Dank und Nächstenliebe

Predigt über Jesaja 58, 7- 12: Brich dem Hungrigen dein Brot
Altenzentrum St. Nicolai, 9.10.2025, 10 Uhr, Erntedank

Jesaja 58, 7- 12

7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
10 sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
11 Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
12 Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«.

Liebe Gemeinde.

Mit den Worten, die wir eben gehört haben, ermahnt der Prophet Jesaja die Israeliten zur tätigen Liebe an ihren Mitmenschen. Und zwar geht es um die Liebe an den Entrechteten und Misshandelten, den Sklaven und Gefangenen, an denjenigen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind oder in Schuldhaft sitzen, ebenso an den Hungernden, Heimatlosen und Frierenden. Jesaja ermahnt zur Hilfe für den in Not befindlichen „Nächsten“.

In einem derartigen Leben, in dem die Liebe gelebt wird, entstehen Heil, Friede und Wohlergehen. Es wird sich etwas ändern, nicht nur für die Bedürftigen, sondern auch für die, die helfen, langsam aber sicher. Es wird allen besser gehen. Und dabei ist das Entscheidende: Gott wird gegenwärtig sein. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch wird wieder hergestellt, die Gebete dringen zu ihm vor, der hört und er antwortet. Das ist der Segen, den Israel erwarten darf. Es entsteht neues, fruchtbares Leben.

Und am Ende erfahren wir noch etwas über die Situation, in die hinein der Prophet dies alles sagt. Das Land lag nämlich in Trümmern, denn er redete und wirkte in der Zeit nach dem Exil. Das wissen wir auch aus anderen Stellen in seinem Buch. Da war die Stimmung in der Gesellschaft schlecht. Der Prophet spricht zu Unzufriedenen und Ungeduldigen. Der Aufbau dauerte ihnen zu lange, es ging ihnen nicht schnell genug voran. Deshalb will Jesaja sie ermutigen und aufrichten: Sie sollen nicht aufgeben und nicht ihren Glauben verlieren. Er soll vielmehr weiterhin ihren Alltag und ihr Zusammenleben prägen, dann wird es ihnen bald wieder besser gehen.

Und das wird auch uns gesagt. Wir sollen ebenso dafür sorgen, dass das Heil Gottes zu allen Menschen kommt, dass sie befreit werden und ein gutes Leben haben. Das Evangelium soll konkret werden und unser Handeln prägen.

Natürlich geschieht das auch längst. Es gibt viele Initiativen, mit denen dieses Anliegen verwirklicht wird. Die beiden großen Organisationen, „Brot für die Welt“ in der evangelischen Kirche und das bischöfliche Hilfswerk Misereor in der katholischen Kirche zählen z. B. dazu. Sie sorgen dafür, dass Menschen in ärmeren Gegenden der Erde genug zu essen bekommen und dass ihre Lebensverhältnisse sich verändern. In unserem Land ist das Feld der Diakonie ebenfalls sehr weit: Es gibt unzählige Helfer, haupt- und ehrenamtliche. Wer Zeit und Kraft hat, engagiert sich irgendwo und praktiziert die Nächstenliebe.

Trotzdem steckt in der Ermahnung des Propheten auch für uns noch ein wichtiger Hinweis. Denn es geht ihm nicht einfach nur um Mitmenschlichkeit. Er will vielmehr, dass der Wille und die Gegenwart Gottes das Leben und die Gesellschaft prägen. Wir sollen nicht nur äußerlich handeln, auch innerlich soll sich etwas verändern. Die Liebe soll von Herzen kommen. Wir sollen die Menschen unser „Herz finden lassen“, wie der Prophet es ausdrückt. D.h. wir sollen uns ihnen öffnen, es soll menschliche Nähe geben, Wärme und Mitgefühl. Lassen Sie uns also fragen, wie es zu dieser inneren Einstellung kommen kann.

Und dabei kann das Erntedankfest uns helfen. An diesem Tag geht es um den Dank für alles, was wir zum Leben haben und brauchen. Gesundheit, Wohnung, Kleidung, Freundschaften und noch ganz viel mehr. Oft denken wir erst darüber nach, wenn etwas fehlt oder kaputt geht, wenn wir krank werden oder etwas verlieren. Aber es ist viel sinnvoller und besser, regelmäßig für all das zu danken. Wenn wir dankbar sind, verändern wir uns nämlich in genau die Richtung, in die die Worte des Propheten uns weisen. Denn beim Danken geschieht dreierlei: Wir kommen in Berührung mit Gott, mit uns selber und mit unseren Mitmenschen, und das tut allen gut.

Als erstes ist es Gott, dessen Nähe wir spüren, als Schöpfer und Erhalter unseres Lebens. Das Bewusstsein dafür geht uns  heutzutage leider leicht verloren, denn wir leben in einer Zeit, in der Wissenschaft und Technik sehr dominieren. Auch der weltweite Handel, Wohlstand und Konsum haben das Gefühl verdrängt, dass das Walten Gottes größer ist als das Handeln und Wissen von uns Menschen. Genau das sollten wir uns aber immer wieder bewusst machen, denn Gott ist da, und wenn wir ihm danken, merken wir das auch. Wir spüren seine Größe und Gegenwart, werden wir demütig und bescheiden. Egoismus und Machtwille schwächen sich ab. Es rückt die Verhältnisse wieder zurecht. Wenn wir mit Gott in Berührung kommen, werden wir innerlich ausgeglichen und geheilt.

Als zweites wird durch den Dank unser Herz angerührt, das Glaubensleben wird innerlich. Das ist es ja oft nicht. Wir haben uns vielmehr bestimmte Verhaltensweisen angewöhnt, die wir für gläubig und kirchlich halten. Wir trennen das Leben oft vom Glauben, beides läuft so nebeneinander her: Das eine spielt sich in der Kirche ab, das andere zu den übrigen Zeiten und an den anderen Orten, an denen wir sind. Doch so ist es nicht gedacht, und der Dank ist ein guter Weg, damit sich das ändert. Durch den Dank zieht der Glaube in unseren Alltag ein und prägt unser Lebensgefühl. Er wird echt und lebendig und kommt von innen heraus. Das ist das zweite, das durch den Dank geschieht.

Und als drittes folgt daraus eine neue Wahrnehmung unserer Mitmenschen. Wir kommen auch mit ihnen in Kontakt, erkennen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Not und Bedürftigkeit, und sorgen ganz von selber dafür, dass wir besser miteinander umgehen. Unsere Umwelt kommt in den Blick, es entsteht eine schonende und umsichtige Grundeinstellung gegenüber dem Leben und unseren Nächsten. Der Ungerechtigkeit und dem Hass wird Einhalt geboten. Die Hilfsbereitschaft wächst, Mildtätigkeit und Güte prägen unser Handeln. Wir werden „wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“ Mit diesem schönen Bild beschreibt der Prophet die Veränderung der Gesellschaft.

Es lohnt sich also, den Weg des Dankens zu gehen. Durch den Dank öffnet sich etwas in uns, und ganz von selber wird das geschehen, wozu der Prophet Jesaja uns ermahnt. Es verändert sich etwas zum Guten hin, in der Kirche, in uns und in der Gesellschaft. Und das kommt dann nicht von uns, weil wir so viel tun oder so gut sind, sondern von Gott selber. Sein „Licht wird aufgehen in der Finsternis“, er baut sein Reich, und wir dürfen daran mitwirken.

Amen.

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