Die große Krankenheilung

Predigt über Jesaja 29, 17- 24: Die große Wandlung

12. Sonntag nach Trinitatis, 3.9.2017, 9.30 Uhr
Luther- und Jakobikirche Kiel

Jesaja 29, 17- 24 

17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden.
18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen;
19 und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.
20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten,
21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.
22 Darum spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen.
23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – seine Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.
24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.

Liebe Gemeinde.
In der Geschichte der Menschheit gab es von Anfang an das Bestreben, alle Krankheiten zu besiegen. Dabei wurden im Alten Orient hauptsächlich Dämonen als Verursacher von Erkrankungen angesehen, und eine kultische Reinigung versprach Heilung. Hippokrates von Kos hat im fünften Jahrhundert vor Christus dann als erster den Körper beobachtet und versucht, auf seine Zusammensetzung Einfluss zu nehmen. In Arabien wurden diese Erkenntnisse weiterentwickelt, und ab dem 13. Jahrhundert kamen sie über Spanien und die Mauren nach Mittel- und Westeuropa. Außerdem hatte sich hier in den Klöstern eine umfassende Kunde der Heilkräuter ausgebildet.
Die größten medizinischen Fortschritte wurden aber erst ab dem 19. Jahrhundert gemacht, vor allem durch die Entwicklungen in den Naturwissenschaften. Die Liste der Neuentdeckungen und ersten Behandlungserfolge wird seitdem von Jahrzehnt zu Jahrzehnt länger. So wurde z.B. 1941 der erste Patient mit Penicillin behandelt, und 1960 wurde die erste Bypass-Operation durchgeführt. (vgl. wikipedia, Geschichte der Medizin)
Die Forschung geht allerdings weiter, denn eine krankheitsfreie Menschheit gibt es noch lange nicht. Die Heilung aller Gebrechen bleibt vorerst eine Vision.
Deshalb klingt die Ankündigung des Propheten Jesaja immer noch aktuell. Wir haben seine Verheißung einer zukünftigen Heilszeit vorhin gehört. Er beschreibt darin die Umkehrung aller Dinge und Verhältnisse: „Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen.“ Das ist eine Folge dieser Wende. Doch nicht nur Gebrechen wie Taubheit und Blindheit werden geheilt, „die Elenden werden wieder Freude haben, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein.“ Den Schwachen wird geholfen, und Frieden und Gerechtigkeit werden einziehen. „Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten. “ Gott ist auf der Seite der Schwachen, er heilt und baut wieder auf, er schlägt alle bösen Machthaber nieder. Und zuletzt werden „die, welche irren in ihrem Geist, Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“
Die Welt wird umgewandelt, denn Gott macht alles neu, das ist die Botschaft des Propheten. Er heilt die Kranken, erhöht die Niedrigen und bringt die Irrenden zurecht. Die Hohen und Mächtigen dagegen stürzt er zu Boden.
Wir finden solche Verheißungen an vielen Stellen im Alten Testament, und im Neuen Testament ebenso. Maria hat sie z.B. in ihrem Lobgesang  aufgegriffen (Lukas 1,46-55), und Jesus hat vieles davon verwirklicht. In seinen Reden taucht die Vision von einer besseren Welt wieder auf. Er sprach vom Anbruch des Reiches Gottes oder der „Himmelsherrschaft“, die durch ihn gekommen ist.
Doch wie gehen wir damit um? Brauchen wir so eine Phantasie? Wird sie denn jemals wahr? Und was hat Jesus damit zu schaffen? Er tut ja nichts! Es gibt nach wie vor viel Elend, Krankheit, Not und Ungerechtigkeit. Bis jetzt hat sich in der Welt nichts geändert. Das ist unser Einwand, und der legt es nahe, so einen Text, wie wir ihn heute bedenken sollen, nicht wirklich ernst zu nehmen. Er ist zu unrealistisch und zu phantastisch und passt nicht in unser Denken.
Das stimmt zwar, und so ein Urteil liegt durchaus nahe. Es entsteht allerdings aus einer gewissen Flüchtigkeit heraus. Wir sind zu schnell mit unserer Meinung und sollten zunächst einmal genau lesen, was hier steht. Dann ändert sich unser erster Eindruck eventuell, und der Abschnitt entfaltet doch eine Botschaft, die uns gut tut. Lassen Sie uns deshalb hinschauen, was hier wirklich steht.
Dabei müssen wir als erstes berücksichtigen, dass der Prophet an dieser Stelle eine endzeitliche Vision darlegt. Was er beschreibt, liegt in einer fernen Zukunft. Es ist die große Wandlung, die Gott heraufführen wird, wenn er diese Welt neu macht. Mit unserer Realität, wie wir sie jetzt kennen, soll das Ganze auch gar nichts zu tun haben, denn alles wird in sein Gegenteil verkehrt. Das ist das Eine, was wir beachten müssen.
Und dann müssen wir genau lesen, was hier mit den einzelnen Gruppen von Menschen, die unter etwas leiden, geschehen soll. Zunächst nennt der Prophet die Tauben. Sie werden nicht nur hören, was in der Welt gesprochen wird und ertönt, sondern „die Worte des Buches“. Damit ist die Heilige Schrift gemeint, das, was Gott sagt und will. Sie werden es verstehen und ihm gehorchen. Als nächstes werden die Blinden erwähnt. Auch ihnen wird nicht einfach das Augenlicht versprochen, sondern für sie bringt die Wende ebenfalls eine geheimnisvolle Offenbarung. „Ihre Dunkelheit und Finsternis“ wird aufgehoben, das Chaos lichtet sich und sie sehen, was Gott tut. Die dritte Gruppe sind die Frommen und Demütigen. Sie beugen sich vor Gott und erfahren dadurch eine große Freude. Genauso geht es auch den Armen und Verachteten, die in der Gesellschaft keinerlei Chance haben. Sie werden frohlocken und jauchzen, d.h. sie werden Gott loben und sich in ihm freuen.
Und dann ist es interessant, dass am Ende noch zwei weitere Gruppen erwähnt werden, die wir möglicher Weise gar nicht mit den Kranken und Armen in Zusammenhang bringen würden. Und zwar sind es zum Einen die, die sich auf einem Irrweg befinden, die taumeln und keine Orientierung im Leben haben. Sie werden zur Einsicht kommen und wissen, wo es lang geht. Zum Anderen werden die genannt, die immer etwas zu meckern haben, die Unzufriedenen und ewigen Nörgler. Sie werden Belehrung annehmen, sich an die Weisungen gewöhnen, die ihnen vorgetragen werden, und sich in ein positives Denken einüben.
Das alles müssen wir genau beachten, dann merken wir, dass es hier um mehr geht, als körperliche Heilung oder materielle Wiederherstellung. In allen Ankündigungen spielt Gott die entscheidende Rolle, sein Wort und Wille, seine Gegenwart und seine Kraft. Er wird die Antwort sein, um ihn werden sich die Menschen versammeln, ihn werden sie erkennen und ihm dienen. Das kündigt der Prophet hier an. In der neuen Welt wird Gott die Mitte sein, seine Gegenwart wird alles bestimmen. Deshalb wird alles gut.
Es wird also um eine neue Realität gehen, und das dürfen wir als Verheißung ruhig ernst nehmen. Sie ist auch gar nicht so fern, wie es beim ersten Hören scheint, denn durch Jesus Christus ist davon schon etwas wahr geworden. In ihm ist diese neue Zukunft bereits angebrochen. Das Reich Gottes ist mitten unter uns und wirkt in diese Welt hinein.
Es ist deshalb gut, wenn wir auf Jesus vertrauen. Wir können mit allem, was uns belastet, zu ihm fliehen und zu ihm rufen. Wir dürfen viel von ihm erwarten, dann kann er uns verwandeln.
Lassen Sie uns also fragen, wie das vor sich geht. Dafür ist es gut, wenn wir uns zunächst die schwerwiegenden Störungen unseres Wohlbefindens bewusst machen. Das kann durchaus eine unheilbare Krankheit sein, Taubheit oder Blindheit, Armut oder Elend. Wer darunter leidet, erlebt sein Schicksal als nachteilig. Es fehlt etwas, was andere Menschen haben, im Leben klafft ein großes Defizit, und man fühlt sich vom Dasein betrogen. „Allen geht es gut, nur mir selber nicht.“ Das denken wir dann.
Aber ist das wirklich so? Wenn wir genau hinschauen, gibt es doch kaum ein Leben ohne Mangel. Es ist nie vollkommen, allein schon dadurch, dass wir nie alles verwirklichen können, was wir uns vorstellen. Im Geist und in der Seele entwerfen wir viel mehr Wünsche und Möglichkeiten, als wir jemals erfüllen oder umsetzen, denn wir können nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein. Wir verpassen also ständig etwas. Damit kann irgendwann die Feststellung einhergehen, dass unser Lebensentwurf verkehrt war. Jahre sind vergangen, und plötzlich haben wir den Eindruck, unsere Zeit vertan zu haben. Wir haben uns verirrt und Schuldgefühle und Traurigkeit drücken uns nieder.
Und diese Liste an Störungen und Unvollkommenheiten lässt sich unendlich fortsetzen. Jeder Mensch ist davon irgendwann betroffen. Denn selbst wenn alles gut verläuft, eines Tages sind wir trotzdem mit der Vergänglichkeit konfrontiert. Die Medizin hat es zwar möglich gemacht, dass wir viel älter werden als in früheren Jahrhunderten, aber ein Mittel gegen Sterblichkeit ist noch nicht entdeckt worden. Das Altern lässt sich nicht aufhalten, der Tod kommt irgendwann zu jedem und jeder. Und vorher wird ab einem bestimmten Zeitpunkt alles immer weniger: Die Kräfte lassen nach, der Mensch wird gebrechlich und muss am Ende das gesamte Leben loslassen. Bei Lichte betrachtet, ist das die massivste Störung, und der kann niemand entkommen.
Es ist deshalb für jeden Menschen heilsam, vom Leben nicht zu viel zu erwarten. Wir brauchen alle eine Perspektive, die über Raum und Zeit hinausweist, um bis zum Ende froh und zuversichtlich zu bleiben. Und genau die will uns der Prophet geben. Er will uns zum Vertrauen auf Gott einladen, der eines Tages alles verwandeln wird. Der Glaube ist ein Weg, der uns Hoffnung und Trost schenkt, der zur Heilung, zur Ruhe und zur Gelassenheit führt.
Wir müssen uns nur dafür entscheiden, und dazu gehört die Einsicht, dass wir es selber steuern können, wieviel Macht wir der Störung und den Defiziten, dem Leid und der Not über unser Denken und Fühlen geben wollen. Das Schwere muss nicht das alles Bestimmende sein. Wir können unser Bewusstsein auch von etwas anderem prägen lassen, von etwas Schönem und Großem, von der Gegenwart Gottes und seiner Liebe. Wir müssen die Antwort auf unsere Fragen, den Ausgleich des Mangels und die Beseitigung der Unzulänglichkeiten an der richtigen Stelle suchen, und die ist nicht in dieser Welt. Wir finden sie nur bei Gott und bei seinem Sohn Jesus Christus.
Wenn wir das allerdings tun, wird die Vision des Propheten im Verborgenen wahr, denn im Glauben öffnet sich ein ganz neuer Weg. Es geht uns so, wie den Menschen, die der Prophet vor Augen hatte. Wir können die Nöte, die er benennt, auch geistig und seelisch verstehen: Dann sind wir selber die Tauben und Blinden, die Armen und Irrenden. Und zwar sind wir taub für die Stimme Gottes und blind für seine Gegenwart. Wir irren in der Welt umher, verlieren uns in unseren eigenen Gedanken und Gefühlen. Am Ende werden wir negativ und verbittert. Wenn wir uns dagegen Jesus Christus anvertrauen, hören wir Worte des Trostes und der Liebe, wir sehen ein helles Licht, nehmen unsere Schwachheit an und finden sicher unseren Weg. Es entsteht eine große Freude. Das Leben wird schön, auch mit dem Mangel und trotz der Defizite. Sie stören uns nicht mehr, weil wir eine tiefe Ruhe gefunden haben, die uns dankbar und zuversichtlich macht.
Und natürlich können dadurch auch einige Krankheiten geheilt werden. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Seele und Leib, das hat die Medizin inzwischen erkannt und dafür den Ausdruck „Psychosomatik“ geprägt. Damit ist die Lehre von der Verflechtung psychischer Fähigkeiten und körperlicher Vorgänge gemeint. Das entsprechende Fachgebiet, die „psychosomatische Medizin“, ist relativ jung. Erst 1992 entschied der Deutsche Ärztetag, es einzurichten. (vgl. wikipedia, Psychosomatik) Die Ursprünge der Psychosomatik lassen sich allerdings bis an die Anfänge der Medizin zurückverfolgen, denn es wurde schon immer daran gearbeitet, dass Seele und Geist frei werden. Dann lösen sich Verspannungen und die selbstheilenden Kräfte des Körpers werden mobilisiert. Und das ist ein guter Ansatz, von dem viele Menschen profitieren.
Trotzdem wird die Medizin wahrscheinlich niemals alle Probleme lösen, es wird immer unheilbare Krankheiten geben, und das Altern wird mit Sicherheit nicht abgeschafft. Wir brauchen deshalb den Blick über diese Welt hinaus, eine Perspektive für die Zeit nach dem Leben hier auf Erden. Es ist also gut, wenn wir daran glauben, dass wir eines Tages die Stimme Gottes hören, sein Licht sehen, seine Freude empfangen, von allen Irrtümern befreit werden und Gott in Ewigkeit loben.
Amen.

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