Predigt über 5. Mose 6, 4- 9: Höre Israel
zum Reformationsfest, 1.11.2025, 18 Uhr, Lutherkirche Kiel
Der Predigttext für das Reformationsfest steht in diesem Jahr im fünften Buch Mose, Kapitel sechs und lautet folgendermaßen:
5. Mose 6, 4- 9
4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen
7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
8 Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,
9 und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Liebe Gemeinde.
„Friedrich der Große, König von Preußen, war bekannt dafür, dass er nicht allzu viel hielt von Religion und Kirche. Gern spöttelte er auch über Dinge des Glaubens. Seinen Leibarzt fragte er einmal, um ihn in Verlegenheit zu bringen: Doktor, nenn’ er mir einen Gottesbeweis, wenn er kann. – Der darauf wie aus der Pistole geschossen: Die Juden, Majestät!“
Das war eine überraschende und gute Antwort. Denn es ist menschlich unbegreiflich, dass ein so kleines, gefährdetes, ungebildetes Nomadenvolk aus der – weltpolitisch damals – hintersten Provinz Partner Gottes wird und es bis heute geblieben ist. Es hat seine Erwählung über Jahrtausende hin weitergegeben und lebendig erhalten hat. Zahllose Verfolgungen und Ausrottungsversuche durch andere Völker haben das Judentum nicht zerstört. Es hat überlebt, und viele trauen bis heute den uralten biblischen Verheißungen Gottes. Das kann dieses Volk unmöglich aus eigener Kraft geschafft haben. Darum: Die Juden sind wirklich so etwas wie ein Gottesbeweis: Dass es sie überhaupt gibt und dass es sie immer noch gibt, verrät, dass da einer hinter ihnen steht. (https://www.uni-muenster.de/FB2/philosophie/predigten/mu_bbb_ernstgemeint.html)
Sie verehren ihn und sind ihm durch alle Veränderungen in der Weltgeschichte treu geblieben. Denn sie haben einen der wirkungsvollsten Texte des Alten Testamentes ernst genommen. Wir haben ihn eben gehört, es ist das berühmte „Sch‘ma Jisrael“, das übersetzt heißt: „Höre Israel, der Herr, unser Gott ist einzig.“ Es hat seinen Ursprung in der Frühzeit Israels und enthält die Forderung nach der ausschließlichen Verehrung Jahwes. Und das hat Israel beherzigt. Es hat sich von Anfang an zu dem einen, lebendigen Gott bekannt, dem Ursprung aller Dinge, den Schöpfer, der unwandelbar, heilig, allwissend und allgegenwärtig ist. Das steckt in dem Wort „der Herr ist einzig.“ Er fordert eine ausschließliche Beziehung ohne jegliche Grenzen.
Des Weiteren wird in dem „Sch’ma Jisrael“ gesagt, dass der Einzelne seinen Glauben und sein Wissen, das Bekenntnis zu Gott und die lebendige Beziehung zu ihm auch an seine Kinder weitergeben muss. Sie sollen den Text wiederholt hören und auswendig lernen, die Familie und der Lebensraum sollen ganz davon geprägt werden. Dafür wurde von den Rabbinern empfohlen, das „Sch’ma Jisrael“ jeden Morgen und jeden Abend zu sprechen. Dadurch hörten die Kinder es ganz von selber mindestens zweimal am Tag.
Außerdem sollten sie diese Worte „zum Zeichen auf die Hand binden, und sie sollen ein Merkzeichen zwischen den Augen sein.“ Das haben die Juden wörtlich verstanden und sogenannte Gebetsriemen eingeführt. Das sind Lederbänder, an denen jeweils in einem kleinen Etui diese Worte befestigt sind. Ein frommer Jude bindet sich solche Riemen beim Beten an die Hand und auf die Stirn. Es ist ein Zeichen dafür, dass er sich an Gott gebunden fühlt, ganz gleich, wie leicht oder schwer es ihm fällt.
Genauso ist es mit der letzten Aussage: „Und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tür.“ Die wurde ebenfalls wörtlich verstanden, und das ist ja auch nicht verkehrt. Denn dadurch wurde man jedes Mal, wenn man das Haus oder die Stadt betrat, daran erinnert. Die Forderung nach einer festen Beziehung zu Gott hatte ihren Ort also in der Lebenswelt des Einzelnen und der Gemeinschaft, und dadurch konnte sie ihre Kraft entfalten. Und die hat viele Juden durchgetragen, in Verfolgung und Tod, in Leiden und Sterben. Sie haben sich an das „Sch’ma Jisrael“ gehalten und deshalb gibt es sie bis heute. Sie zeigen uns damit sehr schön, wie eine Religion lebendig bleiben kann.
Und das gilt genauso für die Kirche und die Christenheit. Wir fragen uns ja oft, wie es weitergehen soll. In der heutigen Zeit ist es nicht ganz einfach, beachtet zu werden und Menschen zu gewinnen. Die etablierten Kirchen schrumpfen, wir werden immer weniger.
Dabei tun wir ganz viel, um das Aussterben zu verhindern: Gottesdienste werden reformiert, das Liedgut wird überarbeitet, man bleibt nicht nur in der Kirche, sondern geht auch dahin, wo die Menschen sind. Wir passen uns an und strengen uns an, wir experimentieren und probieren neue Wege, werden weltoffen, sind kontaktfreudig und aufgeschlossen. Wir machen „niedrigschwellige Angebote“, wie es so schön heißt.
Und das ist auch ganz im Sinne Luthers. Er hat ja nicht nur die Kirche damals reformiert, sondern betont, dass das dauernd geschehen muss, auf Latein: „Ecclesia semper reformanda“. Den Ausdruck kennt ihr sicher. Er besagt, dass wir uns auf Luthers Thesen und Erkenntnissen nicht ausruhen dürfen. Evangelisch zu sein heißt nicht, dass wir das Erbe der Reformation pflegen und immer wieder die alten Schriften lesen, sondern dass wir uns ständig erneuern. Das haben wir auch alle verstanden und versuchen es wie gesagt.
Doch warum hilft es so wenig? Das Ergebnis kann sich nicht gerade sehen lassen, wir scheinen uns oft umsonst abzustrampeln. Es kommt trotz aller Anstrengungen kein rechter Schwung in unsere Kirche.
Der Grund dafür muss also noch tiefer liegen, und das „Sch’ma Jisrael“ kann uns auch darauf hinweisen. Wir sollten uns wie die Juden immer wieder nach Gott ausrichten, uns an ihn binden und auf seine Stimme hören. Das vergessen wir bei all den Bemühungen nämlich leicht. Vor lauter Versuchen, die Menschen zu halten und zu gewinnen, gerät Gott aus dem Blick. Wir vertrauen mehr auf unsere eigenen Ideen, auf unsere menschliche Kraft und unsere Leistung, als auf ihn.
Und an der Stelle kann Luther doch noch ein Vorbild sein und uns korrigieren. Er ließ sich von Gott und der Wahrheit leiten, von der Schrift und seinem Gewissen. Menschen und Meinungen interessierten ihn nicht, Ängste hat er abgelegt und Machtgelüste waren ihm fremd. Er war einfach nur Christ, authentisch und überzeugt von dem, was er erfahren und erkannt hatte.
Das entscheidende Erlebnis, mit dem alles anfing, hatte er dabei im Turm des Wittenberger Klosters. Er war da noch Mönch und strebte nach Vollkommenheit. D.h. er rang mit sich und dem Teufel, mit Gott und der Welt um Freiheit von der Sünde und ein reines Gewissen. Doch leider gelang ihm das nicht. Er wurde nicht glücklich und gelassen, sondern hatte Angst vor der Strafe Gottes und litt unter ständigen Anfechtungen. „O meine Sünde, Sünde, Sünde!“ war seine regelmäßige Klage. Sie beherrschte und verdüsterte seine Seele.
Sein Beichtvater Staupitz riet ihm angesichts dieser inneren Nöte, nicht mehr zu grübeln, sondern nur auf die Wunden Christi zu schauen, der für uns gestorben ist. Das tat Luther dann, und so traf ihn eines Tages die Erkenntnis wie ein Blitz: Gott will gar nicht, dass ich aus eigener Kraft vollkommen werde. Er will keine guten Werke, sondern einfach nur mein Vertrauen. Gott ist voller Liebe und Gnade, er sucht den Sünder und erbarmt sich über ihn. Das erkannte Luther plötzlich, und dadurch fand er den Seelenfrieden und die innere Sicherheit, um die er so lange gerungen hatte.
Und das ist auch für uns das Entscheidende: Wir müssen uns zu allererst Gott anvertrauen, all die Stimmen in uns und um uns zum Schweigen bringen und auf seine Stimme hören. „Mit ganzem Herzen und mit all unserer Kraft“ gilt es, ihn zu lieben. Wenn wir das tun, werden wir innerlich frei. Wir empfangen den Geist Christi und leben auf. Der lebendige Glaube verschafft uns Erneuerung, er macht uns stark und fröhlich.
Und dadurch kann dann auch die Kirche lebendig bleiben. Sie wird ein Ort, an dem Menschen etwas anderes erleben, als in der Welt. Wir sollten gar nicht dauernd versuchen, uns krampfhaft anzupassen. Mit unseren sogenannten niedrigschwelligen Angeboten sind wir in der Gefahr, alles einzuebnen und dadurch bedeutungslos zu werden. Wir organisieren sie, damit die Menschen sich in der Kirche nicht fremd fühlen. Aber warum sollen sie das eigentlich nicht? Sind wir nicht viel attraktiver, wenn sie in der Kirche etwas Neues erfahren, etwas Ungekanntes und Ungeahntes. Wir sollten auf das hinweisen, was uns unterscheidet, wonach sich alle sehnen und was sie sonst nirgends finden: Auf die Gegenwart Gottes und das ewige Licht. Dann sind wir interessant und faszinierend.
Auch wir werden zu einem Beweis dafür, dass Gott da ist, einfach dadurch, dass es uns gibt. Wenn wir unseren Glauben leben und weitergeben, unser Bekenntnis lebendig erhalten und darauf vertrauen, kann uns niemand zerstören. Die Kirche wird am Leben bleiben, denn es steht jemand hinter ihr, der zwar unsichtbar ist, aber dafür umso mächtiger.
Gott selber kann die Kirche retten und reformieren. Unsere eigene Kraft und Leistung sind viel zu klein, sie werden niemals ausreichen. Aber wir haben die Gegenwart Gottes, den Ursprung aller Dinge, den Schöpfer, der unwandelbar, heilig, allwissend und allgegenwärtig ist, und die Liebe seines Sohnes Jesus Christus, der uns erlöst hat. Durch ihn wird das große Werk gelingen.