Von der Umarmung Gottes

Predigt über Lukas 15, 1- 3. 11b- 24: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn
zum 3. Sonntag nach Trinitatis, 13.6.2024, 10 Uhr, Altenzentrum St. Nicolai, Kiel

Lukas 15, 1- 3. 11b- 24

1 Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
11b Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben
15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater.
Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein!
24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Liebe Gemeinde.

Das Gleichnis, das wir eben gehört haben, kennen Sie sicher alle unter der Überschrift „Der verlorene Sohn“. Es handelt aber nicht nur von einem, sondern von zwei erwachsenen Söhnen und ihrem Vater. Der Ältere arbeitet fleißig auf dem Gut seines Vaters mit, der Jüngere dagegen will weg, und so bittet er seinen Vater, ihm sein Erbe auszuzahlen. Das tut der Vater auch, und sein Sohn zieht in die Welt hinaus. Er will seinen Spaß haben und frei sein. Aber leider geht er sehr verschwenderisch mit seinem Geld um. Es zerrinnt ihm unter den Fingern, und so kommt es nach einer kurzen Zeit des Vergnügens zum baldigen Niedergang. Der junge Mann hat nichts mehr und beginnt zu hungern. Er biedert sich einem Bürger jenes Landes an, in dem er sich gerade aufhält, und hütet seine Schweine. Das ist eigentlich ein für einen Juden unzumutbares Geschäft. Aber es geht sogar noch tiefer. Er sieht, wie die Schweine zu fressen bekommen, er selbst aber bleibt hungrig.

Und auf diesem Tiefpunkt kommt er endlich zu sich selbst. Er denkt nach und wacht auf. Er erinnert sich, wie gut es die Tagelöhner bei seinem Vater haben, und er beschließt, umzukehren. Dabei weiß er sehr wohl, dass er falsch gehandelt hat. Er bereut das aufrichtig und nimmt sich vor, seine Schuld zu bekennen. Er weiß auch, dass er sein Sohn-Sein verspielt hat, also will er bei seinem Vater als Tagelöhner arbeiten. Lieber zu Hause Tagelöhner sein, als in der Fremde unwürdig leben und hungern. Das ist seine Entscheidung. So macht er sich auf den Weg, zurück zu seinem Vater.

Sicher ist ihm dabei mulmig, denn er weiß nicht, wie dieser ihn empfangen wird. Es kann gut sein, dass er ihn von sich weist, dass er nichts mehr von ihm wissen will, weil seine Trauer und Wut größer sind, als sein Mitgefühl.

Doch das ist zum Glück nicht der Fall, es kommt zur freudigen Überraschung. Der Vater ist nicht böse oder abweisend, sondern scheint sogar schon auf seinen Sohn gewartet zu haben. Seine Gefühlsregung ist jedenfalls nur Liebe und Erbarmen. Er läuft dem Sohn entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn. Der Sohn sagt dann das, was er sich vorgenommen hatte, er bereut sein Verhalten und bekennt seine Schuld.

Doch der Vater scheint das gar nicht hören zu wollen. Er nimmt ihn vollkommen als seinen Sohn wieder an, gibt ihm die besten Kleider und den Siegelring und feiert ein Wiedersehensfest. Er ist fast außer sich vor Freude und begründet sein überschwängliches Verhalten mit dem Satz: „Dieser mein Sohn ist tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.“

Und damit wollte Jesus etwas über Gott sagen. Er ist mit dem Vater gemeint, und wir sind die Söhne. Das Gleichnis handelt also von der vergebenden Liebe Gottes, von seiner Güte und Zuwendung gegenüber dem bußfertigen Sünder, der einfach und ohne jede eigene Leistung angenommen wird. Dadurch finden wir unser Glück und unser Heil. Lassen Sie uns also fragen, wie wir die Umarmung Gottes erleben können.

Dazu ist es gut, wenn wir uns in den jüngeren Sohn hineinversetzen. Das fällt uns möglicher Weise nicht ganz leicht, denn so sind wir natürlich nicht. Wir sind noch nie so tief gesunken, dass wir durch eigenes Verschulden fast verhungert wären. Doch hinter dem Verhalten des jüngeren Sohnes steckt auch noch mehr. Zu seinen Ausschweifungen führte nicht nur sein schwacher Charakter, sondern durchaus etwas, was uns alle betrifft: Er wollte frei sein, seinen Wünschen und Sehnsüchten nachgehen, endlich seine Bedürfnisse befriedigen und Spaß im Leben haben.

Und das ist ganz menschlich. Es steckt auch in uns. Wir wollen tun und haben, was wir uns wünschen. Geld und Vergnügen spielen dabei durchaus eine Rolle. Und wenn uns das nicht so wichtig ist, dann sind es andere Dinge, schöne Begegnungen, dass jemand uns anerkennt, aufmerksam auf uns wird. Wir wollen auch erfolgreich sein und natürlich gesund bleiben. Uns liegt auf jeden Fall viel daran, dass wir im Leben auf unsere Kosten kommen. Sicher nimmt das nicht so krasse Formen an, wie bei dem verlorenen Sohn, aber im Prinzip sind wir gar nicht so anders: Wir haben eine angeborene Gier nach Leben und tun viel dafür, dass sie gestillt wird.

Doch so einfach ist es nicht, dass sich diese Sehnsucht auch erfüllt. Ganz zufrieden und frei werden wir nämlich nie. Denn wir bleiben bei dieser Lebensweise in uns selbst gefangen. Wir kommen von uns selber nicht los. Damit das geschieht, müssten wir unser Wünschen und Wollen einmal unterbrechen. Und genau das fällt uns schwer, das wollen wir nicht, deshalb kommen wir nie wirklich zur Ruhe.

Damit es gelingt, müssen wir also umdenken und zugeben, dass wir noch mehr brauchen, als die Welt und andere Menschen uns bieten können. Das wäre der erste Schritt: Es ist die Erkenntnis, dass wir in der Tiefe unserer Seele nach etwas Großem hungern, nach noch viel mehr, als der Befriedigung unserer spontanen Wünsche. Darin besteht unsere Umkehr, uns einzugestehen, dass der Weg zum Glück und zur Freiheit in eine ganz andere Richtung geht. Er besteht darin, dass wir aufhören, hinter unserem Glück herzujagen, und erkennen, dass es längst da ist.

Das ist dann das Zweite: Wir dürfen davon ausgehen, dass Gott auf uns wartet. Er steht da, mit ausgebreiteten Armen, wir müssen einfach nur kommen, und zwar so, wie wir sind. Es spielt gar keine Rolle, ob alle unsere Wünsche erfüllt werden. Wir werden immer unbefriedigt bleiben. Aber genauso dürfen wir zu Gott gehen, mit unserer Unruhe, mit unserem Hunger nach Leben, mit unserer inneren Leere und vielleicht sogar Verzweiflung. Denn so nimmt Gott uns an, und er sieht uns schon lange, bevor wir kommen. Er geht uns sogar entgegen, empfängt uns voller Freude und umarmt uns.

Wenn wir daran glauben, und uns darauf einlassen, dann kommt es zu einer Begegnung, die uns tiefer erfüllt und beruhigt, als alles andere. Nur dadurch werden wir wirklich frei und erlöst. Denn Gott befreit uns von uns selbst. Er schließt uns so in die Arme, wie wir sind, und schenkt uns seine grenzenlose Liebe. Das ist das dritte, und das macht uns wirklich froh. Eine neue Kraft durchströmt die Seele, sie wird gesund und heil, und wir kommen endlich zur Ruhe. Alles, was wir uns gewünscht haben, geht mit einem Mal in Erfüllung, und zwar in überwältigender Weise.

Amen.