Der starke Trost

Predigt über 2. Timotheus 1, 7- 10: Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen

16. Sonntag nach Trinitatis, 11.9.2016, 9.30 Uhr
Lutherkirche Kiel

In dem Gottesdienst wurde eine zweieinhalbjähriges Mädchen getauft. Die Eltern hatten zufällig einen Vers (7) aus dem Predigttext als Taufspruch gewählt.

2. Timotheus 1, 7- 10

7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, anicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, ader dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Liebe Gemeinde.
„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jesaja 66,13) Der Spruch ist aus der Bibel und in diesem Jahr das kirchliche Leitwort. Denn das sagt Gott durch seinen Propheten zum Volk Israel. Und daran wird deutlich, dass Trost etwas ist, das wir schon als kleine Kinder brauchen: Die Mutter oder der Vater geben ihn uns, wenn sie gute Eltern sind. Denn auch Kinder kennen ja bereits Trauer und Mutlosigkeit.
Vielleicht sind die Gründe für die Tränen von Kindern in unseren Augen manchmal geringfügig, doch wir müssen uns hüten, deshalb einfach nur zu ihnen zu sagen: „Das ist doch nicht so schlimm.“ Ein Kind möchte, dass wir seinen Schmerz mit ihm aushalten, die Trauer zulassen und ernst nehmen. Nur dann ist es wirklich getröstet, denn es bekommt Unterstützung und Beistand.
Und so ist es auch im späteren Leben: Trost erfahren wir, wenn wir einen tragfähigen Grund verspüren, wenn jemand da ist, der stark ist und uns Mut macht. Nicht umsonst kommt das Wort „Trost“ von „treu“. Es bedeutet, dass jemand uns treu ist und dass wir dadurch innerlich fest werden.
In unserer Epistel von heute ist von so einem Trost die Rede. Sie steht im zweiten Brief des Paulus an Timotheus.
Das war sein Schüler, und Paulus wollte ihm Mut machen. Deshalb erinnert er ihn daran, welchen Geist er durch den Glauben an Jesus Christus empfangen hat, welche Gesinnung ihn auszeichnet.
Der Abschnitt, den wir gelesen haben, beginnt mit drei Dingen: „Kraft, Liebe und Besonnenheit“. All das hat Gott Timotheus gegeben, und das hat viel mit innerer Festigkeit, also mit Trost zu tun. Denn Timotheus ist mit Stärke ausgerüstet, er kann etwas und ist leistungsfähig. Außerdem hat er die Liebe empfangen, d.h. er weiß sich geliebt und ist selber treu und freundlich und den Menschen zugewandt. Er kann mitfühlen, ist offen und schätzt die anderen. Und als drittes hat er „Besonnenheit“, das bedeutet, er hat einen gesunden Verstand und die richtige Erkenntnis. Er ist klug, kann sich selbst beherrschen, ist nüchtern, maßvoll und bescheiden.
Paulus sagt, dass Timotheus so ist, aber er will ihn damit natürlich auch ermahnen, so zu bleiben, das alles zu bewahren und zu pflegen, es wirklich zu leben. Er soll sich immer wieder trösten lassen.
Sie haben diesen Vers für Edda als Taufspruch ausgesucht. Das ist ein schöner Zufall. Sie sagen ihr damit, was Sie ihr wünschen, und das gilt für jeden Christen und jede Christin. Lassen Sie uns also fragen, wie wir diese drei Gaben verwirklichen können, wie wir den Trost finden, der uns innerlich fest macht.
Es gibt ja in jedem Leben immer mal wieder Zeiten, da fehlt er uns, da sind wir trostlos und verzweifelt. Das kann durch ganz verschiedene Dinge ausgelöst werden. Meistens spielt der Tod eine Rolle: Jemand oder etwas ist gestorben, wir haben einen schweren Verlust, eine Enttäuschung oder Verletzung erlitten. Dann fehlt uns die Kraft. Wir werden schwach und verzagt. Der Mut kommt uns abhanden, wir trauen uns nichts mehr zu, haben Angst vor der Zukunft und können nicht mehr lieben. Andere Menschen erreichen uns innerlich nicht mehr, und auch wir haben es schwer, in Kontakt zu treten. Wir fühlen uns einsam und können keine klaren Gedanken mehr fassen.
Viele Menschen reden dann von einer „dunklen Nacht“, in der sie gefangen sind. Alles verdüstert sich, das Licht und die Freude verschwinden und es scheint keinen Ausweg mehr zu geben. Was kann uns dann noch trösten? Gibt es daraus eine Erlösung, eine Rettung?
Wahrscheinlich sehen wir sie nicht, wenn es uns so schlecht geht. Wir sehnen uns nur danach. Doch genau da können wir ansetzen. Die Sehnsucht nach einem „starken Trost“ schlummert nämlich immer in uns, wir decken sie bloß normaler Weise zu, und zwar indem wir uns mit vorübergehenden Dingen trösten. Unser Leben ist so angelegt, dass wir die Freude und das Glück, auch unseren Halt und unsere Kraft zunächst von irdischen Angelegenheiten erwarten, von anderen Menschen z.B., unseren Familien und Freunden. Auch Wohlstand und Vergnügen sind uns wichtig, und unsere Ideen und Pläne. All das gibt uns Sicherheit.
Deshalb merken wir nicht, dass wir in der Tiefe unsres Herzens noch viel mehr suchen. In Wirklichkeit reicht das alles nicht. Doch dieses Verlangen bricht erst auf, wenn unsere oberflächlichen und irdischen Tröstungen versagen. Und genau darin liegt die Chance. Jede Krise birgt die Möglichkeit eines Neuanfangs in sich.
Das Gefühl, in einer „dunklen Nacht“ zu sein, ist schwer und leidvoll. Aber es hilft, wenn wir ausweglos erscheinende Situationen mit diesem Bild beschreiben. Denn „in der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tags.“ So beginnt ein Lied von Sybille Fritsch, einer Theologin aus unserer Zeit. Und das ist eine schöne Vorstellung. Die Nacht markiert eben nicht nur das Ende, sondern da beginnt bereits das Morgenrot.
Und wir können nachts auch ganz andere Dinge erleben, als tagsüber. Der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz aus dem 16. Jahrhundert befand sich lange in einem Seelenzustand, den er mit der „dunklen Nacht“ bezeichnete. Er sehnte sich nach Erlösung, und so stellte er sich vor, wie er nachts aus dem Haus geht, um einen heimlichen Geliebten zu treffen. Er hat darüber ein wunderschönes Gedicht geschrieben. Es geht darin um die Begegnung mit Jesus. Der wartet bereits auf ihn, und sein Herz zeigt ihm den Weg dorthin. Es führt ihn mit Jesus zusammen, der ihn dann zärtlich in die Arme nimmt. Und in dem Moment löst sich aller Kummer auf, es ist nur noch Liebe da und ein inneres Glühen durchströmt ihn. (Johannes vom Kreuz, die dunkle Nacht, vollständige Neuübersetzung, Freiburg, Basel, Wien, 1995, S. 27f) Paulus sagt das in unserer Epistel so: „Christus hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf.“
Es ist also jemand da, der unseren Schmerz mit uns aushält und uns ernst nimmt, so wie Eltern das mit ihren Kindern tun. Wir müssen seinem Ruf nur folgen, dann bekommen wir neue Hoffnung. Die Nacht bzw. die Lebenskrise trägt den Keim eines Neuanfangs in sich. „Und in ihrer dunklen Erde blüht die Hoffnung.“ So dichtet Sybille Fritsch weiter.
Und das liegt daran, dass Jesus Christus „dem Tode die Macht genommen“ hat, wie es in unserer Epistel heißt. Er ist stärker als der Tod, wir können uns bei ihm anlehnen und Halt suchen. Wenn wir es tun, werden wir von einer unsichtbaren Kraft getragen. Wir gewinnen innere Festigkeit. Wir müssen uns ihm nur überlassen und von allem anderen ablassen. Dann führt er uns aus der Nacht heraus.
Die Tröstungen, die wir normaler Weise suchen, sind wie ein Irrweg. Sie führen uns in die Irre, denn sie erreichen nie die Tiefenschichten unserer Seele. Sie sind vergänglich und dadurch unzureichend. Außerdem sind sie äußerlich und halten uns davon ab, uns unserem Innersten zuzuwenden. Doch genau das ist nötig, denn die Lösung liegt nicht außerhalb von uns selbst, sondern in uns. Unser Herz zeigt uns den Weg, wir müssen nur in unser Herz zurückkehren, dort einkehren. In einem Interview, das vor kurzem in der Zeitung abgedruckt war, hat ein Künstler gesagt: „Ich vermisse mich“, weil er zu vieles machte, das ihn zerstreute und zerriss. Er bedauerte diesen Zustand und wollte daran gerne etwas ändern. Und damit ist er sicher nicht allein. Der Gefahr uns selber aus den Augen zu verlieren, sind wir alle ausgesetzt.
Wir können ihr entkommen, wenn wir einmal einfach nur da sind, ausharren und die „dunkle Nacht“ aushalten. Dann „sehen wir im Morgenrot schon das Licht“ (Sbille Fritsch). Wir werden von Christus empfangen und getröstet. Denn er hat das „Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht“, und daran gewinnen wir Anteil.
Ein weiterer Mensch, der diesen Weg gegangen ist, ist Dietrich Bonhoeffer. Er saß bereits in der Todeszelle und wusste, dass er hingerichtet wird. Trotzdem konnte er dichten: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 65,7) Er trug die „Kraft und die Liebe und die Besonnenheit“ in sich, die wir im Glauben an Jesus Christus geschenkt bekommen.
Gerade bei einer Taufe ist es wunderbar, wenn wir uns daran erinnern. Für Edda gilt das heute ganz besonders. Sie weiß zwar noch nicht in Gänze, was die Taufe bedeutet, aber sicher spürt auch sie bereits etwas von der Kraft und Liebe Jesu. Auf jeden Fall wollen Sie sie dazu ermutigen, ihr Leben mit ihm zu führen, so wie Paulus Timotheus bestärkt hat. Sie bekommt die Zusage: „Jesus ist bei dir.“ Er kann jede Angst und Traurigkeit überwinden. Wenn sie sich einmal schwach fühlt, kann sie sich auf seine Kraft verlassen, denn er ist ihr treu. Auch die Liebe wird in ihrem Herzen lebendig bleiben, und sie wird immer wieder besonnen, getrost und ruhig sein.
Mit der Taufe beginnt dieser Weg Eddas mit Jesus. Sie wird mit ihm verbunden, er schenkt ihr seinen Geist. Er bekennt sich zu ihr, er wird sie begleiten und ihr auch in schweren Zeiten beistehen. „Er wird sie trösten, wie einen seine Mutter tröstet“.
Amen.

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