Die neue Schöpfung

Predigt über Sprüche 8, 22- 36: Der Ruf der Weisheit
3. Sonntag nach Ostern, Jubilate, 11.5.2025, 8 Uhr, Gethsemanekloster Riechenberg

Sprüche 8, 22- 36
Die Weisheit ruft:
22 Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.
24 Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
25 Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren,
26 als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
27 Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über den Fluten der Tiefe,
28 als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe,
29 als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte,
30 da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
31 ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
32 So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten!
33 Hört die Mahnung und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!
34 Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
35 Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN.
36 Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.

Liebe Gemeinde.

Das Wort „Weisheit“ – auf Hebräisch „Chakamah“ – kommt im Alten Testament oft vor. Es bedeutet „Geschicklichkeit, Wissen und Kenntnis.“ Auch bezeichnet es die Fähigkeit, Situationen beurteilen zu können und die richtigen Mittel für die Lösung eines Problems oder eines Konfliktes zu finden. Der König Salomo besaß z.B. diese Weisheit. Doch sie geht auch noch tiefer: Die Weisheit kann darüber hinaus die Rätsel der Welt lösen. Und zuletzt ist mit dem Wort die Weisheit Gottes gemeint, die die Quelle der menschlichen Weisheit ist. Durch sie wurde die Welt erschaffen und wird von ihr regiert.

Davon handelt der Hymnus, den wir eben gehört haben. Die Weisheit wird dort als eine wesentliche Eigenschaft Gottes gerühmt, die sich in der Schöpfung manifestiert. Sie war sein erstes Werk, und dann hat sie ihm bei der Erschaffung der Welt beigestanden. Wie ein Handwerker oder eine Künstlerin stand sie neben Gott und hat mit spielender Leichtigkeit das Schöpfungswerk dirigiert. Jeden Tag hatte sie ihre Freude daran.

Uralt und göttlich ist somit die Weisheit und sie gilt als erste der Tugenden. Deshalb ist es notwendig, dass die Menschen ihrem Unterricht aufmerksam folgen. Wer das tut, wird reich belohnt: Er empfängt Leben und Gottes Wohlgefallen. Wer sie dagegen verschmäht, schadet sich selbst und verliert sich in den Tod.

Auffällig ist, dass die Weisheit wie eine Person dargestellt wird, die hier sogar selber spricht. Das hat die Christen schon sehr früh dazu bewogen, diese und ähnliche Aussagen im Alten Testament auf Jesus Christus zu übertragen. Sie erinnern an den Prolog des Johannesevangeliums, der lautet: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ (Joh.1,1-3) „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ (14)

Wir glauben, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist, „sein Kind an seiner Seite, das unter seinen Augen spielte auf dem weiten Rund der Erde und an den Menschen seine Freude hatte“. (V.30f) Im Nicänischen Glaubensbekenntnis heißt es dementsprechend: „Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit.“ Damit bekennen wir, dass Jesus Christus nicht nur eine geschichtliche Person ist, sondern „wahrer Gott vom wahren Gott“. Besonders in der österlichen Freudenzeit ist das unser Thema: Wir feiern die Auferstehung, die Schöpfung und das ewige Leben.

Naturwissenschaftlich lässt sich dieser Teil unseres Glaubens nicht erklären. Als moderne Menschen zweifeln wir deshalb oft an solchen Aussagen, sie passen nicht in unser aufgeklärtes Denken. Aber das ist auch nicht der richtige Weg, um uns diesem Geheimnis zu nähern. Ein Hymnus wie der über die Weisheit ist dafür sehr viel besser geeignet. Wenn wir darin den Weg Jesu Christi sehen, beschreibt er, dass die Auferstehung ein uraltes, lebendiges Geschehen ist, das am Anfang da war und immer noch wirkt, ein dauerndes Ereignis in der Welt und in der Natur, das sich in Jesus Christus gezeigt hat und bis heute verkündet wird.

Und das bedeutet für unseren Glauben, dass er nicht eine Ideologie ist, eine Lehre mit verschiedenen Kapiteln und Punkten. Wenn wir an Jesus Christus glauben, schließen wir uns vielmehr an die lebendige Quelle an, aus der alles Leben kommt. Wir haben Teil an der schöpferischen Kraft Gottes und werden mit der ganzen Natur verbunden. Wir werden eins mit der Schöpfung und wissen uns als Teil von ihr.

Es bedeutet auch, dass unser Glauben keine Privatsache ist, etwas, das sich im individuellen Bereich erschöpft und im stillen Kämmerlein gepflegt wird, sondern er öffnet uns für die Welt und unsere Mitmenschen. Er will mit anderen zusammen gefeiert werden und ruft uns in die Verantwortung.

Nicht umsonst endet unser Lied über die Weisheit mit einer Ermahnung zur Nachfolge. In der Übersetzung die „Gute Nachricht“ lauten die Verse: „Deshalb, ihr jungen Leute, hört auf mich! Wie glücklich sind alle, die mir folgen! Schlagt meine Unterweisung nicht in den Wind, hört darauf und werdet klug! Wie glücklich sind alle, die mir zuhören, die jeden Tag vor meinem Haus stehen und an meinem Tor auf mich warten. Alle, die mich finden, finden das Leben und der Herr hat Freude an ihnen.“ (Gute Nachricht, V. 32-35)

Das erinnert ebenfalls an ein Wort Jesu, und zwar an den sogenannten Heilandsruf, der im Matthäusevangelium in Kapitel elf steht. Jesus sagt dort: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Matthäus 11, 28-30) Das ist eine weitere Bibelstelle, die eine Brücke zwischen der alttestamentlichen Weisheit und Jesus Christus bildet. Jesu Ruf gleicht dem der Weisheit. Wir sind eingeladen, ihm zu folgen, damit wir Glück und Ruhe finden. In Jesus ist Gott ganz nah bei uns.

Wenn wir also auf die Weisheit – und das heißt für uns: auf das Evangelium und auf Jesus Christus  – hören, kann Gott uns finden und uns immer wieder erneuern. Wir empfangen das ewige Leben.

Und das ist eine wunderbare Botschaft, denn unser Leben ist oft voller Leid. Wir stecken manchmal in Sackgassen, haben Angst und fühlen uns verloren. Sowohl im persönlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich spüren wir häufig unsere Ohnmacht, vielleicht auch Wut und Ärger. Krankheit und Konflikte machen uns das Leben schwer, und am Ende wartet der Tod auf uns.

Doch er ist überwunden, das ist die Botschaft von Ostern. Unsere engen Grenzen sind gesprengt. Durch den Glauben an die Auferstehung Jesu Christi und an seine schöpferische Macht verwandelt sich alles: Unser Geist wird weit, unsere Seele wird stark. Wir werden von innen her gewärmt und finden eine Heimat. In der Weisheit Gottes, die in Christus für uns zu erkennen ist und zu finden ist, nähern wir uns dem Ursprung und Ziel des Lebens, seinem Sinn.

Wir haben deshalb wirklich einen Grund uns zu freuen. Der heutige Sonntag heißt „Jubilate“, das heißt jubelt, freut euch und seht, wie gewaltig die Werke Gottes sind. Der Tod ist zerbrochen, das Finsterste überwunden.

Lasst uns deshalb der Einladung unseres Liedes folgen und uns auf den Weg der Weisheit begeben. Es lohnt sich, immer wieder auf Jesus Christus zu hören, auf seine Einladung und seine Verheißung. Es gilt, das Evangelium ernst zu nehmen und zwar täglich aufs Neue. Wenn wir uns jeden Morgen vor das „Haus Jesu Christi“ stellen, werden wir heil und empfangen unvergängliche Freude. Dann holt er uns ab, und wir gehen durch die Tür zu einem Leben, in dem der Tod überwunden ist. Wir finden die Seligkeit und den Frieden, nach dem wir uns sehnen, denn Jesus Christus „hat seine Freude an uns“ und erfüllt uns mit seiner Gegenwart.

Amen.