserem Textabschnitt zum Ausdruck. Der Prediger stellt fest, dass die Zusammenhänge und Ordnungen viel weniger fest sind, als wir meinen. Deshalb warnt er vor einer Haltung, mit der man meint, das eigene Wohlergehen in der Hand zu haben. Wer auf seine Weisheit baut, kann erleben, dass er trotzdem zugrunde geht. Deshalb fordert der Prediger, dass man weder die Weisheit noch die Torheit überbewerten darf. Besser ist es, an der „Furcht Gottes“ festzuhalten. Es ist sinnvoll, Gott zu erkennen und zu ehren.

Und damit ist nicht einfach nur eine praktische Frömmigkeit gemeint, ein Handeln nach dem Willen Gottes und das Halten seiner Gebote. Das kann genauso „künstlich“ und selbstherrlich sein, wie weltliche Vorhaben, ein „Luftgespinst“. Echte Gottesfurcht rechnet nicht und besteht auch nicht in einer Leistung. Die Wahrheit über den Glauben und das Glück liegt vielmehr darin, Gott als den einzig Wirklichen zu erkennen und mit seiner Gegenwart und Liebe um ihrer selbst willen zu rechnen.

Das ist hier die Botschaft, und die sollten wir ruhig ernst nehmen, denn nicht selten fallen auch wir in eine Haltung, die viel zu oberflächlich ist. Vor allem denken wir genauso wie etliche andere Menschen, dass wir unser Leben selber lenken können.

Doch so einfach ist es eben tatsächlich nicht, das erfahren wir immer wieder. Wir erreichen zwar vieles im Leben, aber etliches misslingt auch. Am Ende bleibt manchmal nicht viel übrig. Neben Erfolgen, auf die wir vielleicht zurückblicken, gibt es im Alter Krankheit und Verlust, und das macht uns zu schaffen. Auch den Gläubigen geht es oft nicht besser als allen anderen. Enttäuschungen bleiben nicht aus und wir machen die Erfahrung, dass das Leben keine Idylle ist. Es ist oft rau, und wir hadern mit unserem Schicksal.

Doch genau da kann uns der Prediger helfen, denn er verweist uns auf tiefere Schichten der Wirklichkeit uns des Bewusstseins. Er kritisiert unsere oberflächliche und willensgesteuerte Einstellung und sagt: Du bist oft viel zu zielgerichtet, zu stolz und selbstherrlich. Pass auf, dass du eines Tages nicht ganz tief fällst und sich alles verdunkelt. Dazu muss es nicht kommen. Halte dich vielmehr an Gott, und lebe ihm zu Ehren. Vor Augen sollten dir nicht irgendwelche Ziele stehen, sondern Gott selber und seine Wirklichkeit. Er ist da, und du darfst auch einfach nur da sein. Du musst nichts erreichen.

Matthias Claudius hat diese Haltung sehr schön in der fünften Strophe seines Abendliedes beschrieben. Sie lautet: „Gott, lass dein Heil uns schauen, auf nichts Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun; lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.“

Für die Lebensführung heißt das, dass wir das rechte Maß für alles finden müssen und in ein inneres und äußeres Gleichgewicht kommen. Es gehört beides zum Leben, das Leichte und das Schwere, das Schöne und das Hässliche, der Spaß und der Ernst. Das Unglück und sogar die Torheit sind erlaubt. Wir müssen nicht ständig erfolgreich und glücklich sein und dafür krampfhaft den Ernst und die Trauer aus dem Leben verbannen. Letzen Endes gewinnen wir dadurch nichts. Im Gegenteil, das Gute kommt erst, wenn wir das Schlechte annehmen und auch dazu ja sagen. Es verliert dann seine Macht. Die wahre Freude liegt auf einer ganz anderen Ebene, als in den wechselvollen Alltäglichkeiten.

Wenn wir diese Botschaft ernst nehmen, werden wir gelassen, denn sie lädt uns ein, nichts festzuhalten. Letzten Endes stellt sich dadurch eine positive Grundhaltung dem Leben gegenüber ein. Wir können es annehmen, wie es ist, wir verschwenden keine Kraft mit unnötigen Vorhaben, wir werden von dem Druck befreit, um jeden Preis immer gut drauf sein zu wollen. Wir müssen nicht das Letzte aus dem Leben herausholen, wir verpassen nichts und werden ruhig. Und das tut gut. Es hilft uns auch, das Alter als eine sinnvolle Zeit anzunehmen. Es ist wunderbar dazu geeignet, uns in all dem zu üben.

Natürlich formuliert der Prediger damit einen hohen Anspruch. Ob ihm diese Haltung gelungen ist, wissen wir nicht, aber es ist gut, dass er sie aufgeschrieben hat. Und als Christen haben wir auf jeden Fall eine wunderbare Hilfe, denn Jesus Christus ist genau diesen Weg gegangen und er nimmt uns an die Hand. Als Christen glauben wir, dass Gottes Liebe und Gegenwart in Jesus Christus besiegelt wurden. Auf ihn dürfen wir uns immer verlassen, im Leben und im Sterben. Durch ihn finden wir das „Ja“ zu allem, was uns widerfährt, er schafft den Ausgleich und befreit uns von unseren Zwängen.

So ist es auch nicht negativ, wenn er uns am Ende aus dieser Welt nimmt und in den Himmel kommen lässt. Denn er allein ist „unser Herr und unser Gott“. (EG 482,6)

Amen.

  1. Der Mond ist aufgegangen,
    die goldnen Sternlein prangen
    am Himmel hell und klar.
    Der Wald steht schwarz und schweiget,
    und aus den Wiesen steiget
    der weiße Nebel wunderbar.
  2. Wie ist die Welt so stille
    und in der Dämmrung Hülle
    so traulich und so hold
    als eine stille Kammer,
    wo ihr des Tages Jammer
    verschlafen und vergessen sollt.
  3. Seht ihr den Mond dort stehen?
    Er ist nur halb zu sehen
    und ist doch rund und schön.
    So sind wohl manche Sachen,
    die wir getrost belachen,
    weil unsre Augen sie nicht sehn.
  4. Wir stolzen Menschenkinder
    sind eitel arme Sünder
    und wissen gar nicht viel.
    Wir spinnen Luftgespinste
    und suchen viele Künste
    und kommen weiter von dem Ziel.
  5. Gott, lass dein Heil uns schauen,
    auf nichts Vergänglichs trauen,
    nicht Eitelkeit uns freun;
    lass uns einfältig werden
    und vor dir hier auf Erden
    wie Kinder fromm und fröhlich sein.
  6. Wollst endlich sonder Grämen
    aus dieser Welt uns nehmen
    durch einen sanften Tod;
    und wenn du uns genommen,
    lass uns in’ Himmel kommen,
    du unser Herr und unser Gott.
  7. So legt euch denn, ihr Brüder,
    in Gottes Namen nieder;
    kalt ist der Abendhauch.
    Verschon uns, Gott, mit Strafen
    und lass uns ruhig schlafen.
    Und unsern kranken Nachbarn auch!

Text: Matthias Claudius 1779
Melodie: Johann Abraham Peter Schulz 1790

Auf dem Weg zur Ewigkeit

Predigt über Josua 1, 1- 9: Vorbereitung für den Einzug in das gelobte Land
Donnerstag, 9.1. 2025, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai

Josua 1, 1- 9

1 Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener:
2 Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe.
3 Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe.
4 Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein.
5 Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen.
6 Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe.
7 Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst.
8 Und lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten.
9 Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Liebe Gemeinde.

Wenn wir in diesen Tagen Menschen treffen, die wir länger nicht gesehen haben, wünschen wir uns ein gutes neues Jahr, denn es ist noch sehr jung, und wir schauen nach vorne. Das tun wir gerne, wenn ein vorgegebener Zeitraum vor uns liegt. Eigentlich ist das jeden Tag so, denn die nächste Zeit, die Zukunft ist immer da. Aber es gibt verabredete Daten, an denen wir uns das in besonderer Weise bewusst machen. Geburtstage und Jubiläen gehören z.B. dazu, und auch der Neujahrstag ist so ein Zeitpunkt.

In unserer kirchlichen Ordnung stand er lange unter einem Wort aus dem Kolosserbrief, das lautet: „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus, und danket Gott dem Vater durch ihn.“ (Kol. 3,17) Damit werden wir eingeladen, auf Jesus zu schauen und Gott alles anzuvertrauen, was geschehen wird. Die Zeit, die vor uns liegt, ist wie ein Weg, auf dem er bei uns ist und uns führt.

Und auch das ist immer so: Unser ganzes Leben ist ein Wandern und Pilgern, es verändert sich ständig. Aber es gibt jemanden, in dessen Hand wir geborgen sind, Jesus Christus, den Anfänger und Vollender des Glaubens. Er lebt und bleibt für alle Zeit, bis in Ewigkeit, denn er ist Gottes Sohn und hat Anteil an seiner Macht und Herrlichkeit. Es ist sinnvoll und gut, wenn wir uns das am Jashresanfang bewusstmachen.

Dieser Glaube kommt auch schon im Alten Testament zum Ausdruck. Ein schönes Beispiel ist dafür die Geschichte von Josua, dem Nachfolger von Mose. Eine große Aufgabe lag vor ihm, doch die musste er nicht allein durchführen. Er wurde dafür von Gott beauftragt und zugerüstet. Das steht gleich am Anfang des Buches, das nach ihm benannt wurde: Er sollte das Volk Israel in das gelobte Land führen und dieses einnehmen. Er kannte es nicht, und natürlich gab es dort Feinde und Hindernisse. Wahrscheinlich hatte er Angst davor. Wie sollte er das schaffen? Das fragte er sich, und Gott wusste das. Er sprach ihm deshalb Mut zu und versicherte ihm seinen Beistand. „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“ Das war sein Versprechen. D.h. Gott wollte immer bei ihm sein und ihm bei allem helfen, was er tun musste. Josua sollte sich deshalb an Gott halten, an seine Gebote und Gesetze, und ihm treu bleiben. „Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen und du wirst es recht ausrichten.“ Das ist die Verheißung.

Und die können wir direkt in unsre Zeit übertragen und gut auf uns beziehen: Gott verspricht auch uns, bei uns zu sein.

Doch wie können wir das erfahren? Wir haben oft das Gefühl, dass Gott uns allein lässt und gar nichts tut. Wir fühlen uns einsam und verloren. Lasst uns deshalb in drei Schritten darüber nachdenken, wie dieser Zuspruch gemeint ist.

Zunächst einmal müssen wir begreifen, dass Gottes Schutz nicht darin besteht, dass uns gar nichts Schweres oder Schlimmes mehr widerfährt. Denn unser ganzes Leben ist ein Weg, auf dem wir ständig weitergehen. Wir können nirgends bleiben, müssen Entscheidungen treffen und vieles loslassen: Menschen, die wir liebhaben, werden älter oder sterben. Aufgaben, die uns erfüllt haben, sind erledigt, Krankheiten oder Alterserscheinungen machen uns selber das Leben schwer. Da kann und wird auch Gott nichts dran ändern, sondern das mutet er uns zu. In dieses Leben hat er uns hineingestellt, in diese Zeit und damit in die Vergänglichkeit und den ständigen Wandel. Wir sind immer nur Pilger, Gäste und Fremdlinge, wie es in vielen Glaubensliedern zum Ausdruck kommt.

So hat Gerhard Tersteegen, ein Dichter und Mystiker aus dem 18. Jahrhundert geschrieben: „Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Abend kommt herbei, es ist gefährlich stehen in dieser Wüstenei. Kommt, stärket euren Mut, zur Ewigkeit zu wandern, von einer Kraft zur andern; es ist das Ende gut.“ (EG 393,1) Pilgerlieder wie dieses wurden gedichtet, weil sie uns trösten können. Diesen Gedanken zu beherzigen, hat eine wohltuende Wirkung. Denn dadurch verlieren die Dinge, die uns zu schaffen machen, ihr Gewicht und wir können sie eher loslassen. Es ist der erste Schritt, der dazu führt, dass wir Verluste und Veränderungen besser annehmen können. Wir erwarten gar nicht, dass es immer gemütlich ist.

Der zweite Schritt ist das Hören auf Gottes Wort, bzw. der Aufblick auf Jesus. Für Josua war es das Studium des Wortes Gottes. Gott hat ihn zum Gehorsam aufgefordert, er sollte die Weisungen der Schrift beachten, dann wird er Mut und Vertrauen gewinnen. Und das heißt: Es gibt in allem Wandel einen, der bleibt, wie er ist, und das ist Gott. Er ist nicht der Zeit unterworfen, sein Wort trägt den Charakter der Ewigkeit, und es ist in Jesus Christus Mensch geworden.

Das glauben wir, und damit haben wir wie Josua jemanden, der bei uns ist: Jesus Christus geht mit uns und führt uns durch alles Raue hindurch. Wir müssen nur auf ihn schauen und ihm vertrauen. Durch die Nähe Jesu bewahrheitet sich also die Zusage Gottes, uns „nicht zu verlassen“. Er verschont uns zwar nicht vor allem Leid, aber er ist da. Er trägt unsere Lasten mit und sorgt dafür, dass wir in allem Schweren unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsre Liebe behalten. Und auf die kommt es an. Wir brauchen auf unserer Pilgerfahrt durch das Leben vor allem diese inneren Güter.

Dann erreichen wir auch das Ziel, und das ist der dritte und letzte Schritt. Auch das hat Gerhard Tersteegen geglaubt und vielfach bezeugt. In der Strophe, die ich zitiert habe, kam bereits vor, dass wir „zur Ewigkeit wandern“ und das „Ende gut ist“. In einem Abendlied hat er diesem Gedanken eine sehr schöne Strophe gewidmet. Sie lautet: „Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.“ (EG 481,5) Wir wandern nicht nur durch die Zeit, wir kommen auch an ein Ziel, das weit über diese Zeit hinausweist.

Keiner und keine weiß, wie es dort ist, aber wir können hier schon einen Vorgeschmack bekommen, und zwar wenn wir uns ganz auf den Augenblick konzentrieren, auf das Hier und Jetzt. Und das ist im Glauben möglich. Denn das Aufblicken auf Jesus und das Hören auf das Wort Gottes sollen wir uns nicht vornehmen. Wir sollen das nicht morgen oder nächste Woche tun, sondern jetzt, in diesem Moment, und dann mit jedem Atemzug aufs Neue. So ist das gemeint. Der Glaube umfängt immer die Gegenwart und lässt uns darin genug haben.

Und wenn das geschieht, dann sind wir plötzlich ganz frei und unbeschwert. Wir vergessen, was hinter uns liegt und haben keine Angst mehr vor der Zukunft. Und so stell ich mir die Ewigkeit vor: Da gibt es kein Gestern und kein Morgen, sondern die Zeit ist aufgehoben, und wir sind nur noch da.

Wenn wir die Zusage Gottes an Josua und an uns so hören und umsetzen, dann werden wir wirklich „getrost und unverzagt. Wir lassen uns nicht grauen und entsetzen uns nicht.“ Alle Beklemmungen weichen; Unruhe und Sorgen werden von uns genommen; die Angst verschwindet; Verspannungen und Verkrampfungen lösen sich und wir gehen voller Vertrauen in das neue Jahr.

Es ist deshalb gut, wenn wir gerade am Anfang eines neuen Jahres mit Otto Riethmüller beten: „Schließ auf, Herr, über Kampf und Sorgen das Friedenstor der Ewigkeit. In deiner Burg sind wir geborgen, durch dich gestärkt, zum Dienst bereit.“ (EG, Ausgabe für die Landeskirche Württemberg, 579,3)

Amen.

Die Engel Gottes begleiten uns

Predigt über Matthäus 2, 13- 15. 19- 23: Die Flucht nach Ägypten
Zum 1. Sonntag nach Weihnachten, 28.12.2024, 18Uhr, Lutherkirche Kiel

Matthäus 2, 13- 15. 19- 23

13 Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten
15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«


19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten
20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.
21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.
22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land
23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.

Liebe Gemeinde.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. “ (EG 65,7) So dichtete Dietrich Bonhoeffer, und das bekennen seit eh und je die, die mit Gottes Möglichkeiten rechnen. Das sind immerhin noch 58% der Deutschen. Dabei will jeder zehnte auch schon einmal einem Engel begegnet sein. Sie sind die Schutzmächte aus der Nähe Gottes, für uns selbst und für die Menschen, die wir lieben. Wer Kinder hat, glaubt das besonders, denn es gibt unzählige Situationen, in denen sie bewahrt werden. Es kann Glück oder Zufall sein, aber es können auch die „guten Mächte“ sein, in denen die Kinder „geborgen“ sind.

In der Bibel werden die Engel als selbstverständliche Wirklichkeit vorausgesetzt. Sie sind die Boten Gottes, sie bewahren und beschützen die Menschen, verheißen das Gute und bekämpfen das Böse.

Am Anfang des Matthäusevangeliums taucht gleich dreimal ein Engel auf und erscheint Joseph im Traum: Das erste Mal, um ihn auf die Geburt Jesu vorzubereiten (Mt.1, 20), das zweite Mal, um ihn zur Flucht nach Ägypten zu bewegen (Mt.2,13), und das dritte Mal, um ihn zur Rückkehr aufzufordern (Mt.2,19). Die Geschichte haben wir eben gehört.

Sie erzählt von einem schmerzlichen Ereignis, das sich im Anschluss an den Besuch der drei Sterndeuter, den „Weisen aus dem Morgenland“ im Stall von Bethlehem ergab. Durch sie hatte Herodes, der König von Judäa, von der Geburt des „neugeborenen Königs“, wie die Weisen ihn nannten, gehört, und er wurde eifersüchtig. Er wollte ihn töten. Da er aber nicht wusste, wo er war, beschloss er, alle neugeborenen Kinder umzubringen. Das war ein grausames und brutales Vorgehen, dem viele Kinder zu Opfer fielen. (Mt.2,16-18) Nur Jesus wurde gerettet, denn so wollte Gott es. Er schickte deshalb seinen Engel und ließ Joseph mit seiner Familie nach Ägypten fliehen. Der Engel Gottes sorgte also dafür, dass Jesus nichts geschah. Gott konnte mit ihm sein Heilswerk durchsetzen.

Und solche Erfahrungen kennen wir alle: Oft merken wir es vielleicht nicht so deutlich, wie Joseph, dass uns ein Engel beistand und Schaden von uns fernhielt, aber wir reden trotzdem davon: Ein Engel war da, so dass ein Unfall nicht passierte, ein Baum nicht umfiel, eine Leiter stehen blieb usw. Kinder haben Schutzengel, und Erwachsene ebenso. Das ist eine allgemein verbreitete Vorstellung.

Doch obwohl die Engel Konjunktur haben und sozusagen im Aufwind sind, melden sich natürlich ebenso die kritischen Gedanken. Denn jedem, der von einer wunderbaren Rettung erzählt, könnte ein anderer widersprechen, dem genau das nicht widerfuhr, der vielmehr Schlimmes erlebte. In unserer Geschichte wären das all die Mütter, deren Kinder gestorben sind. Sie hatten keine himmlischen Helfer. Wie konnte Gott das zulassen? Diese Frage stellen wir ja sowieso oft.

Wir hätten gerne eine Antwort, doch die gibt es leider nicht. Die Engel beantworten sie schon gar nicht. Sie heben nicht auf, dass es in dieser Welt oft böse zugeht. Sie machen kein Ende mit der Ungleichheit, dass die einen bewahrt werden und andere nicht.

Trotzdem glauben die Menschen bis heute an sie. Und das ist auch ein guter Weg. Denn für die Frage nach dem Grund für das Böse gibt es – wie gesagt – keine befriedigende Lösung. Sie muss offen im Raum stehen bleiben. Es ist deshalb besser, sie loszulassen und ohne Antwort eine Entscheidung zu treffen. Denn wir werden etwas gefragt. Anstatt eine Aufklärung zu bekommen, werden wir zum Glauben aufgefordert, unabhängig davon, wie es uns ergeht.

Auch wenn wir nicht bewahrt werden, können wir uns geborgen und getragen fühlen, mitten im Leid, mitten in der Not und Todesnähe, so wie Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung. Gerade da fühlte er sich „von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar.“ (EG 65,1) Er glaubte an Gott und bekannte sich zu ihm, obwohl ihm Schlimmes widerfuhr. Sein Lied wurde sogar zu einem der Beliebtesten in unserem Gesangbuch, denn wenn wir es singen und uns damit an Gott wenden, können wir dieselbe Erfahrung machen.

Zum Glück gibt es dafür auch jedes Mal ein Beispiel, wenn ein großes Unglück geschieht, wie jetzt z.B. bei dem Anschlag von Magdeburg. Sofort kamen die Menschen im Dom zusammen und haben gebetet. Es wurde ein Gottesdienst gehalten, der sie getröstet und aufgefangen hat. Und das findet regelmäßig statt, auch wenn an die Opfer von früheren Katastrophen gedacht wird: Menschen zünden Kerzen an, singen Lieder und beten zu Gott. Und das ist gut, denn dadurch können sie erleben, dass Gott trotz allem da ist.

Er lässt uns nicht allein, und er hat auch in der Welt gehandelt: Jesus wurde am Anfang seines Lebens nicht aus purer Willkür vor dem Schwert gerettet, sondern weil er einen Auftrag hatte. Er hat das Böse zwar nicht ausgerottet oder vernichtet, aber er hat es auf sich genommen. Er ist selber tief in das Elend der menschlichen Wirklichkeit eingetaucht, hat die Ungerechtigkeit und Grausamkeit, zu denen Menschen fähig sind, ertragen und durchlitten. Sein Sieg geschah nicht durch sein Kommen, sondern durch sein Sterben und Auferstehen. Das war von Anfang an das Ziel. Nicht umsonst ist die Christenheit Ostern entstanden, durch das Fest der Auferstehung. Denn da wurde der Tod überwunden, da hat die Macht Gottes über das Böse triumphiert, und der Himmel hat sich geöffnet. Die ältesten Sätze des Glaubensbekenntnisses enthalten dieses Ereignis. Auch in der Predigt von Paulus standen das Kreuz und die Auferstehung Jesu im Mittelpunkt. Er rief zum Glauben an die erlösende Kraft dieser Wirklichkeit.

Und damit sind wir bei der Entscheidung, um die es geht: Wir sind eingeladen, an Jesus zu glauben, ihm zu vertrauen und ihm nachzufolgen. Es hilft uns nicht, wenn wir angeblich kluge Fragen stellen. Denn die Geschichte und Sendung Jesu übersteigen unseren Verstand. Es ist deshalb sogar gut, wenn wir unser Denken einmal ruhen lassen mitsamt der Frage nach dem Grund für das Leiden. Durch sie verhärten wir nur, wir verbittern und verzagen. Der Glaube führt uns dagegen zum Stillhalten, zur Ruhe und zum Trost. Wenn wir unseren Geist und unsere Seele für die Gegenwart Christi öffnen, können wir erfahren, dass es noch viel mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir ahnen. Dem Glauben erschließt sich eine unaussprechliche und wunderbare Wirklichkeit, und die ist erfüllend und heilend.

Der Pfarrer einer großen Kinderklinik hat einmal erzählt: „Auf der Schulkinderstation gab es einen kleinen Jungen, der Krebs hatte. Irgendwann wurde klar, dass er es nicht schaffen würde, ihn zu besiegen. Um ihn herum war jene gedrückte Stille, die oft eintritt, wenn der Tod naht. Aber der Junge saß in seinem Bett und sagte nur: «Hört ihr das denn nicht, ich höre schon die Engel singen!»“

Die Macht der Engel und die Gegenwart Christi sind real, wir müssen nur hinhören und hinsehen. Und je mehr Menschen das tun, umso stärker wird das Böse abgewehrt. Wir können die Einfallstore für „den Teufel“ schließen. Das ist eine biblische Vorstellung, die heutzutage zwar nicht mehr so lebendig ist, aber sie ist eine gute Veranschaulichung dafür, dass unser Leben bedroht ist. Es ist gefährdet und unsicher, doch von Christus her leuchtet uns ein Licht. Es kann uns vor dem Feind behüten. Durch den Glauben gehören wir Christus. Wir können uns ihm schenken, dann „befiehlt er seinen Engeln, zu kommen“ und auf uns achtzugeben. Sie sind die „Wächter“ in der Nacht, so dass wir ruhig schlafen – und wenn es sein soll und so weit ist – auch sterben können.

Zu dieser Vorstellung gibt es einen alten Hymnus. Er stammt aus dem Jahr 534 und trägt den lateinischen Titel „Christe qui lux es et dies“. Der Pfarrer und Reformer Erasmus Alber übersetzte ihn um 1536 und dichtete danach das Lied „Christus, du bist der helle Tag“ (EG 469). Wir können uns mit diesem Lied wunderbar der Liebe und der Macht Christi anvertrauen.

Der Predigt liegt der Aufsatz zu Grunde: Engel – mehr als unsere verborgenen Begleiter, von Klaus Dettke, in: Aufschlüsse, Ausgabe 91, Zeitschrift für spirituelle Impulse, Dezember 2024, Hrg. Gruppe 153, Coswig, S. 13ff

Bereitet dem Herrn den Weg!

Predigt über Römer 15, 4- 13: Aufruf zur Einmütigkeit in der Gemeinde
zum 3. Advent, Donnerstag, 12.12.2024, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Römer 15, 4- 13

4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.
5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,
6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.
7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind;
9 die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.«
10 Und wiederum heißt es (5.Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!«
11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!«
12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.«

13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Liebe Gemeinde.

In der Adventszeit wollen wir uns auf das Kommen Gottes vorbereiten und ihm den Weg ebnen. Doch was heißt das? Wir veranstalten ja viel in diesen Wochen, dekorieren die Wohnung, treffen uns zum gemütlichen Beisammensein, basteln und backen usw. Aber ist das alles geeignet, um uns auf das Kommen Gottes einzustellen? Die Bibel schlägt uns etwas anderes vor, einen inneren Weg, der von Umkehr und Buße gekennzeichnet ist, damit wir offen sind für das große Geschenk, das Gott uns machen möchte.

Das kommt auch in dem Text zum Ausdruck, den wir eben gehört haben. Er ist ein Teil aus dem vorletzten Kapitel des Römerbriefes, d.h. er steht am Ende dieser Epistel. Da ermahnt Paulus die Römer, sich gegenseitig in brüderlicher Liebe zu achten. Daran haperte es nämlich in der Gemeinde. Es gab Konflikte zwischen denen, die vorher Juden gewesen waren und den sogenannten Heiden, also Menschen, die ohne vorherigen jüdischen Glauben zu Christus gefunden hatten. Sie hatten verschiedene Vorstellungen darüber, was man essen durfte, und es gab Spannungen. Darauf geht Paulus hier ein. In den vorhergehenden Kapiteln hatte er theologische Fragen erörtert, hier wird er nun ganz praktisch und konkret und gibt den Römern ein paar Hinweise zur Lebensführung und zum christlichen Umgang miteinander. Er begründet sie auch und zwar mit verschiedenen Argumenten.  

Zunächst erinnert er an die Schrift, an das Alte Testament, das für alle Gültigkeit hat. Er weist darauf hin, dass Christus dort bereits verheißen wurde und zwar als jemand, der geduldig war und jeden angenommen hat. Er ist für die Christen ein Vorbild. Es gilt deshalb, an ihn zu glauben, auf ihn zu vertrauen und vor allen Dingen auf ihn zu schauen. So können wir durch ihn lernen, miteinander dieselbe Geduld zu haben.

Dann will Paulus deutlich machen, dass das gar nicht so anstrengend und schwierig ist. Es geht nicht um eine religiöse Leistung. Die gegenseitige Annahme entsteht vielmehr dadurch, dass wir gemeinsam Gott loben. Wir sind dabei ja alle gleich, es gibt keine Unterschiede mehr. Es entsteht also Gelassenheit und Entspannung. Das Herz weitet sich und der Geist wird frei. Denn die Gedanken sind nicht mehr auf den anderen gerichtet, sondern auf Gott.

Und drittens kehrt dadurch Friede und Freude ein. Es entsteht auch Hoffnung, und das Leben kann gelingen, nicht nur das Leben des einzelnen, sondern das der ganzen Gemeinschaft. Konflikte verschwinden und Spannungen lösen sich. Wo Zwietracht herrschte, entsteht Einigkeit, wo Spaltungen waren, entsteht wieder Gemeinschaft.

Das ist hier die Aussage, und die macht tatsächlich sehr gut deutlich, wie wir die Adventszeit im Sinne Jesu gestalten können. Eine äußere Gemütlichkeit reicht nicht, und das wissen wir auch alle. Denn es gibt im Leben zu vieles, was sie uns verdirbt, und davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. So ein bisschen sind unsere weihnachtlichen Aktivitäten auch der Versuch, einmal vor der Wirklichkeit zu fliehen, die Augen eine Zeit lang zuzumachen. Wir versuchen, uns bei Kerzenschein und schönen Düften, Tee und Keksen auszuruhen. Aber wir merken alle, dass das mangelhaft und unbefriedigend bleibt. In der Tiefe unsrer Seele werden wir nicht froh und ruhig. 

Denn es gibt fast immer etwas, das uns stört. Das kann ein schweres Erlebnis sein, eine Krankheit oder auch Menschen, die uns stören oder enttäuschen. Sie sind nicht so, wie wir sie gerne hätten, sie nerven uns oder verletzen uns sogar. Vielleicht sind es unsre Kinder, die sich nicht genug kümmern, die Nachbarn, die zu laut oder zu griesgrämig sind, Mitmenschen, die uns missachten oder vergessen. Etliche fühlen sich gerade in der Adventszeit einsam und verlassen. Es gibt vieles, das uns traurig und ängstlich macht, uns Sorgen bereitet oder aufregt. Auch die allgemeine Weltlage gehört dazu: Eine Menge liegt im Argen, Krisen wachsen uns über den Kopf, Macht und Geld regieren die Welt wie immer schon, Krieg und Lügen greifen ums sich.

Das sollten wir uns bewusst machen und es nicht einfach nur verdrängen. Besser ist es, wenn wir ehrlich sind und uns fragen, wie wir das überwinden können. Wenn wir den Sinn der Adventszeit erfassen wollen, dann müsste in unserer Seele wirklich Frieden und Ruhe einkehren, dann müssten wir getröstet werden und Hoffnung schöpfen. Es müssten echte Gemeinschaft und Liebe wachsen. Und dazu hilft genau das, was Paulus uns hier vorschlägt. Denn er spricht von etwas Innerlichem, von einer bestimmten Geisteshaltung, mit der wir gelassener und fröhlicher werden und zueinander finden. Und zwar entsteht sie, wenn wir gemeinsam Gott loben. Wir wenden uns damit dem zu, der größer ist als wir alle, der uns längst liebt, der zu uns kommt und es gut mit uns meint. Er hat uns seinen eigenen Sohn geschickt, und der ist voller Liebe und Barmherzigkeit. Wir müssen nur auf ihn schauen und uns von seiner Liebe anstecken lassen.

Meistens beschäftigen wir uns viel zu sehr mit uns selber oder den anderen Menschen, mit dem Weltgeschehen und den Nachrichten. Oft sind wir darauf sogar fixiert und merken gar nicht wie wir uns verkrampfen. Wir haben Erwartungen und Vorstellungen, wie es alles sein sollte und machen uns dadurch das Leben selber schwer. In Wirklichkeit sind es gar nicht nur die Umstände oder die anderen Menschen, durch die es uns schlecht geht. Es liegt auch an uns. Es wäre gut, wenn wir alles einmal gelassener sehen. Sind unsre Wünsche und Vorstellungen wirklich so entscheidend und maßgebend? Es scheint längst ein helles Licht, durch das alles leichter und schöner wird. Es ist das Licht der Liebe Christi, der für uns alle kommt.

Wenn wir darauf schauen, wirkt es sich in unserer Seele und in unserem Geist wohltuend aus, es „tröstet uns und macht uns frei“ (J.S. Bach, Weihnachtsoratorium, Teil III, Arie „Herr dein Mitleid, dein Erbarmen“). Das ist in gewisser Weise auch eine Ablenkung, aber sie ist von ganz anderer Art, als unsere weltlichen Verdrängungsmanöver. Sie lenkt unseren Geist in eine Richtung, in der es wirklich Veränderung gibt. Denn von Christus geht Kraft aus. Wenn wir uns ihm zuwenden, tritt eine Wirkung ein, die wir nicht selber herstellen, und die stärker ist als unsere Gefühle. Wir werden von einer überwindenden und heilenden Energie erfüllt. Deshalb sollte das gemeinsame Lob Gottes und der Glaube an Christus in der Adventszeit unsere hauptsächliche Übung sein: Er kann uns vereinen und trösten. Wir kommen von uns selber los und unser Blick geht weiter und tiefer. Wir bereiten Christus eine Bahn in unserem Herzen. Und so entstehen wirklich Frieden und Freude. Die Harmonie und Ruhe, nach der wir uns sehnen, kommt zu uns. Wir entspannen uns, und es kehrt sogar so etwas wie Glück in unser Leben ein. Es wird uns durch den Sohn Gottes geschenkt, der uns seine Liebe bringt, uns erlöst und befreit.

Und damit sind wir dem eigentlichen Sinn von Weihnachten ganz nah. Wir merken: Das reicht ja, mehr brauchen wir gar nicht zum Leben und zum Glück. Und es geht tief in uns hinein, unsere Sehnsucht wird befriedigt, die Freude ist echt. Sie ist nicht mehr davon abhängig, dass um uns herum alles stimmt und zu unseren Wünschen passt, denn sie kommt von innen. Auch die, die niemanden haben, erleben das. Für sie kommt genauso eine befreiende Stimmung auf, denn sie spüren ihre Einsamkeit nicht mehr und werden getragen und gehalten.

Wir brauchen gar nicht so viele Lichterketten und Kekse, Veranstaltungen und Treffen. Viel wichtiger ist es, dass wir miteinander in der Liebe Christi verbunden sind, füreinander beten und uns vor Gott zu seinem Lob vereinen. Wenn das geschieht, dann ist wirklich Advent, dann kann es Weihnachten werden. Damit bereiten wir unserem Herrn den besten Weg, in unsere Häuser und Herzen einzuziehen.

Amen. 

Frieden schaffen ohne Waffen

Predigt über Micha 4, 1- 5: Das kommende Friedensreich Gosttes

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 10.11.2024, Jakobikirche Kiel

Micha 4, 1- 5

1 In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die Völker werden herzulaufen,
2 und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
3 Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.
4 Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hat’s geredet.
5 Ein jedes Volk wandelt im Namen seines Gottes, aber wir wandeln im Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich!

Liebe Gemeinde.

„Schwerter zu Pflugscharen“, dieses Wort des Propheten Micha ist zu einer Redewendung geworden. Sie drückt das Ziel des Völkerfriedens durch weltweite Abrüstung aus.

Die Friedensbewegung der DDR, die 1978 entstand, hat sich das deshalb als Symbol gegeben: Darauf schmiedet ein Mensch ein Schwert zu einem Pflug um. Ihr habt das bestimmt schon einmal gesehen. Das Ziel dieser Bewegung ist es, die Menschen zum Frieden zu erziehen. In vielen Kirchengemeinden entstanden damals staatskritische, unabhängige Friedensinitiativen. Der Grund dafür lag darin, dass die SED das Pflichtfach „Wehrerziehung“ an DDR-Schulen eingeführt hatte. Der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR entwickelte daraufhin ein Alternativprogramm.

Und sie beriefen sich auf Propheten wie Micha und Jesaja. Bei ihm finden wir diese Vision ebenfalls. Sie war wahrscheinlich ein unabhängiges Stück Tradition, ein Heilsorakel, das immer in Israel wieder aufgenommen und ausgesprochen wurde. Denn sie machte den Menschen Mut und gab ihnen Hoffnung in schweren Zeiten: Sie schauten in die Zukunft und sahen dort die Wiederherstellung des Paradieses.

Die Vision führt uns gleich am Anfang an das Ende der Tage. Dann wird die Natur umgewandelt, und der Berg, auf dem der Tempel in Jerusalem steht, der Zion, wird über alle anderen Berge erhöht. Er wird zum Wohnsitz Gottes und zum Mittelpunkt der Welt. Deshalb versteht es sich von selbst, dass alle Völker dahin strömen und wallfahren werden. Sie holen sich dort Belehrung, damit sie ein gottgemäßes Dasein führen können. Sie wollen in den Wegen und Pfaden Gottes wandeln, d.h. den von Gott gewünschten Weg einschlagen. Er wird ihnen in Wort und Weisung übermittelt.

Dabei bedeutet der Wille Gottes nicht Unterdrückung oder Unfreiheit, sondern Friede und Gerechtigkeit. Gott wird das von den Völkern verursachte Chaos beenden und eine gute Ordnung durchsetzen, indem er die Menschen zur Einsicht führt. Und dadurch geschieht dann das, wovon alle träumen: Es entsteht ein neuer Wille zum Frieden und ein konkretes den Frieden förderndes Handeln. Der Krieg wird unnötig. Waffen werden überflüssig und von den Bekehrten in Geräte landwirtschaftlicher Arbeit verwandelt, in Gegenstände, die dem Leben dienen. Der Friede der Urzeit ohne Mordwerkzeuge und Kriegshandwerk kehrt wieder zurück.

Das beinhaltet die Vision, und sie ist ein großartiger Zukunftsentwurf. Er enthält die Hoffnung ewigen Friedens.

Die ist ja ein uralter Menschheitstraum, der von Anfang an bis heute thematisiert wird. Es geschah nicht erst in den Kirchen in der DDR. Viele Gruppen und Initiativen entwerfen dieses Bild und glauben daran, dass es eines Tages wahr wird. Z.B. erkannten die Kirchen auch schon nach 1945, dass Aufrüstung keine Antwort auf die Konflikte in der Menschheit sein kann. Papst Johannes XXIII. verfasste 1963 die Enzyklika Pacem in terris, die sich erstmals an „alle Menschen guten Willens“ richtete und u.a. forderte, „dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atomwaffen verboten werden; und dass endlich alle auf Grund von Vereinbarungen zu einer entsprechenden Abrüstung mit wirksamer gegenseitiger Kontrolle gelangen.“

Und natürlich verstehen wir es auch heutzutage noch als unsere christliche Pflicht, für den Frieden einzutreten und „Schwerter zu Pflugscharen“ zu machen. Es gibt die Friedensbewegung zum Glück immer noch. Christen und Christinnen erheben ihre Stimme für den Frieden und beten dafür.

Doch sind wir damit erfolgreich? Ist es nicht unrealistisch, sich die Vision des Propheten zu eigen zu machen? Sie scheint ein Traum zu sein, das empfinden wir heutzutage wieder stärker als in den zurückliegenden Jahrzehnten. Wir erleben gerade mehrere bewaffnete Konflikte, die furchtbar sind und uns Angst machen. Es scheint aussichtslos zu sein, die Völker zum Frieden erziehen zu wollen. Appelle verhallen, Menschen guten Willens werden überhört, sie reiben sich auf und erreichen am Ende nichts. Es ist leider nicht so einfach, die Kriege zu beenden, denn alle Menschen auf allen Seiten müssten „gleichzeitig“ mitmachen, wie Papst Johannes der XXIII. es betont hat. Solange es noch Aggressoren gibt, die nicht am Frieden interessiert sind und lieber zu den Waffen greifen, ist es nicht ratsam, wenn eine Seite abrüstet. Man muss sich schon verteidigen können, sonst geht man unter. Die gesamte Menschheit müsste sich auf Abrüstung einigen, doch das scheint leider in weiter Ferne zu liegen.

Was sollen wir also tun? Das müssen wir uns fragen, und dabei kann der Prophet Micha bzw. diese Zukunftsvision uns durchaus helfen. Drei Dinge können wir daraus lernen.

Als erstes kann sie uns Mut und Hoffnung machen. Hier wird zwar eine Welt entworfen, die es so noch nicht gibt, aber wir dürfen hoffen, dass sie eines Tages kommen wird. Wir dürfen gerne auf dieses Bild schauen. Jetzt müssen wir es noch aushalten, dass unsere Welt voller Ungerechtigkeit ist, dass es Terror und Krieg gibt, Vertreibung und Vernichtung. Das Heil Gottes hat noch nicht die ganze Welt erfasst. Wir stehen nach wie vor in vielen Kämpfen.

Doch gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns entscheiden, wo wir hinschauen wollen. Die Bibel lädt uns ein, an der Hoffnung festzuhalten und an den Frieden zu glauben. Es hilft nichts, wenn wir immer nur auf das Schreckliche starren, wir dürfen und müssen uns positiven Bildern aussetzen. Wir stellen sie bewusst der Verzweiflung und Ratlosigkeit entgegen und bleiben so in den Schrecken, die uns umgeben, zuversichtlich. Wir werden gestärkt und getröstet, und fühlen uns in der Gegenwart Gottes sicher und geborgen.

Denn das, was der Prophet hier ausmalt, ist nicht nur eine Phantasie. Als Christen glauben wir vielmehr, dass Jesus Christus diese Vision zum Teil wahr gemacht hat. Der Glaube daran ist der zweite Schritt. Der Weltfriede ist nicht nur ein Traum, sondern eine Realität, die im Verborgenen bereits da ist. Denn alle Prophezeiungen im Alten Testament, die von einem Retter und dem ewigen Reich Gottes handeln, haben sich in Jesus Christus erfüllt. Das ist die Botschaft des Neuen Testamentes. Jesus ist direkt von Gott gekommen. Er ist der Sohn Gottes, der die Menschheit erlöst. Das Reich des Friedens ist mit Jesus Christus angebrochen, das steht im Evangelium dieses Sonntags. (Lukas 17, 20- 24) Es gibt ein Gespräch zwischen Jesus und den Pharisäern wieder. Er wurde von ihnen gefragt: „Wann kommt das Reich Gottes?“ Und „er antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ Das glauben und bekennen wir: Durch Jesus Christus ist eine neue Realität da, denn er hat den Tod und die Sünde besiegt.

Wir müssen uns nur davon prägen lassen, Christus in unser Herz und in unser Denken hineinlassen. Er hilft uns dann, ein gottgemäßes Dasein führen. Er lässt uns auf den Wegen und Pfaden Gottes wandeln, denn wir haben nicht nur sein Wort und seine Weisung, sondern auch seine Liebe und Gnade, sein Heil und seine Kraft. Wo Menschen sich darauf einlassen, beginnt der Friede. Und kein Schritt in diese Richtung ist sinnlos oder verloren. Die Kirche kann der Berg Zion sein, von dem die Impulse zum Frieden und zur Liebe ausgehen.

Und das heißt konkret: Wir dürfen nicht aufhören, den Frieden zu leben und dafür zu beten. Das ist das Dritte. Es ist nach wie vor der Wille und die Macht Gottes, eine neue Welt herzustellen, in der wir unsre „Schwerter zu Pflugscharen“ umbauen. Wir können und sollen ihn deshalb unermüdlich darum bitten, dass diese Welt kommen möge. Wir dürfen Gott daran erinnern, dass er mächtiger ist als das Böse und der Tod, als das Leid und die Zerstörung, und wir dürfen ihn darum bitten, der Welt das eines Tages ganz zu zeigen.

Gott ist die „Sonne der Gerechtigkeit, die schon in unserer Zeit immer wieder aufgehen“ kann. Wir können mit dem Lied, das so beginnt (EG 262), dafür beten, dass sein „Licht in der Kirche [und in der ganzen Welt] anbrechen“ möge, dass die „Christenheit“ aufwacht und sich „zu [seinem] Wort bekehrt“. „Keine List noch Macht [möge den] Lauf des Himmelreiches hemmen“.

Denn wenn wir so beten, bekommen wir „Kraft und Mut, Glauben, Hoffnung und Liebesglut. [Wir] sehen [seine] Herrlichkeit [bereits] in dieser Zeit [und können] mit unserer kleinen Kraft suchen, was den Frieden schafft“.

Amen.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist

Predigt über Micha 6, 1- 8: Der rechte Gottesdienst,

22. Sonntag nach Trinitatis, 27.10.2024, Jakobikirche Kiel

Micha 6, 1- 8

1 Höret doch, was der HERR sagt: »Mach dich auf, führe deine Sache vor den Bergen und lass die Hügel deine Stimme hören!«
2 Höret, ihr Berge, wie der HERR rechten will, und merkt auf, ihr Grundfesten der Erde; denn der HERR will mit seinem Volk rechten und mit Israel ins Gericht gehen!
3 »Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beschwert? Das sage mir!
4 Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst und vor dir her gesandt Mose, Aaron und Mirjam.
5 Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Bileam, der Sohn Beors, antwortete; wie du hinüberzogst von Schittim bis nach Gilgal, damit ihr erkennt, wie der HERR euch alles Gute getan hat.«
6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern?
7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?«
8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Liebe Gemeinde.

„Man kann es dir aber auch nie recht machen!“ Diesen Vorwurf habt ihr sicher schon gehört oder jemand anderem an den Kopf geworfen. Es ist in unseren Beziehungen ja oft so, dass wir Erwartungen aneinander haben, denen wir einfach nicht gerecht werden: Ehepartner geben sich gegenseitig zu wenig Aufmerksamkeit, erwachsene Kinder kommen zu selten und kümmern sich nicht richtig, die Vorgesetzte ist unzufrieden mit den Leistungen ihrer Mitarbeiter usw. Der oder die andere kann sich noch so viel Mühe geben, es scheint einfach nicht zu reichen, und langsam verliert man die Geduld. Irgendwann entstehen Ärger und Frustration, die Stimmung wird schlechter, die Spannungen nehmen zu, und zwar auf beiden Seiten.

Auch mit Gott kann uns das so gehen. Wir haben manchmal das Gefühl, dass er unendlich viel will: Ein Leben mit ihm bedeutet Einsatz und Aufopferung. Man kann nicht einfach so leben, wie die anderen. Man muss sich enthalten und gehorsam sein, Zeit und Kraft und Geld investieren. Das ist oft unsere Meinung, und es besteht die Gefahr, dass wir irgendwann genug von all dem haben. Wir haben keine Lust mehr, ein Leben zu führen, das Gott gefällt, weil wir es doch nie schaffen.

Dieses Problem ist allerdings nicht neu, es taucht bereits in der Bibel auf. Unser Predigttext ist dafür ein gutes Beispiel.

Es geht hier um einen Rechtsstreit. Gott hatte damit angefangen und machte durch seinen Propheten dem Volk Vorwürfe. Er äußert Kritik, und zwar hauptsächlich an den Männern mit Einfluss und Besitz. Sie waren gewinnsüchtig und pflichtvergessen geworden, sie waren in heidnische Bräuche zurückgefallen. Sie wiegten sich in falscher Sicherheit und waren nicht mehr offen für das, was Gott wirklich wollte. Sie waren seiner auch überdrüssig und müde geworden. Das klagt Gott hier an. Er fordert Rechenschaft vom Volk. Und dazu erinnert er sie an das, was er schon alles für sie getan hat. Er hatte ja längst einen Bund mit ihnen geschlossen und sie erwählt. Er hatte sie begleitet und beschützt. Aber dieses Verhältnis war jetzt gestört, und Schuld hatte Israel. Das kommt in unserem Textabschnitt zum Ausdruck: Gott beklagt seine unverstandene Liebe und fordert das Volk zur Buße auf.

Und das zeigt Wirkung. Die Menschen reagieren auf die Worte des Propheten und fragen, was sie denn tun sollen. Sie wollen gerne mit Gott wieder ins Reine kommen. Sie sehen ihre Fehler ein und sind bereit zur Umkehr. Doch gleichzeitig sind sie ratlos. Ein Mensch fragt vorwurfsvoll: Was soll ich denn noch tun, damit du endlich zufrieden bist? Soll ich noch mehr Opfer bringen, noch mehr Kälber schlachten? Willst du vielleicht tausend Widder oder zehntausend Bäche von Öl? Oder soll ich sogar meinen Erstgeborenen opfern?! Der Fragende steigert sich richtig in diese Aufzählung hinein. Sie klingt fast so ein bisschen verzweifelt. Was er an Opfern anbietet, wird immer schlimmer, und kann so eigentlich nicht wirklich gemeint ein. Menschenopfer gab es in Israel z.B. zu keiner Zeit, das war sogar ausdrücklich verboten. Das Angebot an Gott wird ins Übermenschliche und Absurde gesteigert.

Doch dann beruhigt sich das Gespräch plötzlich, denn Gottes Antwort ist von großer Klarheit und Nüchternheit. Zunächst einmal sagt der Prophet, dass sie bereits da ist. Es gibt gar nichts Neues, Gott hat längst gesagt, was er will. Er hat sich bereits offenbart, in der Mosezeit und auch schon vorher: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert.“ „Was regst du dich also auf? Warum bestürmst du mich so?“ könnte man fast anfügen. Der Prophet verweist also als erstes auf die feste Überlieferung des Gottesbundes, und in dem geht es hauptsächlich um die persönliche Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Wichtig sind gar nicht die Menge der Opfer, sondern die religiöse und sittliche Grundhaltung des Menschen.

Und dann kommt so eine Art Katechismus, wie man ihn auch bei anderen Propheten findet. Drei Dinge werden hier erwähnt. Das erste übersetzt Luther mit „Gottes Wort halten“. Wörtlich steht da einfach nur: „das Rechte tun“, also das Recht einhalten und die Gerechtigkeit zur Grundlage des Miteinanders machen. Denn sie ist das Fundament jeder menschlichen Gemeinschaft.

Der zweite Punkt ist „Liebe üben“, oder wörtlich: „die Güte lieben.“ Und das heißt, ein mitfühlendes Herz haben, für die Leidenden und Rechtlosen einstehen, sich wirklich mit ganzer Seele den anderen hingeben. 

Und der dritte Punkt ist ein demütiger Wandel, „demütig sein vor deinem Gott“, wie Luther übersetzt. Der Mensch soll also wissen, dass er mit seinem ganzen Leben in Beziehung zu Gott steht, und dazu gehört Ehrfurcht vor Gott, Bescheidenheit und Gehorsam.

Das ist hier die Antwort auf das Drängen des Volkes, und sie ist sehr beruhigend und befreiend. Denn sie liegt auf einer ganz anderen Ebene als die Fragen. Sie ist unerwartet und überraschend und durchbricht das Schema, in dem der Mensch hier gedacht hat. Gott will gar keine Opfer, keine Anstrengung oder Mühe. Niemand muss etwas auf sich nehmen, um Gott endlich gerecht zu werden.

Seine Erwartungen haben vielmehr etwas Heilsames an sich, sie sind fast therapeutisch. Denn all das, was Gott hier will, ist für den Menschen gut, und zwar für denjenigen, der sich daran hält genauso wie für seine Mitmenschen.

Es ist fast so, als wäre es ein Spruch aus dem Neuen Testament. Denn so hat Jesus ebenfalls geredet. Er hat auch immer wieder die alte Opferpraxis in Frage gestellt und auf die innere Einstellung verwiesen. Und er hat mit seinem Leben und Sterben eine ganz neue Gottesgemeinschaft ermöglicht. Durch ihn ist das Heil gekommen, das Gott für uns will. Und von nichts anderem handelt unser Prophetenwort. Gott selber kommt uns darin nahe. Er will uns anrühren und unser Herz erreichen. Wenn wir darauf hören, treten mit ihm in Beziehung.

Und zwar geschieht das zunächst einmal dadurch, dass hier gar nichts von außen an uns herangetragen wird. Es soll nur etwas in uns geweckt werden, was längst da ist. Wir werden erinnert. Etwas Vergessenes soll wieder belebt werden. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“. Du weißt das schon, du musst gar nicht lange suchen oder überlegen. Geh doch einfach einmal in dich, da findest du alles vor, was Gott will. Du musst dich nur dafür öffnen. Du musst es nur zulassen und es ausleben.

Denn es ist das Richtige. Halte dich an das, was du als Recht erkannt hast. Ordne dein Leben, werde klar und einfach, richte dich innerlich nach dem Willen Gottes aus. Denn er sagt ihn dir, du musst nur hinhören und darauf achten. Es ist die Ordnung, die schon in dir ist, und die dir guttut. Lass sie zu und lass sie dich bestimmen. Gott hat sie in dich hineingelegt, du musst sie nur wirken lassen. Das ist das Erste.

Und als Zweites lass die Liebe und Güte zu. Auch das ist nicht schwer, denn auch das wurde uns geschenkt. Wir werden ja von Gott unendlich geliebt. Das ist durch Jesus Christus klar geworden. In ihm haben wir die Liebe und Güte Gottes mitten unter uns. Er vergibt uns immer wieder und nimmt uns an, so wie wir sind, mit all unseren Fehlern und Schwächen. Wir müssen keine perfekten Menschen oder vollkommene Christen sein. Wir müssen uns nur von Christus lieben lassen, uns ihm hingeben und anvertrauen, immer wieder. Auch und gerade dann, wenn wir Fehler machen, ist er für uns da, denn er meint es gut mit uns. Das steckt in dem Wort Güte drin. Und diese Güte müssen wir einfach nur weitergeben. Auch das kostet nicht Kraft, sondern es gibt Kraft. Wir werden ruhig und heil. Das ist das Zweite.

Und als drittes ist hier der demütige Wandel erwähnt. Auch der ist befreiend, denn er ist das Gegenteil von unserer üblichen Selbstbezogenheit. Er tut unseren Beziehungen gut, denn wir erwarten nichts mehr von den anderen und machen ihnen auch keine Vorwürfe. Wir werden nachsichtig und können vergeben. Es entsteht lebendige Gemeinschaft. Ohne dass wir es uns vornehmen, werden wir einander gerecht. In einer Ehe wächst die Aufmerksamkeit füreinander, erwachsene Kinder entwickeln echte Fürsorge für ihre Eltern, Vorgesetzte behandeln ihre Mitarbeiterinnen mit Wertschätzung usw. Wir werden geduldig, die Stimmung hellt sich auf und Spannungen lösen sich.

Es ist also in jeder Hinsicht wohltuend und heilsam, wenn wir an Gott und an Jesus Christus glauben und seine Liebe zulassen. Lasst es uns deshalb tun und „uns selber vergessen, uns verschenken und verbünden“. Wie es in einem Lied von dem katholischen Theologen Thomas Laubach heißt. Dann „berühren sich Himmel und Erde und es wird Friede unter uns.“ (Himmel, Erde, Luft und Meer, Beiheft zum Evangelischen Gesangbucvh in der Nordkirche, 1. Auflage 2014, Nr. 83)

Amen.

Leben in der Gegenwart Gottes

Predigt über 2. Timotheus 1, 7- 10: Treue zum Evangelium
16. Sonntag nach Trinitatis, 15.9.2024, Gethsemanekloster
Riechenberg (Goslar)

2. Timotheus 1, 7- 10

7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Liebe Gemeinde.

Wir sehnen uns alle nach Gott. Wenn wir in den Gottesdienst gehen, beten oder meditieren, die Bibel lesen und darüber nachdenken, möchten wir, dass er sich mit uns verbindet und uns segnet. Das ist unser Wunsch. Wir möchten als seine Kinder leben, in seiner Gegenwart und nie die Hoffnung verlieren. Wir wollen gerne immer zuversichtlich und fröhlich sein, stark und voller Energie.

Und das ist auch ein ganz berechtigtes Anliegen. Der Apostel Paulus wünschte das seinen Gemeindegliedern, Freunden und Schülern ebenso. Das geht aus seinen Briefen hervor.

Einer dieser Menschen, die ihm wichtig waren, war Timotheus, ein junger Mann, der eng mit Paulus befreundet war. Er sollte sein Werk fortsetzen. Deshalb schrieb Paulus ihm zwei Briefe und erklärte ihm darin, wie er am besten predigt, wie er die Gottesdienste gestalten soll, was in der Seelsorge wichtig ist und wie man eine Gemeinde leitet. Außerdem hat er ihm viel Zuspruch gegeben. Er wollte ihm Mut machen und ihn daran erinnern, welchen Geist er durch den Glauben an Jesus Christus empfangen hatte. Denn es kam ihm nicht nur darauf an, dass Timotheus sich gut auskannte, er sollte vor allen Dingen selber im Glauben leben. Paulus schrieb deshalb ebenso etwas über die Seelenverfassung und die Denkweise, die Einstellung und die Geisteshaltung, die einen Christen auszeichnet. Seine Briefe an Timotheus enthalten Richtlinien und Anweisungen für die Lebensführung, besonders der Zweite.

Wir haben eben einen Teil aus dem ersten Kapitel dieses Briefes gehört. Darin ermutigt Paulus seinen Schüler, unerschrocken für das Evangelium einzutreten, mit den Worten: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Diese drei Tugenden hat Gott Timotheus verliehen. Er ist also mit innerer Stärke ausgerüstet, er kann etwas und ist leistungsfähig. Außerdem hat er die Liebe empfangen, d.h. er ist freundlich und den Menschen zugewandt. Er kann mitfühlen, ist offen und schätzt die anderen. Und als drittes hat er „Besonnenheit“, das bedeutet, er hat einen gesunden Verstand und die richtige Erkenntnis. Er ist klug, kann sich selbst beherrschen, ist nüchtern, maßvoll und bescheiden. So kann man das griechische Wort für „Besonnenheit“ auch noch übersetzen.

Paulus sagt, dass Timotheus so ist, aber er will ihn damit natürlich auch ermahnen, so zu bleiben. Er soll das alles bewahren und pflegen, es wirklich leben und sich davon immer wieder bestimmen lassen.

Und das gilt für jeden Christen und jede Christin. Auch wir sollen so sein und bleiben. Und wir wollen es wie gesagt auch. Wir sehnen uns nach Ruhe und Gelassenheit, Liebe und Freude.

Doch wie kann es dazu kommen? So ganz einfach ist es ja nicht, das zu verwirklichen. Es lässt sich nicht machen und schon gar nicht anordnen. Das denken wir zwar oft, aber wir kommen immer wieder an unsere Grenzen. Dann fühlen wir uns keineswegs mutig uns stark, liebevoll und klug, sondern schwach und klein, gleichgültig und zerstreut. Häufig scheitern wir an unseren eigenen Ansprüchen.

Es kann sogar Situationen geben, in denen uns das Glauben schwerfällt. Wir können unser Gottvertrauen verlieren, andere Mächte wollen uns beherrschen. Wenn wir in einer schwierigen Situation sind, dann spüren wir manchmal die Nähe Gottes nicht, und es besteht die Gefahr, dass wir uns von ihm abwenden. Sei es eine Krankheit oder ein Verlust, ein Scheitern oder eine Sorge. All das sind Gefahren für unseren Glauben. Das Leid entwickelt oft eine ganz eigene Dynamik. Es kann uns innerlich und äußerlich zerstören. Negative Kräfte kommen zum Zuge, sie ergreifen die Oberhand.

Hilft es, wenn wir dann einfach dazu ermahnt werden, „mutig und stark“ zu sein? Wahrscheinlich nicht. Das kann die Sache sogar noch schlimmer machen. Wir fühlen uns unter Druck gesetzt, werden verspannt und noch trauriger als vorher.

Doch so ist das, was Paulus hier schreibt, auch nicht gemeint. Er macht uns keine Vorschriften und formuliert keine Gesetze. Das wird deutlich, wenn wir den gesamten Zusammenhang berücksichtigen, in dem dieser Spruch steht. Paulus sagt nämlich weiter: Gott gibt uns Kraft. „Er hat uns gerettet“ und „berufen“, „nicht aufgrund unserer Werke, sondern aus eigenem Entschluss und aus Gnade, die er schon vor Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat.“ Die Lebensführung, auf die wir achten sollen, ist also kein Werk, das wir vollbringen, keine eigene Leistung, sondern ein Geschenk der Gnade Gottes. Lange bevor wir uns entscheiden, mit Gott zu leben, hat er sich für uns entschieden. Seine Initiative und Aktivität gehen allem voran, und zwar durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Durch sie hat Gott uns zu einem Leben in Hoffnung berufen. Das schreibt Paulus am Ende unseres Abschnittes: „Jesus hat dem Tode die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht durch das Evangelium.“

Und das ist keine Ermahnung, sondern ein starker Zuspruch, aus dem alles weitere folgt. Wir müssen letzten Endes nichts anders tun, als das anzunehmen. Wenn wir „mutig“, „stark“ und „liebevoll“ sein wollen, müssen wir nichts leisten, sondern nur auf Gott vertrauen und uns ihm hingeben. Dann kann er das alles in uns bewirken. Er schenkt es uns, weil er es will und uns liebt. Für ein Leben mit ihm müssen wir uns daran nur immer wieder erinnern und uns für ihn entscheiden. Wenn wir seine Kinder sein wollen, macht es nichts, wenn wir uns klein und schwach fühlen. Wir müssen das nicht ändern, sondern dürfen so, wie wir jetzt gerade sind, zu ihm kommen. Das ist unser Beitrag: Es gilt, sich für die Gnade und Liebe Gottes zu öffnen und seinen Geist zu empfangen. Dann kann er auch in uns wirken. Deshalb meditieren wir, lesen in der Bibel, gehen in den Gottesdienst und beten.

Konkret heißt das: Wenn wir mal Angst haben, sollen wir daran denken: Jesus lebt, er hat den Tod und alle Dunkelheit besiegt. Er ist bei mir und kann die Angst überwinden. Wenn wir uns schwach fühlen, können wir uns auf seine Kraft verlassen. Und wenn wir traurig sind, ist er mit seiner Liebe für uns da. Er schließt uns in seine Arme, so dass auch wir den Menschen mit Liebe begegnen können. Das alles gilt es zu beachten und zu bewahren, es aufmerksam zu hüten und zu pflegen.

Dann wird unsere Sehnsucht, Gottes Kinder zu sein, erfüllt. Wir leben in seiner Gegenwart und werden gesegnet. Wir bekommen Kraft und Mut, verlieren nie die Hoffnung und bleiben auch in schweren Zeiten zuversichtlich, ruhig und gelassen.

Amen.

Christus in uns

Predigt über Galater 2, 16- 21: Rechtfertigung ohne Werke des Gesetzes
11. Sonntag nach Trinitatis, 11.8.2024. 11 Uhr
, Jakobikirche Kiel

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht:

Galater 2, 16- 21

16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.
17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!
18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.
20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.“

Der Herr segne an uns dieses sein Wort.

Liebe Gemeinde.

Der Abschnitt aus dem Galaterbrief, den ich eben vorgelesen habe, ist ja nicht so ganz einfach zu verstehen. Das klingt alles sehr theologisch und theoretisch. Es gibt aber einen ganz konkreten und historischen Hintergrund. Wenn wir den beachten, wird das Ganze schon sehr viel lebendiger.

Lasst uns also zunächst danach fragen, warum Paulus das hier überhaupt geschrieben hat. Die Verse stehen im Brief an die Galater, und in der Gemeinde gab es Ärger. Paulus hatte sie gegründet. Er hatte das Evangelium von Jesus Christus verkündet, der jeden Menschen liebt und annimmt und vor Gott rechtfertigt. Als alle das verstanden hatten und Paulus den Eindruck hatte, dass sie nun ohne ihn ihren neuen Glauben leben könnten, war er wieder abgereist, um woanders zu predigen und Menschen für Jesus Christus zu gewinnen. Das war ja sein Auftrag. 

Doch in der Zeit, als er nicht da war, hatten sich Gegner von Paulus in die Gemeinde eingeschlichen. Sie kritisierten seine Lehre und behaupteten, die Werke des jüdischen Gesetzes wären nach wie vor entscheidend, um vor Gott als gerecht zu gelten. Es waren Juden, die die christliche Lehre teilweise zwar angenommen hatten, sie aber doch mit dem Gesetz und ihren alten Vorstellungen von Gott wieder unterwanderten. Mit ihnen streitet Paulus sich im Galaterbrief, denn die Galater glaubten ihnen. Sie entfernten sich von Paulus und dem Evangelium von der „Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben“. Das ist der eine Konflikt, mit dem Paulus es zu tun hat. 

Gleichzeitig ärgert er sich über Petrus, den anderen großen Apostel der Urchristenheit. Er war längst mit ihm übereingekommen, dass auch sogenannte Heiden zur Gemeinde Christi gehören können, also Nicht-Juden, und dass die auch nicht vorher zum jüdischen Glauben übertreten müssen. Jeder und jede wird von Christus angenommen und kann getauft werden. Denn die entscheidende Botschaft lautet, dass Christus die Sünder, also alle Menschen annimmt, und das hatte auch Petrus längst unterschrieben. Trotzdem hatte er bei einem wichtigen Treffen so getan, als ob die Reinheitsvorschriften der Juden doch noch für Christen gelten.

Diese Auseinandersetzungen stehen wie gesagt hinter dem Text, deshalb betont Paulus hier die Rechtfertigung allein aus Glauben. Seine Botschaft lautet: Christus vergibt die Sünde und gleichzeitig erneuert er das Leben von Grund auf. Der Mensch, der an Christus glaubt, wird mit ihm verbunden, er tritt in eine neue Wirklichkeit ein. Das Alte verliert seine Macht. Ein Christ oder eine Christin wird von ganz anderen Kräften bestimmt und erfüllt, als vorher. Paulus formuliert das mit dem Satz: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.“ Das heißt, den alten Paulus gibt es nicht mehr, und seine neue Existenz ist so durch und durch von Christus bestimmt, dass er sagen kann: In mir lebt Christus. Noch ist er zwar ein sterblicher Mensch, aber sein wirkliches Dasein besteht im Glauben an den Sohn Gottes, der ihn geliebt und sich selbst für ihn hingegeben hat.

Christus erneuert also das ganze Sein. Er verbindet sich selber mit dem Glaubenden zu einer innigen Gemeinschaft im Geist und wird seine neue Mitte. Das kommt hier zum Ausdruck, und so war das Leben von Paulus auch. Er wurde Christus ähnlich.

Doch was heißt das nun für uns? Die „Rechtfertigung allein aus Glauben“ ist ja irgendwie ein alter Zopf. Für uns lutherische Christen klingt der Ausdruck vertraut und klar, fast schon so ein bisschen abgenutzt.

Aber ist er das wirklich? Halten wir uns denn noch daran und leben wir dementsprechend? Das müssen wir genau hinterfragen, denn auch bei uns hat sich längst etwas verändert, und zwar hat sich genauso wie bei den Galatern eine neue Art der Werkgerechtigkeit eingeschlichen. Das müssen wir uns bewusst machen.

Wir wurden vom allgemeinen Leistungsdenken angesteckt. Das prägt ja in unserer Gesellschaft das Lebensgefühl. Angesehen werden diejenigen, die fleißig sind und Erfolg haben, die viel schaffen, Großes vollbringen und berühmt werden. Und diese Einstellung haben wir auch als Christen ganz oft. Bei uns ist wie überall der- oder diejenige die Beste, die am meisten erreicht. Leistung wird großgeschrieben, wer viel tut, macht immer einen guten Eindruck. Wer alt und krank ist, nur herumsitzt oder spazieren geht, zählt dagegen nicht mehr richtig. Auch unter Christen sind Erfolg und gute Ergebnisse wichtig. Zeit zu haben ist verpönt.

So ist die Standardfrage nach jeder Veranstaltung und jedem Gottesdienst: Wie viel Leute waren denn da? Waren es viele, haben wir Gutes geleistet, waren es wenige, haben wir praktisch versagt. Und auch gute Werke stehen längst wieder hoch im Kurs. Wer die meisten Bedürftigen versorgt, die größte Friedensinitiative zeigt oder viel Geld sammelt, ist ein guter Christ oder eine gute Christin und kommt bestimmt in den Himmel. Aktivität wir immer positiv bewertet.  

Und das ist auch alles ganz gut und wichtig, aber wir müssen die richtige Reihenfolge beachten. Wir dürfen unsere Taten nicht als eine Befolgung von Gesetzen verstehen, die an erster Stelle stehen, sie müssen vielmehr eine Folge dessen sein, was wir geschenkt bekommen haben, Früchte des Geistes. Paulus möchte, dass wir zuerst beachten, was Gott an uns tut, sonst entfernen wir uns von dem, was die „Rechtfertigung allein aus Glauben“ beinhaltet. Es geht beim Evangelium in erster Linie darum, dass wir von innen her erneuert und mit Kraft erfüllt werde, die Liebe Christi im Herzen lebendig wird, so dass wir dann frei und froh leben und handeln können. D.h. wir sollten in erster Linie auf etwas ganz anderes achten, als unsre sogenannten Erfolge. Es wäre gut, wenn wir die Gegenwart Gottes, seine Liebe und Gnade auch wirklich erleben. Mit allem anderen machen wir uns zu „Übertretern“ wie Petrus: Wir verleugnen das Geschenk, das Christus uns gemacht hat.

Außerdem tut uns das Leistungsdenken nicht gut. Heil und erlöst werden wir dadurch nicht. Im Gegenteil: Wir werden immer müder, denn es ist anstrengend, danach zu leben, und laugt uns aus. Und gerechtfertigt werden wir dadurch ebenso wenig, denn Gott möchte gar nicht, dass wir neue Anweisungen befolgen und auf Appelle reagieren. Er will vielmehr, dass wir in seine Gegenwart eintreten, ihn erkennen und uns von ihm erfüllen lassen. Und dazu müssen wir „mit Christus gekreuzigt werden“, d.h. wir müssen klein werden und abnehmen. Und das geht nur, wenn wir einmal nichts mehr tun, uns Zeit für Christus nehmen, still werden und beten.

Wir brauchen die „Muße mit Christus“, gelegentliche Unterbrechungen aller Aktivitäten und ein Abschied vom Arbeitswahn. Natürlich kann auch das wieder in Werkgerechtigkeit ausarten. Man könnte dahinter das Streben nach Heiligkeit vermuten, eine Superfrömmigkeit, die besonders belohnt wird. Doch so ist das nicht gemeint. Es geht bei der „Muße mit Christus“ nicht um die Stille oder das Gebet an sich. Sie sind kein Selbstzweck, sondern sollen uns mit Christus in Verbindung bringen und unser Leben neu machen.

Wir sollen uns nicht willentlich abtöten, sondern spüren, wie wir wirklich sind. Das „Sterben“ besteht nicht darin, dass wir uns künstlich klein machen, sondern die Kleinheit erkennen, die da ist. Wir sind eingeladen, zu unserer Unvollkommenheit zu stehen, zu unserer Schwäche und unseren Defiziten, sie auszuhalten und zu bejahen und mit ihr zu Christus zu gehen. Wir müssen uns nicht schämen, wenn wir nichts mehr leisten. Im Gegenteil: Genau dann kann Christus umso besser an uns handeln, uns „rechtfertigen“ und mit seinem Geist erfüllen. Und das tut er auch. Das Nichtstun oder die Muße eröffnen einen weiten Raum, sortieren das Leben neu und lassen eine andere Dimension einziehen.

In einem Text aus Taizé wird dieser Vorgang sehr schön beschrieben. Er lautet folgendermaßen: „Nur einen Augenblick DU sagen und Gott da sein lasen. Nur einen Augenblick sich lieben lassen ohne Vorbehalt, ohne Zögern, bedingungslos und ohne auszuschließen, dass ich nachher brenne. Das ist Schweigen vor Gott. Dann ist im Schweigen Stille und Reden und Handeln und Leiden und Hoffen und Lieben zugleich. Dann ist Schweigen Empfangen.“ Gott will, dass wir uns dafür Zeit nehmen.

Wir können damit beginnen, indem wir das Lied singen: „Gott ist gegenwärtig“. Wir laden uns damit gegenseitig ein, ihn „anzubeten“, und bitten Gott darum, uns „sanft und still“ zu machen und „in uns zu wohnen“.

Amen.

Lied 165, 1. 7. 8: Gott ist gegenwärtig