Predigt über Matthäus 2, 13- 15. 19- 23: Die Flucht nach Ägypten
Zum 1. Sonntag nach Weihnachten, 28.12.2024, 18Uhr, Lutherkirche Kiel
Matthäus 2, 13- 15. 19- 23
13 Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten
15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«
19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten
20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.
21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.
22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land
23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.
Liebe Gemeinde.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. “ (EG 65,7) So dichtete Dietrich Bonhoeffer, und das bekennen seit eh und je die, die mit Gottes Möglichkeiten rechnen. Das sind immerhin noch 58% der Deutschen. Dabei will jeder zehnte auch schon einmal einem Engel begegnet sein. Sie sind die Schutzmächte aus der Nähe Gottes, für uns selbst und für die Menschen, die wir lieben. Wer Kinder hat, glaubt das besonders, denn es gibt unzählige Situationen, in denen sie bewahrt werden. Es kann Glück oder Zufall sein, aber es können auch die „guten Mächte“ sein, in denen die Kinder „geborgen“ sind.
In der Bibel werden die Engel als selbstverständliche Wirklichkeit vorausgesetzt. Sie sind die Boten Gottes, sie bewahren und beschützen die Menschen, verheißen das Gute und bekämpfen das Böse.
Am Anfang des Matthäusevangeliums taucht gleich dreimal ein Engel auf und erscheint Joseph im Traum: Das erste Mal, um ihn auf die Geburt Jesu vorzubereiten (Mt.1, 20), das zweite Mal, um ihn zur Flucht nach Ägypten zu bewegen (Mt.2,13), und das dritte Mal, um ihn zur Rückkehr aufzufordern (Mt.2,19). Die Geschichte haben wir eben gehört.
Sie erzählt von einem schmerzlichen Ereignis, das sich im Anschluss an den Besuch der drei Sterndeuter, den „Weisen aus dem Morgenland“ im Stall von Bethlehem ergab. Durch sie hatte Herodes, der König von Judäa, von der Geburt des „neugeborenen Königs“, wie die Weisen ihn nannten, gehört, und er wurde eifersüchtig. Er wollte ihn töten. Da er aber nicht wusste, wo er war, beschloss er, alle neugeborenen Kinder umzubringen. Das war ein grausames und brutales Vorgehen, dem viele Kinder zu Opfer fielen. (Mt.2,16-18) Nur Jesus wurde gerettet, denn so wollte Gott es. Er schickte deshalb seinen Engel und ließ Joseph mit seiner Familie nach Ägypten fliehen. Der Engel Gottes sorgte also dafür, dass Jesus nichts geschah. Gott konnte mit ihm sein Heilswerk durchsetzen.
Und solche Erfahrungen kennen wir alle: Oft merken wir es vielleicht nicht so deutlich, wie Joseph, dass uns ein Engel beistand und Schaden von uns fernhielt, aber wir reden trotzdem davon: Ein Engel war da, so dass ein Unfall nicht passierte, ein Baum nicht umfiel, eine Leiter stehen blieb usw. Kinder haben Schutzengel, und Erwachsene ebenso. Das ist eine allgemein verbreitete Vorstellung.
Doch obwohl die Engel Konjunktur haben und sozusagen im Aufwind sind, melden sich natürlich ebenso die kritischen Gedanken. Denn jedem, der von einer wunderbaren Rettung erzählt, könnte ein anderer widersprechen, dem genau das nicht widerfuhr, der vielmehr Schlimmes erlebte. In unserer Geschichte wären das all die Mütter, deren Kinder gestorben sind. Sie hatten keine himmlischen Helfer. Wie konnte Gott das zulassen? Diese Frage stellen wir ja sowieso oft.
Wir hätten gerne eine Antwort, doch die gibt es leider nicht. Die Engel beantworten sie schon gar nicht. Sie heben nicht auf, dass es in dieser Welt oft böse zugeht. Sie machen kein Ende mit der Ungleichheit, dass die einen bewahrt werden und andere nicht.
Trotzdem glauben die Menschen bis heute an sie. Und das ist auch ein guter Weg. Denn für die Frage nach dem Grund für das Böse gibt es – wie gesagt – keine befriedigende Lösung. Sie muss offen im Raum stehen bleiben. Es ist deshalb besser, sie loszulassen und ohne Antwort eine Entscheidung zu treffen. Denn wir werden etwas gefragt. Anstatt eine Aufklärung zu bekommen, werden wir zum Glauben aufgefordert, unabhängig davon, wie es uns ergeht.
Auch wenn wir nicht bewahrt werden, können wir uns geborgen und getragen fühlen, mitten im Leid, mitten in der Not und Todesnähe, so wie Dietrich Bonhoeffer kurz vor seiner Hinrichtung. Gerade da fühlte er sich „von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar.“ (EG 65,1) Er glaubte an Gott und bekannte sich zu ihm, obwohl ihm Schlimmes widerfuhr. Sein Lied wurde sogar zu einem der Beliebtesten in unserem Gesangbuch, denn wenn wir es singen und uns damit an Gott wenden, können wir dieselbe Erfahrung machen.
Zum Glück gibt es dafür auch jedes Mal ein Beispiel, wenn ein großes Unglück geschieht, wie jetzt z.B. bei dem Anschlag von Magdeburg. Sofort kamen die Menschen im Dom zusammen und haben gebetet. Es wurde ein Gottesdienst gehalten, der sie getröstet und aufgefangen hat. Und das findet regelmäßig statt, auch wenn an die Opfer von früheren Katastrophen gedacht wird: Menschen zünden Kerzen an, singen Lieder und beten zu Gott. Und das ist gut, denn dadurch können sie erleben, dass Gott trotz allem da ist.
Er lässt uns nicht allein, und er hat auch in der Welt gehandelt: Jesus wurde am Anfang seines Lebens nicht aus purer Willkür vor dem Schwert gerettet, sondern weil er einen Auftrag hatte. Er hat das Böse zwar nicht ausgerottet oder vernichtet, aber er hat es auf sich genommen. Er ist selber tief in das Elend der menschlichen Wirklichkeit eingetaucht, hat die Ungerechtigkeit und Grausamkeit, zu denen Menschen fähig sind, ertragen und durchlitten. Sein Sieg geschah nicht durch sein Kommen, sondern durch sein Sterben und Auferstehen. Das war von Anfang an das Ziel. Nicht umsonst ist die Christenheit Ostern entstanden, durch das Fest der Auferstehung. Denn da wurde der Tod überwunden, da hat die Macht Gottes über das Böse triumphiert, und der Himmel hat sich geöffnet. Die ältesten Sätze des Glaubensbekenntnisses enthalten dieses Ereignis. Auch in der Predigt von Paulus standen das Kreuz und die Auferstehung Jesu im Mittelpunkt. Er rief zum Glauben an die erlösende Kraft dieser Wirklichkeit.
Und damit sind wir bei der Entscheidung, um die es geht: Wir sind eingeladen, an Jesus zu glauben, ihm zu vertrauen und ihm nachzufolgen. Es hilft uns nicht, wenn wir angeblich kluge Fragen stellen. Denn die Geschichte und Sendung Jesu übersteigen unseren Verstand. Es ist deshalb sogar gut, wenn wir unser Denken einmal ruhen lassen mitsamt der Frage nach dem Grund für das Leiden. Durch sie verhärten wir nur, wir verbittern und verzagen. Der Glaube führt uns dagegen zum Stillhalten, zur Ruhe und zum Trost. Wenn wir unseren Geist und unsere Seele für die Gegenwart Christi öffnen, können wir erfahren, dass es noch viel mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als wir ahnen. Dem Glauben erschließt sich eine unaussprechliche und wunderbare Wirklichkeit, und die ist erfüllend und heilend.
Der Pfarrer einer großen Kinderklinik hat einmal erzählt: „Auf der Schulkinderstation gab es einen kleinen Jungen, der Krebs hatte. Irgendwann wurde klar, dass er es nicht schaffen würde, ihn zu besiegen. Um ihn herum war jene gedrückte Stille, die oft eintritt, wenn der Tod naht. Aber der Junge saß in seinem Bett und sagte nur: «Hört ihr das denn nicht, ich höre schon die Engel singen!»“
Die Macht der Engel und die Gegenwart Christi sind real, wir müssen nur hinhören und hinsehen. Und je mehr Menschen das tun, umso stärker wird das Böse abgewehrt. Wir können die Einfallstore für „den Teufel“ schließen. Das ist eine biblische Vorstellung, die heutzutage zwar nicht mehr so lebendig ist, aber sie ist eine gute Veranschaulichung dafür, dass unser Leben bedroht ist. Es ist gefährdet und unsicher, doch von Christus her leuchtet uns ein Licht. Es kann uns vor dem Feind behüten. Durch den Glauben gehören wir Christus. Wir können uns ihm schenken, dann „befiehlt er seinen Engeln, zu kommen“ und auf uns achtzugeben. Sie sind die „Wächter“ in der Nacht, so dass wir ruhig schlafen – und wenn es sein soll und so weit ist – auch sterben können.
Zu dieser Vorstellung gibt es einen alten Hymnus. Er stammt aus dem Jahr 534 und trägt den lateinischen Titel „Christe qui lux es et dies“. Der Pfarrer und Reformer Erasmus Alber übersetzte ihn um 1536 und dichtete danach das Lied „Christus, du bist der helle Tag“ (EG 469). Wir können uns mit diesem Lied wunderbar der Liebe und der Macht Christi anvertrauen.
Der Predigt liegt der Aufsatz zu Grunde: Engel – mehr als unsere verborgenen Begleiter, von Klaus Dettke, in: Aufschlüsse, Ausgabe 91, Zeitschrift für spirituelle Impulse, Dezember 2024, Hrg. Gruppe 153, Coswig, S. 13ff