Predigt über Hiob 23, 1- 17: Hiobs dritte Antwort an Elifas
11. Sonntag nach Trinitatis, 30. und 31.8.2025, 18 und 11Uhr, Luther- und Jakobikirche Kiel
Liebe Gemeinde.
Ihr kennt aus der Bibel sicher die Geschichte von Hiob. Er war ein frommer und rechtschaffener Mann, gottesfürchtig, anständig und gut. Er hatte sieben Söhne und drei Töchter und besaß riesige Herden von Schafen, Kamelen, Rindern und Eseln. Er war also reich und hatte einen großen Betrieb. Dazu gehörten noch viele Leibeigene und Bedienstete.
Doch eines Tages kam großes Unglück über ihn, angeblich weil Gott ihn prüfen wollte. So wird es am Anfang des Buches jedenfalls erzählt. Seine Herden wurden durch Feinde und Feuer zerstört und die Knechte getötet. Seine Söhne und Töchter aßen und tranken gerade im Hause ihres Bruders, da kam ein großer Wind von der Wüste her, der das Haus zum Einsturz brachte, und sie wurden darunter begraben. Zuletzt wurde Hiob am ganzen Körper mit bösen Geschwüren geschlagen, so dass ihm nichts anderes blieb, als sich in die Asche zu setzen und mit einer Scherbe seine Haut zu schaben. Auch seine Frau sagte sich von ihm los. Er war arm, krank und total einsam. Als Bündel Elend bot er ein Bild des Schreckens und des Jammers.
Da kamen seine drei Freunde, Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama, um ihn zu beklagen und zu trösten. (Hiob 1) Sie führten lange Gespräche mit ihm. Jeder entfaltete seine Meinung in jeweils drei langen Reden. Alle waren fest davon überzeugt, dass Hiob gesündigt haben musste. Wenn er das zugeben, bereuen und sich bessern würde, dann würde Gott ihm gnädig sein und sein Schicksal wieder wenden.
Doch so einfach war die Situation leider nicht, und damit beschäftigt sich das ganze Buch Hiob. Es stellt die Frage, was denn passiert, wenn ein Unschuldiger leidet. Welche Antwort gibt es darauf? Was soll das? Wie kommt er da wieder heraus und welche Rolle spielt Gott? Das Buch Hiob setzt sich sehr kritisch mit der Weisheit der Freunde auseinander, und diese Kritik finden wir in den Antworten Hiobs. Auch das sind jeweils lange Redegänge. Seine dritte Antwort an Elifas von Teman ist heute unser Predigttext und lautet folgendermaßen:
Hiob 23, 1- 17:
1 Hiob antwortete und sprach: 2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. 3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seinem Thron kommen könnte! 4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen 5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. 6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde Acht haben auf mich. 7 Dann würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter! 8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. 9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. 10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich erfunden werden wie das Gold. 11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab 12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir. 13 Doch er ist der Eine – wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. 14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. 15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. 16 Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; 17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.
Das ist eine der langen Reden Hiobs. Elifas hatte ihm geraten, sich mit Gott zu vertragen, dann wird es ihm auch wieder gut gehen. Er sollte seine Weisung annehmen, sich bekehren und demütigen. Dann wird er sich auch wieder an Gott freuen können, und Gott wird ihn erhören. „Denn er erniedrigt die Hochmütigen; aber wer seine Augen niederschlägt, dem hilft er.“ (22,29) Das ist sein Schlusssatz.
Doch der hilft Hiob nicht, denn er war nie „hochmütig“ und hat immer „die Augen niedergeschlagen“. Er weiß nicht mehr, wo Gott ist, wer er ist und wie er glauben soll. Er zweifelt und ist ratlos. Das Einzige, was er tun kann, ist trotz dieser Ratlosigkeit an Gott festzuhalten, ihm die Ehre zu geben, auch ohne dafür einen persönlichen Grund zu haben, ohne die Erfahrung von Gottes Nähe und Liebe. Und das tut er. Gegen die Vernunft, gegen alle Einsicht und gegen sein eigenes Gefühl der Verlassenheit lobt er Gott. „Doch er ist der Eine – wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn.“
Das ist sein Bekenntnis, auf das seine Rede hinausläuft. Sie ist zwar eine Klage und drückt viel Traurigkeit, Angst und Einsamkeit aus, aber sie endet nicht in der totalen Verzweiflung. Hiob beugt sich, ist demütig und bleibt weiter geduldig. Er hofft darauf, dass sich sein Schicksal eines Tages wieder ändern wird.
Und das ist auch die Botschaft für uns: Es ist gut, wenn wir „still warten“ und ruhig bleiben. Es nützt nichts, wenn wir uns auflehnen und abmühen. Besser ist es, Gottes Macht zu preisen und seine Gnade zu rühmen, denn nur dann erfahren wir auch sein Heil.
Das gilt besonders dann, wenn wir die Nähe Gottes nicht mehr spüren. Solche Situationen kennen wir sicher alle, in denen Gott abwesend zu sein scheint. Wir verstehen ihn nicht, zweifeln, hadern und klagen. Wir können nicht mehr richtig glauben, weil das Leid, das wir empfinden, stärker ist.
Das kann durch verschiedene Ereignisse ausgelöst werden. Es kann ein Schicksalsschlag sein, ein schwerwiegender Verlust, eine Krankheit, ein Konflikt. Und auch die allgemeine Weltlage kann uns in die Verzweiflung treiben. Wir hören so viel Schlimmes, von Kriegen, Vertreibung, Gewalt und Tod. Ungerechtigkeit und Hass greifen um sich, Egoismus, Gier und Machtwille scheinen gerade an vielen Stellen in der Welt zu siegen.
Wo ist Gott da? Warum greift er nicht ein? Wie sollen wir noch an ihn glauben? Diese Fragen stellen wir uns, und um sie geht es auch im Buch Hiob. Die Zweifel an Gott sind genauso alt wie der Glaube an ihn. Menschen haben sie immer wieder, und wenn sie einmal in unsrem Kopf sind, lassen sie uns nicht so schnell wieder los.
Doch genau da müssen wir ansetzen. Anstatt mit Gott zu rechten und ihm Vorwürfe zu machen, müssen wir einmal in uns gehen und uns selber eine Frage stellen, und zwar die nach unserem Gottesbild. Wir stellen uns Gott ja irgendwie vor und haben auch Erwartungen an ihn: Er soll gut sein, gnädig und liebevoll, helfend und beschützend. Wenn er das nicht mehr ist, fangen wir an zu zweifeln. Doch wir müssen uns klar machen, dass dann eigentlich nur unser Bild von ihm ins Wanken gerät, unsere Vorstellungen und Wünsche. Anstatt uns gegen Gott zu wenden, sollten wir uns lieber von unsren Bildern befreien, sie abtun und loslassen. Das ist das erste.
Als zweites müssen wir einsehen, dass Gott größer ist als die Gedanken, die wir über ihn haben. Wir dürfen uns nicht über ihn stellen. Dann ist er ja auch nicht mehr Gott. Ohne dass wir es merken, verfallen wir damit dem Hochmut. Das Wort kommt von „hoch“, und da sind wir gerne, oben, überlegen und eigenmächtig. Wir überheben uns, und damit entfernen wir uns natürlich von Gott. Denn groß ist allein er, und es gilt auf ihn zu blicken, trotz allem, ohne Bild, ohne Grund, ohne Erfahrung.
Wenn wir Gott wirklich kennen lernen wollen, muss es uns um ihn selber gehen. Gott ist nicht unser Handlanger, sondern er ist unverfügbar. Anstatt nach „Osten, Westen, Norden oder Süden“ zu schauen, muss unser Blick auf Gott selber gerichtet sein. Wir finden ihn nicht in der Welt, sondern nur, wenn wir ihn anbeten und ihm die Ehre geben. Denn Gott ist nicht ein Teil unseres Lebens oder unseres Denkens, sondern wir sind ein Teil von ihm. Jeder und jede Einzelne ist ein Gedanke Gottes, wir sind sein Bild, seine Idee, und nicht umgekehrt. Es ist gut, wenn wir das demütig erkennen, still werden und uns an seiner Gegenwart genügen lassen.
Es gibt unzählige Menschen, die das getan und davon Zeugnis abgelegt haben. Es war nicht nur Hiob. Sie sind durch die „dunkle Nacht“ gegangen, wie sie es nennen. Fast jeder und jede Gläubige erlebt das irgendwann einmal. Es ist die Nacht der Gottesferne. Die Begeisterung für Gott löst sich auf, es bleibt nur innere Leere. Aber viele von denen, die von solchen Erfahrungen berichten, bezeugen gleichzeitig, dass sie trotzdem weiter geglaubt haben und irgendwann getröstet wurden. Bei Hiob war es auch so. Am Ende des Buches zeigt Gott sich und stellt sein Leben wieder her, weil er es wollte.
Luther hat diese Haltung das große „Dennoch“ genannt. Es ist ein Glaube ohne Grund, auf den ich mich dann in allen Lebenslagen gründen kann; der „reine Glaube“, der sich an nichts hält und dann selber zum festen Halt wird.
Ein weiteres Beispiel für diese Weise des Glaubens sind viele Baltendeutsche, die nach dem Ersten Weltkrieg wegen ihres christlichen Glaubens und ihrer deutschen Herkunft von den kommunistischen Machthabern verfolgt und in Gefängnisse und Lager eingesperrt wurden. Sie haben trotzdem weiter fest an Gott geglaubt und oft ein Lied gesungen, das sich ihnen als Trost eingeprägt hatte. Es stammt von einer damaligen Zeitgenossin, Hedwig von Redern, einer Dichterin, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gelebt hat.
Sie war das älteste Kind des Generalleutnants Hermann von Redern aus einem märkischen Uradelsgeschlecht. Als Hedwig 20 Jahre alt war, starb ihr Vater, und ihr Wohnsitz wurde durch einen Brand zerstört. Die Familie zog in eine Mietwohnung in Berlin, wo sie von da an in relativ ärmlichen Verhältnissen lebte.
Doch Hedwig hat nicht an Gott gezweifelt. Im Gegenteil, im christlichen Glauben fand sie Mut und fing an, christliche Texte zu dichten.
Eine besondere Wirkungsgeschichte hatte dabei das Lied: „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll. Ist‘s doch umsonst, dass ich mich sorgend müh, dass ängstlich schlägt mein Herz, sei’s spät, sei’s früh. Du weißt den Weg ja doch, du weißt die Zeit, dein Plan ist fertig schon und liegt bereit. Ich preise dich für deiner Liebe Macht, ich rühm die Gnade, die mir Heil gebracht.“ (EG 603,1.2)
Amen.