Wir sind Kinder Gottes

Predigt über Galater 4, 4- 7: Befreiung zur Gotteskindschaft

Heiligabend, 24.12.2023, 17 Uhr, Jakobikirche Kiel

Liebe Gemeinde.

„Morgen, Kinder, wird’s was geben, morgen werden wir uns freun. Welch ein Jubel, welch ein Leben wird in unserm Hause sein. Einmal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag.“

Das haben Sie gestern vielleicht gesungen oder zumindest gedacht, und heute ist es soweit. Das Fest ist da und die Freude ist groß, so wie auch „im vor’gen Jahr es am Weihnachtsabend war.“ „Die Stube glänzt von der großen Lichterzahl“, wir singen Lieder und hören die Glocken.  

Aber ist es wirklich alles so wunderschön, hell und fröhlich, wie das Lied es beschreibt? Wir wünschen uns das zwar, bereiten alles vor und tun, was wir können, damit das Fest gelingt. Aber so ganz einfach ist es ja nicht, dass die Weihnachtsfreude auch wirklich kommt. Kindern fällt das leichter, als uns Erwachsenen, und so ein bisschen sehnen wir zu Weihnachten auch in unsere Kindheit zurück. Wir würden gerne noch einmal Kinder sein. 

Und das ist möglich, es wird uns Weihnachten sogar verheißen. Unser Predigttext handelt davon. Er steht im Brief des Paulus an die Galater im 4. Kapitel und lautet folgendermaßen:

Galater 4,4- 7

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
7 So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Paulus schreibt das den Menschen in der Gegend Galatien, das liegt in der heutigen Türkei. Er war dort als Missionar tätig gewesen, und viele Menschen hatten die Botschaft angenommen, dass Gott durch Jesus Christus gekommen war und allen seine Liebe schenkte. Paulus hatte mit ihnen, den Bekehrten, eine Gemeinde gegründet und war dann weitergereist.

Doch nicht lange nach seinem Wirken waren Leute in die Gemeinde eingedrungen, die behaupteten, dass der Glaube an Jesus allein doch nicht ausreichte. Sie ermahnten die Menschen, auch weiterhin das jüdische Gesetz einzuhalten, sonst würde Gott sie nicht lieben.  

Paulus hörte davon, und es ärgerte ihn. Er schrieb deshalb seinen Brief, in dem er auf diese Fragen einging. Das Thema kommt auch in unserem Abschnitt vor. Paulus sagt da: Jesus Christus hat die, „die unter dem Gesetz waren, erlöst.“ Die Menschen sollten keine Knechte Gottes mehr sein, sondern seine Kinder. Sie sind frei vom Gesetz geworden, weil seine Liebe in Jesus Christus erschienen ist. Wer an ihn glaubt, wird selber ein Kind Gottes, und zwar völlig umsonst. Er muss überhaupt nichts dazu tun, es wird ihm einfach geschenkt. Gott nimmt jeden und jede, die an Jesus Christus glaubt, aus Gnaden an. Keiner muss mehr etwas leisten, um ihm gerecht zu werden.

Der Geist Christi wirkt vielmehr in denen, die Kinder Gottes geworden sind, und lässt sie frei vor Gott treten. Das verspricht Paulus den Galatern mit den Worten: „Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: ,Abba, lieber Vater.’“ „Abba“ heißt so viel wie „Papa“. Im Judentum war es völlig unüblich, Gott so anzureden, das traute sich niemand. Aber Paulus hat das von Jesus übernommen, und der tat es ganz bewusst, um zu zeigen, dass Gott uns nahe ist. Wir dürfen ihn alle so nennen. Christen und Christinnen dürfen vor Gott treten wie Kinder vor ihren Vater. Das Verhältnis ist von Liebe und Vertrauen geprägt. Seitdem Gott seinen Sohn gesandt hat, hat sich also etwas zwischen ihm und den Menschen geändert. Alle, die an ihn glauben, sind seine Söhne und Töchter geworden. 

Das ist die Weihnachtsbotschaft, und sie enthält die Verheißung, dass wir durchaus so etwas erleben können, wie die Kinder, Freude und Unbeschwertheit, Freiheit und Sorglosigkeit.

Doch wie geht das nun? Den Kindern ist es vielleicht möglich, aber wie ist es mit uns Erwachsenen? Wir denken ja viel mehr nach, wissen auch mehr und hören täglich schlimme Nachrichten. Der Spiegel hat auf die Titelseite seiner Jahres-chronik die Schlagwörter geschrieben: „Kriege, Klima, künstliche Intelligenz“. Und darunter steht: „Die Welt im Wandel“. Damit ist fast schon alles gesagt, auf jeden Fall sind es die Themen, die uns wirklich beunruhigen. Sie machen uns Angst und verunsichern uns. Können wir überhaupt unbeschwert Weihnachten feiern, angesichts all dieser Bedrohungen? Wie verhalten wir uns am besten?

Mir sind dazu weitere Wörter eingefallen, die mit dem Buchstaben „K“ beginnen. Die einen „krakeelen, kleben und kämpfen“, andere setzen auf „Kerzen, Kekse und Kuscheln“. Es gibt jedenfalls ganz verschiedene Wege und Methoden, auf die Probleme der Zeit zu reagieren. Wir können aktiv werden, protestieren und uns einmischen. Eine andere Möglichkeit ist es, Augen und Ohren zu verschließen, die Probleme zu ignorieren und sich ins Private zurückzuziehen. Dazwischen gibt es natürlich noch weitere Methoden, wie wir mit dem Leben und der Welt am besten fertig werden. Es gibt da viele Ideen und Wege, und die sind auch legitim und gut. Wir dürfen rebellieren, es uns einfach gemütlich machen oder was auch immer. Jeder und jede ist frei, das zu tun, was ihm oder ihr am meisten liegt.

Doch wie passt die Weihnachtsbotschaft da nun rein? Sie scheint gegen all das irgendwie zu verblassen, sie kommt uns schwach und unbedeutend vor.

Aber ist sie das wirklich? Auch sie handelt von etwas, das mit „K“ beginnt, und zwar von einem „Kind“ in einer „Krippe“, das noch ganz „klein“ war. Und dieses Kind ist kein gewöhnliches, sondern der Sohn Gottes. Was uns zu Weihnachten verkündet wird, liegt demnach auf einer ganz anderen Ebene, es durchbricht unser herkömmliches Denken und Handeln. Das gilt es, zu erfassen, und das heißt, wir müssen uns auf einen bestimmten inneren Vorgang einlassen. Paulus nennt ihn das „Wirken des Geistes Jesu“. Der kann in uns beten, d.h. er öffnet uns für eine tiefere Dimension. Und am besten empfangen wir ihn, wenn wir vieles von dem, was Kinder noch haben, bewusst einüben und wieder gewinnen.

Das ist zunächst einmal ihr Vertrauen. Kinder stellen zwar auch Fragen und wollen vieles wissen, aber wenn sie eine Antwort bekommen, glauben sie auch, dass sie wahr ist. Sie sind offen und unbefangen und nehmen sie an. Und das wäre das Erste, was wir wieder lernen müssten, jedenfalls in unserer Beziehung zu Gott: Dass wir ihm vertrauen und an ihn glauben. Damit durchbrechen wir sowohl die Privatheit als auch den Aktivismus. Wir lassen uns in unserer Seele anrühren und bewegen, wir empfangen etwas und lassen es wirken. Wichtig ist also, dass wir „klein werden“ und uns in die Gegenwart Gottes stellen.

Und damit sind wir auch schon bei der zweiten Eigenschaft, die Kinder haben: Es ist ihre Nähe zum Augenblick. Natürlich wissen sie, dass es gestern und morgen gibt, aber eine klare Vorstellung von den Zeiträumen haben sie nicht. Was jetzt geschieht, das ist interessant. Und auch das müssen wir wieder lernen. Wir sind mit unseren Gedanken oft in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sehnen uns zurück oder denken an das, was wir demnächst zu tun haben. Doch damit verpassen wir das, was jetzt ist, und dazu gehört auch die Liebe Gottes. Sie war nicht gestern da oder kommt morgen, sondern jetzt. Ganz gleich, was wir gerade zu tun haben, was uns umtreibt oder belastet, es gilt, jetzt darauf zu achten, dass wir von Gott geliebt sind. Gottes Liebe ist keine Geschichte von früher und auch Programm, bei dem wir mehrere Punkte abhaken. Sie ist vielmehr eine Kraft. Und die können wir auch spüren. Wir müssen nur verstehen, dass sie immer ganz nah ist.

Und das geht am besten, wenn wir zu ihm rufen wie Kinder zu ihren Eltern. Das ist ein dritter Punkt, der das Kindsein bestimmt: Kinder brauchen ihre Eltern, sie sind von ihnen abhängig und haben eine lebendige Beziehung zu ihnen. Sie rufen ihre Eltern, wenn sie Hilfe brauchen, reden mit ihnen und werden von ihnen ins Leben geführt. Und so ist es auch mit Gott: Er hört uns, wenn wir zu ihm rufen und will uns helfen. Dabei brauchen wir nicht viele Worte. Das kurze Gebet „Abba, lieber Vater“ reicht schon. Wenn wir es immer wiederholen, merken wir, dass es unseren Geist weit macht und uns mit etwas ganz Neuem erfüllt. Wir werden in die Nähe und Liebe Gottes hineingezogen und von ihm geführt.

Es gibt dazu einige schöne Verse von Angelus Silesius. Das war ein deutscher Lyriker, Theologe und Arzt. Er hieß mit bürgerlichem Namen Johannes Scheffler und lebte im 17. Jahrhundert. Einige Lieder in unserem Gesangbuch sind von ihm. Darin geht es hauptsächlich um die Liebe zwischen Gott und Mensch. Das war für ihn das wichtigste Thema. Sie kommt auch in seinen kurzen religiösen Gedichten vor, die der Mystik nahestehen. Mehrere Male hat er darin zum Ausdruck gebracht, dass wir uns dem Kindsein wieder annähern müssen, wenn wir Gott näherkommen wollen. So sagte er:

„Weil sich die Gottheit hat in Kindheit mir erzeiget, bin ich der Kindheit und der Gottheit gleich geneiget.
Mensch, wirst du nicht ein Kind, so gehst du nimmer ein, wo Gottes Kinder sind, die Tür ist gar zu klein.
Christ, so du kannst ein Kind von ganzem Herzen werden, so ist das Himmelreich schon deine hier auf Erden.“

Lassen Sie uns das beherzigen, dann erleben wir eine ganz große Freude und Freiheit, so wie die Kinder uns das zu Weihnachten vormachen. Lassen Sie uns das Vertrauen üben, gegenwärtig und wach sein und zu Gott rufen. Er zieht dann mit seinem Geist in uns ein und macht uns zu seinen Söhnen und Töchtern. Wir werden ganz tief angerührt und machen die wunderbare Erfahrung, dass Gott wirklich da ist und uns seine Liebe schenkt.

Amen.  

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